Paraguay - der Ritt auf der Enduro
14.4.2015:
Ich musste außerplanmäßig montagfrüh nochmal in die Stadt, eine wichtige
Erledigung verrichten und zur Schlauchverlängerung mittels
Schnellkupplungssystem vier Wasserhahnanschlüsse umtauschen, da auf jeder
Seite der Schnellkupplung ein Schlauch und kein Wasserhahn angeschlossen
werden soll. Ich wollte die Wasserhahnanschlüsse erst behalten, stellte
aber fest, dass sie für ½ Zoll ausgelegt sind und nicht für ¾ Zoll.
In der ferreteria staunte ich nicht schlecht. Ich hatte mir die Kupplungen
nicht genau genug angeschaut, denn sie sind produziert mit
Einschraubeinsätzen. Diese heraus geschraubt ergeben automatisch
Anschlüsse für ¾ Zoll. Aber auch diese brauchte ich für die reine Schlauch
zu Schlauch Verbindung nicht umtauschen, da es hier einfach
Einschraubeinsätze für den Schlauchanschluss gibt. In Deutschland werden
dazu drei verschiedene Typen an Schlauchzubehörteilen angeboten und man
kann nicht ein Teil mit kleinen Ein- oder Verschraubungen für gleich
mehrere Zwecke benutzen. Ein sehr praktischer Aha-Effekt mit der Frage,
wieso wird so was Praktisches nicht in Deutschland verkauft? Die Antwort
kam mir schnell, in Deutschland soll einfach mehr verkauft werden und dann
liegen viele kleine Fehlkäufe ungenutzt irgendwo rum und wenn man was
ähnliches braucht, kann man nicht modifizieren, sondern muss gleich neu
kaufen.
Froh gelaunt, dass man im kleinen Städtchen wirklich alles bekommt was es
auch in Deutschland gibt und noch mehr, wie ich heute wieder feststellte,
trat ich den Kickstarter von der Enduro runter, nachdem der Sprithahn
geöffnet und die Zündung eingeschaltet waren und der Einzylinder blubberte
dumpf vor sich hin, da ich den Auspuff auf ein angenehmes lauteres
Geräusch verändert habe. Das macht mir einfach mehr Spaß als mit einem
Motorrad zu fahren, das man nicht hört. Es muss ein wenig knattern wenn
man Gas gibt. Ein Verlust der Betriebserlaubnis mit allen gesetzlichen
Folgen und Strafen bis hin zur Konfiszierung des Motorrades von der
Polizei gibt es hier nicht und ist hier undenkbar.
Ich habe mir einen Bußgeldkatalog von Paraguay aus dem Internet geladen
und darin heißt es lapidar, ein wenig dem Ermessen des Motorradbesitzers
überlassen, dass nur wesentliche Änderungen am Fahrzeug mit einer Strafe
belegt werden, wie auch das Fahren gänzlich ohne Führerschein nicht in ein
Gerichtsverfahren mit Vorbestraftheit im Wiederholungsfall endet, nein,
man zahlt nur einmal die Strafe fürs Erwischtwerden und gut ist es. Die
Strafen sind übrigens viel höher als das, was man dem Polizisten vor Ort
mit etwas Handeln ohne Quittung in die Hand drückt. Die Polizisten hier
sind also nicht in dem Sinne korrupt mehr zu verlangen als nötig, sondern
sie helfen dem Volk, wenig ans System zu bezahlen, nicht wie in
Deutschland erlebt, wo es darum geht, möglichst viel Bußgeld einzutreiben,
wonach die Polizisten berwertet werden und sie Belohnung in Form von
höheren Bezügen und Beförderungen vom Staat erhalten, nein, so ist das
hier nicht, Gott sein Dank. Meistens stehen die Polizisten an den
Kontrollpunkten, zu denen sie entsandt wurden oder auch stationär
arbeiten, da weiß man schon, wo sie stehen, und trinken im Schatten
Terere, oft stundenlang bis dann mal eine halbe Stunde ein paar Autos
angehalten werden. Die USA haben auch hier ihr System der unendlichen
Verbote und Beschneidung von Freiheiten eingeführt, doch die Paraguayer
pfeifen drauf, selbst die Polizisten halten sich nicht an die tausend
Vorschriften, fahren selbst ohne Helm und halten so auch niemanden an um
zu kassieren, weil er ohne Helm fährt.
Es ist einfach locker hier und in dieser Atmosphäre lege ich den 1.Gang
ein und beginne meine Rückfahrt aus der Stadt nach Hause, auf's schöne
Land.
Am Kreisverkehr an der Ruta 7 wechselt eine Anzeige zwischen Uhrzeit und
Temperatur und gegen 10 Uhr morgens an diesem Herbsttage zeigen sich schon
34 Grad im Schatten, doch ich empfinde es nicht als heiß. Es ist angenehm
und auf dem Motorrad weht einem der Fahrtwind um die Ohren. Es gibt keinen
Hitzestau unter einem gefütterten Helm und man bekommt mit seinen Ohren
alles rundherum mit, hört mehr vom Verkehr um achtsam und rücksichtsvoll
zu fahren, was hier die Regel ist und man hört bei der Fahrt raus aus der
Stadt und weg vom Asphalt auf die natürlichen Erdpisten viel mehr von den
unzähligen Geräuschen der Tiere, Grillen, Vögel, Frösche und mehr, neben
dem dumpfen und ruhigen Geknatter meiner Enduro, der ich ein kleineres
Ritzel am Hinterrad verpasst habe. Das erhöht zwar unter anderem die
Endgeschwindigkeit, falls ich mal auf der Ruta nach Independencia fahre,
doch viel wichtiger war mir das Fahren in geringeren Geschwindigkeiten mit
jeweils höherem Gang und damit niedrigeren Drehzahlen. Das spart Benzin
und vermittelt ein ruhigeres Fahren, wenn der Motor nicht wie eine
Nähmaschine heult, sondern eher tranquillo blubbert und mit der größeren
Übersetzung trotzdem schnell gefahren werden kann.
Schnell fahren heißt auf der Erdpiste etwas anderes als auf einer
asphaltierten Straße. Wenn man einmal die Übung hat, die Balance über
viele Kilometer Erdpiste nicht zu verlieren, wenn plötzlich Löcher oder
Furchen oder Querrinnen auftauchen, die einen ganz schön fliegen lassen
können und wenn es nach einem Regen nicht glitschig und matschig ist, wo
die Geschwindigkeiten ohnehin begrenzt bleiben, dann muss man in den
überwiegend sonnigen Zeiten mit sehr viel feinem Sand rechnen, in den man
hinein rauscht und der sich auf ein Zweirad auswirkt, als würdest du in
einen glitschigen Brei fahren, der deine Fahrspur nach eigenen
Gesichtspunkten ändert und du mit sehr schneller Reaktion zwecks
Gegenlenken und Gewichtsverlagerung die Balance halten musst, sonst stellt
sich dein Vorderrad oder dein ganzes Motorrad quer und du schießt
raketenmäßig entweder ins seitliche hohe Gras oder in den verglichen mit
hartem Asphalt doch sehr weichen abbremsenden Pistensand. So etwas habe
ich bei Einheimischen noch nie erlebt, die fahren schon mit 10 Jahren oder
noch jünger besser wie die meisten in Deutschland. Gerade balanciert so
ein Knirps morgens und mittags an unserem Land vorbei mit drei weiteren
großen Geschwistern zusätzlich auf dem Moped, um damit einen längeren
Schulweg zu verkürzen.
Ich selbst muss mit schon vielen Jahren Zweiraderfahrung sagen, dass ich
mich unter diesen herausfordernden Bedingungen hier auch noch nicht auf
die Schnauze gelegt habe, wie man so schön sagt, doch habe ich mich vom
vorsichtigen Herantasten an die hiesigen Bedingungen eines einzigartigen
großen Enduro-Terrains langsam mit jeder Fahrt gesteigert und heute macht
es derart Spaß wie jetzt, aus der Stadt über die unterschiedlich
beschaffenen Erdstraßen nach Hause zu düsen, um nicht zu sagen tief zu
fliegen, die Sonne im Nacken oder auch die Schirmmütze tiefer gezogen,
wenn die Sonne voraus steht, der warme Fahrtwind doch kühlend und immer
wieder mal die Luft angehalten und die Augen zu Schlitzen
zusammengekniffen, wenn einem jemand entgegen kommt und eine Staubwolke
aufwirbelt, als wärest du in einem Wüstensturm. Es ist nicht nur Staub,
sondern es prickeln kleinste Sandteilchen auf deine Gesichtshaut und es
kommt einem vor, als hätten die Autos oder Lastwagen oder auch Zweiräder
richtig Spaß daran, eine möglichst große Staubwolke hinter sich
aufzuwirbeln.
Dort hinterher fahren kannst du nicht, dann siehst du nichts mehr,
entweder auf Abstand bleiben oder überholen. Da hier immer ein leichter
Wind weht, sind diese Staubwolken auch schnell seitlich der Erdstraßen
wieder verzogen, deshalb hält sich die fehlende Sicht und das Luftanhalten
in Grenzen, doch es gehört dazu und man kommt manchmal zu Hause an mit der
Verwunderung seiner Familie, dass du wie ein Greis aussiehst, da Haare,
Augenbrauen und Bart mit Staub noch voll hängen und dich grau färben.
Klopfst du dann deine Klamotten ab, staubt es nochmals gehörig.
Unter diesen Bedingungen von Straßenunebenheiten, verschiedenen
Untergründen von gepflasterten Stellen über steinharte rote Erde bis hin
zu weichem tiefem Sand garniert mit den Staubwolken anderer
Verkehrsteilnehmer im herrlichsten Sonnenschein, blauem Himmel mit ein
paar schneeweißen Wölkchen und dem angenehmen Fahrtwind dahin zu knattern
mit dem Blick nach rechts und links, wenn die Häuschen und Hütten der
Einheimischen an mir vorbei fliegen und ich ständig eine Hand hoch in die
Luft strecke mit dem Daumen hoch im kurzen Sichtkontakt zu arbeitenden
oder auch beim Terere sitzenden anderen Menschen, die mir mit lachenden
fröhlichen Gesichtern schnell ihre Arme mit erhobenem Daumen zurück recken
und das Gefühl einer großen friedlichen Gemeinschaft von glücklichen
Menschen aufkommt, ohne Stress, ohne Termine, ohne Druck irgendetwas
unbedingt machen zu müssen, dann fühle ich mich so wohl, wie ich es früher
nie kannte und ich bin immerhin schon 58 Jahre alt. Unter diesen Umständen
eine Geschwindigkeit von 60 bis 80 Stundenkilometern zu fahren ist ein
Gefühl, als ob du in Deutschland auf Asphalt 180 fährst und du musst noch
viel mehr aufpassen, viel konzentrierter fahren beim gleichzeitigen
entspannten Gefühl der Freude, wie schön das Leben doch ist.
Euer Don Wil
Menschenfreund in Paraguay