Auswandern - Mein Leben im Ausland:

Senegal - Traum oder Alptraum?

Senegal - Traum oder Alptraum?

Ich habe kürzlich den Beitrag vom Dezember 2003 "Leben im Senegal" gelesen und bin darüber so entsetzt und erschüttert über eine solch einseitige und polemische Darstellung, dass ich in mir den Impuls spüre, meine Erfahrungen zu schildern und die Darstellung etwas zu relativieren.
Ich stimme mit dem Bericht darin überein, dass es nicht leicht ist im Senegal zu leben. Vor allem ist es dann nicht leicht, wenn man die Mentalität der Einheimischen nicht kennt und sich von ihnen fern hält.
Mich verschlug es vor etwa 21 Jahren zum ersten Mal in den Senegal. Mein Liebe zum afrikanischen Tanz war der Auslöser für meine erste Reise, der in kurzen Abständen weitere mehrmonatige Reisen folgten.
Ich lebte vom ersten Tag an ausschließlich mit Einheimischen zusammen. Eine private Wohnmöglichkeit hatte ich mir vor meiner ersten Reise bereits von Deutschland aus organisiert. Bis zum heutigen Tage erlebe ich eine Gastfreundschaft dort, die ihresgleichen sucht. Oder findet man in Deutschland eine Familie, die einfach so einen Afrikaner bei sich aufnimmt? Jedenfalls habe ich bis heute seit Jahrzehnten bestehende Kontakte zu Menschen, die ich mittlerweie als Freunde bezeichne. Meine Erfahrung ist, dass die Senegalesen uns Europäern in Sachen Liebe noch einiges lehren können.
Da ich mit offenem Herzen und ohne Wertung Land und Leuten begegnete, lernte ich viel über Sitten und Gebräuche kennen. Sicherlich kam mir zugute, dass ich bereits in der Türkei gelebt hatte und mich deshalb auch mit islamischen Gepflogenheiten auskannte. Ich erhielt Einblicke in Bereiche, die Europäern meist verschlossen sind, wie z.B. traditionelle Heilungsrituale.
Obwohl ich sehr gut französisch spreche, war es mir wichtig, auch eine Landessprache zu erlernen. Ich entschied mich für Wolof, weil dies die am weitesten verbreitete Sprache im Senegal ist. Aber auch einzelne Worte in den Sprachen Mandingo und Diola erlernte ich.
Auch ich hatte nicht nur schöne Erlebnisse und musste einige Male durch bittere Erfahrung klug werden. Doch sei gesagt, dass nicht nur Weiße von Betrügereien betroffen sind, sondern auch Landsleute. Deshalb ist es so wichtig, wirklich gute, vertrauensvolle Beziehungen zu Einheimischen aufzubauen, die einem Unterstützung und Rat in schwierigen Situationen geben können.

Der Lebensstandard im Senegal ist sicher höher als in anderen westafrikanischen Staaten, Ghana und die Elfenbeinküste ausgenommen. Doch habe ich viel Armut gesehen und wirkliche Bedürftigkeit. Es gibt viele Probleme und Missstände dort. Doch in welchem Land gibt es sie nicht? Sehen wir immer noch den Dorn im Auge des Anderen anstatt den Balken im eigenen?
Es gibt, um auf die Arbeitsmoral der Senegalesen einzugehen, auch dort solche und solche. Ich habe Menschen kennen gelernt, die jeden Cent in ein Projekt gesteckt und sich im Laufe der Jahre aus eigener Kraft eine BAsis für ihren Lebensunterhalt aufgebaut haben. Und sicher gibt es auch dort Menschen, die nicht so gerne arbeiten oder keine Kraft dafür haben oder keine Perspektive für sich sehen. Es gibt einen Spruch der lautet "Verurteile niemanden, solange Du nicht in seinen Schuhen gelaufen bist".
Ich möchte jedenfalls mein Mitgefühl und meine Liebe nicht "abschalten". Denn bekanntlich sieht man ja nur mit dem Herzen gut :O))

Ein isoliertes Leben unter Weißen halte ich für das falscheste, was man tun kann. Die Senegalesen sind sehr stolze Menschen mit sehr viel Würde. Sie fühlen sofort, wenn sie abgelehnt werden. Und warum sollen sie das in ihrem eigenen Land erdulden? Haben Afrikaner nicht genug Demütigung, Degradierung, Ausbeutung und Entwürdigung durch Weiße erdulden müssen? Ist es nicht an der Zeit, ein partnerschaftliches Miteinander aufzubauen? Sklaverei und Rassismus haben tiefe Spuren hinterlassen und das VErhältnis zwischen Afrikanern und Europäern nachhaltig und empfindlich gestört. Umsomehr brauchen wir Sensibilität für die Andersartigkeit des Anderen. Sensibilität und Respekt und viel Offenheit, um voneinander zu lernen.

Wer sich also ernsthaft überlegt, sich im Senegal dauerhaft anzusiedeln, sollte sich zunächst für einige Zeit dorthin begeben, um mit den Menschen zusammenzuleben und sich dann überlegen, ob er mit den vorgefundenen Lebensumständen klar kommen kann. Die Senegalesen müssen und werden sich nicht ändern. Deshalb stelle sich jede/r die Fragen, ob er/sie

das tropische Klima wirklich dauerhaft verträgt
auf viele Annehmlichkeiten, an die wir hier gewöhnt sind, verzichten möchte und kann
die nicht unerhebliche Ernährungsumstellung verkraften kann
in einem islamischen Umfeld leben kann
Mut zur Lücke und zur Unorganisertheit hat
seinen Perfektionismus in Europa lassen kann
viel, viel, viel Geduld hat (ein gewisses Phlegma kann nicht schaden :o))
und bereit ist, ohne Vorbehalt und ohne zu bewerten sich auf ein Leben in der Gemeinschaft der Senegalesen einzulassen.

Denn eines kann ich sagen: derjenige, der sich wirklich auf die Menschen dort einlässt, wird sicher auch die eine oder andere Enttäuschung und bittere Erfahrung machen (müssen!), aber anderseits auch eine bedingungslose Liebe erfahren, wie ich sie in meinem Leben bisher nur dort erlebt habe.

In diesem Sinne viele Grüße
Aminata*


Re: Senegal - Traum oder Alptraum?

Wenn ich das richtig sehe, lebst Du nicht im Senegal, sondern Du bist nur mal ab und zu dort zu Besuch. Jemand, der nicht ausgewandert ist, sondern nur ein Tourist (auch für längere Zeit), wird niemals dieselben Erfahrungen machen wie jemand, der sich dafür entschieden hat, dort zu leben. Ein Tourist bleibt ein Tourist und ein Besucher ein Besucher.

Und zweitens: Ist die Suche nach "bedingungsloser Liebe" Grund für eine Auswanderung? Eine rhetorische Frage. Du kannst sie nicht beantworten, weil Du ja nicht ausgewandert bist, aber ich würde sagen, der Grund für meine eigene Auswanderung war sicherlich nicht die Suche nach Liebe, ob bedingungslos oder nicht. Das wäre kein besonders guter Grund, denn Liebe ist vergänglich.

Wobei ich denke, daß das, was Du als "Liebe" bezeichnest, einfach nur ein anderes Sozialverhalten ist. Das ist hier in Afrika halt anders als in Europa. Und man versteht das oft falsch. Mit solchen Einschätzungen sollte man vorsichtig sein, wenn man nur mal ab und zu zu Besuch irgendwo ist. Wenn ich Besuch habe, behandle ich den auch anders als jemand, den ich jeden Tag sehe und von dem ich ausgehe, daß er auch die nächsten 10 oder 20 Jahre täglich zu meinem Leben gehören wird.

Bei einem Besucher läßt man schon mal einiges durchgehen, weil der ja wieder verschwindet nach einiger Zeit. Was soll man sich da streiten? Aber Liebe würde ich das trotzdem nicht nennen.


Re: Senegal - Traum oder Alptraum?

Hallo Anna, ich glaube, ich habe etwas mehr geschrieben, als "nur" über die Liebe. Mein Beweggrund für die Reisen war nicht die Suche nach Liebe, sondern der Tanz. Ich glaube ich schrieb dies auch zu Beginn meines Berichtes.
Meine Absicht war, dem schwarzweißmalerischen Beitrag aus 2003 ein paar Farbnuancen zu geben und zu schildern, wie der Senegal AUCH ist. Natürlich ist mein Artikel subjektiv, so, wie auch der Artikel von Franjou subjektiv ist. Aber eben sehr negativ. Warum soll ich nicht auch ein paar positive Dinge mitteilen? Kein Land auf der Welt ist durchweg negativ. Und es wird ja auch niemand gezwungen, sich in Afrika niederzulassen. Wir sind doch verantwortlich für unsere Entscheidungen und nicht ihre Opfer. Ich konnte mich aufgrund meiner bisherigen Erlebnisse und Erfahrungen, die absolut nicht nur rosig waren, entscheiden, ob ich mich auf das Abenteuer Senegal ganz einlassen wollte oder nicht. Und jede Entscheidung für eine Sache bedingt immer auch den Verzicht auf eine andere Sache. Dies liegt in der Natur der Dinge.

Außerdem bin ich überzeugt davon, dass wir immer die Erfahrungen machen, die mit unseren Glaubenssätzen und Erwartungen übereinstimmen. Des Menschen Wille war schon immer sein Himmelreich...

Dir wünsche ich jedenfalls viele schöne Erfahrungen und Erlebnisse in Namibia und viel Kraft für das Leben auf einem fremden Kontinent. Ich weiß, dass es nicht leicht ist.

Viele Grüße,
Aminata*

Re: Senegal - Traum oder Alptraum?

Na ja, so schwer auch wieder nicht. Das Leben in Namibia ist glaube ich nicht mit dem im Senegal zu vergleichen, auch wenn beide Länder auf dem afrikanischen Kontinent liegen. Das wäre genauso wie wenn man sagen würde, in Rußland ist es ähnlich wie in Frankreich, weil beide Länder in Europa liegen.

Wogegen ich halt immer wieder angehe, ist die Romantisierung Afrikas und die Verteufelung der Weißen als die "Bösen" und die Einschätzung der Schwarzen als die "Guten". So einfach ist es nicht und war es noch nie. Seit ich in Afrika lebe, weiß ich das. Vorher wußte ich das nicht.

Und was Deine Erwähnung der "bedingungslosen Liebe" angeht, das ist eben etwas, von dem ich glaube, daß es das nirgendwo gibt, egal auf welchem Kontinent. Das sind unsere (Deine) Wunschvorstellungen, das ist nicht die Realität. Jeder Mensch liebt nur sich selbst, sonst niemanden. Allerdings ist das nichts Böses, das ist einfach nur menschlich.