Wasser in Uruguay!
Hallo,
dass Uruguay eines der grössten unterirdischen Wasserreservoirs der Welt beherbergt, wußte ich. Mich würde interessieren, wie der aktuelle Stand in Sachen Privatisierung der Wasserversorgung ist. Dazu folgender Artikel:
Uruguays flüssiges Gold
Breite Mobilisierung gegen die Privatisierung des Wassers
von Ernesto Kroch
Ein gewisser Malthus hat sich einst schwere Gedanken gemacht. Die Menschheit würde eines Tages nicht genug zu essen haben. Sie vermehre sich in geometrischer Progression, die Nahrungsmittelerzeugung hingegen nur in arithmetischer. Gottlob hat er sich verrechnet. Seitdem er seine ???Gesetze verkündete, hat sich die Erdbevölkerung verdreifacht, während die Landwirtschaft heute imstande wäre, für gut doppelt so viele wie die zur Zeit sechs Milliarden Menschen ausreichend Nahrungsmittel zu produzieren. Was keineswegs heißt, es gäbe keinen Hunger mehr. Doch der hat nichts mit der Produktivität, sondern mit der Verteilung zu tun. Hätte Herr Malthus sich aber mit Durst beschäftigt, währen seine Zukunftsängste wohlbegründet gewesen. Er hätte ein "Gesetz aufstellen können, dass, während der Bedarf an Süßwasser in arithmetischer Progression zunimmt, die Verfügbarkeit über jenes, dank der Verschmutzung der Gewässer im Industriezeitalter, in geometrischer Progression schwindet. Standen davon 1960 noch 3430 Kubikmeter pro Jahr und pro Person zur Verfügung, so sind es heute knapp 2000 Kubikmeter und, wenn es so weitergeht, im Jahre 2025 weniger als 670 Kubikmeter
Was Wunder, dass vielerorts Mangel an Wasser für Mensch und Tier herrscht, besonders in den ärmsten Ländern und dort vor allem in den armen Bevölkerungsschichten. Einer von fünf ErdbewohnerInnen hat keinen Zugang zu sauberem Wasser, fünf Millionen Menschen sterben jährlich an Krankheiten, die auf verunreinigtes Wasser zurückzuführen sind. Die Wasserförderung ist in den letzten vier Jahrzehnten von 2300 Kubikmetern pro Jahr auf 4000 Kubikmeter gestiegen und wird in den nächsten 20 Jahren um über 50 Prozent weiter steigen, während die Quellen zusehends versiegen. Einmal wegen der fortschreitenden Wüstenbildung in weiten Regionen der Erde, zum anderen weil die Industrien die Flüsse über ihr Selbstreinigungspotential hinaus vergiften.In naher Zukunft wird Süßwasser begehrter als Erdöl sein. Und so ein Geschäft sollten die Multis sich entgehen lassen? Sie sind schon mittendrin im Geschäft. Kapital muss akkumulieren. Nach der Produktion von Gebrauchsgütern aller Art drängte es in die Lebenssphären: Freizeit, Reisen, Gesundheit, Unterricht, Altersversicherung ... Nach dem Essen kommt nun das Trinken dran und, in zehn oder zwanzig Jahren, gewiss das Atmen. Alles wird zur Ware käuflich und gewinnbringend.
Uruguay ist von einem dichten Flussnetz durchzogen. Doch sein Wasserreichtum ist nicht nur überirdisch. Das Sandsteinlager Botucatu, das sich unter dem Boden Uruguays, Nordargentiniens, Paraguays und Südbrasiliens erstreckt, enthält schätzungsweise 37 000 Kubikmeter Grundwasser, eine der größten Reserven der Welt. Das Wasserreservoir ???Guarani. Zuviel um nicht den Appetit von Konzernen wie Vivendi oder Suez-Lyonnaise anzureizen. Als Uruguay im Juni 2002 vor der Zahlungsunfähigkeit stand und den IWF um Hilfe anging, gestand dieser 1500 Millionen Dollar zu, forderte als Garantie jedoch das Grundwasser. Bereitwillig dekretierte die Regierung am 29. August 2002 die Ermächtigung der Exekutive zur Vergabe von Konzessionen oder öffentlicher Auktionen der Wasserversorgung und der Abwasseranlagen. Zwei Monate darauf wurde diese Befugnis nochmals im ???Gesetz zur Reaktivierung der Wirtschaft festgeschrieben. Beide Male stimmten im Parlament eine Mehrheit von Colorado- und Blanco-Abgeordneten (die beiden traditionellen konservativen Parteien) diesem Ausverkauf zu; gegen die Stimmen des Linksbündnisses ???Encuentro Progresista Frente Amplio.
Auch ohne dieses Dekret und Jahre zuvor schon war in der Provinz Maldonado, wo der Luxusbadeort Punta del Este liegt, eine Konzession an die spanische Firma ???Aguas de Barcelona vergeben worden. Ihr Geschäftsgebaren ist beispielhaft für das, was dem ganzen Land blühen kann. Während sich die monatliche Festgebühr in Montevideo auf 46 uruguayische Pesos beläuft, in keiner der anderen Provinzen auf mehr als 60 Pesos, betrug sie in Maldonado das Zehnfache: 600 Pesos. Die staatlichen Wasserwerke OSE, die zum Glück noch die Konrolle ausüben, erklärten nach Coli-Bazillen-Messungen das Wasser dort ???für nicht trinkbar, ohne es vorher abzukochen. Drei große Bauprojekte Pumpstation, Kläranlagen und Abwasserkollektor zu denen die Gesellschaft vertraglich verpflichtet war (der angebliche Grund zur Privatisierung), harren nach längst abgelaufener Frist der Ausführung. Hin und wieder vertreiben in der Region kloakenartige Ausflüsse an einigen Stränden die TouristInnen. Häufig fällt eine Pumpe aus oder es kommt zu einem Rohrbruch, da die Plastikrohre nur 50 Zentimeter unter dem Sandboden verlaufen.
Trotz all dieser Mängel, die längst zu einer Kündigung der Konzessionen berechtigten, hat URAGUA, so der Name der Gesellschaft, hinter dem Rücken des Parlaments und des Rechnungshofes von der Regierung eine Ermäßigung ihrer Abgaben auf ein Zehntel (von 2% auf 0,2%) erreicht und zudem die Umwandlung ihrer zu hinterlegenden Garantie von Dollar in Staatsschuldscheine, die immer weniger wert sind.
Die UruguayerInnen, deren Mehrheit ohnehin allergisch auf Privatisierungen öffentlicher Unternehmen reagiert und auch einige Übung hat, diese zu bremsen, versucht jetzt ihr flüssiges Vermögen vor der Profitgier transnationaler Konzerne zu retten. Dazu gibt die uruguayische Verfassung die Möglichkeit einer sachbezogenen Volksabstimmung.
Nach der Unterschriftensammlung für ein Plebiszit gegen die Teilprivatisierung von ANTEL (Telekommunikationen) und ANCAP (Erdölraffinerien) werden jetzt Unterschriften für eine Verfassungsreform bezüglich des Wassers gesammelt. In den beiden ersten Fällen (ANTEL und ANCAP) handelte es sich um die Annullierung der vom Parlament bereits angenommenen Gesetze. Wenn 25 Prozent der stimmberechtigten BürgerInnen ihre Unterschrift mit dem Kennzeichen ihres Wahlausweises und dem Abdruck des rechten Daumens dafür geben, muss der Wahlgerichtshof innerhalb von vier Monaten eine Volksabstimmung abhalten, bei der nach einfacher Mehrheit über das beanstandete Gesetz entschieden wird.
Im Falle dieser Volksinitiative für eine Verfassungsreform bedarf es zwar nur der Unterschriften von 10 Prozent der Wahlberechtigten, aber die Abstimmung darüber wird erst mit den nächsten Parlamentswahlen durchgeführt. Es besteht die Gefahr, dass bis dahin November 2004 Uruguays flüssiges Gold bereits verscherbelt ist. Doch ist dem Reformprojekt eine Übergangsbestimmung beigegeben, die im Falle bereits erfolgter Privatisierung deren Rückführung in die öffentliche Hand vorschreibt.
Wenn er im November 2004 beim Referendum angenommen wird wovon ausgegangen werden kann erklärt der neue Artikel 47 der uruguayischen Verfassung:
der Zugang zu Trinkwasser und Abwassersystem ist ein elementares Menschenrecht;
Aufgabe der nationalen Wasser- und Abwasserpolitik ist die Bewahrung der natürlichen Ressourcen, der Schutz der Umwelt, des hydrologischen Zyklus und dessen Dauerhaftigkeit für künftige Generationen;
die Zivilgesellschaft nimmt an der Planung, Betreibung und Kontrolle der Ressourcen teil;
Priorität genießt die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung. Dabei, wie bei den Abwasseranlagen, gelten die sozialen Kriterien vor den ökonomischen;
sowohl die Gewässer der Oberfläche wie das Grundwasser, mit Ausnahme des Regenwassers, dienen dem Allgemeinwohl und sind Staatseigentum;
der öffentliche Wasserversorgungsdienst und die für das Abwassersystem zuständige Gesellschaft werden ausschließlich von staatlichen Körperschaften geleitet;
die solidarische Belieferung eines anderen Landes mit Wasser kann mit drei Fünfteln der Stimmen der Parlamentskammern beschlossen werden.
Die Unterschriftensammlung wird von der ???Nationalen Kommission zur Verteidigung des Wassers und des Lebens (identisch zum Namen einer ähnlichen Institution während des Wasserkonfliktes in Cochabamba, vgl. ila 235) organisiert. Darin vertreten sind der Gewerkschaftsbund PIT-CNT, die Gewerkschaft der Angestellten der Wasserwerke, Umweltorganisationen und die Lehrkräfte der naturwissenschaftlichen Fakultät. Und ohne auf der Liste zu stehen die Basisorganisationen und Parteien des Linksbündnisses Frente Amplio.
Das Standardargument für die Privatisierung des Wassers, ???Konkurrenz verbilligt, zieht in diesem Fall kaum. Was die Ersetzung eines staatlichen Monopols durch ein privates mit sich bringt, konnten die UruguayerInnen am Beispiel der Provinz Maldonado ausreichend studieren. Also versucht man es anders. Da wurden plötzlich, trotz Haushaltsmisere und offiziellem Sparfanatismus, Hunderte von neuen hochbezahlten Funktionären in leitende Posten der Wasserwerke OSE eingestellt zumeist Familienangehörige oder Parteifreunde der Regierenden und prompt verwandeln sich die bisherigen Gewinne von OSE in ein Defizit. Das ist die übliche Strategie der Colorados und Blancos, gleich einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: ???Was staatlich ist, ist ineffizient, und folglich ???muss der Staat abmagern, privatisieren.
Gegen die Vetternwirtschaft und Selbstzerstörung ihres Unternehmens kämpft zwar die Gewerkschaft von OSE an, doch ihre Reklamationen und Vorschläge verhallen ungehört. Dabei hat ein Team von Ingenieuren von OSE eine Idee patentieren lassen, die vorbildlich für die Trinwasserversorgung der ganzen Welt ist. Sie konstruierten eine einfach zu wartende Klärmaschine mit Namen ??? Unidad Potabilizadora Autónoma, UPA, die aus trübstem Wasser in fünf Etappen kristallklares Wasser erzeugt. Die etwa sechs Tonnen schwere Maschine hat eine Kapazität von 160 000 Liter Trinkwasser pro Tag. Die Metallarbeitergewerkschaft Uruguays hat angesichts der großen Arbeitslosigkeit (19,8%) die Produktion von UPAs zu einem ihrer vornehmlichen Programmpunkte gemacht. Zehn dieser Maschinen sind bereits im Land in Betrieb, 17 weitere in Mittelamerika und Asien. Gegen die Trägheit der Regierungsbürokratie gedenken die Metallarbeiter eine Serienproduktion in Gang zu setzen, die vor allem Länder, wo Durchfall, Typhus und Cholera wüten, sowie die von großen Städten abgelegenen Ortschaften mit sauberem Trinkwasser versorgen könnten. Zugleich würden damit die uruguayische Industrie reaktiviert und Arbeitsplätze geschaffen. Dazu bedarf es freilich auch risikobereiter Unternehmer und billiger Kredite, vor allem aber einer Regierung, die den sozialen und ökonomischen Problemen des Landes den Vorrang vor der Zahlung der Auslandsschulden gibt. Die Gewerkschaften von OSE und der Metallarbeiter haben also noch bis zu den nächsten Wahlen Zeit, ihre Pläne detailliert auszuarbeiten.
Grüße, Ralf