Raumordnungsplan für die Nordsee. WZ vom 03.07.2010
Raumordnungsplan für die Nordsee. WZ vom 03.07.2010
Auf der Nordsee wirds eng Ein Kampf um das Meer hat begonnen: Wer darf was wo machen? Der Raumordnungsplan vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg soll diese Frage regeln.
Hamburg
Die Sonne scheint, einige Wolken ziehen am Himmel entlang. Nico Nolte aber traut dem Wetter nicht. Er möchte lieber im Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) bleiben und dort über das Meer reden. Ich will ja auch ein paar Karten zeigen, sagt er und öffnet die Tür zu seinem Büro. Während draußen vor dem Fenster lediglich die Elbe fließt, ist auf dem Schreibtisch des Juristen die gesamte Nordsee ausgebreitet: Karten mit den Schifffahrtsrouten, mit den genehmigten Offshore-Parks, den Rohrleitungen, den Naturschutzgebieten, den militärischen Übungsgebieten alles ist genau verzeichnet. Das Land ist schon lange vergeben. Nun wird das Meer verteilt.
Was macht ihr eigentlich da draußen?
Das BSH, das dem Bundesverkehrsministerium unterstellt ist, entscheidet dabei, wer welches Stück bekommt. Falls es denn noch etwas zu verteilen gibt. Naja, es gibt schon recht viel dort draußen, sagt Nolte in seiner ruhigen, unaufgeregten Art und streicht über eine der Karten. Dort draußen ist der Jurist so gut wie nie. Aber er muss das, was dort passiert, trotzdem irgendwie ordnen. Bereits Ende der 90er Jahre hat man beim BSH begonnen, sich mit dem Thema Raumordnung auf dem Meer zu beschäftigen. Damals liefen die ersten Anträge für Offshore-Windparks mit bis zu 900 Anlagen beim BSH ein. Ein Ort, der sich dadurch auszeichnet, dass alles in Bewegung ist, sollte feste Strukturen bekommen. Ganze Felder von Windmühlen. Das war neu.
Wir haben dann erstmal sämtliche Nutzer der Nordsee herausgesucht und gefragt: ,Was macht ihr eigentlich da draußen?, erinnert sich Nolte. Heute weiß er recht genau, wer was dort draußen macht. Und er weiß, dass es eng wird. Denn wo Offshore-Anlagen stehen, kann keine Schifffahrt mehr stattfinden, kann vermutlich kein Kies gewonnen und kein Fisch mehr gefangen werden. Damit trotzdem von den Schiffen über die Offshore-Windparks bis hin zu den Seevögeln jeder ein geeignetes Plätzchen auf der Nordsee abbekommt, hat Nico Nolte gemeinsam mit anderen Kollegen vom BSH Raumordnungspläne für die Nord- und die Ostsee erarbeitet, die im vergangenen Jahr verabschiedet wurden.
So richtig glücklich ist niemand
Freunde hat sich der große schlanke Mann damit nicht unbedingt gemacht. So richtig glücklich ist mit dem Raumordnungsplan niemand, gibt er unumwunden zu. Die Offshore-Branche beschwerte sich darüber, dass sie zu wenig Gebiete bekommen habe. Auch die Seekies-Förderer fühlten sich benachteiligt und die Umweltverbände klagten, dass die Naturschutzgebiete nur nachrichtlich übernommen wurden.
Nico Nolte bringt die teilweise harsche Kritik nicht aus der Ruhe. Wo etwas aufgeteilt wird, gebe es immer Ärger. Das sei eben so, erklärt er. Die Leute gucken immer auf die Karte des Raumordnungsplanes und fragen sich: Wo bin ich?
Die Fischer mussten dabei ziemlich lange suchen: Sie haben weder Vorranggebiete, in denen andere Nutzungen ausgeschlossen sind, noch Vorbehaltgebiete, in denen ihnen ein besonderes Gewicht gegenüber anderen Nutzungen eingeräumt wird. Dabei, so der Verband der deutschen Kutter- und Küstenfischer in einer wütend formulierten Stellungnahme, müsste ja eigentlich die gesamte deutsche Nordsee Vorbehaltgebiet der Fischerei sein. Denn Fischerei finde seit Jahrhunderten im gesamten Plangebiet statt, so die Argumentation. Wir waren als erste da ein beliebtes Argument bei Gebietsansprüchen.
Nico Nolte kennt die Kritik. Er hat Interessengruppen angeschrieben, Stellungnahmen erhalten, Gespräche geführt. Bei der Fischerei haben wir einfach ein Datenproblem, rechtfertigt er. Schließlich scheren sich Fische nicht um Vorrang- oder Vorbehaltgebiete. Noch entscheidender aber ist: Zum einen wird die Fischerei nicht auf Bundesebene, sondern von der Europäischen Union geregelt. Zum anderen hat sie auch keine große Lobby in Deutschland, da sie hier keine große wirtschaftliche Bedeutung mehr hat.
Lobby-Coup der Offshore-Unternehmen
Die Energieunternehmen aber haben diese Bedeutung. Und die erhoben beim Bundesverkehrsministerium auch gleich Einspruch gegen den ersten Entwurf des Raumordnungsplans: War hier noch vorgesehen, dass Windparks nur in den darauf ausgezeichneten Vorbehaltgebieten gebaut werden dürfen, können die Energieunternehmen heute auch außerhalb dieser Zonen Windparks beantragen. Dass bereits 2001 die ersten Parks genehmigt wurden, zehn Jahre später aber trotzdem gerade mal zwölf Windkraftanlagen gebaut wurden, ist da nachrangig. Ein Eroberungsgeist wie im 19. Jahrhundert scheint sich über dem Meer breitzumachen: Man nimmt, was man kriegen kann.
Um zu untersuchen, welche Auswirkungen die neue Nutzung der Offshore-Energie auf andere Bereiche, wie die Ökologie, aber auch auf den Tourismus, auf die Fischerei hat, wäre es wichtig, zunächst einmal einige existierende Windparks zu beobachten. Trotzdem sind bereits fast 1000 Quadratkilometer also eine Milliarde Quadratmeter auf der deutschen Nordsee für Windparks reserviert.
Platz für weiße Flecken gibt es da kaum mehr. Dabei sind die in Raumplänen äußerst wichtig, um Plätze für künftige alternative Nutzungen frei zu halten. Schon jetzt etwa wird über Wasserstoffspeicher, über die Nutzung von Wellenenergie oder mehr Aquakultur, also Fisch- und Muschelfarmen, nachgedacht. Platz ist dafür jedoch vorerst nicht vorgesehen.
Überhaupt ist der Plan kaum ein Plan im eigentlichen Sinne. Vielmehr referiert er in vielen Teilen den status quo: Die Naturschutzgebiete Natura 2000 etwa sind festgeschrieben und werden in den Plänen ebenso wie die Flächen zur Sand- und Kiesentnahme und die militärischen Übungsgebiete nur nachrichtlich übernommen. Der Plan ist nicht so visionär, wie wir uns das erhofft hatten, gibt denn auch Nico Nolte zu. Er basiert hauptsächlich auf den tatsächlichen Nutzungen, wie sie heute stattfinden.
Die ganz große Vision wäre ohnehin ein europäischer Plan für die Nordsee. Schließlich halten sich Fische oder Seevögel nicht an die genau verzeichneten Grenzlinien auf den Plänen. Auch die Energieunternehmen bräuchten ein großes gemeinsames Netz, um Spannungsschwankungen auszugleichen, und die Schifffahrt ist ohnehin international. Doch das Chaos an nationalen und internationalen Kompetenzen dürfte nur schwer zu entwirren sein. Da kann auch Nico Nolte von seinem Hamburger Büro aus nicht für Ordnung sorgen. Tomma Schröder
Re: Raumordnungsplan für die Nordsee. WZ vom 03.07.2010
Der Kampf um Windmühlen Geplant wird schon seit langem. Aber der Bau von Offshore-Windparks ist schwieriger und teurer als gedacht Husum
Sie waren die Pioniere, die Underdogs, die Ersten. Sie waren die, die es den Großen zeigen wollten. Neun Nordfriesen, aufmüpfig und hartnäckig wie eh und je. Ihre Vision: Saubere Energie aus der Region für die Region, ein Bürger-Windpark auf der Nordsee ohne Profitgier, ohne Akzeptanzprobleme, ohne ökologische Folgeschäden. Mit dieser Vision sind sie losgezogen: Landwirte, Steuerfachgehilfen, Kaufleute und Ingenieure. Innerhalb weniger Monate überzeugten sie 8421 Bürger insgesamt fünf Millionen Euro in ihre Vision zu investieren und sie so zu einer gemeinsamen zu machen. Es hätte nicht viel gefehlt, meint Wolfgang Paulsen heute. Dann wären wir geflogen.
Der Geschäftsführer der Offshore-Bürger-Windpark Butendiek GmbH schaut auf den Boden, während er das sagt. Die Flügel sind gestutzt. Der erste Offshore-Windpark steht. Er heißt nicht Butendiek, sondern Alpha ventus, steht nicht vor Sylt, sondern vor Borkum und ist kein Bürger-Projekt, sondern ein gut vermarkteter Gemeinschaftscoup der drei Energieriesen EWE, Eon und Vattenfall. Und es sieht auch nicht so aus, als könnte Butendiek bald nachziehen. Dabei hatte der Agraringenieur Paulsen gemeinsam mit seinen acht Mitstreitern das Bürgerprojekt Butendiek bereits Anfang 2000 aus der Taufe gehoben. Damit gehörten sie zur Speerspitze in Sachen Offshore. Genau das aber, meint Paulsen heute, sei das Problem gewesen. Wir waren einfach zu schnell. Vieles würde jetzt viel einfacher gehen.
Zum Beispiel die Suche nach einem Standort. Da es noch keine ausgewiesenen Flächen für Offshore-Parks gab, nahmen die Butendieker die Nordseekarte selbst zur Hand: Nicht zu weit von der Küste durfte der Standort sein, weil das die Kosten für Bau und Unterhaltung in die Höhe treibt. Nicht zu nah an der Küste durfte er sein, weil das die Küstenbewohner und die Tourismusbranche auf den Plan gerufen hätte. Netzanbindung, Infrastruktur, Schifffahrtsrouten mussten berücksichtigt werden. Und dann waren da ja auch noch irgendwelche U-Boot Trassen in der Nordsee: Die Butendieker fragten beim Flottenkommando nach, welche Gebiete gesperrt seien. Das können wir nicht sagen, das ist geheim, lautete die Antwort. Daraufhin versuchte man es andersherum: Welche Gebiete denn frei wären? Das können wir nicht sagen, das ist geheim, lautete abermals die Antwort. Da blieb uns dann nichts anderes übrig als Schiffeversenken zu spielen, erzählt Wolfgang Paulsen. Wir haben einfach Anträge für bestimmte Gebiete gestellt. Zwei wurden abgelehnt, der dritte angenommen.
Im Dezember 2002 nach vielen Voruntersuchungen, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Gesprächen und Anträgen ist es soweit: Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) erteilt Butendiek die Baugenehmigung. Doch damit beginnen die Probleme erst: Immer wieder kommt es zu Verzögerungen, wie bei der Genehmigung der Netzanbindung. Die habe vier Jahre lang beim Umweltministerium gelegen, weil sie zwangsläufig durch den Nationalpark Wattenmeer führt, erzählt Hans Feddersen, Kaufmann und einer der Initiatoren von Butendiek. Die Zeit vergeht, die Kosten steigen. Die staatlich festgesetzte Vergütung von neun Cent pro Kilowattstunde scheint schon bald nicht mehr auszureichen. Das Startkapital von fünf Millionen Euro schwindet, und die Banken fordern den Einstieg eines Generalunternehmers, der für den Bau und Betrieb aller Anlagen die Gesamtverantwortung übernimmt. Damit ist das Projekt Bürgerpark am Ende.
Doch die Nordfriesen geben nicht auf. Sie machen sich auf die Suche nach einem Partner, der zu ihrer Philosophie und Vision passen könnte. Mit der irischen Firma Airtricity meinen sie einen solchen gefunden zu haben: Das Projekt wird verkauft, mit der Option, 50 Prozent des Windparks nach dem Bau wieder zurückkaufen zu können.
Aber dann, erzählt Feddersen , ist Airtricity selbst verkauft worden an den schottischen Energiekonzern Scotish Southern Energy (SSE). Das zweitgrößte Energieunternehmen in Großbritannien. Auch Butendiek gehört damit zu den Großen.
Den Mitgliedern der Sylter Initiative Gegenwind ist das vermutlich ziemlich egal. Sie hoffen ohnehin auf ein Aus des Projektes. Denn sie stören sich ganz generell an den Windmühlen, die bei guter Sicht von ihren Stränden aus zu sehen sein werden.
Feddersen und Paulsen lächeln bei dem Thema. Sie haben schon so oft mit und über die Initiative gesprochen, dass ihnen nicht mehr viel dazu einfällt. Aber würden sie sich nicht auch an Windmühlen vor ihrer Nase stören? Nein, sagt Feddersen. Ja, sagt Paulsen. Verwirrte Blicke. Also direkt vor der Nase würde es mich stören, stellt Paulsen klar. Aber unser Park wird ganz anders als im Nachbarland Dänemark ja nur winzig klein am Horizont zu sehen sein. Überhaupt, Dänemark. Da ist das alles ganz anders, schwärmt Feddersen. Da hat man die Windparks vermarktet und zu einer Touristenattraktion gemacht.
Der Gegenwind kommt aber nicht nur von Sylter Bürgern, auch die Naturschutzverbände im Land machen gegen das Projekt mobil: Ist der Windpark schließlich in einem Gebiet geplant, das als wichtiges Vogelgebiet gilt. Und die, so zeigen Studien, könnten unter den Windparks stark leiden.
Das ist aber alles auch noch nicht bewiesen, meint Paulsen. Zudem, so die Argumentation, schütze der Windpark ja gleichzeitig die Meerestiere, weil Fischerei auf dem Gebiet unmöglich sei. Doch eben das ruft den nächsten Gegner auf den Plan: Der Windpark stehe genau in einem Hotspot der Fischer, heißt es. Feddersen muss schmunzeln. Ob das dort ausgerechnet ein Hotspot ist... Aber klar ist, dass die Fischer tatsächlich Einbußen haben werden durch den Windpark. Und deshalb habe man ihnen auch eine Kompensationszahlung angeboten. Als einziger Windpark. Die Großen hätten die Fischer einfach klagen und verlieren lassen.
Und nicht nur das. Die großen Energie-Unternehmen konnten auch durchsetzen, was die Butendieker lange gefordert hatten: die Einspeisevergütung für Offshore-Energie von 9 auf 15 Cent anzuheben. Wäre das früher geschehen, hätten wir das Projekt wohl ohne Partner umsetzen können, meint Feddersen. Paulsen schaut ihn an, sinkt etwas in seinem Stuhl hinunter und sagt: Wir waren überall bei 90 Prozent. Nur der letzte Schritt hat immer gefehlt.
Bei vielen anderen Windparks fehlt der allerdings auch noch. Bis auf die zwölf Windkraftanlagen von Alpha ventus steht noch nichts. Aber das habe wohl System, vermuten nicht nur Feddersen und Paulsen, sondern auch ein Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums. Sie haben den Verdacht, dass die Großen zwar im Ausland bereits riesige Offshore-Parks bauen, im Inland aber noch warten, um weiter ihre Atom- und Kohlekraft ausreizen zu können. Schon allein deswegen würden die Butendieker mit ihrem Windpark gerne ein Zeichen setzen auch wenn die Vision von einst nicht mehr ganz so hell strahlt. Zur Zeit aber warten sie wieder einmal darauf, dass ihr Projekt weitergereicht wird. Denn der schottische Energie-Konzern SSE will Butendiek nicht bauen, sondern wieder verkaufen. Aber gebaut wird irgendwann, das ist sicher, sagt Paulsen.
Würde er es eigentlich wieder machen? Ja, sagt er tapfer. Feddersen nickt. Und im Geiste nicken die anderen sieben Nordfriesen sicher mit.
Tomma Schröder
Re: Raumordnungsplan für die Nordsee. WZ vom 03.07.2010
Hintergrund: Offshore-Energie
Ende der 90er Jahre kam vermehrt die Idee auf, Windparks auf See zu errichten, so genannte Offshore-Windparks. Ausgelöst wurde diese Entwicklung vor allem durch die knapper werdenden Flächen an Land und den häufigen Widerstand der Bevölkerung. Auf See können zudem die höheren Windgeschwindigkeiten ausgenutzt werden. Um den Strom aus der Windkraft auch speichern zu können, wird momentan diskutiert, ob man mit Hilfe des gewonnenen Stroms, Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufspaltet, und letztern dann als Energiespeicher verwendet. Ziel der Bundesregierung: 20 000-30 000 Megawatt (MW) Leistung aus Offshore-Energie bis 2030, 2000-3000 MW Leistung bis 2010 Bisher installierte Leistung: 68,5 Megawatt Fertig gestellte Windparks: (Nordsee): 1 (Alpha ventus) Genehmigte Windparks (Nordsee): 23 In Planung befindliche Windparks (Nordsee): 65 Maximale Größe der Windparks: 80 Anlagen Für Windparks genehmigte Fläche: 970 Quadratkilometer (ca. 136000 Fußballfelder)