Die Kernenergie hat wieder eine Stimme. WZ vom 20.06.2014
Die Kernenergie hat wieder eine Stimme
Erste Bürgerinitiative pro Atomstrom gegründet / Warnung vor einem Blackout
Brokdorf/Brunsbüttel /vm
Weil bei Kernernergie nur noch die Gegner dieser Art der
Stromerzeugung zu hören seien, hat sich jetzt die erste Bürgerinitiative
pro Kernkraft gebildet. Eine Gruppe von bislang rund 15 Personen, etwa
die Hälfte von ihnen Mitarbeiter an den Standorten Brokdorf und
Brunsbüttel, will der Kernernergie wieder eine Stimme geben. Wortführer
sind der Münsterdorfer Hauke Rathjen und der Itzehoer Physiker Dr.
Roland Wink. Wir stellen die Energiewende nicht in Frage, versichert
Rathjen. Man wolle vor allem aber zur Versachlichung der Diskussion
beitragen. Ausdrücklich versteht sich die Gruppe als Gegengewicht zu
den Aktivisten von Brokdorf akut, die nach Ansicht der Initiative MIT
Kernenergie häufig mit Unwahrheiten operiere.
Warum erst jetzt, wo die Kernkraft praktisch zum Auslaufmodell
geworden ist, Befürworter verstärkt in die Öffentlichkeit gehen, erklärt
Dr. Wink so: Früher gab es auch mal Parteien, die die Fahne für die
Kernenergie hochgehalten haben. Heute aber sei das in der Politik kein
Thema mehr. Gleichzeitig hat Brokdorf-Betreiber Eon die Öffentlichkeitsarbeit praktisch eingestellt.
Verwundert registrieren die Sprecher dabei auch, dass die
Öffentlichkeit von einer durch den Netzbetreiber erzwungenen
Verschiebung der Revision im Kernkraftwerk Brokdorf kaum Notiz genommen
habe. Dabei werden wir schon gefragt, ob mit einem Blackout in
Norddeutschland zu rechnen sei. Offenbar gehe es derzeit ohne
Atomkraftwerke gar nicht. Tatsächlich hatte Netzbetreiber Tennet den für
14. Juni geplanten Start der Revision auf der Grundlage des
Energiewirtschaftsgesetzes schlicht untersagt. Für MIT Kernergie ein
bislang einmaliger Vorgang und ein klarer Beleg dafür, dass die
Sicherheit der Stromversorgung bei einem Stillstand in Brokdorf derzeit
nicht gewährleistet werden kann. Nun soll der Meiler erst morgen
abgeschaltet werden. Die erheblichen Kosten für die Verschiebung müsse
die Tennet tragen, die diese wiederum an die Stromkunden weitergebe. Mit
anderen Worten: Der Verbraucher muss nun auch noch dafür bezahlen,
dass der dringend benötigte Atomstrom weiter fließen kann.
Mit Nachdruck wehrt sich die Initiative auch gegen Darstellungen, die
Revision beschere den Menschen in der Region eine besondere
Strahlenbelastung. Dr. Wink zückt Unterlagen und rechnet vor: Wenn man
sich an 4500 jeweils vierwöchigen Revisionen auf dem Kraftwerksglände
aufhalten würde, entspräche das in etwa der Strahlenbelastung, der man
auf nur einem Flug nach New York ausgesetzt ist. MIT Kernenergie will
in den nächsten Jahren jedenfalls verstärkt die Stimme erheben und
versteht sich dabei vor allem als regionales Sprachrohr. Auch, wie Hauke
Rathjen, erläutert, um den vielen Mitarbeitern in den Anlagen mal
wieder ein gutes Gefühl zu geben.
Standpunkt von Volker Mehmel:
Recht auf Meinung
Weil Politik und
Wirtschaft mit der Energiewende beim Thema Kernkraft ganz ruhig
geworden sind, melden sich nun einfache Bürger zu Wort. Tatsächlich hat
diese Form der Stromerzeugung ja nicht nur Gegner, sondern auch
Anhänger. Manchen wird man vielleicht vorwerfen, sie seien doch nur die
Stimme ihrer Arbeitgeber. Doch Vorsicht: Niemand darf in berufliche
Sippenhaft genommen werden, nur weil er seine Meinung frei äußert. Und
verbergen sich hinter Kernkraftgegnern mitunter nicht auch Parteien und
Verbände ? Wer bei dem höchst komplexen Thema am Ende wirklich recht
hat, möge jeder für sich entscheiden. Wichtig ist der gegenseitige
Respekt voreinander. Öffentliche Streitereien führen da nicht weiter.
Die Region lebt mit und gegen die Kernenergie auch noch lange Zeit
nach dem Abschalten der Anlagen. Beide Seiten haben ihre volle
Berechtigung. Und die freie Meinungsäußerung steht ohnehin über allem.