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30 Jahre Steinburger Grüne. WZ vom 29.10.2010

30 Jahre Steinburger Grüne. WZ vom 29.10.2010



Urzelle für den Wettbewerb der Ideen
Wie vor 30 Jahren der Kreisverband der Steinburger Grünen entstand / Zwei Gründungsmitglieder blicken zurück
Kreis Steinburg

Keine Betriebsgenehmigung für Kernkraftwerke, wenn die Endlagerung
nicht sicher ist. Gesetzliche Maßnahmen für zusätzliche Wärmedämmung bei
Neubauten. Und: Förderung der Nutzung von Wind- und Sonnenenergie sowie
von Erdwärme. Dieser Forderungskatalog klingt aktuell, ist aber schon
33 Jahre alt.


1977 veröffentlichte die Landjugend ein entsprechendes Papier –
verbunden mit dem Hinweis, dass sie sich als Jugendverband im ländlichen
Raum und als direkt Betroffene verpflichtet sehe, Stellung zu beziehen.
Zwei, die schon eben so lange für die Erfüllung dieser Forderungen
kämpfen und von der Landjugend stark geprägt wurden, sind Silke Dibbern-Voß
und Bernd Voß. Sie sind Gründungsmitglieder des Kreisverbandes
Steinburg von Bündnis 90/Die Grünen, der am Sonnabend sein 30-jähriges
Bestehen feiert.


„Die Grundlage war damals eine breite Bürgerbewegung“, erinnert sich
der heute 56 Jahre alte Bernd Voß. Die Ursache des Protests hatte er vor
der eigenen Haustür: die Baustelle für das Kernkraftwerk Brokdorf.


„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal einer Partei angehören würde“, blickt auch Silke Dibbern-Voß
zurück. Damals war sie 23 Jahre alt und zu der Erkenntnis gekommen:
„Wir müssen an die Hebel der Macht, in die Parlamente. Dorthin, wo die
Entscheidungen fallen.“ Bernd Voß pflichtet rückblickend bei: „Die
Erfahrung aus Brokdorf war: Als Bürger fühlte man sich ausgetrickst und
ausgebremst.“ Auch sein Gedanke damals: „Es hilft nix, man muss eine
eigene Partei aufmachen.“


Jürgen Ruge, erst seit 15 Jahren dabei, als Kreisgeschäftsführer der
Grünen mit der Geschichte aber bestens vertraut, zieht das
Gründungsprotokoll aus dem Aktenordner. Am 5. August 1980 sprechen sich
auf einer Versammlung sieben Mitglieder für die Gründung eines
Kreisverbandes aus. Grüne Politik hatte es aber auch davor schon
gegeben. 1978 waren mit Horst Götze, Maria Lorentzen und Hans-Heinrich
Tiemann erstmals drei Mitglieder der damals noch aktiven Grünen Liste
unabhängiger Wähler in den Kreistag eingezogen. 6,63 Prozent der Stimmen
hatten sie bekommen, vier Jahre später sogar schon neun Prozent.


„Auslösendes Moment waren seinerzeit neben Brokdorf auch
Ungereimtheiten rund um das Industriegebiet Brunsbüttel“, sagt Bernd
Voss. „Anfangs wurden wir als Traumtänzer gesehen.“


„Und wie wir im Kreistag angefeindet wurden“, erinnert sich die Diplom-Pädagogin Silke Dibbern-Voß,
die in der Region einst federführend den Verein „Jugend und Beruf“
organisiert hat und nun seit zwei Jahren für Strukturförderung bei der
Kieler Investitionsbank zuständig ist. „Die Stimmung in den Gremien war
damals sehr antigrün. Aber man muss doch auch Visionen und Utopien
haben.“


„Die Alternativen, die es in der Energiepolitik gibt, haben wir schon
früh gesehen“, ergänzt Bernd Voß, von Hause aus Landwirt. Er erinnert
sich aber auch, wie viele Diskussionen zu tiefen Gräben sogar innerhalb
der Familien führten. Im Rückblick auf 30 Jahre Einsatz für grüne
Politik sagt Silke Dibbern-Voß heute: „Wir
konnten die vielen Anfeindungen und Diffamierungen wegstecken, weil wir
wussten: „Wir stehen für die richtige Sache.“ Schließlich habe es ja
auch immer wieder Schlüsselerlebnisse gegeben, bei denen sie merkten,
sie konnten etwas bewegen. „Das macht dann den Spaßfaktor in der Politik
aus“, sagt Silke Dibbern-Voß, der anzumerken
ist, dass sie auch nach 30 Jahren die Freude am Vermitteln grüner
Inhalte noch nicht verloren hat. Wie Bernd Voß war sie in den drei
Jahrzehnten immer wieder an vorderster Front angetreten, hatte sich als
Listenkandidatin für Landtags- oder Bundestagswahlen engagiert.


In die „große Politik“ schaffte es bislang nur Bernd Voß, der nun als
Abgeordneter im Kieler Landtag sitzt. Aber auch er hat schon die
Zukunft vor Augen: „Es ist toll, wie sich bei uns ganz aktuell die Grüne
Jugend mit viel Drive einbringt.“ Der 56-Jährige erklärt, was einen
guten grünen Abgeordneten ausmacht: „Man muss sich abgewöhnen, jedem
immer die Welt erklären zu wollen. Man darf sich von Politik niemals
persönlich oder wirtschaftlich abhängig machen. Sonst ist man nicht mehr
frei.“


Mit gut 50 Mitgliedern im runden Geburtstagsjahr stellen die
Steinburger einen der kleineren, aber den wohl auch aktivsten
Kreisverband in Schleswig-Holstein. Mit Stolz
sehen sie sich als eine Art Urzelle der grünen Bewegung, die der
Bundespartei inzwischen einen vor 30 Jahren wohl kaum vorhersehbaren
Höhenflug beschert hat. Immerhin hatten die Steinburger mit einer Grünen
Liste 1978 als erste den Sprung in ein Parlament geschafft. 6,6 Prozent
reichten bei der Kreistagswahl für drei Mandate. Nur die Nordfriesen
konnten damals schon mithalten, mit zwei Sitzen. Seitdem sind die Grünen
– im Unterschied zu manch anderer Gruppierung – ohne Unterbrechung im
Kreistag vertreten. Ihr bisheriges Spitzenergebnis erreichten sie 1994
mit fast zehn Prozent. „Immer auf dem Teppich bleiben, auch wenn der
schon fliegt“, wirft Bernd Voß schmunzelnd ein. Auch Jürgen Ruge weiß,
dass aktuelle Umfrageergebnisse auf Bundesebene nur die halbe Miete sind
und sich der Wind schnell drehen kann. „Diese Fünf-Mark-Geschichte
hat uns damals sehr zurückgeworfen“, erinnert er sich an eine Kampagne
aus den 90er Jahren, als die Grünen den Benzinpreis auf neue Höchstwerte
treiben wollten. „Da lernt man draus“, sagt Pragmatiker Bernd Voss.


An den Grundlagen grüner Parteiarbeit hat sich aus Sicht aller drei in
30 Jahren nicht viel geändert. Mehr als in den anderen Parteien stehe
man in regem Kontakt und Austausch zu Initiativen und Gruppen, die sich
mit speziellen Themen befassen. „Wir lassen auch kritische Stimmen zu“,
sagt Silke Dibbern-Voß, räumt aber ein: „Wir
sind in all den Jahren natürlich auch angepasster geworden.“ Bernd Voss
betont: „Wir brauchen die Mitarbeit möglichst vieler von außen.“ Er
relativiert allerdings auch gleich: „Auch andere Parteien kümmern sich.
Im Kern geht es eigentlich immer um den Wettbewerb der Ideen und die
besseren Rezepte für die Zukunft.“ Daran hat sich in den 30 Jahren wohl
nicht viel geändert. Von dem gesellschaftlichen Aufbruch, der Silke
Dibbern-Voß und Bernd Voß wie schließlich auch
Jürgen Ruge all die Jahre getragen hat, zehren die Akteure noch heute.
Ohnehin ist eine von der Landjugend vor 33 Jahren aufgestellte Forderung
noch nicht abgearbeitet: „Das Energieproblem muss im
weltwirtschaftlichen Zusammenhang gelöst werden.“Volker Mehmel

„30 Jahre und auch in Zukunft grün“
- Unter diesem Motto findet Sonnabend, 30. Oktober, um 19 Uhr im
Kulturhof Itzehoe die Geburtstagsfeier des Kreisverbandes statt.