Holcim: Zementwerk oder Müllverbrennung? WZ vom 03.12.2010
Holcim: Zementwerk oder Müllverbrennung? WZ vom 03.12.2010
BIAB fragt: Zementwerk oder Müllverbrennung ? Mitglieder der Bürgerinitiative setzen sich weiterhin kritisch mit neuen Plänen bei Holcim auseinander / Kratzenberg kündigt für nächstes Jahr den Abschied vom Vorsitz an Lägerdorf
Stößt das Zementwerk Holcim in Lägerdorf demnächst 250 Kilogramm hochgiftigen Quecksilbers im Jahr und damit die Hälfte der aktuellen Gesamtemission aller 27 Zementwerke in Deutschland aus? Es könnte so kommen, wenn die Firma die Genehmigung für diesen Höchstwert erhält, befürchtet der 2. Vorsitzende der BIAB, Andreas Sip bei einer Mitgliederversammlung.
Bei der BIAB (Bürgerinitiative zur Verhinderung gesundheitsgefährdender Abfallbeseitigung) in Lägerdorf herrschte im Tennisheim wieder einmal volles Haus: 25 interessierte und Teilnehmer waren gespannte Zuhörer und erfuhren wieder viel Neues.
Andreas Sip berichtete, dass bei Holcim demnächst statt Kohle Ersatzbrennstoffe verfeuert werden sollen. Der Ausdruck Alternative Brennstoffe höre sich harmlos an, es handele sich aber um einen Mix aus verschiedensten Stoffen wie etwa Plastik-Sortier-Reste von Gelben Säcken oder kritische belastete Dachpappe. Außerdem soll Klärschlamm verbrannt werden. Der ist feucht und muss erst erhitzt werden, dann verdampfen und durch den Schornstein hinaus.
Das Werk wolle seine Feuerungswärmeleistung deshalb von 220 Megawatt auf 240 Megawatt erhöhen, also um etwa neun Prozent. Der Klärschlamm habe aber nur einen Anteil an der Erhöhung der Gesamtwärmeleistung um 10 bis 12 Prozent. Das heißt, er bringt für die Ofenleistung fast nichts. Enthalten seien darin auch Schwermetalle. Die sind nicht mehr zu zersetzen, das kommt oben wieder raus. Auch Gewebe- und Elektrofilter hielten sie nicht zurück. Ebenso werde der Quecksilberausstoß steigen. Müllverbrennungsanlagen dürfen zehn Kilogramm im Jahr ausstoßen, erst ab zehn Kilo wird es meldepflichtig.
Die insgesamt 27 Zementwerke in Deutschland hätten einen Gesamtausstoß von 500 Kilogramm im Jahr. Holcim habe davon derzeit 90 Kilogramm mit einer Sondergenehmigung, darf statt 30 Mikrogramm 50 Mikrogramm pro Kubikmeter in den Abgasen ausstoßen. Das hat die BIAB in einem extra erschienenen Flyer aufgelistet. Es sei eine kontinuierliche Steigerung über Jahre gewesen, so die Kritik.
Deshalb sei bei den BIAB-Mitgliedern und weiteren Interessierten ein anderer Verdacht aufgekommen. Der ehemalige Vorsitzende Werner Lüdtke wies auf noch Tausende Tonnen weiterer Stoffe hin, die verfeuert werden sollen, wie Bleicherde und weiterer Industriemüll. Ist es eine Zementfabrik oder eine Müllverbrennungsanlage unter dem Deckmantel der Zementherstellung?, fragte er. Das Argument vom Umweltamt für die Genehmigung sei: Solange ein Produkt entsteht, ist es keine Müllverbrennungsanlage.
Die Brennstoffe sollen per Lkw angefahren werden, weil sie aus kleinen Kläranlagen kommen und nicht für den Bahntransport geeignet seien. Münsterdorf wird da nicht begeistert sein.
BIAB-Vorsitzende Ingrid Kratzenberg berichtete: Wir hatten einen ,Scoping-Termin, eine Generalbesprechung, mit allen Beteiligten, um unsere Bedenken kund zu tun, es kommt noch eine öffentliche Anhörung. Dazu haben wir unsere Forderungen zusammen gestellt.
So fordert die BIAB, in der Genehmigung einen Gewebefilter vorzuschreiben. Die Abgasreinigung müsse den Kriterien der Müllverbrennung entsprechen und der Eingang der Schlämme gemessen werden. Außerdem muss die Frage beantwortet werden, warum zu den Auffälligkeiten von Quecksilbervergiftung keine Studie erfolgt ist.
Die Initiative fordert, dass Anlieferungsgenehmigungen an Sonnabenden nicht gegeben werden. Bei 29 Fahrzeugen pro Tag befürchten wir Lärm und Abgase bei der Ortsdurchfahrt. Denn Schadstofffrachten und Umweltlasten nehmen zu. Schriftführerin Silke Lange gab zu bedenken: Wir müssen uns im Klaren sein, dass das Interesse der Firma darin besteht, marktfähig zu bleiben. Beeinträchtigungen der Ruhe sowie Beschädigungen von unterirdischen Rohrleitungen durch Laster mit ihren 40-Tonnen Gewicht würden auch in Nachbarorten wie Münsterdorf befürchtet.
Obwohl der ebenfalls anwesende Bürgermeister Heiner Sülau vehement widersprach, sagte Ingrid Kratzenberg, auf Lägerdorf bezogen: Wir fühlen uns von der Gemeindevertretung im Stich gelassen und fragen uns, warum hinter einem Wohngebiet und Häusern mit Güterzügen rangiert wird, nur aus Kostenersparnis ohne Rücksicht, und die Vertretung nichts dagegen tut.
Zukünftige Aufgaben sieht die BIAB darin, den Gemeinden und Institutionen noch mehr Information von zu liefern. Und: Wir brauchen für unsere Arbeit mehr Mitstreiter, rief sie zur Mitarbeit auf, vor allem jüngere engagierte Interessenten. Im gleichen Atemzug kündigte sie nämlich an, zur Hauptversammlung im kommenden Jahr ihr Amt abzugeben. An ihre Aufforderung zur Nachfolge knüpfte sie aber das Versprechen, weiterhin mit zu arbeiten. Die Gemeindevertretung habe außerdem inzwischen der Aufstellung von Windrädern durch Holcim zugestimmt. Die sind geplant in Offshore-Größe, 200 Meter hoch. Wir sind damit eine in vielen Hinsichten belastete Gegend, so Ingrid Kratzenberg.Ludger Hinz
Internet: www.biab-laegerdorf.de
Re: Holcim: Zementwerk oder Müllverbrennung? WZ vom 03.12.2010
Auf der selben Zeitungsseite nehmen Mitarbeiter der Firma Holcim Stellung zu den Fragen der BIAB:
Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen so werden unbegründete Ängste geschürt Werkleiter Morten Holpert und Umweltbeauftragter Torsten Krohn stellen sich den von der BIAB aufgeworfenen Fragen Lägerdorf
Die Bürgerinitiative BIAB meldete eine ganze Reihe kritischer Anmerkungen an. Unsere Zeitung sprach darüber mit dem Leiter des Werks Lägerdorf der Holcim Deutschland AG, Morten Holpert, und seinem Umweltbeauftragten Torsten Krohn.
Laut BIAB kann Holcim bei Ausschöpfung aller Höchstwerte künftig bis zu 250 Kilogramm Quecksilber pro Jahr ausstoßen. Der Gesamtausstoß aller 27 Zementwerke in Deutschland liege derzeit bei 500 Kilogramm. Treffen diese Zahlen zu?
Torsten Krohn: 250 Kilogramm Quecksilber: Dies ist ein theoretischer Maximalwert. Maximalwerte werden beantragt, um über das Jahr hinweg ausreichende Sicherheitsreserven zu haben. Wir können daher unter keinen Umständen ein Jahr durchgehend sämtliche Grenzwerte ausschöpfen! Nur so lässt sich ja dieser theoretisch mögliche Wert überhaupt erreichen. In der Praxis werden wir weiterhin deutlich unter dem Grenzwert liegen. Gesamtausstoß aller Zementwerke: Uns liegt eine relativ aktuelle Grafik aus den Umweltdaten der Deutschen Zementindustrie 2009 vor. Nach deren Auswertung kommen wir auf höhere Werte als 500 Kilogramm. Es wäre interessant zu erfahren, wie der niedrigere Wert 500 Kilogramm ermittelt wurde. Wer jetzt diese Zahlen einfach miteinander kombiniert läuft Gefahr, bei der Zusammenstellung Äpfel mit Birnen zu vergleichen. So kommt es zu falschen Aussagen, es werden unbegründete Ängste geschürt und dies trägt nicht zu einer Versachlichung der öffentlichen Diskussion bei.
Demnächst sollen in Ofen 11 bis zu 100 Prozent alternative (zur Kohle) Brennstoffe zum Einsatz kommen. Um welche handelte es sich genau? Trifft es zu, dass ein - laut BIAB - Mix aus verschiedensten Stoffen wie Sortierreste aus gelben Säcken und kritisch belastete Dachpappe eingesetzt werden?
Torsten Krohn: Über die eingesetzten und genehmigten Stoffe informieren wir bereits seit vielen Jahren in unserem jährlichen Umweltbericht. Zukünftig wollen wir versuchen, den immer knapper werdenden primären Brennstoff Kohle noch weiter zu reduzieren, um so natürliche Ressourcen zu schonen, aber selbstverständlich auch aus wirtschaftlichen Gründen. Wir werden dies hauptsächlich durch erhöhten Einsatz bereits seit langem genehmigter und bekannter Stoffe realisieren, z.B. durch die heizwertreichen Fraktionen aus Abfällen (Fluff, EBS-Pellets), Tiermehl, Organische Destillationsrückstände und Dachpappen. All diese Stoffe unterliegen einer sehr genauen Qualitätssicherung und Güteüberwachung. Von der Genehmigungsbehörde wurden uns nicht nur Grenzwerte zur Reinhaltung der Luft am Abgaskamin auferlegt, sondern auch eine qualitative Begrenzung der Eingangsstoffe, um so den Schutz der Nachbarschaft, in der auch wir Holcim-Mitarbeiter mit unseren Familien wohnen, zu gewährleisten.
Laut BIAB soll auch Klärschlamm verbrannt werden, was für die Ofenleistung - so die Kritiker - nicht viel bringe. Trifft das so zu?
Morten Holpert: Ja, es soll zukünftig auch Klärschlamm in getrockneter und entwässerter Form verwertet werden. Die im Klärschlamm enthaltene Wärmeenergie kann thermisch, die enthaltenen Feststoffe stofflich bzw. mineralogisch zur Zementklinkerherstellung verwendet werden. Der Vorteil der Verwertung in der Zementindustrie ist ja die vollständige Nutzung des Stoffes, also zu 100 Prozent. Am Ofen 11 würde die Verwertung von Klärschlamm so ungefähr vier bis acht Prozent des gesamten Wärmebedarfs decken, in der späteren Endausbaustufe dann maximal ca. 12 Prozent.
Laut BIAB führen die Transportwege für alternative Brennstoffe künftig verstärkt auch durch Münsterdorf. BIAB spricht von 29 zusätzlichen Fahrzeugen pro Tag. Stimmt das? Welche Transporte fallen an und wie verlaufen die Transportwege ?
Morten Holpert: Sicherlich wird es durch die Erhöhung der AFR-Mengen auch eine leichte Erhöhung der Lkw-Transporte geben. Auf der anderen Seite wird die Anzahl der Eisenbahnbewegungen durch Lägerdorf durch geringere Kohletransporte reduziert Der größte Anteil der Lkw-Transporte wird über die Autobahn (Südspange) erfolgen und wir werden uns auch künftig bei den Spediteuren und Lieferanten mit Nachdruck und mit vertraglichen Regelungen dafür einsetzen, das die An- und Abfahrt über die Autobahn der egrundsätzlich zu wählende Weg ist. Trotzdem wird es auch immer wieder Ausnahmen durch Maut-Flüchtlinge geben oder weil es verkehrsgünstiger ist, auch andere Wege zu nehmen. Holcim kann hier nur eingeschränkt auf die fremden Lkw-Fahrer einwirken, da es sich nicht um Holcim-Personal handelt.
Abschließend kritisiert die BIAB, dass in der Nähe zum Werk Windräder mit einer Höhe von 200 Metern geplant seien. Was genau ist geplant?
Morten Holpert: Es stand schon in der Zeitung, dass die Gemeinden Lägerdorf und Rethwisch der Errichtung von Windparks und damit der Erzeugung regenerativer Energie nicht abgeneigt sind. Derzeit läuft noch das grundsätzliche Anerkennungsverfahren in Kiel. Erst wenn das durch ist, werden sich die Gemeinden der Änderung der Flächennutzungspläne und der Erstellung von Bauplänen zuwenden. Erst in diesen Planungen werden dann Art, Typ, Höhe, Anzahl, Leistung usw. möglicher Windkraftanlagen festgelegt.
Die Fragen an Torsten Krohn und Morten Holpert stellte unser Redaktionsmitglied Volker Mehmel