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„Ich wünschte, ich wäre ’ne Fledermaus“. WZ vom 11.07.2015

„Ich wünschte, ich wäre ’ne Fledermaus“. WZ vom 11.07.2015



„Ich wünschte, ich wäre ’ne Fledermaus“
Wie Anwohner den Bau des Windparks Beidenfleth erleben: „Es müssen ja nicht immer gleich solche Monsteranlagen sein“
Beidenfleth

Der Garten von Juliane Klingelhöfer ist wie eine kleine
Parklandschaft. Weitläufige Grünflächen, überall kleine schattige Ecken
zum Entspannen. Eine von den vielen Oasen wie sie eigentlich nur ein
Resthof in der Marsch bieten kann. Als die Klingelhöfers vor langer Zeit
aus Hamburg an den Riep nach Beidenfleth zogen, war die Welt dort noch
fast in Ordnung. „Alle im Dorf waren miteinander gut vernetzt“, erinnert
sich Juliane Klingelhöfer, die sich einst sogar selbst einmal acht
Jahre lang in der Gemeindevertretung engagierte. Und heute ? „Man hat
das Gefühl, man wird nur noch geduldet. Und wenn man den Mund aufmacht,
wird man beschimpft.“


Was den aus ihrer Sicht gravierenden Stimmungswandel ausgelöst hat,
wächst derzeit fast vor ihrer Haustür. Dort baut die Windpark
Beidenfleth Verwaltungs-GmbH fünf
Windkraftanlagen mit einer Nabenhöhe von knapp 100 Metern. Wenn die
Windräder laufen, könnten sie 10 000 Haushalte mit Strom versorgen. Rund
25 Millionen Euro steckt ein gutes Dutzend Landeigentümer und
Investoren – allesamt aus der Region – in das Projekt. Nur die davon
betroffenen Anlieger hat keiner gefragt.


„Wir wollen die Energiewende, so wie jeder andere auch im Land“,
macht Stephan Klose klar, dass niemand gegen erneuerbare Energie sei.
Nur: „Es muss halt auch mit der Bevölkerung funktionieren.“ In
Beidenfleth hatte das Projekt eingeschlagen wie eine Bombe, was eine
Ursache für den beschädigten Dorffrieden ist. Klose: „Für Informationen
mussten wir erst eine Einwohnerversammlung erzwingen, da war es aber
schon zu spät.“ Inzwischen hat das Beidenflether Vorgehen fast schon
abschreckende Wirkung. So versicherte man jüngst bei einer Diskussion
über Windenergie in Ecklak, dass man auf keinen Fall „Beidenflether
Verhältnisse“ wolle. Da kann Markus Hackenberg nur beipflichten: „Man
muss wenigstens so rechtzeitig informiert werden, dass man noch eine
Chance hat.“ Hackenberg ist vor zehn Jahren von Hamburg-Schnelsen
in die Einsamkeit der Marsch gezogen – der Ruhe wegen. Damit ist es
vorbei. 400 Meter von seinem Anwesen entfernt dreht sich unaufhörlich
ein bereits in Betrieb befindliches Windrad. „Das ist, als würde ständig
ein Flugzeug über meinem Haus kreisen“, beschreibt er der Lage. Auch
ein Gewöhnungseffekt will sich partout nicht einstellen. „Ich schaffe es
einfach nicht, mich nicht darüber zu ärgern.“


Wie Hackenberg fordert auch Elke Gastell aus Klein Wisch eine
Messstation, um den Geräuschpegel feststellen zu können. „Es kann doch
nicht sein, dass wir als Anlieger da in der Beweispflicht sind.“ Und
wenn sich die gemessenen Werte als korrekt ihm Rahmen der gesetzlichen
Vorschriften herausstellen ? „Dann sind sie eben unzumutbar“, findet
Hackenberg.


Das Quartett im Garten von Juliane Klingelhöfer steht übrigens nicht
allein da. Die Adressen von gut 50 Menschen aus der Umgebung stehen im
Verteiler der „Aktion Weitblick“. Weitere 25 machten bei Aktionen zwar
nicht mit, ließen sich aber regelmäßig informieren. Auffällig ist:
Obwohl vor ihren Häusern gerade der größte und höchste Windpark in der
Marsch entsteht und auch die Vorgeschichte für sie nicht gerade
erfreulich gelaufen ist, kommt den Vieren eigentlich kein wirklich böses
Wort über die Lippen. Im Gegenteil: Stephan Klose bringt Verständnis
für die Landwirte auf, die sich in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten
eben ein anderes Standbein suchen müssten. Und auch die lärmgeplagte
Elke Gastell versichert: „Die Gewinne seien ihnen ja gegönnt. Aber nicht
auf Kosten der Anwohner.“ Immer wieder klingt in der Runde aber
Enttäuschung, ja Verbitterung darüber durch, wie man im Dorf miteinander
umgegangen ist. „Bis heute hat niemand über das Projekt mit mir
gesprochen“, sagt Juliane Klingelhöfer. Nachdem einst die Städter aufs
Land gezogen sind, befürchtet sie nun, dass durch immer mehr
Windkraftanlagen eine Art Landflucht ausgelöst werden könnte. Auch
Stephan Klose warnt: „Das ist erst der Anfang. Überall stehen die Bauern
doch in den Startlöchern.“ Mahnend hebt er den Finger: „Landbesitz
heißt ja nicht gleichzeitig auch Landschaftsbesitz.“ Klose ist überzeugt
davon, dass die Nutzung erneuerbarer Energie auch im Einklang mit der
ansässigen Bevölkerung realisiert werden kann. „Es müssen ja nicht immer
gleich solche Monsteranlagen gebaut werden.“ Am Beidenflether Windpark
sei jetzt zwar nicht mehr zu rütteln. Stephan Klose warnt aber dennoch
davor, die Hände in den Schoß zu legen nach dem Motto, „die
Wilstermarsch sei ohnehin nicht mehr zu retten“. Alle vier Sprecher
machen sich denn auch bei allen künftigen Windkraftplänen in der Region
dafür stark, die Bevölkerung einzubinden und mitzunehmen. Klose: „Die
Lasten der Energiewende müssen auch ordentlich verteilt sein.“ Elke
Gastell vermag derzeit allerdings kein wirkliches System hinter der
Auswahl der Windkraft-Standorte zu erkennen. „Da
gibt es eine völlige Planlosigkeit – so ein bisschen wie in der
Schulpolitik“, fügt sie mit einem Seitenhieb auf die Landesregierung
hinzu. Für Stephan Klose ist die Energiepolitik ohnehin reichlich
verfehlt. Er hält kleine, dezentrale Lösungen für sehr viel sinnvoller.
„Man könnte da in den Dörfern viele kleine Dinge gut machen – und
friedlich.“ Dann schauen alle vier wieder in Richtung Großbaustelle, wo
die Windräder Stück für Stück wachsen. Stephan Klose atmet tief durch:
„Manchmal wünschte ich, ich wäre ’ne Fledermaus. Dann würde sich jemand
um mich kümmern.“ Volker Mehmel



Standpunkt:

Anspruch auf Miteinander

Von Volker Mehmel
Das Schöne am Landleben ist doch: Man kennt sich, man redet miteinander,
man hilft sich gegenseitig. Und wenn der Haussegen in der Nachbarschaft
doch mal schief hängt, lässt sich das auch noch verkraften. Ist aber
der Dorffrieden komplett zerstört, sind die Narben auch nach einer
Generation noch zu sehen. Natürlich kann niemand einem Landbesitzer
vorwerfen, wenn er alle zulässigen Möglichkeiten, die sich ihm bieten,
ausschöpft. So wie man niemandem den Mund verbieten darf, der sich
darüber aufregt. Und jetzt kommt die Politik ins Spiel. Sie muss
Rahmenbedingungen schaffen, damit Dinge nicht einseitig zu Lasten ganzer
Bevölkerungsgruppen geschehen. Den grundgesetzlichen Anspruch auf eine
grüne Idylle gibt es nicht. Den Anspruch auf eine hemmungslose
Ausbeutung aller auch noch so umweltfreundlichen Ressourcen aber auch
nicht. Wohl aber den für alle geltenden Anspruch auf ein gedeihliches
Miteinander.