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Standort mit Wahrnehmungsproblem. WZ vom 09.06.2015

Standort mit Wahrnehmungsproblem. WZ vom 09.06.2015




Standort mit Wahrnehmungsproblem
Industriepolitisches Forum: Werkleiterrunde
und Gewerkschaften wollen dem Revier mehr Gehör verschaffen und es für
die Zukunft rüsten

Brunsbüttel

Schleswig-Holsteins größtes zusammenhängendes
Industriegebiet hat ein Problem: Es muss auch über 40 Jahre, nachdem es
aus der Taufe gehoben wurde, noch immer darum kämpfen, wahrgenommen zu
werden. „Nördlich von Marne und östlich von Itzehoe“ sei die Kenntnis
über die Bedeutung des Areals erschreckend gering, formulierte Frank
Schnabel überspitzt. Der Sprecher der Werkleiterrunde hofft, mit einem
Bündnis aus Unternehmen und Gewerkschaften diesen Zustand ändern und dem
Standort Brunsbüttel mehr Gehör verschaffen zu können. Gestern fand das
Auftakt-Treffen des Industriepolitischen Forums
Brunsbüttel statt. Prominente Teilnehmer waren Ministerpräsident
Torsten Albig und Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (beide SPD)


„Brunsbüttel ist mehr als kaputte Schleusen und rostige Atomfässer“,
betonte Bürgermeister Stefan Mohrdieck. Vielmehr habe der Standort, der
12 500 Menschen in der Region Arbeit biete – davon 4000 direkt
Beschäftigte –, großes Potenzial. Das müsse genutzt werden, um das
Industrierevier zukunftsfähig zu halten.


Unterstützung signalisierte Torsten Albig. Schleswig-Holstein
müsse sich viel stärker als Industrieregion positionieren. Brunsbüttel
könne das Modell dafür darstellen. Denn: Nur mit Dienstleistungen und
Tourismus sei wirtschaftlich kein Staat zu machen. „Diejenigen, die
Industrie haben, haben sichere Arbeitsplätze.“ Gerade die Chemiewerke,
die den Kern des so genannten ChemCoast Parks zwischen Hemmingstedt und
Lägerdorf ausmachen, von dem Brunsbüttel mit 2000 Hektar Fläche das
Zentrum bildet, seien „besonders systemrelevant“, erklärte Albig. Aber
der Standort werde sich immer wieder hinterfragen müssen. Dass das Land
hinter Brunsbüttel stehe, mache auch das im Wirtschaftsministerium
eingerichtete Industriereferat deutlich.


Als „Sprungbrett in die Zukunft“, bezeichnete Albig die Idee, in Brunsbüttel ein Flüssiggas-Terminal
zu errichten. Die EU unterstütze dies, in Berlin allerdings müsse noch
ein dickes Brett gebohrt werden. Dabei sei Flüssiggas (LNG) als
Schiffstreibstoff ebenso wie als Energiequelle für die Unternehmen
interessant. Kanada und die USA würden in den nächsten Jahren Flüssiggas
nach Europa bringen. Brunsbüttel könnte national die Antwort darauf
geben, wo es angelandet werden soll.


Die Westküste, so Albig, sei ein Hotspot für erneuerbare Energien.
Dort sieht er Brunsbüttel als ideales Verteilzentrum. Das Stichwort dazu
lautet Norddeutsche Energiewende, kurz: NEW 4.0, ein gemeinsames
Projekt von Hamburg und Schleswig-Holstein. In
der Hansestadt wie in Brunsbüttel sitzen die großen Abnehmer. Die
ehrgeizige Vision von NEW 4.0: Bis 2025 werden 70 Prozent das
Strombedarfs aus Erneuerbaren gedeckt, ab 2035 bis zu 100 Prozent. „Wir
wollen Brunsbüttel stärken“, erklärte Albig. LNG und NEW 4.0 gehörten
dazu. Die Industrie sei gefordert, sich einzubringen.


Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister
Reinhard Meyer räumt gerade der Chemie Perspektiven ein, ihren Zenit
hätte sie jedenfalls noch nicht überschritten. Gleichwohl müsse es auch
gelingen, neue Unternehmen nach Brunsbüttel zu holen. Immerhin 450
Hektar Fläche können noch besiedelt werden. Damit aber Interessenten
gewonnen werden könnten, müsse die Infrastruktur stimmen.


Dies ist nach Ansicht der Werkleiter aber nur bedingt der Fall. Schon
lange wird der B5-Ausbau bis Brunsbüttel gefordert – bis Wilster ist er
vorgesehen. Die Bahnanbindung müsse endlich zweigleisig sein und auch
die A 20 gilt als für die Region unerlässlich. Meyer bekundete
Verständnis, gerade bei Bundesstraße und Industriegleis: Bund und Bahn
müssten auch mal in die Vorlage gehen, um Voraussetzungen zu schaffen,
die weitere Industrieansiedlungen begünstigen. Stattdessen werde darauf
verwiesen, dass der derzeitige Bedarf für einen Ausbau nicht erkennbar
sei. So werde Brunsbüttel blockiert statt nach vorn gebracht.


Der Auftakt zeigte gestern: Es gibt noch einiges zu tun auf dem Weg in
die Zukunft des Industriegebiets Brunsbüttel. Zumindest auf das Land
können Stadt und die Unternehmen offenbar bauen. Ralf Pöschus