Knapp an Kohle
Knapp an Kohle
US-Wissenschaftler warnen davor, daß die Förderung schon bald nicht
mehr gesteigert werden kann. Eine drastische Verteuerung wäre die Folge
Von Wolfgang Pomrehn
Daß das Öl nicht ewig reichen wird, hat sich langsam
herumgesprochen. Der selbst in Krisenzeiten kaum
rückläufige Preis für den Lebenssaft der
Weltwirtschaft kündet davon, daß die Zeiten beginnender
Knappheit bereits ziemlich nah sind.
Aber wie sieht es eigentlich mit der Kohle aus, von der wir nicht
minder abhängig sind? Immerhin ein rundes Drittel des
weltweiten Energieverbrauchs wird von ihr gedeckt. Zwei Drittel
aller Stahlwerke werden mit ihr befeuert und rund 40 Prozent allen
elektrischen Stroms kommt aus Kohlekraftwerken. Für
gewöhnlich heißt es, daß die Vorräte noch
für weit über 100 Jahre reichen. Das World Coal Institute
in London, eine Interessenvertretung der in diesem Bereich
tätigen Bergbauunternehmen, geht zum Beispiel davon aus,
daß der Kohleverbrauch in den nächsten 20 Jahren um 60
Prozent zunehmen wird. Ähnliche Prognosen gibt es auch von der
US-Behörde für Energieinformationen.
Letzter Krümel rausgekratzt
Gerne wird dabei auf die wachsende Zahl von Kohlekraftwerken
verwiesen, die in Indien und China das Wirtschaftswachstum
befeuern. Dabei wird jedoch geflissentlich übersehen,
daß China, eines der Länder mit den weltweit
größten Kohlevorkommen, inzwischen zum Nettoimporteur
geworden ist. Dort wird, wenn das Wachstum des Verbrauchs weiter
wie in den letzten Jahren zunimmt, der letzte Krümel Kohle
bereits vor Mitte des Jahrhunderts aus der Erde gekratzt sein. Und
außerdem basieren Prognosen, wie die oben zitierten, auf den
Angaben staatlicher Stellen, die meist nicht nachprüfbar und
oft bereits 30 Jahre oder älter sind. Eine wissenschaftliche
Abschätzung kann man das nicht nennen.
Es gibt daher einige Stimmen, die weit weniger optimistisch sind,
wie etwa die deutsche Energy Watch Group, die vor drei Jahren in
einem Bericht davon ausging, daß das Fördermaximum der
Kohle bereits 2025 bis 2030 erreicht sein könnte. Ähnlich
wie auch in der Diskussion um die Ölreserven schauten die
Wissenschaftler um Werner Zittel von der Ludwig Bölkow
Systemtechnik GmbH nicht so sehr nach der Reichweite, sondern
danach, wann die Förderung ihren Höhepunkt erreicht haben
wird. Danach würde nämlich eine weiter wachsende
Nachfrage nicht mehr zu befriedigen sein und daher der Preis
für den Energielieferanten drastisch ansteigen.
Das könnte allerdings schon früher der Fall sein, als
selbst Zittel und Kollegen annehmen. Die Internetseite des
renommierten US-Magazins National Geographic berichtet von einer
neuen Studie, die sich mit dem Thema beschäftigt. Tad Patzek,
Leiter des Instituts für Erdöl und
Geo-Ingenieurwissenschaften an der Universität von Texas in
Austin, kommt mit seinen Ko-Autoren zu dem Schluß, daß
das Fördermaximum, »Peak Coal« sozusagen, schon im
nächsten Jahr erreicht sein wird und die Fördermenge dann
bis zur Mitte des Jahrhunderts um 50 Prozent abnimmt.
Das wären ausgesprochen gute Nachrichten für das Klima,
denn es würde bedeuten, daß die Menschheit mangels Masse
gar nicht mehr so viele Treibhausgase in die Luft blasen kann, wie
die schlimmsten Szenarien der Klimawissenschaftler annehmen.
Allerdings aber auch nur dann nicht, wenn nicht in
größeren Mengen sogenannte
»unkonventionelle« Energieträger erschlossen
werden, wie etwa die Ölsände, die heute schon Kanada
großflächig aus der Erde holt, oder Methan, das in
Gashydraten am Meeresboden schlummert.
Keine zuverlässige Angabe
Schlechte Nachrichten sind das hingegen für die
Bundesregierung, die in ihrem Energiekonzept nicht nur die
Verlängerung von AKW-Laufzeiten, sondern auch den Neubau
einiger Kohlekraftwerke vorsieht. Allerdings basiert die Planung
ohnehin auf sehr wackeliger Grundlage, denn ob sich die Technik
für die Abscheidung von CO2, wie die Bundesregierung annimmt,
tatsächlich schon ab 2025 unter ökonomisch sinnvollen
Bedingungen einsetzen läßt, ist fraglich. Eine
jüngst veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts
für Wirtschaftsforschung meint, daß das eher
unwahrscheinlich und die Technik ein Irrweg sei. Eine Feststellung,
die die Menschen in Nordfriesland, der Altmark und im
südöstlichen Brandenburg, die von den potentiellen
CO2-Endlagern betroffen wären und daher auf die Barrikaden
gehen, sicherlich unterschreiben würden.
Wie kommen die texanischen Geowissenschaftler zu ihrer Aussage?
»Alle Angaben über die Reserven sind
unzuverlässig«, meint Patzek gegenüber National
Geographic. Das einzige, das zähle, sei die tatsächliche
Förderung, und was diese angeht, hat er in vielen wichtigen
Abbaugebieten eine Abnahme registriert. Das ist angesichts der
steigenden Nachfrage immerhin bemerkenswert. Schon Zittel und
Kollegen hatten in ihrer Arbeit darauf hingewiesen, daß in
den USA, dem Saudi-Arabien der Kohle, wie US-Präsident Barack
Obama kürzlich meinte, trotz allen technischen Know-hows die
Produktivität seit einiger Zeit abzunehmen scheint. Soll
heißen: Trotz höheren Aufwands und Rationalisierung
kommt unterm Strich weniger Energiegehalt heraus, weil die
Qualität der Kohle und die Ergiebigkeit der Lagerstätten
abnehmen.
Der Wirtschaft könnte also der Brennstoff ausgehen. »Es
wird«, so Patzeks Studie, »zu großen
Umstrukturierungen in der Weltwirtschaft und zu einem
Schrumpfungsprozeß kommen.« Einen Vorteil wird in
dieser Situation haben, wer rechtzeitig auf unerschöpfliche
Energieträger wie Wind, Wasser und Sonne gesetzt hat. Die
deutschen Energiekonzerne und ihre Bundesregierung sind gerade
dabei, diesen Weg mit ihren altertümlichen
Großkraftwerken abzuschneiden.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2010/09-13/016.php