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"Kohle entscheidet über Kohle", Frankfurter Rundschau - 20.10.2008

"Kohle entscheidet über Kohle", Frankfurter Rundschau - 20.10.2008

20.10.2008 - Klimaschutz

Kohle entscheidet über Kohle

VON VERA GASEROW


Geplante Kohlekraftwerke
Berlin. Wenn Sigmar Gabriel in Form ist, dann wettert er gern: gegen Grüne, Umweltschützer, lokale Bürgerinitiativen, kurz: gegen alle, die derzeit republikweit gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke Sturm laufen. Ist der Umweltminister entnervt vom Dauerkonflikt um den neuralgischen Punkt für den deutschen Klimaschutz, dann sagt er schon mal: "Mir ist völlig piepe, wie viele Kohlekraftwerke gebaut werden - wenn die C02-Ziele gehalten werden."
Nur: Dass beides zusammengeht, bezweifelt jetzt ausgerechnet eine Expertise, die der Umweltminister selbst in Auftrag gegeben hat. Um das deutsche Klimaschutzziel einzuhalten, so prognostiziert das DLR-Institut für Technische Thermodynamik in seiner "Leitstudie 2008", dürften bei der anstehenden Erneuerung des Kraftwerksparks maximal 10 000 Megawatt Strom durch Kohlekraft ersetzt werden. Eine "Ohrfeige für Gabriel", triumphieren Grüne und Umweltverbände, denn 10 000 Megawatt - das ist exakt die Leistung der derzeit schon genehmigten neuen Kohlemeiler. Um die Klimaziele nicht zu gefährden, müssten also Pläne für 20 weitere Kraftwerke in den Reißwolf wandern.

Ob das passiert, wird weniger vom Protest von Klimaschützern abhängen. Entscheidend für die Zukunft der Kohle ist sicherlich die "Kohle", der Preis der Kohlekraft in Relation zum Einspiel. "Derzeit sind die Investoren verunsichert, ob sich die Milliarden für ihre Kohlekraftwerke rechnen", sagt BUND-Energieexperte Thorben Becker. "Im Moment warten alle ab, was die EU im Dezember zum entscheidenden Thema Emissionshandel beschließt." Denn wie viele Tonnen Treibhausgas die EU der Energiebranche beim Handel mit Verschmutzungsrechten zubilligt, wird darüber entscheiden, ob sich die Investition in ein neues Kohlekraftwerk mit hohem Ausstoß noch rentiert. Hinzu kommt eine zweite Unbekannte: Die EU plädiert - wie auch die Bundesregierung - dafür, die CO2 -Zertifikate, die die Stromversorger bisher als Milliardengeschenk vom Staat gratis bekamen, ab 2013 komplett zu versteigern. Nur derzeit weiß keiner, zu welchem Preis die Zertifikate dann gehandelt werden, von denen die Betreiber für ein Kohlekraftwerk ungleich mehr zukaufen müssen als für ein klimafreundlicheres Gaskraftwerk.

Selbst wenn nur die Hälfte der CO2-Zertifikate versteigert würde, wäre der Bau neuer Kohlemeiler unrentabel - so der Schluss eines Szenarios für den Energiegipfel im Kanzleramt vor gut einem Jahr. "Diese Annahm war offenbar falsch", urteilt der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe und frühere Umweltstaatssekretär, Rainer Baake. Denn trotz der Aussicht, dass sie ihre Verschmutzungsrechte demnächst zu 100 Prozent kaufen müssen, verfolgen viele Energieversorger die Genehmigungsverfahren für ihre Kohlekraftwerkprojekte bisher weiter.

Die Finanzkrise als Pate
Womöglich vertrauen sie dabei auf die Schützenhilfe der stark von Kohleenergie abhängenden osteuropäischen Staaten. Die stemmen sich derzeit gegen die strikten Versteigerungsauflagen der EU und könnten sie noch aufweichen.

Hierzulande heuern einige jetzt zudem die Finanzkrise als Pate für die Kohle an. Die Versteigerung der CO2-Zertifikate, so wettern Union und Wirtschaftsverbände, würde Kraftwerksbetreiber mit Milliardenkosten belasten. Und die müssten sie auf die Stromrechnung der konjunkturgebeutelten Kunden abwälzen. Einigen Investoren wird die Kohle offenbar auch zu heiß. Aus Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des geplanten Kraftwerks Brunsbüttel ist jetzt der spanische Konzern Iberdrola abgesprungen. Auch beim Großkraftwerk Moorburg rechnet man kräftig nach. Wenn es bei den "außergewöhnlich restriktiven Bestimmungen" der Hamburger Umweltbehörde bleibe, klagt Vattenfall, sei ein "effektiver", sprich: profitabler Kraftwerksbetrieb nicht möglich.URL: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/?em_cnt=1616399&em_loc=31