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Mehr Tempo für die Wende. WZ vom 24.05.2012

Mehr Tempo für die Wende. WZ vom 24.05.2012

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Habeck will Stromnetze verstaatlichen
Kiel/Berlin /bg

Schleswig-Holsteins Grünen-Fraktionschef
Robert Habeck fordert staatliche Netzgesellschaften zum raschen Ausbau
der Stromleitungen in Deutschland. „Wer das Netz hat, hat die Macht –
und auf dieses Instrument sollte die öffentliche Hand bei der
Energiewende nicht verzichten“, sagte er gestern unserer Zeitung.


Habeck regt an, dass der Bund sich mit den vier großen Netzbetreibern
zu einer Bundesnetzgesellschaft zusammenschließen solle, um den
stockenden Ausbau der großen 380 Kilovolt-Leitungen
voranzutreiben. Zudem solle auch das Land gemeinsam mit den Kommunen
und Eon eine Landesnetzgesellschaft zum Ausbau der 110-Kilovolt-Verteilernetze
gründen, an der die öffentliche Hand die Mehrheit halten würde. Falls
die privaten Netzbetreiber bei dem Vorhaben nicht mitspielen, müsse man
„in letzter Konsequenz auch über Enteignungen nachdenken“, sagte Habeck,
der als künftiger Energieminister des Landes gehandelt wird.


Auf die Pläne für eine Landesnetzgesellschaft haben sich nach
Informationen unserer Zeitung SPD, Grüne und SSW bei ihren
Koalitionsgesprächen bereits geeinigt. Zuvor hatte auch Bayerns
Regierungschef Horst Seehofer (CSU) im Vorfeld eines Spitzentreffens der
Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Rück-Verstaatlichung des bayerischen Stromnetzes ins Spiel gebracht.

Seite 11:




Mehr Tempo für die Wende
Beim Energiegipfel von Bund und Ländern gibt es viele Ankündigungen – doch keine konkreten Fortschritte
Berlin

Bund und Länder wollen die Energiewende vorantreiben – aber wissen
noch nicht genau wie. Das ist gestern beim Spitzentreffen von
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten in
Berlin deutlich geworden. Zwar sprach Merkel anschließend von „einem
Meilenstein“. Und ihr schleswig-holsteinischer
Parteifreund Peter Harry Carstensen sah in dem Berliner Gipfel einen
„wichtigen Schritt, unterschiedliche Interessen aufzuarbeiten“. Doch
Baden-Württembergs Regierungschef Winfried
Kretschmann von den Grünen stellte lapidar fest: „Es gab zu nichts
konkrete Vereinbarungen.“


Das stimmt nicht ganz – immerhin ist man überein gekommen, sich
künftig alle sechs Monate wiederzutreffen, um über Fortschritte und
Schwierigkeiten bei der Energiewende zu reden. Aber sonst gibt es nur
Ankündigungen. So stellte Merkel in Aussicht, dass sowohl bei der
Solarförderung als auch bei den geplanten Steuervergünstigungen für
energiesparende Gebäudesanierungen noch vor der Sommerpause eine Lösung
gefunden werden soll. „Hier drängt die Zeit“, mahnte sie. Beide Vorhaben
scheitern bisher am Widerstand der Länder im Bundesrat. Denen geht bei
der Solarförderung die geplante 30-prozentige Kürzung zu weit. Bei der
Subventionierung der Gebäudesanierung wollen sie vom Bund einen
Ausgleich für Steuerausfälle. Wie Kompromisse aussehen könnten, ließ
Merkel offen.


Auch der neue Umweltminister Peter Altmaier (CDU) kam gestern über
schöne Worte nicht hinaus. „Wir sind heute dem Ziel eines nationalen
Konsenses ein gutes Stück näher gekommen“, sagte er. Jetzt gehe es
darum, „bis zum nächsten Treffen die Hausaufgaben zu machen“.
Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) forderte wieder mal mehr Tempo
beim Netzausbau: „Erst zehn Prozent der geplanten Leitungen sind
fertig.“ Tatsächlich ist die Quote noch viel geringer, weil der Bedarf
an zusätzlichen Trassen deutlich höher ist als bisher gesetzlich
festgestellt. Das wird nächste Woche der neue Netzentwicklungsplan
zeigen. Allein in Schleswig-Holstein werden demnach rund 600 Kilometer neue Leitungen gebraucht.


Gesprochen haben die Regierungschefs auch über die großen Probleme
der holländischen Staatsfirma Tennet beim Bau der Netzanschlüsse für die
geplanten Meereswindparks. „Tennet hat hier Aufgaben zu erledigen“,
stellte Carstensen fest. Vom Vorschlag seines bayrischen Amtskollegen
Horst Seehofer (CSU), die Netze angesichts der Verzögerungen beim Ausbau
wieder zu verstaatlichen, hält er nichts: „Es ist nicht richtig, gleich
nach dem Staat zu rufen.“
Henning Baethge





Mehr Erneuerbare Energien

Bis 2022 (Abschaltung aller Atomkraftwerke) wollen alle Bundesländer zusammen die Erneuerbaren Energien um gut 157 Gigawatt (GW) ausbauen, davon in:

Bundesland
GW
Niedersachsen
31,1
Bayern
22,9
Schleswig-Holstein
18,4
Nordrhein-Westfalen
16,7
Baden-Württemberg
13,8
Brandenburg
11,2
Mecklenburg-Vorpommern
 7,9
Sachsen-Anhalt
 7,8
Thüringen
 7,5
Rheinland-Pfalz
 7,5
Hessen
 7,4
Sachsen
 2,9
Saarland
 1,2
Berlin
 0,5
Hamburg
 0,3
Bremen
 0,2

Quelle: nach Bundesnetzagentur

Re: Mehr Tempo für die Wende. WZ vom 24.05.2012

Kommentar von Seite 2:



Länder-Egoismus
Die Kanzlerin versucht, die Ministerpräsidenten bei der Energiewende auf Kurs zu bringen – die haben längst eigene Pläne
Kerstine Appunn

„Jetzt gehen wir an die Arbeit“, sagt Angela Merkel. Ach? Schon? Die
Kanzlerin und ihr neuer Umweltminister wollen sie also endlich anpacken,
die Energiewende. Eigentlich hätte das, was gestern im Kanzleramt
besprochen wurde, schon im vergangenen Jahr, spätestens nach dem
populistischen Atomausstieg der Regierung Merkel besprochen werden
müssen.


Aber besser spät als nie – nur einfacher wird es dadurch wohl kaum
werden. Denn in der Zwischenzeit ist das Vorhaben Energiewende – gelinde
gesagt – zerfasert worden. Die Länder haben ihre eigenen Konzepte zum
Kraftwerks- und Netzausbau entwickelt und wollen in diesen Bereichen
(auch wenn sie noch kaum etwas Konkretes auf die Beine gestellt haben)
jetzt natürlich gerne den Hut aufbehalten und mit eigenen Kraftwerken
oder längeren Netzen sich ihre Steuereinnahmen sichern. So ist es zu
erklären, dass Baden-Württembergs
Ministerpräsident Winfried Kretschmann eigene Windkraftanlagen
aufstellen möchte und Bayern darauf besteht, gleich fünf neue
Gaskraftwerke als Ersatz für alte Atommeiler zu bauen. Der Windstrom aus
dem Norden ist nicht erwünscht. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein
wollen die Landesregierungen hingegen so schnell wie möglich ihren
Windstromexport auf neuen Stromautobahnen intensivieren. So schnell,
dass der potenzielle Landesenergieminister Robert Habeck bereits
Bundesnetzgesellschaften gründen möchte, notfalls durch Enteignung der
Übertragungsnetzbetreiber. Auf diese Weise könnte der Föderalismus der
Energiewende tatsächlich im Weg stehen.


Dass auf einem Krisentreffen im Kanzleramt konkrete Vorgehensweisen
zur Umsetzung von Netzausbau und Solarförderung beschlossen werden, ist
wahrscheinlich zu viel verlangt. Was man aber erwarten kann, ist, dass
Bundes- und Landesregierungen endlich klare Zuständigkeiten vereinbaren.
Dazu gehört, dass die vielen Gesetze und Ideen zur Steuerung und
Finanzierung erneuerbarer Energien und dem Netzausbau grundlegend
überdacht und aufeinander abgestimmt werden. Es reicht nicht aus, nur an
einzelnen Stellschrauben wie der Solarstromförderung zu drehen, denn
dadurch werden weder die Netz- noch die Preisstabilität sichergestellt.