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Reaktor-Unfall: Mehr Jodtabletten für den Ernstfall. WZ vom 11.03.2014

Reaktor-Unfall: Mehr Jodtabletten für den Ernstfall. WZ vom 11.03.2014

Reaktor-Unfall: Mehr Jodtabletten für den Ernstfall
Umweltministerin kündigt verbesserten Katastrophenschutz an / Japan gedenkt der Fukushima-Opfer
Tokio /sh:z

Drei Jahre nach dem Atomunfall in Fukushima will Japans
rechtskonservative Regierung wieder Kernkraftwerke ans Netz bringen. Das
kündigte Ministerpräsident Shinzo Abe am Vorabend des dritten
Jahrestages der Katastrophe an. „Ich möchte Reaktoren hochfahren, die
gemäß den strikten Sicherheitsauflagen der Atomaufsicht für sicher
befunden wurden und zugleich das Verständnis der lokalen Bevölkerung
gewinnen“, sagte Abe gestern. Deutschland bereitet unterdessen einen
besseren Katastrophenschutz rund um seine Kernkraftwerke vor. Dafür
liegen neue Empfehlungen der Strahlenschutzkommission vor.


In Japan sind noch alle 48 kommerziellen Atomreaktoren
heruntergefahren. In Folge des Erdbebens und Tsunamis vom 11. März 2011
war es im AKW Fukushima Daiichi zu Kernschmelzen gekommen. Am Vorabend
des Jahrestages demonstrierten nach Angaben der Veranstalter mehr als
30 000 Menschen vor Abes Amtssitz und dem Parlament gegen Atomkraft.
Heute finden in Tokio und anderen Orten Gedenkzeremonien für die Opfer
der Katastrophe statt. Nach Angaben der Polizei kamen in Folge des
Erdbebens und Tsunamis 15 884 Menschen ums Leben. 2636 weitere Menschen
galten Ende Februar offiziell als weiterhin vermisst. Hinzu kommen fast
3000 Menschen, die an den gesundheitlichen Folgen des harschen Lebens in
den Behelfsunterkünften starben oder sich das Leben nahmen.


Die Krise im havarierten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi dauert an – immer wieder tritt radioaktiv verseuchtes Wasser aus.


In Deutschland erklärte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD)
gestern, trotz des endgültigen Atomausstiegs im Jahr 2022 müsse bis
dahin die Sicherheitstechnik in den neun restlichen Atommeilern
konsequent weiterentwickelt werden. Die Strahlenschutzkommission
empfiehlt, bei einem schweren Atomunfall die direkten Anwohner innerhalb
von sechs Stunden in einem Umkreis von fünf statt bisher zwei
Kilometern in Sicherheit zu bringen. Zudem soll die daran anschließende
„Mittelzone“ von 10 auf 20 Kilometer vergrößert werden. Hier würde eine
24-Stunden-Frist gelten. Auch sollen
Länderbehörden, die für den Katastrophenschutz zuständig sind, mehr
Jodtabletten vorhalten. Diese sättigen die Schilddrüsen und verhindern,
dass der Körper radioaktives Jod aufnimmt.


Hendricks wird die Ratschläge der Experten, die „äußerst unwahrscheinliche schwere Unfälle berücksichtigen“, an die Länder-Innenminister
weiterleiten. Die Grünen fürchten, dass die Verbesserungen erst in
einigen Jahren in die Praxis umgesetzt werden. „Geht es in dem
bisherigen Schneckentempo weiter, ist der nukleare Katastrophenschutz
erst funktionstüchtig, nachdem die letzten deutschen AKW abgeschaltet
sind“, sagte die atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl.  




Zeitplan Atomausstieg
Das
Gesetz zum Atomausstieg wurde im Juni 2011 mit großer Mehrheit im
Bundestag verabschiedet. In Deutschland sind momentan noch neun
Kernkraftwerke (AKW) in Betrieb. Unmittelbar nach der Katastrophe von
Fukushima waren die sieben ältesten AKW und der pannenanfällige Meiler
Krümmel abgeschaltet worden. Bis 2022 werden in Deutschland alle
Reaktoren außer Betrieb genommen. Auch eine Übertragung von
Reststrommengen ist über dieses Datum hinaus nicht mehr möglich.





Kommentar von Seite 2:



Warum erst jetzt?
Drei Jahre nach Fukushima gibt es neue Notfallpläne für den GAU
Frank Albrecht

Nein, es sind keine guten Nachrichten, die drei Jahre nach der Atom-Katastrophe
von Fukushima aus Japan kommen. Weil die Wirtschaft unter hohen
Energiekosten stöhnt, setzt Ministerpräsident Shinzo Abe trotz
erheblicher Proteste aus der Bevölkerung weiter auf Atom-Strom:
Alle 48 Kernkraftwerke, die nach dem Tsunami abgeschaltet wurden,
sollen wieder ans Netz. So, als sei Fukushima nie geschehen.


Ein reines Glücksspiel, auf das sich Japans Regierung da einlässt.
Der Inselstaat lebt ständig unter der Bedrohung durch Erdbeben – und hat
sein ehrgeiziges Kernenergieprogramm bereits teuer bezahlt. Obendrein
darf bezweifelt werden, dass die Lage in den explodierten Reaktorblöcken
von Fukushima trotz der ständigen Beteuerungen des Betreibers Tepco
tatsächlich unter Kontrolle ist. Allein die Massen radioaktiv
verseuchten Kühlwassers, die in jüngster Zeit aus der Anlage geschwappt
sind, sprechen Bände.


Harrisburg 1979, Tschernobyl 1986, Fukushima 2011: Explosive Anlässe
zur Umkehr gab es genug. Doch das Verlangen, dem – unhaltbaren –
Versprechen von billiger, sauberer und sicherer Atomenergie zu glauben,
war und ist weltweit zu mächtig.


Da ist es nur ein schwacher Trost, dass sich Deutschland bis 2022 vom
Atomstrom aus eigener Produktion verabschieden will. Und die
Bevölkerung besser vor dem schlimmsten Fall schützen will: Die Größe von
Evakuierungszonen wird mehr als verdoppelt und die Lager mit
Jodtabletten sollen aufgestockt werden.


Klingt nach guter Vorsorge, aber auch ein wenig hilflos. Und es
drängt sich die Frage auf: Warum erst jetzt? Warum erst nach Fukushima?
Wenn die Strahlenschutzkommission nun plötzlich der Meinung ist, die
bisherigen Rettungspläne für den GAU seien nicht optimal – dann heißt
das doch im Umkehrschluss: Fast 60 Jahre lang hat man die Gefahr
unterschätzt. Obwohl doch jeder weiß, dass Radioaktivität vor nichts und
niemanden halt macht. Vertrauenserweckend ist das alles nicht. Einen
Ausstieg aus dem Ausstieg darf es nicht geben.