Strahlender Protest gegen Atomdeal. WZ vom 29.09.2010
Strahlender Protest gegen den Atomdeal
Bundesweite Protestaktion Fehlschlag in Brunsbüttel / Kabinett beschließt Laufzeitverlängerung / Röttgen kontert Schmalfuß
Kiel/Berlin /bg /dpa
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) geht auf Gegenkurs zum schleswig-holsteinischen
Justiz- und Atomaufsichtsminister Emil Schmalfuß (parteilos). Röttgen
wies gestern die Kritik von Schmalfuß zurück, dass die im Zuge der
Laufzeitverlängerung geplanten Sicherheitsauflagen für Kernkraftwerke
möglicherweise zu einer Absenkung des hohen Schutzniveaus führen
könnten. Ich sehe schon logisch keinen Raum, dass hier eine Absenkung
möglich ist, sagte Röttgen bei der Vorstellung des Energiekonzepts der
Bundesregierung. Schmalfuß hatte in einem Brief an Röttgen unter anderem
die Befürchtung geäußert, dass durch die Atomgesetznovelle eine
Abschwächung der weitreichenden Pflichten der Betreiber erfolgen
könnte. Röttgen teilt diese Ansicht nicht: Wir erhalten den kompletten
Sicherheitsstandard, wie er jetzt ist. Und wir führen eine allgemeine
Ermächtigungsgrundlage für die Atomaufsicht vor Ort ein, die es ihr
erlaubt zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zu erlassen.
Kurz vor dem Kabinettsbeschluss für längere Atomlaufzeiten hatten Greenpeace-Aktivisten an allen zwölf AKW-Standorten protestiert. Am Morgen projizierten sie den Slogan Atomkraft schadet Deutschland auf die Kraftwerke. In Schleswig-Holstein
griffen die Kraftwerksbetreiber zu Gegenmitteln: In Brunsbüttel
strahlten sie den Reaktor so hell an, dass der Slogan nicht zu lesen
war. In Brokdorf beleuchtete die Werksfeuerwehr den Meiler, der
Schriftzug auf der Reaktorkuppel war dennoch gut sichtbar. Mit dem
Protest wollte Greenpeace Röttgen dazu auffordern, seine Zustimmung zu
der Atom-Novelle zu verweigern. Das
Energiekonzept der Regierung sei nicht mehr als die Verpackung für ein
milliardenschweres Geldgeschenk an die Atomkonzerne.
Wenige Stunden nach den Aktionen beschloss das Bundeskabinett, dass
die Atomkraftwerke im Schnitt zwölf Jahre länger am Netz bleiben sollen.
Nach dem Willen von Union und FDP sollen die sieben vor 1980 ans Netz
gegangenen Meiler acht Jahre länger laufen; die übrigen zehn
Atomkraftwerke bekommen 14 Jahre mehr. Damit würde der letzte Meiler
nicht vor 2036 vom Netz gehen.
In der Kieler Landesregierung sind die Ansichten über die Atompolitik
geteilt. Während die FDP und Minister Schmalfuß die Laufzeitverlängerung
für die Pannenmeiler in Krümmel und Brunsbüttel ablehnen, begrüßt die
CDU die generelle Zusatzfrist von acht Jahren für Brunsbüttel und zwölf
Jahren für Krümmel und Brokdorf.
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Die strahlenden Minister
Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke: Kabinett verabschiedet Energiekonzept / Weg zu mehr Ökostrom und weniger CO2-Ausstoß bleibt unklar
Berlin
Gleich fünf Minister hat die Kanzlerin geschickt: Rainer Brüderle
(Wirtschaft), Norbert Röttgen (Umwelt), Peter Ramsauer (Bau), Wolfgang
Schäuble (Finanzen) und Annette Schavan (Forschung). Sie sollen an
diesem trüben Dienstag öffentlich verkaufen, was nach Meinung von Angela
Merkel eine Revolution ist. Auch wenn inzwischen wesentliche Punkte,
die selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel lobte, aus dem Energiekonzept wieder heraus gestrichen worden sind. So schwirren schwarz-gelbe
Zahlen und Lobeshymnen durch den Raum der Bundespressekonferenz.
Brüderle (FDP) ist gewohnt bildreich und bereitet seine Zuhörer kurz
nach der Kabinettsentscheidung auf eine beschwerliche Wanderung vor:
Wir müssen jetzt den Rucksack schnüren. Ohne die Brücke Atomkraft
seien Wachstum und Wohlstand nicht zu haben. Die im Schnitt zwölf Jahre
längeren Laufzeiten brächten drei Vorteile: Bezahlbarer Strom, mehr
Klimaschutz und Schecks von den Konzernen.
Wie die Regierung ansonsten ihre Ziele eines Ökostrom-Anteils von 80 Prozent und bis zu 95 Prozent weniger Kohlendioxid-Emissionen
bis 2050 erreichen will, bleibt sehr im Vagen. Umweltminister Röttgen
(CDU) spricht von über 60 konkreten Maßnahmen. Dafür gibt es aber auch
über 30 Prüfaufträge Luftbuchungen, sagen dazu Opposition und
Umweltschützer. Herausgekommen ist eine ideologisch festgelegte und
fachlich nicht gerechtfertigte Verlängerung der Atomlaufzeiten, die mit
ein paar wohlklingenden und unverbindlichen Absichtserklärungen garniert
wurde, sagte Nabu-Geschäftsführer Leif Miller.
Der Zwang zur Gebäudesanierung wurde gestrichen, damit ist die
drastische Energieeinsparung bis 2050 fraglich. Jetzt soll es mit
Anreizen klappen. Doch für 2011 gibt es nur 950 Millionen Euro, deutlich
weniger als in den Vorjahren. Bis 2040 sollte zudem die
durchschnittliche CO2-Emission im Autoverkehr von 160 auf 35 Gramm pro Kilometer gesenkt werden. Auch das wurde gekippt.
Um dennoch zu zeigen, dass es der Regierung ernst ist, verabschiedete sie gestern ein Zehn-Punkte-Sofortprogramm,
das bis Ende 2011 umgesetzt sein soll. Ein Schwerpunkt ist dabei die
Förderung des stockenden Baus von Windkraftparks in Nord- und Ostsee.
Bei der Staatsbank KfW wird ein Fünf-Milliarden-Euro-Förderprogramm aufgelegt. Genehmigungsverfahren werden gebündelt und vereinfacht.
Röttgen betont, längere Atomlaufzeiten seien notwendig, um erst
einmal die Stromnetze zu bauen, um den Windstrom von der Küste
abzutransportieren. Rot-Grün habe 2000 den Atomausstieg beschlossen, ohne ein Konzept vorzulegen, wie die Öko-Energiewende
überhaupt geschafft werden soll. Wir stehen beim Netzausbau praktisch
bei Null, sagt Röttgen. Er und Brüderle, die sich nach ihren
Differenzen über die Länge der Laufzeiten nun betont freundlich im
Umgang miteinander geben, wollen Widerstände in der Bevölkerung gegen
neue Stromautobahnen auflösen. Wer keine Netze wolle, sei letztlich
gegen den Ausbau der erneuerbaren Energie, sagt Röttgen. Brüderle
pflichtet ihm bei: Wer A sagt, muss auch B sagen.
Auf die Einwände, seine Forderung nach dem AKW-Schutz
gegen Flugzeugabstürze sei kassiert worden, reagiert Röttgen mit einem
weitausschweifenden Referat. Unterm Strich schaffe er ein Mehr an
Sicherheit. Juristen sehen aber auch im neuen Atomgesetz Paragrafen, die
auf genau das Gegenteil hinauslaufen und die Konzerne von zu massiven
Forderungen entbinden könnten. Auf weitere kritische Nachfragen reagiert
Röttgen trotzig: Mich überzeugt sie jedenfalls, meine Position.
Georg Ismar / Tim Braune