Forum der BiGKU - Presseberichte Überregional

Verlängerung der AKW-Laufzeiten. 06.09.2010

Verlängerung der AKW-Laufzeiten. 06.09.2010

Die Meiler bleiben am Netz
Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke verlängert  / Oppositionsparteien drohen mit Verfassungsklage
Berlin /dpa

Die schwarz-gelbe Koalition macht ernst mit
der heftig umstrittenen Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Im
Gegenzug werden die Stromkonzerne mit Milliardenzahlungen an den Bund
und für mehr Öko-Strom zur Kasse gebeten.
Details wurden bis gestern in den Abend hinein ausgehandelt. Kanzlerin
Angela Merkel (CDU) will damit einen monatelangen Streit beenden.


Anvisiert ist eine Paketlösung mit unterschiedlichen Laufzeiten und
Sicherheitsanforderungen je nach Alter der 17 deutschen Atomkraftwerke.
Bis zuletzt umstritten war, ob die Laufzeiten in Jahren oder
Reststrommengen verlängert werden.


Merkel hatte vor den Atom-Gesprächen gestern
einen Korridor für längere Laufzeiten von zehn bis 15 Jahren genannt.
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) wollte die Verlängerung möglichst
begrenzt halten. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hatte einen
Zeitraum von 12 bis 20 Jahren gefordert. Nach dem rot-grünen
Ausstiegsbeschluss würden die letzten Meiler etwa im Jahr 2025
abgeschaltet. Es soll dabei bleiben, dass die Atomkonzerne E.ON, RWE,
EnBW und Vattenfall ab 2011 eine Steuer von jährlich 2,3 Milliarden Euro
an den Bund zahlen. Allerdings wird diese Abgabe wohl befristet – im
Gespräch waren zuletzt 4 bis 6 Jahre. Zusätzlich soll die Industrie bei
einer längeren Laufzeit einen Beitrag für den Ausbau von Öko- Strom
leisten. Die Größenordnung entspreche in etwa der Atomsteuer.


In der gestrigen Spitzenrunde wurde auch eine gemeinsame Position von
Justiz- und Innenministerium vorgetragen, inwieweit der Bundesrat im
Gesetzgebungsverfahren umgangen werden kann. Eine Laufzeitverlängerung
um etwa ein Drittel – gemessen an einer Betriebszeit von 32 Jahren aus
dem rot-grünen Atomgesetz – wird dabei als
verfassungsrechtlich vertretbar bewertet.Die Koalition will unbedingt
verhindern, dass der Bundesrat ein Vetorecht bekommt. Je länger aber die
Meiler zusätzlich am Netz sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit,
dass die Länder den neuen Regelungen zur Energiepolitik zustimmen
müssen.


SPD, Grüne und Länder haben bereits Verfassungsklagen angekündigt,
sollte der Bundesrat umgangen werden. In der Länderkammer hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr.


Etwa 2000 Atomkraftgegner begleiteten den Atomgipfel vor dem Kanzleramt
mit Vuvuzelas, Tröten und Trillerpfeifen. Der SPD- Vorsitzende Sigmar
Gabriel und Grünen-Chefin Claudia Roth kündigten
einen „heißen Herbst“ an. „Ohne Not bricht die Bundesregierung einen
der größten gesellschaftlichen Konflikte der Bundesrepublik wieder
auf“,kritisierte Gabriel. „Hier werden die Sicherheitsinteressen der
Bevölkerung verkauft. Das ist blanker Lobbyismus.“ Sollte Rot-Grün wieder an die Macht kommen, werde eine Laufzeitverlängerung rückgängig gemacht. Linke-Fraktionschef
Gregor Gysi sprach von einem „gesellschaftspolitischen Fehler ersten
Ranges. Wir erleben eine Beschädigung der Demokratie.“

Milliardenschwere Unterstützung
Staatliche Förderungen der Atomenergie

1950 bis 2008 (berechnet zu Preisen von 2008):
Finanzhilfen: 61 Mrd. Euro
Steuervergünstigungen 65 Mrd. Euro
Sonstige:     39 Mrd. Euro
Gesamt:     165 Mrd. Euro

absehbare Fördermittel von 2009 an:
Finanzhilfen: 7 Mrd. Euro
Steuervergünstigungen: 42 Mrd. Euro
Sonstige: 43

Quelle: FÖS/Greenpeace, dpa


Stromkonzerne profitieren von längeren Laufzeiten

Jährliche Zusatzgewinne in Mio. Euro durch längere AKW-Laufzeiten (unter Berücksichtigung der geplanten Brennelementesteuer)

                 
Strompreis steigt auf 7,0 c/kWh
Strompreis bleibt stabil bei 6,5 c/kWh
Strompreis sinkt auf 5,0 c/kWh
Andere
486
405
162
Vattenfall
356
297
119
RWE
1332
1110
119
E.ON
1512
1260
444
EnBW
1246
1039
415
Gesamt
4932
4110
1644

Quelle: DIW, dpa

rundungsbedingte Differenzen


Kommentar:



GAU


Der Atom-Gipfel im Kanzleramt
Frank Albrecht

Im Milliarden-Poker um die verlängerte Zukunft der deutschen Atomkraftwerke liegen die Karten nun auf dem Tisch. Die schwarz-gelbe
Koalition hat den Argumenten – aber auch blanken Drohungen – der
Atomkonzerne nicht widerstehen können und ohne Not den einst unter Rot-Grün
mühsam ausgehandelten Atomkonsens aufgekündigt. Doch der Wunsch von
Kanzlerin Merkel, das brisante Reizthema damit zu entschärfen, wird sich
nicht erfüllen. Im Gegenteil: In der Koalition wird der Spaltpilz
weiter wuchern und die Kritik von Außen wird nicht verstummen. Der von
den Grünen bereits angekündigte heiße Herbst wird kommen. Ganz sicher.


Es ist müßig darüber zu diskutieren, wie viel die Energieriesen von
ihren Zusatzgewinnen abgeben müssen. Die Koalition wird den Vorwurf nie
ausräumen können, sie habe sich die Entscheidung abkaufen lassen. Die
Atomriesen als Geldquelle für den maroden Bundeshaushalt – nicht als
Finanziers für den ökologischen Umbau. Welche Auswirkungen das haben
kann, musste die FDP ja schon mit der Hotel-Steuer schmerzlich erfahren.


Sicherheitsbedenken, Terror-Szenarien und die ungelöste Entsorgungsfrage: Die gestern gefassten Beschlüsse werden die große Atom-Skepsis
in der Bevölkerung nicht besänftigen. Die Wähler könnten sich an das
Gefeilsche der vergangenen Monate erinnern und die Restlaufzeit von
Schwarz-Gelb nicht verlängern. Schon jetzt ergeben die Umfragen keine Mehrheit für die Laufzeitverlängerung.


Das von Merkel für Ende September angekündigte Energiekonzept ist nach der Kompromiss-Runde
von gestern noch lange nicht in trockenen Tüchern. SPD und Grüne, aber
auch mehrere Länder drohen mit dem Bundesverfassungsgericht, sollte die
Regierung versuchen, die Laufzeitverlängerung am Bundesrat
vorbeizumogeln. Und ein Greenpeace-Gutachten erklärt, sogar die EU-Kommission
müsse den Ausstieg aus dem Ausstieg absegnen. Vor diesem Hintergrund
droht der Koalition kein „heißer Herbst“, sondern der energiepolitische
GAU.







Re: Verlängerung der AKW-Laufzeiten. 06.09.2919

sh:z-online am 06.09.2010:


Gemischte Reaktionen


Atomkompromiss spaltet Schwarz-Gelb


6. September 2010 | 17:49 Uhr | Von Nicola Kabel, dpa


Der mühsam
erzielte Atomkompromiss spaltet die schwarz-gelbe Koalition.
Ministerpräsident Carstensen (CDU) freut sich über längere Laufzeiten,
die FDP und ihr Justizminister Schmalfuß halten sie für falsch.


Ebenso wie ihr parteiloser Justizminister Emil Schmalfuß pochen die
Liberalen darauf, dass der Bundesrat zustimmen muss. Auch die Opposition
wetterte gegen den Atomdeal. Die Betreiber der drei Kernkraftwerke
in Schleswig-Holstein dagegen lobten ihn.


"Nach unserer Auffassung bedarf eine Laufzeitverlängerung der
Zustimmung des Bundesrates. Damit wäre das Thema erledigt", sagte
FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki in Kiel. Denn die Liberalen würden
einer generellen Laufzeitverlängerung nicht zustimmen. Der auf FDP-
Ticket berufene, für die Atomaufsicht zuständige Minister Schmalfuß
kritisierte zudem, die Verlängerung der Laufzeiten sei nicht an eine
vorherige Nachrüstung der Meiler gebunden. "Darüber hinaus halte ich es
für falsch, auch alten, störanfälligen Kernkraftwerken eine pauschale
Verlängerung der Laufzeiten zuzusprechen."


Thema sei von "koalitionspolitischer Bedeutung"


Im Norden stehen die drei Atommeiler Krümmel, Brunsbüttel und
Brokdorf. Krümmel und Brunsbüttel stehen nach einer Pannenserie seit
Mitte 2007 fast durchgehend still und sollen im Januar 2011 wieder an
den Start gehen. Die nun angestrebte Laufzeitverlängerung würde
Brunsbüttel acht Jahre mehr geben und Krümmel 14 Jahre. Beide Reaktoren
werden von Vattenfall betrieben. Brokdorf, in Obhut des Energiekonzerns
Eon, bekäme ebenfalls 14 Jahre mehr.


Im Gegenzug müssen die Konzerne eine neue Atomsteuer und eine
Sonderabgabe für den Ausbau von Ökostrom bezahlen. Der Bundesrat muss
nach Ansicht der Berliner Koalition nicht zustimmen. Die SPD-
Landesregierung von Rheinland-Pfalz und die rot-grüne Koalition in
Nordrhein-Westfalen kündigten Verfassungsklagen an, sollte die
Länderkammer umgangen werden. Carstensen sagte, zur Frage der Zustimmung
des Bundesrats habe sich die Landesregierung noch keine abschließende
Meinung gebildet. Das Thema sei von "koalitionspolitischer Bedeutung".


Auch vom SSW und den Linken kam harsche Kritik


Wirtschaftsminister Jost de Jager (CDU) erklärte, der Kompromiss
entspreche zwar nicht exakt der Linie, die zwischen den
Koalitionspartnern in Kiel vereinbart worden sei. "Er unterscheidet
jedoch klar zwischen älteren und jüngeren Kraftwerken - und entspricht
damit dem Geist des Energie-Konzepts der schleswig- holsteinischen
Landesregierung." Schwarz-Gelb regiert mit einer Stimme Mehrheit
im Landtag und muss nach einem Urteil des Landesverfassungsgerichts bis
spätestens Herbst 2012 neu wählen.


Die Opposition im Kieler Landtag empörte sich über den Ausstieg aus
dem unter der Rot-Grün erzielten Atomkonsens. "Den aufzukünden bedeutet,
den alten Krieg wieder zu eröffnen", sagte Grünen- Fraktionschef Robert
Habeck und kündigte eine Aktuelle Stunde in der Landtagssitzung am
Freitag an. Sein Amtskollege Ralf Stegner von der SPD erklärte: "Es ist
beschämend, dass die Bundesregierung den Anschein erweckt, als sei die
Sicherheit der Bevölkerung Verhandlungssache in Hinterzimmergesprächen."
Die Konzerne hätten sich mit dem Deal "Gewinne in schwindelerregender
Milliardenhöhe gesichert." Auch vom SSW und den Linken kam harsche
Kritik.


Vattenfall und E.ON begrüßten die Laufzeitverlängerungen. Die
Bundesregierung schöpfe allerdings den größten Teil der möglichen
Zusatzgewinne ab, sagte der Vorstandschef von Vattenfall Europe, Tuomo
Hatakka. Was die Einigung für die Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel
bedeute, werde noch geprüft.