die Stoffente
Die Geschichte von Josy und ihrer kleinen roten Ente
Es war einmal eine kleine Mischlingshündin namens Josy, die von lieben Tierschützern auf Ibiza aus der Tötungsstation gerettet wurde. Nachdem sie schon dort ein kleines Paradies vorfand, im Vergleich zu ihrem vorherigen Leben, kam sie in ein neues endgültiges Zuhause nach Deutschland.
Das war natürlich noch besser, denn dort musste sie ihre Menschen nicht mit Dutzenden von Hunden teilen, sondern nur mit einem netten alten Hunderüden. Und vor allem gab es dort etwas, was sie vorher noch nicht kannte: Spielzeug. Nun war es aber so, dass all diese schönen Sachen auch schon nach anderen Hunden rochen und gebraucht waren. Eines Tages aber, nicht lange nach Josys Einzug, brachte ihr Frauchen eine kleine rote Stoffente mit, die von nun an Josy ganz alleine gehören sollte.
Was für eine Freude war das. Und die Ente war auch wirklich hübsch. Weil die ganze Familie am Meer wohnte, hatte die Ente einen schönen weißen Sonnenhut auf dem Kopf. Sie lächelte verschmitzt, war gut genährt mit Watte, ihr Rot leuchtete mit Josys glücklichen Augen um die Wette. Und sie hatte schöne weiße Flügel. So hatte Josy diese Ente auch ganz besonders lieb. Alle anderen Spielzeuge teilte sie mit ihrem vierbeinigen Hausgenossen Tobi, der ohnehin nicht mehr allzu viel spielen wollte. Schließlich war er schon sehr alt. Aber die Ente gehörte nur ihr allein! Zu Anfang durfte selbst ihr geliebtes Frauchen sie nicht haben.
Die kleine rote Ente musste auch überall mit, und wenn Josy abends auf dem Sofa oder in ihrem Körbchen lag, dann hielt sie ihre Ente fest umschlungen oder lagerte den Kopf auf ihr.
Natürlich konnte man mit so einer tollen Ente nicht nur schmusen und schlafen. Nein. Enten muss man, als Ersatzbeute, die sie nunmal sind, manchmal auch kräftig schütteln und durch die Luft wirbeln, mit ihnen durch den Garten rennen, und sie gelegentlich ein wenig rupfen.
Eines Tages dann verstarb ihr alter Hundekumpel Tobi, was Jo sehr traurig machte. Nun schmuste sie noch mehr mit ihrer kleinen roten Ente. Nicht, dass nicht auch das andere Spielzeug noch da gewesen wäre. Nicht, dass Josy sich nicht auch gelegentlich andere Spielsachen schnappte. Aber ihre kleine rote Ente war und blieb ihr Ein und Alles. Immerhin, Frauchen durfte inzwischen auch damit spielen und manchmal stritten die beiden sich auch ein wenig um das Entchen. Doch letztendlich blieb es immer Josys Eigentum.
Das war auch so, als kurz nach Tobis Tod ein neuer junger verspielter Hunderüde einzog, der sich sofort jedes einzelnen Spielzeuges ermächtigte, das er in der Wohnung fand. Das durfte er im Großen und Ganzen auch, denn Josy hatte immer Spaß daran, sich tüchtig mit jemandem um Spielzeuge zu bolzen. Aber wehe, wenn Caspar, der Neue, sich an ihrer kleinen roten Ente vergriff.
Die hatte freilich zu diesem Zeitpunkt schon ihre besten Jahre hinter sich. Das Rot ein wenig verblichen und nach den ersten Verletzungen der Außenhaut, war das kleine Entchen auch schon ein wenig dünner geworden und hatte Watte verloren. Aber noch hatte es sich gut gehalten. Der weiße Sonnenhut saß ein wenig schräg auf dem Kopf, der Schnabel hatte ein wenig seine Form verloren. Egal, Entchen blieb Josys große Liebe und hielt sich noch immer ganz gut. Kein Wunder, wenn man so geliebt wird.
Im Lauf der Zeit wurde Caspar, der Hundekumpel, aber mutiger und beging des Öfteren das Verbrechen des Entendiebstahls. Keine Frage, dass Josy um ihren Liebling kämpfte, wie eine Mutter um ihre Jungen. Dem kleinen Entchen taten diese Kämpfe allerdings nicht immer gut. Es verlor immer mehr an Watte und somit auch Volumen und wies schon die ein oder andere Bissspur auf.
Frauchens Versuche, mittels Nähnadel und anderen Erste-Hilfe-Maßnahmen daran etwas zu ändern, waren vergeblich. Und so musste sie zusehen, wie das kleine rote Entchen mehr und mehr an Substanz verlor, was nichts daran änderte, dass Josy noch immer das Köpfchen auf ihrem Lieblingsspielzeug bettete und es überall mitschleppte. Was für ein Drama, wenn das Entchen auch nur einen halben Tag verschwunden war. Und was für ein Liebesbeweis für Frauchen, dass Josy ihr immer als Erstes die kleine rote Ente brachte, wenn ihr Mensch nach Abwesenheit nach Hause kam oder morgens aufstand.
Eines Tages kaufte Frauchen eine neue rote Ente identisch mit der, die die alte einmal gewesen war. Von glänzendem Rot, gut mit Watte genährt, mit einem flotten weißen Hut auf dem Kopf und verschmitztem Lächeln. Und mit schönen weißen Flügeln.
Denn die alte Ente war mittlerweile wirklich zu einem Bild des Jammers geworden. Mehr und größere Löcher als sie jemals ein Schweizer Käse hatte überzogen den ganzen Körper, der nur noch aus Haut bestand. Ihre Farbe war verblichen, sie sah schmutzig und krank aus. Flügel hatte sie schon lange keine mehr. So, als ob sie von ihrem Leiden erlöst werden müsse.
Frauchen dachte, dumm, wie Menschen nun einmal sind, mit der neuen roten Ente könnte sie ihrer kleinen Josy eine Freude machen. Und sie hoffte insgeheim, sie könnte den alten Stofffetzen, der von Josys erstem eigenen Spielzeug übrig geblieben war, dann endlich heimlich entsorgen. Doch da hatte Frauchen geirrt. Josy würdigte die neue Ente keines Blickes, überließ sie Caspar, der vergnügt damit spielte und suchte, suchte, suchte ratet mal was. Das war ein solches Bild des Jammers, dass Frauchen den schmutzigen, verblassten Stoffrest, der mal eine kleine rote Ente gewesen war, wieder hervorholte, um sie der kleinen Josy zurückzugeben.
Und Josy wird ihre alte Ente, ihr erstes Spielzeug, weiterlieben wie am ersten Tag, selbst wenn nur noch ein Bruchteil davon übrig ist und dieser Bruchteil immer mehr zusammenschrumpft. Vielleicht ist das ja etwas, was Hunde und Menschen unterscheidet. Egal, wie alt ein guter Freund auch wird, wie krank er auch aussehen mag; egal, ob er all seine Schönheit verloren hat: Er bleibt ein guter Freund, bis nichts mehr von ihm übrig ist.