Südkurier Artikel das war der erste Artikel über Borderline
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Borderline
Die Borderline-Störung zählt inzwischen zu den verbreitetsten psychischen Erkrankungen. Betroffene neigen dazu, Impulse ohne Berücksichtigung von Konsequenzen auszuleben und leiden unter Stimmungsschwankungen. Ihre Fähigkeit, voraus zu planen ist gering, ihre Ausbrüche können zu explosivem, manchmal gewalttätigem Verhalten führen. Das eigene Selbstbild und Zielvorstellungen sind unklar und wirr. Eine Borderline-Störung liegt mit großer Wahrscheinlichkeit vor, wenn ein Mensch unter mindestens fünf der folgenden Symptome leidet: 1. Unbeständige und unangemessen intensive zwischenmenschliche Beziehungen, 2. Impulsivität bei potentiell selbstzerstörerischen Verhaltensweisen, 3. starke Stimmungsschwankungen, 4. häufige und unangemessene Zornausbrüche, 5. Selbstverletzungen und Suiziddrohungen/-versuche, 6. Fehlen eines klaren Ich-
Anna B. (Name geändert) kann nur lieben oder hassen. Und Gnade dem, den sie hasst! Unerbittlich macht sie alles nieder und verströmt ihr Gift. Doch wen sie liebt, den liebt sie ohne wenn und aber. Den legt sie an Ketten, lässt ihn nicht aus den Augen und wacht eifersüchtig über ihren vermeintlichen Besitz. Annas Mann kann ein Lied davon singen. Solange er funktioniert, rund um die Uhr mit ihr zusammen ist und sich manipulieren lässt, ist er ihr Ideal schlechthin. Doch spielt er nicht mit, verfällt sie ins andere Extrem, ist beleidigend, zeigt sich hilflos, schwach und wertet ihn ab - ohne sich jedoch von ihm zu trennen.
Für Anna B. gibt es nur schwarz-weiß. Sie hat panische Angst vor dem Alleinsein, ein düsteres Selbstbild und ihre Wutausbrüche sind gefürchtet. Sie kann sich selbst nicht leiden, findet sich hässlich und immer häufiger denkt sie an Selbstmord. "Du bist ja hysterisch", hätte man vor ein paar Jahren zu Anna B. gesagt, doch heute hat das Kind einen Namen, ist es eine anerkannte Krankheit, die anhand eines Neun-Punkte-Katalogs diagnostiziert wird. So können Drogen- und Alkoholmissbrauch, verschwenderisches Geldausgeben, ein Gefühl der Leere und die gefürchteten "dissoziativen Zustände" (man ist nicht "anwesend", hat keinen Kontakt zu seinen Gefühlen und verletzt sich selbst, um sich wieder zu spüren), weitere Anzeichen für eine Borderline-Erkrankung sein. Anna B. erfüllt fünf der neun Kriterien und gilt als Borderline-positiv.
Die Persönlichkeitsstörung "Borderline" ist eine klassische Frauenkrankheit. 70 Prozent der Betroffenen sind weiblich. Überwiegend sind Frauen im Alter von 12 bis 45 betroffen. Laut Schätzung leiden etwa vier Prozent dieser Altersgruppe an Borderline. Männliche Erkrankte landen eher in Gefängnissen, als in Krankenhäusern, da sie ihre Ausbrüche eher gegen die Außenwelt richten. Die Ursachen sind jedoch bei Frauen wie Männern die gleichen: Eine ungünstige Kombination biologischer und sozialer Faktoren. Wer genetisch vorbelastet ist, als Embryo im Mutterleib durch Alkohol geschädigt wurde und/oder in Kindheit oder Jugend tiefgreifende Erlebnisse verkraften musste, gilt als besonders gefährdet. Neben sexuellen Übergriffen sind totale Missachtung, Abwertung oder Überforderung im Kindesalter besonders verheerend.
Wird der Druck unerträglich, fügen Borderline-Betroffene sich selbst Schmerzen zu und ritzen sich die Arme auf, bis es blutet. Oft sind Betroffene froh, endlich einen Namen für ihr Verhalten zu haben. Eine Krankheit, für die sie nichts können - oder? Ganz so einfach ist es manchmal nicht. Anna B. bestreitet ihre Erkrankung vehement. Dass sie irgendwie nicht ganz Okay ist, gibt sie zu, doch mehr auch nicht. Manchmal ist sie total einsichtig und "vernünftig", doch dann rastet sie auf einmal aus und hält sich an keine Vereinbarung. Sie macht, was sie will, was das Wirrwarr ihrer Gefühle gerade verlangt. Doch was tut sie mit Absicht und was nicht? Was ist reine Provokation? Was könnte sie beherrschen, wenn sie es wollte?
Diese Widersprüchlichkeit macht die Familie völlig fertig und lässt sie oft verzweifeln. Kinder und Mann sitzen auf dem Pulverfass und schauen Anna B. nur noch nach den Augen. Wie geht es ihr heute? Schafft sie es ohne Ausbruch? Keine Frage - Anna B. leidet, doch wer leidet hier wohl mehr? Wer hat hier die Zügel in der Hand und bestimmt das Leben der Familie? Doch selbst übergroße Rücksichtnahme nutzt auf Dauer nichts. Irgendwann ist Anna B. total am Ende und nimmt Tabletten. Sie will mit diesem permanenten Druck nicht weiterleben. In der Klinik erkennt sie endlich an, dass irgend etwas mit ihr nicht in Ordnung ist. Anna B. stimmt einer dreimonatigen Behandlung zu.
Ein Team aus Ärzten, Psychologen, Physio- und Ergotherapeuten versucht ihr ein anderes Selbstbild zu geben - ihr Selbstwertgefühl aufzubauen. Und Methoden, mit denen sie einen Abstand zwischen sich und ihre selbstzerstörerischen Impulse legen kann. Sie muss lernen, Spannungen auszuhalten und ihre Emotionen zu regulieren. Sie verfügt über keinerlei soziale Kompetenz und dass sie überhaupt noch eine Familie hat, ist fast ein Wunder. Die Ursache ihrer Erkrankung ist schnell erkannt. Traumatische Erlebnisse in der Kindheit, Entwicklungsstörungen und emotionale Vernachlässigung scheinen die Gründe zu sein. Doch das entbindet Anna B. nicht von ihrer Eigenverantwortlichkeit.
Es gibt ein Phänomen bei Borderline-Erkrankten, das die Mediziner "Queen-of-Darkness-Syndrom" (Königinnen der Dunkelheit) nennen. Sind sie einmal als "Borderline" geoutet, will jede die Kränkste sein, diejenige, die sich am tiefsten verletzt, am wenigsten isst, hat das größte Mitgefühl verdient. Borderline-Betroffene mit zerstörten Gefühlen und Selbstverachtung buhlen förmlich um Anerkennung und Zuwendung - und dafür ist ihnen jedes Mittel recht.
Anna B. ist krank - keine Frage. Und drei Monate Klinik-Aufenthalt reichen nicht. Annas Chancen seelisch gesund zu werden, liegen bei 10 Prozent. Anna B. braucht kompetente Betreuung, braucht Ärzte und Therapeuten, vielleicht sogar Medikamente zur Dämpfung der Stimmungsschwankungen - wahrscheinlich ein Leben lang, wenn sie ein relativ "normales" Leben führen will. Doch schafft sie es nicht, ihre Erkrankung in den Griff zu kriegen, wird sie ihren Kindern nicht die Liebe und Anerkennung geben können, die sie brauchen und eine neue Generation wächst heran, die viel, viel Kraft braucht, um nicht wiederum an ihre Kinder weiterzugeben, was sie zu Hause gelernt haben. Borderline-Erkrankte haben auch entsprechende Partner - mehr darüber in der kommenden "typisch frau".
Barbara Dickmann
Identitätsgefühls, 7. chronische Gefühle von Leere und Langeweile, 8. verzweifelte Bemühungen, die reale oder eingebildete Angst vor dem Verlassenwerden zu vermeiden, 9. stressabhängige paranoide Phantasien oder schwere dissoziative Symptome. (ck)