"Crossing Jordan" - Forum - Fanfiction crossing Jordan

"Denn nichts bleibt, wie es war ..."

"Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Uh – oh ... also doch: meine erste CJ – Fanfiction.

Diese Fanfiction widme ich Nici Cavanaugh ... für´s Kopieren von unzähligen DVDs und dass sie mir damit meine Fingernägel bewahrt hat, natürlich aber auch dafür, dass sie ebenfalls die Rufe gehört hat ; ) ... und weil sie so ist, wie sie ist.

Diese Story schließt direkt an „Jump, Push, Fall“ an , die letzte Folge der vierten Staffel, und enthält deswegen auch mehr als einen Spoiler auf diese Folge.

Warnung: Auch wenn es sich am Anfang vielleicht so anhört: Es wird keine romantische Story im eigentlichen Sinne!

Keine Sorge, meine anderen Storys gehen natürlich auch weiter ...

Ich habe zur Zeit ein kleines „Kreativitätstief“, das unterschiedliche Gründe hat – vor allem Zeitmangel – aber ich verspreche, dass sich das spätestens Mitte nächster Woche ändert.







Prolog

Es gibt Zeiten, in denen man das Gefühl hat, der Boden verschwinde unter den eignen Füßen und die Welt, die man bisher gekannt hatte, versinkt um einen herum.

In diesen Zeiten hat man das Gefühl, nicht mehr zu leben, sondern nur noch zu funktionieren.
In diesen Zeiten braucht man eine Funktion, an der man festhalten kann, um nicht wahnsinnig zu werden.
Aber was, wenn die Funktion nicht mehr die ist, die sie zuvor war?

In diesen Zeiten braucht man eine Arbeit, die einem das Gefühl gibt, eine Aufgabe zu haben.
Aber was, wenn sich bei der Arbeit alles so verändert hat, dass nichts mehr so ist, wie es war?

In diesen Zeiten braucht man eine Familie, die einem Halt gibt, um nicht verloren zu gehen.
Aber was, wenn gerade der Kreis der Arbeitskollegen die einzige Familie war, die man hatte ... und dieser Kreis zerschlagen wurde, von außen, mutwillig und sinnlos?

In diesen Zeiten braucht man einen Freund, der bei einem ist, einen schützt und einen berät ...
Aber was, wenn man feststellt, dass man mehr für diesen Freund empfindet?
Dass man das tut, was man über Jahre hinweg verneint hat ... dass man feststellen muss, dass man diesen Freund liebt?

Aber was, wenn genau dieser Freund einen Kampf auf Leben und Tod führt, und es gibt nichts, gar nichts, was man für ihn tun kann?
Aber was, wenn dieser Freund einem noch kurz zuvor gesagt hat, dass er einen nie, nie, nie wiedersehen möchte?

Aber was, wenn nichts mehr bleibt ...

Und die Erde dreht sich ...

Dreht sich um ihre Achse, dreht sich weiter, dreht sich im Kreis ...

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Kapitel 1


Lieber Woody!

Vor ein paar Stunden hast Du mich in der Klinik aus dem Zimmer gewiesen.

Jetzt ist es Abend, und ich verstehe, wenn Du jetzt keinen Brief von mir lesen möchtest ... aber die Schwestern haben mir ziemlich unmissverständlich klar gemacht, dass ich auf der Station nicht erwünscht bin, und so hoffe ich, dass Du wenigstens diesen Brief bekommst und auch liest.

Nachdem ich ein bisschen Zeit gehabt habe zum Nachdenken, und nachdem ich die Situation mehrfach durchdacht und nachvollzogen habe, verstehe ich, wie meine Worte bei Dir angekommen sein müssen, und ich versuche, Deinen Gedankengang nachzuvollziehen.

Ich verstehe, was Du gedacht haben musst, als Du sie gehört hast ... und so verstehe ich auch, dass Du verletzt warst und zutiefst gekränkt.

Aber ich möchte, dass Du – wenn Du mich schon nicht verstehen kannst oder willst – dass Du trotzdem weißt, was ich denke und fühle.

Und vielleicht ein bisschen darüber nachdenkst – nicht heute, nicht morgen, aber vielleicht irgendwann einmal, und mich dann auch verstehst.

Woody, Du bist doch sonst immer der vernünftige von uns beiden gewesen ... versuche bitte einmal, zum letzten Mal, in unserer Freundschaft, vernünftig und rational zu sein.

Bitte denke nach: als ich Dir gesagt habe, wie sehr ich Dich liebe, wussten weder Du noch ich, wie schwer Deine Verletzungen wirklich sind.

Ich wusste nur eins: dass ich eine unglaubliche Angst hatte, Dich zu verlieren.

Eine unglaubliche Angst, Dir nie sagen zu können, was ich erst erkannt habe, als es fast zu spät war ...

Ich liebe Dich, Woody.

Und DESWEGEN habe ich es Dir gesagt.

Aus keinem anderen Grund.

Warum hätte ich Mitleid mit Dir haben sollen?

Die Ärztin hatte uns noch keinerlei Diagnosen und Prognosen geben können ...

Liebe Güte, ich weiß doch, dass der Satz „Wir können noch nichts genaues sagen, den Rest sehen wir während der OP“ alles bedeuten kann zwischen null und hundert Prozent.

Was denkst Du eigentlich, was ich zwischen 1989 und 1995 gemacht habe? Müll gefahren oder Medizin studiert?

Ich weiß, dass Du mir nicht mehr trauen kannst, weil ich schon zu oft im entscheidenden Augenblick die Flucht ergriffen hast, und ich akzeptiere Deine Zweifel.

Und ich versuche zu akzeptieren, dass Du gerade jetzt das tust, was ich in den letzten fünf Jahre wohl zu oft getan habe, denn ich verstehe, wie sich mein Geständnis für Dich angehört haben muss ...

Aber heute läufst Du davon, heute ergreifst Du die Flucht.

Und ich will Dich nicht als Freund verlieren. Denn ich brauche Dich. Als Freund – auch als Freund.

Du hast jeden meiner Fluchtversuche akzeptiert, und bist trotzdem als Freund bei mir geblieben.

Akzeptierst Du jetzt auch, wenn ich jetzt Dein Freund bleiben möchte?

Egal, was morgen bei der Operation geschehen mag, ich werde Dich immer lieben. Das weiß ich jetzt.

Meine Gedanken sind morgen nur bei Dir.

Aber ich verspreche, dass ich Deine Entscheidung akzeptieren werde, egal wie sie ausfällt. Ob Freund, ob Liebe, oder ob ich Dein Leben verlassen soll ... ich werde es tun.

In Liebe,

Jordan

PS:

Du musst auf diesen Brief nicht antworten, wenn Du nicht möchtest. Ich habe ihn geschrieben, ohne dass Du es verlangt hast, und ich werde merken, was Du dazu zu sagen hast ... früher oder später.

Aber denke darüber nach.

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Lustig heute wollte ich mal schnell mein Feedback zum Prolog abgeben und schwupps war schon der neue Teil da..

Also der Prolog ist soooo schön Gänsehaut... und traurig zu gleich. Ich hatte es schon auf fanfiction.net gelesen, nur bisher keine Zeit gefunden was zu schreiben.

Der neue Teil ist auch schön, auch wenn ich ja mit Woody/Jordan nicht viel anfangen kann Jedenfalls nicht so sehr in FFs :D. Und auch wenn das Briefeschreiben wohl eher Lilys Sache ist, sind Jordans Worte richtig gewählt.

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

War ich zu schnell??

Freut mich, wenn es Dir bis jetzt gefällt ... Danke!!!

Der Brief ist auch nur eine "einmalige" Angelegenheit, weil Jordan ja nicht auf Intensiv vorgelassen wurde ... es geht jetzt auch "normal" weiter.

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

lol nein, ich wohl eher zu langsam.

Fein, dann bin ich ja mal gespannt, wie du den beiden weiterhin das Herz brichst *g*

(mel)


Jordan: "You're not really gonna put me on a leash are ya?"
Garret: "You'd only chew through it." (--5.04)

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Jetzt geht´s weiter:

Kapitel 2


Verdammt!

Warum muss eigentlich immer dann der Wecker klingeln, wenn man nach einer halb durchwachten, einer halb mit Albträumen verbrachten Nacht endlich, endlich eingeschlafen ist?

Es war definitiv einer der schlimmsten Nächte ihres Lebens gewesen.
Nichts hatte geholfen, keine der üblichen Hausmittel, keine der üblichen Ablenkungen, Arbeit, Musik, Bücher, Fernsehen, nichts.

Selbst wenn Jordan Cavanaugh bisher ein Leben geführt hatte, dass zumindest ihr selber nur aus Problemen zu bestehen schien …

Noch nie hatte sie sich so alleine gefühlt wie heute.
Nein: bisher wollte sie sich immer alleine fühlen.
Heute … heute fühlte sie sich nicht alleine. Sie fühlte sich einsam.

Verdammt noch einmal, natürlich hatte sie nicht erwartet, dass Woody sofort auf ihren Brief antworten würde.
Nicht gestern Abend, nicht heute Nacht.

Auch wenn die Nachtschwester ihr versprochen hatte, Woody den Brief noch auszuhändigen: selbst wenn er den Brief gelesen hatte, wäre es ihm gar nicht möglich gewesen, zu reagieren - auf der Intensivstation, wahrscheinlich mit einer entsprechenden Prämedikation im Blut für den heutigen Eingriff … selbst wenn er gewollt hätte, hätte er nicht antworten können.

Jordan wusste auf einmal nicht mehr, warum sie diesen Brief überhaupt geschrieben hatte.

Auch heute würde er nicht antworten.
Es war die erste Operation des heutigen Tages.

In einer Stunde.
In einer Stunde würde eine Horde Chirurgen dem Mann, den sie liebte, eine Kugel aus dem Spinalkanal herausoperieren …
In einer Stunde.

Auch heute würde er nicht antworten.

Natürlich nicht.
Wenn er heute überhaupt schon extubiert werden würde. Wahrscheinlich erst morgen.
Warum hatte sie den Arzt nicht danach gefragt? Und warum … durfte sie nicht dort sein?

Nein: Vor morgen, vor übermorgen brauchte sie mit keinerlei Antwort zu rechnen.

Verdammt.

Jordan gab sich einen Ruck, erhob sich und ging, eine schöne, kalte Dusche zu nehmen.

Aber wenigstens wusste er nun, was sie dachte …
Was sie fühlte …
Wusste sie überhaupt, was sie fühlte?

Ja, sie wusste es.
Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie es.
Sie wusste es seit dem Moment, als die kalte Hand nach ihrem Herzen gegriffen hatte, seit dem Augenblick, als sie an ihrem Telefon die Worte gehört hatte: „Woody ist angeschossen worden.“

Warum konnte sie nicht einfach davonlaufen, so wie früher, so wie immer, warum konnte sie nicht einfach davonlaufen vor ihren Gefühlen?

Weil sie keine Möglichkeit hatte, zu fliehen.
Sie konnte jetzt nicht fliehen wie sonst, sie konnte nicht fliehen, weil sie nicht wusste, wovor … denn diesmal … war es umgekehrt. Diesmal war Woody vor ihr geflohen.

Vor was soll man flüchten, wenn man schon alleine ist?

Normalerweise hätte sie sich jetzt in ihre Arbeit geflüchtet - die sicherste, die von ihr am öftesten erprobtest Form der Flucht.
Normalerweise.
Aber heute?
Was erwartete sie verdammt noch mal heute?

Garret …
Garret war fort.

Und das … sogar … mit Recht.
Slokum hatte gewonnen.

Es erwartete sie ein Institut, das nicht als Zufluchtsort geeignet war.
Es erwartete sie ein überorganisiertes, todrationalisiertes Institut.

Versteinerte Mitarbeiter.

Ein Nigel, der um seine Haare kämpfte und eine Lilly, die dagegen kämpfen musste, als Sekretärin missbraucht zu werden.
Warum ließ Lilly sich das nur gefallen?
Sie war schon immer viel zu nett gewesen …

Aber: sie ließen sich alle zuviel gefallen.
Nicht nur Lilly, nein, sie alle, das gesamte Institut.
Sie hätten mehr für Garret kämpfen können.
Wenn Garret es zugelassen hätte.
Wenn Slokum nicht Recht gehabt hätte …

Aber: Slokum hatte gewonnen.

Und ihnen allen würde nichts anderes übrig bleiben, als damit zu leben.

Sofort nach seinem ersten Auftritt hatte Slocum angefangen, das zu ändern, was bisher das Institut ausgemacht hatte: lauter liebenswerte, teilweise chaotische, aber in der Gemeinschaft unschlagbare Individuen wurden … angepasst.

Aus einem Haufen einzelner Genies wurde ein „Team geformt“.
Aus einer Familie war eine Arbeitsstätte geworden.

Effektiver?
Nein, nicht unbedingt. Nur anders.

Motivierender?
Bestimmt nicht.

Ein Zufluchtsort?
NIEMALS!

Am Liebsten wäre Jordan heute nicht arbeiten gegangen.

Dieses Gefühl … hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben.

Ausgerechnet Doktor Jordan Cavanaugh, Workaholic, Arbeitstier, die Gerichtsmedizinerin, die mit Wut und Engagement kämpfte, die keine Ruhe gab, ehe sie Erfolg hatte, die sich in ein Problem verbeißen konnte wie ein Löwe, ehrgeizig, nicht auf ihre Person, sondern auf den Fall bezogen … ausgerechnet diese Jordan Cavanaugh hatte keine Lust, arbeiten zu gehen.

Ob es daran lag, dass sie sich besser gefühlt hätte, wenn sie jetzt statt arbeiten gehen zu müssen in der Klink wäre?
Sie schüttelte den Kopf.

Ob sie einfach in ein Flugzeug steigen sollte?
Ganz weit weg?

In diesem Augenblick klingelte das Telefon.

„Winston, Polizei Boston. Dr. Cavanaugh, wir haben eine weibliche Leiche gefunden. 42 Main Street, im 4. Stock. Wir wissen, dass sie im Moment … etwas anderes zu tun haben. Aber Dr. Slokum hat gesagt, wir sollen sie anfordern.“

Jordan schluckte.

Wieso dachte sich die Polizei, dass sie etwas anderes zu tun habe?
Wer dachte was?
Über sie?
Über Woody?
Und Slokum bestand darauf, dass sie kommt.
„Ich bin in 10 Minuten bei ihnen.“

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Hey ich find die geschichte richtig schön und bin schon gespannt wies weiter geht geht doch weiter oder?

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Danke!!! *freu* Doch, es geht bald weiter ...

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Vielen Dank Nici Cavanaugh für das Lösen eines gedanklichen Knotens und für das Entdecken meiner Fehler!

Kapitel 3


Der Vormittag war wie ein Film an Jordan vorbei gezogen.

Die betonte Rücksichtnahme der Polizisten hatte sie nervös gemacht, und so hatte sie so schnell wie möglich ihre Untersuchungen abgeschlossen, um in ihr Büro zurückzukehren.

Den ganzen Morgen war es ihr fast unwirklich erschienen,als sie am Tatort ihre ersten Untersuchungen durchgeführt hatte.

Sie konnte das unbewusste Gefühl nicht loswerden, dass alles so sei wie immer.
Nein: sie konnte nicht loswerden, unbewusst darauf zu warten, wie immer gleich Woodys Stimme zu hören. Woodys Gegenwart zu spüren.

Woody, der heute nicht einfach plötzlich hinter ihr stehen und mit ihr plänkeln würde.

Woody, der jetzt gerade irgendwo in diesem riesigen verdammten Krankenhaus in einem OP – Saal auf dem Rücken lag, überstreckt, mit ausgelagerten Armen, von grünen Tüchern bedeckt, intubiert, narkotisiert, mit einer Horde Chirurgen, die gerade ...

Jordan brach den Gedanken ab.

Das war ein Teil ihres Studiums gewesen, der sie immer entsetzt hatte ...

Diese Hilflosigkeit der Patienten den Chirurgen, den Anästhesisten, den Intensivstationen gegenüber ...

Lebende Menschen, die von der Medizin auf ihre rein körperlichen Funktionen reduziert wurden, sediert, schlafen gelegt.
Natürlich, um ihnen zu helfen, natürlich, um sie zu retten ... um sie zu operieren, um in ihren Körper einzugreifen, den Körper zu verändern, wie auch immer, zu retten ...

Aber ... so ... hilflos. Ausgeliefert. Würdelos.

Besser ein toter Patient, bei dem man die Ursache des Todes finden kann, als immer nur ... Menschen in diesem schrecklichen Zustand betreuen zu müssen.

Woody ...

Sie versuchte, ihre Gedanken auf den Fall zu konzentrieren.

Leiche, weiblich, 32 Jahre, in ihrer eigenen Wohnung ohne äußere Verletzungszeichen tot aufgefunden.
Laut Angaben des Ehemanns keine Vorerkrankungen.
Zu jung zum Sterben ...

Augenscheinlich dachten alle, sie und Woody seien ein Paar ...

Was, wenn sie ahnen würden, was wirklich war, wenn sie jetzt, später, irgendwann ... sehen, was wirklich passiert ist?
Keiner der Truppe würde dann anschließend auch nur ein Wort mit ihr wechseln.
Egal.

Nun saß sie an ihrem Schreibtisch und sortierte Akten Eck auf Eck. Blieb im Kreis ihrer Gedanken hängen, stand auf, holte sich einen Kaffee.

Stolperte unterwegs über Nigel, der mit diesem gewissen geistlosen Gesichtsausdruck vor seinem PC saß, den er immer hatte, wenn er etwas Neues ausprobierte. Und wie immer war er natürlich trotzdem sofort bereit, seine Arbeit zu unterbrechen, um von seiner Neuentdeckung zu erzählen. „He, Jordan, schau doch einmal, das Zimmer der Main Street ... Slokum hat hier ein Programm entdeckt, mit dem man ...“ Jordans Gesichtsausdruck ließ ihn verstummen.

Sie hatte weder Lust, sich mit Nigel zu unterhalten, noch wollte sie hören, welch tolle Neuerungen Slokum heute vorgestellt hatte – selbst wenn es den aktuellen Fall betraf, und so kehrte sie an ihrem Schreibtisch zurück.

Merkte Nigel eigentlich, wie er sich von Slokum beeindrucken ließ, nur weil er durch Zufall ähnliche Interessen für PC – Spielereien hatte?

Dreimal hatte sie in der Klinik angerufen, dreimal war ihr betont geduldig erklärt worden, dass man telefonisch keine Auskünfte gäbe.

Sie ordnete gerade den dritten Stapel, ohne die Worte auf den Papieren wahr zu nehmen, als Slokum herein kam. „Was ist Ihre Meinung zu dem Fall von heute früh?“ Jordan schreckte aus ihren Gedanken auf.

Berichtete kurz, dass bei der jungen Frau ein ausgedehnter Infarkt im Bereich der Herzhinterwand bestanden habe, sonst nichts außergewöhnliches.
„Plötzlicher Herztod“ als natürliche Todesursache ... aber sonst kein Anzeichen von Vorerkrankungen, kein Anzeichen von Risikofaktoren, die eine so junge Frau für einen Herzinfarkt prädisponiert hätten. Keine Zeichen einer chronischen Durchblutungsstörung, keine Zeichen eines Bluthochdrucks. Keinerlei sonstige Erkrankungen der Gefäße. Und dass sie deshalb sicherheitshalber noch das Tox – Gutachten abwarten wolle.

Slokum hob eine Augenbraue.

„Sie sind sich ganz sicher, dass Sie nichts übersehen haben? Kommen Sie, wir begutachten noch einmal gemeinsam die Leiche.“ Und im Herhausgehen fügte er noch hinzu: „Sicherheitshalber sehe ich mir vor allem noch einmal selber das Gehirn an. Typische Hypertoniezeichen werden ja gerne mal übersehen ...“

Sprachlos starrte Jordan ihm ein paar Sekunden hinterher, bevor sie sich erhob.

Arschloch.

Was bildete sich dieser ... unglaublich hochnäsige Mistkerl eigentlich ein?
Für was hielt er sie? Eine Anfängerin?
Eine schlampige Gutachterin?

Slokum hatte sich umgedreht, um zu sehen, ob sie ihm folgte.

Betont langsam erhob sich Jordan, und auch als ihr Lilly entgegenkam, die ihr leise zuzischte: „Wenn er mich noch eine Akte suchen lässt, bringe ich ihn um“, besserte ihre Laune nicht wesentlich.

Und während Slokum, leise vor sich hin dozierend, ein zweites Mal Proben aus den Marklagern des Hirns entnahm, um sie auf Zeichen einer Hypertonie zu untersuchen, sah sie ihm über die Schulter ...

Währenddessen wiederholte sich ein bizzarer Satz in ihren Gedanken immer wieder – ein Satz, der sie fast zum Lachen brachte, so traurig fühlte sie sich.

„Ich darf ihn jetzt nicht erschlagen, sonst komme ich heute Abend zu spät in die Klinik, und die Besuchszeiten auf der Intensivstation sind vorbei.“

Sie lächelte und nahm die entnommen Proben ihres neuen Chefs entgegen.

Wenigstens verging auf diese Weise die Zeit.

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Die Geschichte wird ja immer schöner und auch spannender weiter so !!!

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Danke :D.

Hoffentlich gefällt Euch auch das nächste Kapitel ... es hat ein bisschen länger gedauert und ist dafür ein bisschen kürzer ...

Re: "Denn nichts bleibt, wie es war ..."

Ich weiß, ich habe wieder mal etwas länger gebraucht ... aber ich hoffe, Euch gefällt das Kapitel trotzdem.

Das Kapitel ist nicht betagelesen, deswegen entschuldige ich mich schon mal für die Fehler, die Ihr findet ;-).

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Es war schon spät am Abend, aber Jordan würde noch lange nicht nach Hause gehen können.

Nicht dass sie wirklich soviel Arbeit gehabt hätte ...

Slokum mit seinem unausstehlichen Kontrollzwang hatte zwei Stunden zuvor mit ihr die letzten Untersuchungen gemeinsam abgeschlossen.

Nein, auch er hatte keine Zeichen der arteriellen Hypertonie im Hirn der jungen Frau gefunden.
Natürlich nicht – sie hätte ihre rechte Hand darauf verwettet.

Trotzdem hatte Jordan seine fast körperlich greifbare Genugtuung gespürt, als er mit einem hämischen Grinsen ihre Ergebnisse kontrollierte.
Das ungute Gefühl beschlich sie, diesem Mann ginge es nicht um die Frage, wer Recht hat, sondern einfach um die Möglichkeit, sie zu ärgern.
Ihr Zeit zu nehmen.
Sie ... zu kontrollieren.
Ihr zu zeigen, was er von ihren Fähigkeiten hielt.


Vielleicht hätte sie ihn beim Mikroskopieren nicht fragen sollen, ob sie seine Brille suchen gehen solle.

Shit.

Aber es hatte ihr zumindest kurzfristig Erleichterung verschafft.

Wie auch immer, jetzt arbeitete sie die Papiere auf, die durch das doppelte Aufarbeiten des Hirns der letzten Leiche liegen geblieben waren.

Sie hatte es nicht eilig ...

Solange sie arbeitete, musste sie nicht nach Hause.
Solange sie arbeitete, musste sie nicht nachdenken.
Solange sie arbeitete, dachte sie nicht an Woody ...

Sie griff nach dem Telefonhörer.

„Jordan Cavanaugh, könnte ich bitte Dr. Tan sprechen?“ Der Arzt, der heute abend und bis in die Nacht Dienst hatte, war ein Studienkollege von ihr, wie sie beide festgestellt hatten.

„Jordan, ich verstehe ja, dass du dir Sorgen machst, aber es hat sich in der letzen halben Stunde nichts geändert. Wir werden ihn erst morgen langsam wach werden lassen und frühestens morgen Abend extubieren, und solange er es uns nicht erlaubt, darf ich dir sowieso nicht mehr sagen als das – und eigentlich noch nicht einmal das.“ – „Es ist schon länger her als eine halbe Stunde, das ich angerufen habe ...“ Der schwache Versuch, sich zu rechtfertigen und vom Thema abzulenken, wurde abgeschmettert. „Jordan, es sind exakt 35 Minuten, glaub mir. Und davor waren es 45 Minuten. Und davor ungefähr eine Stunde. Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, aber ich bin heute alleine im Dienst und ...“ Jordan stieß ein wenig Luft aus, so als ob sie lachte, entschuldigte sich und hängte den Hörer auf. Was blieb sonst zu tun?

Slokum.

Richtig.

Sie könnte die Papiere fertig machen. Jetzt, später, notfalls die ganze Nacht ... wenn sie nur nicht wieder eine Nacht wie die letzte erleben musste. Nein, lieber hier im Institut bleiben und arbeiten ...

Zumal sie nicht die einzige war, die noch an ihrem Schreibtisch saß ...

Nigel saß mit anbetendem Gesicht vor seinem PC und spielte mit dem neuen Programm.

Merkte er denn nicht, dass er damit Garret in den Rücken fiel?

Obwohl eine kleine, ketzerische Stimme tief in Jordan wusste, dass ein Computerprogramm nichts mit einer Freundschaft zu tun hatte, war sie in ihrem Inneren enttäuscht über diesen Verrat.
Sie goss eine Tasse Tee und eine Tasse Kaffee ein und ging zu ihrem Kollegen hinüber.

Erstens war es besser, über solche Dinge gleich zu reden, als zu warten, bis sich die Wut angehäuft hat.
Zweitens war Nigel jemand, mit dem man sprechen konnte.
Und drittens konnte sie sich sowieso nicht auf ihre Arbeit konzentrieren, und die einzige Alternative zu einem Gespräch mit Nigel wäre ein Anruf bei Dr. Tan gewesen.

Also.


Nigel sah auf, als Jordan die Tasse mit der heißen, dampfenden Flüssigkeit auf seinen Schreibtisch stellte.

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf.

„Noch nichts neues von Woody, Luv?“ Jordan schüttelte den Kopf.

Nigel wusste ohne zu fragen, was Jordan brauchte: Small talk, sich nicht über Woody unterhalten müssen – Ablenkung. Er nickte zu seinem PC. „Das Programm ist schon klasse ...“

Aber als Jordan hier ansetzten und ihn unterbrechen wollte, um auf Garret und Slokum zu sprechen zu kommen, winkte er schon ab.
„Aber man kann sich ja alles hier in diesem Laden vermiesen lassen. Slokum hat mir bis morgen Abend eine Frist gesetzt, die Daten aus dem alten Programm in das neue umzuschreiben. Hat er eine Vorstellung, wann und wie ich das machen soll? Bin ich sein Sekretär?“
Beide lachten, und beide sagten wie aus einem Mund: „Nein, das ist doch Lily ...“

Es tat gut, einfach mit Nigel zusammenzusitzen. Jordan hatte sich auf einem Sessel niedergelassen und zog die Beine an sich, die Knie mit den Armen umschlungen.

Es tat gut, zu merken, dass Nigel doch auf ihrer Seite stand. Nein: auf Garrets Seite stand.

Und es tat gut, einfach zu lachen und ... auch zu lästern.

Nigel fuhr fort. „Kannst du dir vorstellen, dass er außerdem schon wieder verlangt hat, dass ich meine Haare schneiden soll – und zwar auch bis morgen Abend? Denkt dieser Mann, ich kann mich klonen?“ – „Vielleicht solltest du den Laptop mit zum Friseur nehmen.“ – „Oder einen Friseur hierher bestellen.“ – „Aber dann würde Slokum doch selber Gefahr laufen, seine restlichen paar Haare zu verlieren.“ Wieder lachten beide.

Nigel grinste. „Weißt du was? Du kennst doch Agatha Christie. Wir machen es wie bei Poirots Mord im Orientexpress – jeder darf einmal zustechen und wir geben uns dafür zum Ausgleich alle gegenseitig ein Alibi, was meinst du?“

Jordan schüttelte den Kopf, lachte. „Weißt du was? Ich helfe dir schnell beim Übertragen der Dateien ...“ Plötzlich wurde Nigel wieder ernst. „Du kannst nicht nach Hause gehen, stimmt´s? Komm, Luv, nimm hier den Stapel CDs und am besten ziehst Du die Dateien als Umweg über eine Wordsdatei in das andere Programm, wenn Du sie direkt kopierst, steigt dir der PC aus. Komm her, ich zeige es dir.“