"Crossing Jordan" - Forum - Fanfiction crossing Jordan

The Something Untold Series: Kapitel 1: Someone new

The Something Untold Series: Kapitel 1: Someone new

Kapitel 1: Someone new (Teil 1)
Autor: Funny
FSK: ab 16
Genre: Action, Spannung
Spoiler: Für Season 1 und den Anfang von Season 2
Charaktere/Pairing: Jordan/OC, Woody, Garret
Inhalt: Jordan bekommt eine neue Nachbarin und bearbeitet den Tod einer Frau
Disclaimer: Alle Charaktere von Crossing Jordan gehören Tim Kring, NBC, etc. Die OC's wie Abby Morrisen und Tony Chapman, sowie die Story gehören zu mir
Bemerkungen: Das ist der Anfang einer Serie, die ich gerade schreibe. Ich werde dabei versuchen, sie soweit möglich in den Kanon zu integrieren, aber es wird Abweichungen geben und sehr viel später in ein AU umschwenken. Zudem gebe ich jetzt schon mal die Warnung dafür, dass in späteren Kapiteln Slash vorkommen wird.




Jordan kam erst nach Hause als es schon wieder hell war. Garret hatte angeordnet, dass die Autopsie des Mannes noch zu Ende gebracht wurde, bevor sie ihren freien Tag bekam. Der-selbige war nun schon angebrochen und Jordan war hundemüde. Nach einer frustrierenden Autofahrt durch den gestauten Berufsverkehr, schien das Bett endlich in greifbare Nähe gerückt zu sein. Missmutig stieg sie die Stufen empor, um in ihrem Stockwerk angelangt einen weiteren Grund für schlechte Laune zu sehen: Der ganze Flur war zugestellt mit Kartons, Farbeimern, Möbeln und aus der offenen Tür des Apartments 312, Jordans gegenüberliegende Nachbarwohnung, ragten einige lange Holzeinzelteile in den Weg hinein. Sie blickte auf das Chaos und versuchte gerade sich einen Weg zu ihrer Türe zu bahnen, als jemand aus der 312 heraustrat und die Pathologin freundlich anlächelte: „Guten Morgen. Sie sind wohl ein Frühaufsteher wenn Sie schon zu solch einer Uhrzeit unterwegs waren.“

Die Frau war für Jordans augenblickliche Laune etwas zu forsch, ebenso ihre ungewöhnliche Erscheinung. Sie trug ein T-Shirt, eine blaue Latzhose, in deren Taschen sich unterschiedliche Werkzeuge befanden und die mit lauter Farbklecksen verziert war. Ihr langes, mittelblondes Haar trug sie als Pferdeschwanz um es davon abzuhalten ihr ins Gesicht zu fallen. Diese Person musste, da sie in ihrer Kleidung einen professionellen Eindruck machte, wohl beruflich Umzüge organisieren. Jordan hatte in den letzten Tagen nicht viel mitbekommen was in ihrem Haus vorging, aber da in Boston oft die Wohnungen gewechselt wurden, war es schon normal, dass eine freie Wohnung ganz schnell einen Nachmieter hatte.
„Eigentlich komme ich gerade von der Arbeit und würde gerne in mein Bett.“, antwortete Jordan auf ihre Türe zeigend. Die Frau nicke, machte ein paar Schritte auf die Dunkelblonde, deren Haare einem fast als schwarz erschienen, zu und räumte einige Dinge aus dem Weg um den Zugang zum Apartment zu ermöglichen.

„Entschuldigen Sie, ich dachte, je früher ich anfange, umso geringer ist das Risiko jemanden mit den Sachen zu behindern.“

„Ist schon gut, aber seien Sie möglichst leise. Ich möchte gerne schlafen. Ich nehme an Ihrer Firma lässt nur Leute die besonders ruhig sind zu solch einer Urzeit Umzüge durchführen. Und sagen Sie das auch Ihren Kollegen, sonst beschwere ich mich nicht nur bei Ihrem Chef, sondern auch bei Ihrem Auftraggeber!“ Mit diesen Worten schloss Jordan ihre Türe auf und verschwand in ihren eigenen vier Wänden. Die Frau blickte verwundert auf die rote Tür mit der Nummer 311. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Eine Augenbraue bewegte sich Richtung Haaransatz als sie das Gespräch Revue passieren lies. Doch dann verstand sie das Missverständnis, dem ihre schöne Nachbarin erlegen war und lächelte kopfschüttelnd vor sich hin, als sie ihre Arbeit wieder fortsetzte.

XXX

Jordan genoss erst einmal eine heiße Dusch und krabbelte anschließend zufrieden in ihr Bett. Sie war gerade kurz davor einzuschlafen, als sie ein dumpfes Rumoren hörte, was eindeutig von Möbelrücken stammte. Dies war aber auch sofort wieder verstummt. Dafür wurde es erst durch ein Hämmern und danach durch das Sirren eines Akkuschraubers ersetzt. Das ganze hielt Jordan für eine halbe Stunde aus, da zwischendrin immer wieder Minuten der Stille eintraten. Danach platzte ihr der Kragen. Barfuss, nur in Top und Shorts tapste die Gerichtsmedizinerin quer über den Flur in die andere Wohnung hinüber und sah sich um. Dass mittlerweile das Chaos aus dem Flur bis auf einige Kartons die friedlich an der Wand lehnten verschwunden war, viel ihr nicht auf. Sie suchte nach jemandem, an dem sie ihren Unmut auslassen konnte und wurde, dem Lärm folgend, fündig. Die Frau stand gebückt im rechten Teil der Wohnung, der durch die Glaswand abgetrennt war, wandte Jordan ihren Po zu und drehte eifrig eine Schraube nach der nächsten mit dem Handbohrer in das Holz eines Bettgestells. Als sie nach einer neuen Schraube griff, räusperte sich Jordan: „Habe ich Sie nicht gebeten, leise zu arbeiten? Wie ist die Nummer ihres Chefs?“

Die Frau richtete sich auf und drehte sich um. „Also wenn es um den Umzug geht, dann gibt es keine Telefonnummer die ich Ihnen geben kann.“, schmunzelte diese. Nun war es Jordan die verwirrt guckte.

„Sie sind nicht von einem Umzugsunternehmen?“

„Nein.“, lachte die Frau. „Was hat Sie überhaupt auf den Gedanken gebracht?“

„Nun ja, Ihre Kleidung.“, gab Jordan zu und merkte in diesem Augenblick, wie dünn dieses Argument war. Doch die Frau, die ein paar Zentimeter kleiner war als die Pathologin schien das ganze mit Humor zu nehmen. Sie blickte an sich herunter.

„Ich sehe im Moment auch nicht gerade nach dem aus, was ich sonst tue. Und ich wollte Sie nicht absichtlich stören, aber es lässt sich nicht vermeiden, wenn man allein umzieht.“

„Ihnen hilft niemand dabei? Haben Sie keine Freunde oder Familie?“ Jordan war überrascht.

„Natürlich habe ich eine Familie, aber die wohnt in anderen Städten und meine Freunde habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Mein Beruf fordert sehr viel, da bleibt das Privatleben auf der Strecke.“ Diese Worte kamen Jordan vertrauter vor, als es ihr Gegenüber für möglich hielt.

„Möchten Sie vielleicht einen Kaffee, wenn ich Sie schon um den Schlaf bringe?“, fragte die Heimwerkerin und steuerte auf einen Korb im Küchenbereich zu. Diese Einladung nahm Jordan gerne an. Die kleine Frau zog aus dem Geflecht eine Thermoskanne und eine Tasse. Eine weitere entnahm sie einem Karton aus der Ecke des Raumes. Dann goss sie die schwarze Flüssigkeit ein und tafelte noch Zucker und Milch auf. Eine Dose gefüllt mit Keksen ergänzte das Bild. Es war zwar erst Frühstückszeit, so dass Kekse ziemlich ungewöhnlich waren, aber der Morgan war nach Jordans Ansicht schon seltsam genug, so dass man jetzt auch genauso gut Kekse essen konnte. Sie griff nach einem Stern, der mit einer Hälfte in Schokolade getaucht war. Die Frau hatte sich in der Zwischenzeit ihren Kaffee mit Milch und Zucker veredelt und genoss den ersten Schluck.

„Die sind verdammt lecker.“, sagte Jordan als sie nun auch nach ihrer Tasse griff.

„Selbstgebacken. Das ist eine heimliche Leidenschaft von mir.“

„Wohl nicht nur das. Jemand der allein umzieht, muss schon fast davon besessen sein, Dinge selbst zu machen.“, grinste die Dunkelhaarige.

„Vielen Dank für das Kompliment, Frau Nachbarin!“ Sie schien es nicht ernst zu nehmen, denn ein Lächeln umspielte ihre Wangen, auch als sie fortfuhr, „Aber mit wem habe ich eigentlich die Ehre? Dann weiß ich wenigstens wer hier Freundlichkeiten mit mir austauscht.“

‚Gut gekontert! Die Dame gefällt mir.’, dachte Jordan. „Mein Name ist Jordan Cavanaugh.“

„Abby Morrisen“, stellte sich die kleinere Frau vor und schüttelte Jordan die Hand.

„Ich finde wir können uns auch duzen, wenn wir uns schon so gut streiten können.“, schlug die Gerichtsmedizinerin vor. Abby nickte und die beiden Frauen tranken darauf mit Kaffee Brüderschaft.

„Du bist ja schon ganz schön weit mit dem Umzug, Abby.“, stellte Jordan fest als sie einen Blick durch die Wohnung schweifen ließ.

„Ja, die Möbel stehen fast alle, bis auf das Bett. Das muss ich noch zusammen bauen und dann noch die Kartons auspacken und die Koffer aus dem Auto holen.“ Sie unterhielten sich noch eine Weile weiter und zwischen einer zweiten Tasse Kaffee, schraubte die Heimwerkerin den Rest des Bettes zusammen. Doch schließlich übermannte Jordan die Müdigkeit und sie ging zurück in ihr Bett, wo sie sofort tief einschlief.

XXX

Als sie erwachte war es bereits später Nachmittag. Jordan schlüpfte in einige bequeme Sachen und richtete das Bett. Einige Minuten später klopfte es an ihrer Wohnungstüre. Als diese den Blick auf den Besucher freigab, erkannte die Gerichtsmedizinerin ihre neue Nachbarin.

„Hallo! Ich war gerade einkaufen und wollte fragen, ob du Lust hättest mir später beim Abendessen Gesellschaft zu leisten.“, lächelte Abby, die eine braune Tüte auf dem Arm trug.

„Gerne. Kann ich vielleicht beim Kochen helfen?“, fragte Jordan, die trotz allem von der Einladung etwas überrascht war. In den Augen der kleineren Frau blitzte es erfreut auf.

„Wunderbar! Zu zweit macht das gleich doppelt soviel Spass! Du kannst gleich mit rüber kommen wenn du möchtest.“ Jordan schloss sogleich ihre Türe von außen und betrat die Wohnung Nummer 312.

Ein kleines Wunder war hier indessen geschehen. Die Wohnung war fertig eingerichtet und geputzt. Ihr erster Blick viel auf das gemütliche Zweiersofa in einem einladenden Blauton, welches in der hinteren rechten Ecke stand. Vor ihm hatte ein kleiner Beistelltisch seinen Platz gefunden. Als Jordans Blicke durch die Glaswand schweifte, sah sie das große Bett aus hellem Holz. Als Jordan sich neugierig weiter umschaute, bemerkte sie eine große, helle Schrankwand, die Platz für unzählige Kleider bieten musste. Jedoch wirkte durch das ganze Mobiliar der Raum nicht klein und beengt, sondern groß und geräumig. Eine Besonderheit viel ihr noch auf. Über dem Bett hingen große Stofftücher aus seidigem Material in blau, orange und rot. Es erschien wie eine Art Betthimmel. Jordan gefiel das. Beim Rückweg in die Küche, bemerkte sie noch in der Nähe des Sofas ein kleines rollbares Tischchen, auf dem sich ein Fernseher befand und in dessen Nähe eine kleine Stereoanlage. Neben der Eingangstüre stand eine kleine schmale Kommode auf der man seine Schlüssel und andere Kleinigkeiten sofort ablegen oder in einer der Schubladen verstauen konnte. Daneben befand sich der Garderobenständer, an deren Hacken Abby ihre Jacken platziert hatte. Sie räumte nun in der Küche das letzte Küchenzubehör in die Schränke. Die Pathologin stand einige Minuten im Raum und schaute Abby zu. Sie beobachtete ihre Bewegungen, wie ihre Muskulatur arbeitete.

Abby merkte nach kurzer Zeit, dass Jordans Blicke auf ihr ruhten und drehte sich um: „Gefällt dir, was du siehst?“

Die Überraschung über die direkte Frage stand Jordan im Gesicht geschrieben. „Ich…ähm…ich bin fasziniert von deiner Kondition. Du scheinst noch kein bisschen müde zu sein.“ Das war aber nicht die ganze Wahrheit. Abbys Körperbau hatte nicht unwesentlich zu der Faszination beigetragen. Ein unbehagliches Gefühl über diese Erkenntnis breitete sich in Jordans Magengegend aus. Die kleine Frau zog amüsiert die rechte Augenbraue hoch und grinste.

„Ich wollte eigentlich wissen, ob dir die Einrichtung gefällt, aber das Kompliment nehme ich auch gerne.“

Erleichterung zeigte sich in den Zügen der Pathologin und Jordan glaubte, man hätte den Stein von ihrem Herzen fallen hören können. “Die ist auch sehr schön.“, brachte sie schließlich hervor. Um die Situation wieder zu normalisieren wechselte sie das Thema: „Was machst du eigentlich beruflich?“

„Ich arbeite bei ner Bank als Anlageberaterin. Warum fragst du?“

„Ich bin von Berufswegen neugierig.“

„Bist du etwa ein Cop?“, fragte Abby und musterte Jordan sehr aufmerksam. Diese schüttelte den Kopf.

„Nah dran, ich bin Gerichtsmedizinerin.“

„Du siehst auch nicht wie ein Cop aus. Mediziner passt da schon besser.“, stellte Abby nickend fest.

„Ordnest du immer Menschen die du triffst einer Berufsgruppe zu? Wie sieht denn deiner Meinung nach ein Cop aus?“

„Hm, das ist schwer zu sagen, aber irgendwie hat jeder Angehörige einer Berufsgruppe eine bestimmte Ausstrahlung. Meist nimmt man sie nur unbewusst war, da man darauf nicht achtet. Schaut man aber genau hin, dann bemerkt man, dass es unterschiede gibt. Nur ist das schwer zu erklären, man muss selbst seine Erfahrungen machen und darauf achten.“ Diese Erklärungen stellten Jordans Wissenschaftsgeist keinesfalls zufrieden, aber sie merkte, dass sie von Abby nicht mehr zu diesem Thema erfahren würde. Trotzdem nahm sie das ernst und blickte die Bankerin mit gespannten Augen an. Ihre Ausstrahlung war eigentlich sehr offen, aber es gab da etwas, was ihr einen geheimnisvollen Touch gab. Sie wusste nicht was das war, nahm sich aber fest vor dies herauszufinden.

„Sag mal, treibst du Sport?“ Die Neugierde trieb die dunkelhaarige dazu mehr von ihrem Gegenüber zu erfahren.

„Ja ich gehe jeden Tag joggen. Ich brauche Ausgleich von dem Job im Sitzen.“, gab Abby bereitwillig zu.

„Ich mache das auch. Wir können ja mal zusammen laufen, wenn du möchtest.“ So entstand eine Verabredung für den nächsten Tag und Jordan schaffte es im laufe des Abends noch einige Informationen aus ihrer Nachbarin herauszulocken. Abby arbeitete bei der Boston-Private-Bank, einer der größeren amerikanischen Privatbanken bei der sie hauptsächlich für die Beratung und Betreuung von Auslandskunden zuständig war. Deswegen wohl ihre gute Menschenkenntnis. Sie sprach viele Sprachen und reiste beruflich sehr viel und auch häufig spontan, je nachdem wie die Firma es für nötig erachtete, weswegen sie auch eine kleine Wohnung bevorzugte. Ihre Familie war weggezogen, aber Abby war ihrer Heimatstadt treu geblieben, da zum einen hier der Sitz ihres Arbeitsplatzes war und zum anderen war Boston der Ort in dem sie zu hause war. Am Ende dieses Abends kam es Jordan so vor, als hätte sie es geschafft einen Teil von Abbys Geheimnis zu lüften.

XXX

Im Laufe der nächsten Wochen lernten sich die beiden Frauen immer besser kennen und schätzen. Sie teilten den gleichen Humor und genossen die Gesellschaft der anderen.
Eines Abends klopfte es an Jordans Wohnungstür. Sie öffnete und Abby schlüpfte aufgeregt durch den ersten Türspalt.

„Ich muss dringend verreisen! In der Firma herrscht das totale Chaos; einige Aktien sind eingebrochen, weil der Ölhandel verrückt spielt. Alles wegen der Konflikte in Afghanistan. Und nun verlangen einige unserer größten Kunden eine sofortige Vor-Ort-Beratung.“ Abby rannte unruhig über das Parkett. Große Sorge zeigte sich in ihrem Gesicht.

„Nun atme erst mal tief durch. Das rängt sich schon wieder ein. Kann ich dir bei irgendwas helfen?“

Die Bankerin schloss die Augen um in Ruhe überlegen zu können. „Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du morgen in die Reinigung an der Ecke gehen würdest und meine Sachen abholst. Es ist schon alles bezahlt.“ Sie kramte in ihrer Handtasche und suchte den Abholschein.

Die Pathologin war verblüfft. „Ich meinte eigentlich, ob ich dir packen helfen soll, aber ich gehe auch in die Reinigung, wenn dir das hilft. Wann fliegst du denn?“

Abby hob den Kopf von den Tiefen ihrer Handtasche und zog den linken Ärmel ihres Bläsers zurück, um auf ihrer Uhr zu sehen. „Ach herje! In zwei Stunden geht der Flieger. In `ner halben Stunde holt mich ein Kollege ab. Und ich find den dummen Reinigungszettel nicht.“ Die kleinere Frau war sichtlich genervt. Sie fuhr sich durch die wallnussblonden Haare und zog den Wohnungsschlüssel aus ihrer Tasche. Sie stürmte aus der Türe nach gegenüber.
Jordan folgte ihr. Das erste was sie in der Nachbarwohnung sah, war dass die Handtasche direkt neben der Eingangstüre auf dem Boden landete und nicht auf dem kleinen Tisch, wie sonst üblich.

„Brauchst du Hilfe beim Packen?“, fragte Jordan unsicher. So aufgelöst hatte sie Abby noch nicht erlebt. Diese knöpfte gerade die Jacke ihres Hosenanzuges auf.

„Erstmal muss ich das Ding ausziehen. Macht mich im Moment ganz verrückt. Das kann ich jetzt überhaupt nicht brauchen!“ Als Abby auch noch ihre Schuhe ausgezogen und die Bluse weiter aufgeknöpft hatte, wurde sie ruhiger. Die kleine Frau fuhr sich noch einmal mit der Hand durch das Gesicht und ließ schließlich ihre Augen auf der anderen Frau ruhen. „Was hast du eben gesagt?“

„Ich wollte wissen, ob ich dir beim Packen helfen kann. Ist wirklich alles in Ordnung? So habe ich dich noch nie erlebt.“

„Ich bin nur im Moment ziemlich gestresst. Es geht den ganzen Tag schon drunter und drüber. Jetzt noch die Reise, obwohl ich müde genug bin um bis übermorgen schlafen zu können. Weißt du, in solchen Augenblicken frage ich mich, warum ich nicht nen anderen Beruf gewählt habe.“ Mit diesen Worten ging sie ins Schlafzimmer hinüber und setze sich erschöpft aufs Bett, den Kopf von den Handflächen verdeckt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Jordan ließ sich neben ihr nieder und legte den Arm um ihre neue Freundin. So zerbrechlich hatte sie die sonst so stark erscheinende Frau noch nie gesehen. Sie sagte nichts, rieb nur leicht über Abbys Rücken und war da. Jordan war nicht gut im Trösten, aber diese Art von Trost schien genau das zu sein, was ihre Nachbarin zu brauchen schien. Nach einigen Minuten richtete sich die Blondine auf. Sie blickte Jordan an, stand dann auf und ging zum Kleiderschrank. Links neben ihm stand ein kleiner Koffer, den sie öffnete. Als dieser seinen Inhalt Preis gab, staunte Dr. Cavanaugh nicht schlecht. Es war schon gepackt. Abby warf nur noch mal einen prüfen-den Blick hinein um den Inhalt zu kontrollieren.

„Du brauchst ja gar nicht mehr zu packen.“

„Nein, ich habe ihn immer gepackt. In solchen Fällen ist die Gefahr groß die Hälfte zu Hause zu vergessen. Das ist mir bei meinem ersten Spontanflug passiert und seit dem nie wieder.“ Zu frieden wurde das Gepäckstück wieder verschlossen und neben die Haustür gestellt. Die kleine Frau zog die oberste Schupplade der kleinen Kommode an der Tür auf und griff nach etwas. Ein rosafarbenes Stück Papier hielt sie Jordan hin.

„Der Abholschein der Reinigung.“, erklärte sie knapp. Die Gerichtsmedizinerin nickte und steckte den Zettel in die Hosentasche.

„Wann kommst du wieder?“

„In zwei Tagen.“ Sie sah zur Küchenuhr hinüber. „Ich muss gleich gehen.“

„Ich verstehe. Gute Reise.“ Jordan fühlte sich ein wenig hilflos. Sie war sich nicht sicher, wie es Abby gehen würde, wenn sie wieder allein war, trotz des momentan ruhigen Auftretens. Sie machte einen Schritt in Richtung Türe, doch als sie diese erreicht hatte, griff Abby nach ihrem Arm und stoppte die Bewegung. Die blonde Frau umarmte die Gerichtsmedizinerin und sagte: „Danke, dass du da warst, Jordan. Das hat mir sehr geholfen.“ Sie drückte die Dunkelhaarige noch einmal feste an sich und ließ sie dann langsam gehen.

„Ist wirklich alles in Ordnung?“

„Jetzt ja.“, nickte Abby. Als Jordan in ihre Augen blickte, sah sie wieder das gewohnt Strah-len in ihnen. Es schien tatsächlich alles in Ordnung zu sein und es fiel der Gerichtsmedizinerin leicht in ihre Wohnung zurückzukehren.

XXX

TBC


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Wenne Mittwoch überlebst is Donnerstag!

Re: The Something Untold Series: Kapitel 1: Someone new

Kapitel 1: Someone new (Teil 2)

Für den Disclaimer und alles andere: siehe oben




Jordan rauschte mit den Kleidern ihrer Nachbarin aus dem Aufzug in Richtung ihres Büros. Sie war spät dran und hoffte, dass Garret es noch nicht bemerkt hatte und falls doch, wenigs-tens gute Laune hatte.
Doch das Glück schien heute nicht mit ihr zu sein. Im Stuhl der Pathologin saß ein gar nicht fröhlicher Dr. Macy. Jordan lächelte trotzdem in der Hoffnung, so noch ein Wenig des großen Donnerwetters, das sie erwarten würde abmildern zu können.

„Garret, guten Morgen!“

„Gut ist überhaupt nichts! Jordan, ich dachte ich hätte mich vor ein paar Wochen klar ausgedrückt, als ich Sie wieder eingestellt habe, nach ihrem kleinen Rachefeldzug. Ich habe eine disziplinierte Arbeitsweise erwartet. Warum kommen Sie jetzt also über eine halbe Stunde zu spät?“ Sein Blick fiel auf die Kleider, die die Brünette auf ihrem Sofa sorgfältig niedergelegt hatte um sie vor Falten zu schützen. „Sie waren doch nicht etwa zum Shopping? Auch wenn ein neues Outfit bei Ihnen begrüßenswert wäre, aber nicht in der Dienstzeit!“

Jordan verdrehte die Augen. „Garret, die Sachen sind nicht von mir! Ich habe sie für meine Nachbarin aus der Reinigung geholt. Die musste nämlich plötzlich verreisen und hat mich darum gebeten.“

„Aha. Und warum machen Sie das nicht nach Feierabend?“, raunte der Chef der Gerichtsmedizin grimmig.

„Wenn ich hier raus komme, haben die meisten Läden immer schon zu.“, entgegnete Jordan kess.

„Dann sollten Sie nicht immer Ihre Nase in Dinge stecken die nicht zu Ihrem Aufgabenbereich gehören! Ich habe heute Morgen eine Beschwerde über Sie bekommen, von einem An-gehörigen in dem Fall Elisabeth Holms, ein Ron Derkins.“

Jordan nickte. „Das ist ihr Bruder.“

„Er war der Meinung, dass Sie, um es milde auszudrücken, Ihre Grenzen überschritten haben.“

„Garret, Sie wissen doch am besten, dass ich nicht anders kann als mich einzumischen, wenn es darum geht den richtigen Mörder zu finden. Und ich bin mir sicher, er war es.“

„Dann suchen Sie lieber die Beweise dafür, als Ihn auf offener Straße anzuschuldigen! Haben wir uns verstanden, Jordan? Ich will nicht immer die Wogen glätten müssen, die Sie aufgewirbelt haben. Der Kerl war kurz davor Sie anzuzeigen!“
Jordan schluckte. Ihr Boss war diesmal wirklich wütend auf sie. Darum gab die Pathologin auch nach und versicherte Garret die Sache auf dem dafür vorgesehenen Weg weiter zu verfolgen.

XXX

Die nächsten zwei Tage grübelte Dr. Cavanaugh über den Fall nach, doch das fehlende Puzzleteil kam ihr nicht in den Sinn. Sie hatte sich schließlich dazu entschlossen, die Unterlagen des Falles mit nach Hause zu nehmen, um dort weiter nachzudenken. Es war spät in der Nacht, als es an ihrer Tür klopfte.
Ein freundliches Gesicht lächelte ihr entgegen, als sie öffnete. „Abby, schön das du wieder da bist.“

„Das finde ich auch.“, bekräftigte Jordans Nachbarin. „ Ich hoffe, ich störe nicht, aber ich hab gesehen, dass noch Licht bei dir brennt und da dachte ich, ich frage noch schnell, ob du es geschafft hast, die Sachen aus der Reinigung zu holen. Ich bräuchte davon morgen was zum anziehen.“

Jordan machte eine einladende Handbewegung und führte die Dunkelblonde zu ihrer Couch hinüber, auf der diese es sich gemütlich machte. „Du störst nicht. Um ehrlich zu sein, ich habe noch an einem Fall gearbeitet.“ Die Brünette verzog das Gesicht. „Und um bei der Wahrheit zu bleiben, ich habe deine Sachen zwar schon gestern abgeholt, aber ich hab sie im Büro liegen lassen. Entschuldige bitte.“

Abby atmete tief ein und verdreht kurz die Augen. „Na ja, dann werden wir wohl morgen ganz früh zu dir ins Büro fahren müssen, um die Sachen abzuholen.“

Jordan machte ein entsetztes Gesicht. „Wie früh meinst du denn?“

„Also ich muss um acht im Büro sein, also mit hin und her fahren, müssten wir um sechs los.“, grinste sie.

„Du nimmst mich auf den Arm! Kannst du dich nicht im Büro umziehen?“

„Muss es nicht bestraft werden, wenn man seine Gedanken nicht beisammen hat?“ Abby grinste nun so verschmitzt, dass Jordan langsam am Ende ihrer Geduld angelangt war. Sie ließ sich neben der Bankerin auf das Sofa fallen und entgegnete in bestimmendem Ton: „Gut du ziehst dich in meinem Büro um, und damit basta!“ Eine Augenbraue hochziehend musterte Abby die schlanke Brünette neben ihr. Sie hatte das Gefühl, dass Jordan etwas bedrückte. Schließlich griff die kleinere Frau eines der Papiere die auf dem Boden vor der Couch verstreut waren und begann zu lesen.

„Ist das von dem Fall, den du eben erwähnt hast? Worum geht’s, vielleicht kann ich dir helfen.“

„Ich glaube nicht, dass du das kannst.“, entgegnete die Pathologin.

„Unterschätze mich lieber nicht. Ich habe viele verborgene Talente. Und ohne eine realistische Vorstellungsgabe ist es nicht möglich einen Aktienkurs auch nur im Entferntesten irgendjemandem zu empfehlen.“ Abbys herausfordernder Blick brachte Jordan dazu es mit ihrer Nachbarin einmal zu versuchen. Sie erklärte ihr kurz die Methode, mit der sie und ihr Vater sich immer in die Rollen von Täter und Opfer hineinversetzen und gab ihr einen Überblick über die Fakten des Falles:

Elisabeth Holms war drei Blocks von ihrer Wohnung entfernt in einer dunklen Seitenstraße gefunden worden. Sie war mit einem flachen Gegenstand erschlagen worden, einer Schaufel um genau zu sein. Diese hatte man zwei Straßen weiter in einer Mülltonne gefunden. Fingerabdrücke gab es nicht. Elisabeth lebte zur Zeit allein, ihr Mann war verstorben, keine Kinder, aber ein Lottogewinn vor einer Woche von 250.000 Dollar. Ihr Bruder hatte ein Alibi für die Tatzeit. Er sagte aus, am Abend mit seinen Kollegen einen trinken gegangen zu sein. Das haben diese zwar bestätigt, aber Ron hatte einen Berg Schulden. Also ein perfektes Motiv, da er Alleinerbe sein würde.

„Wer möchtest du sein, Opfer oder Täter?“, fragte Jordan.

Abby blickte von dem Foto in ihrer Hand zu ihr hinüber, trank noch einen Schluck Bier, welches man ihr inzwischen gereicht hatte und antwortete mit ernster Mine, „Ich bin Ron. Es ist dunkel. Ich warte in einem Hauseingang. In meiner Hand halte ich den Griff der Schaufel fest umklammert. Ich höre die Schritte deiner Absätze, gleich kommst du an mir vorbei. Ich hole aus und schlage mit voller kraft mit des Schaufel zu….“

„Nein, sie wurde von hinten niedergeschlagen.“

„Dann hat er eben gewartet, bis sie an ihm vorbeigegangen ist.“

„Und woher sollte er wissen, wann sie kommt und dass sie dort entlang geht? Ihre Freundin sagte, sie würde sonst immer diesen Block meiden und nie in diese Gegend freiwillig gehen.“

„Habt ihr die Telfonverbindungen überprüft?“

„Ja, sie und ihr Bruder haben das letzte Mal vor einer Woche miteinander gesprochen. Da hat sie ihn angerufen um von ihrem Gewinn zu erzählen.“

„Hast du eine Kopie der Telefonverbindungen da?“ Jordan zog ein Papier aus dem Haufen heraus und reichte es Abby. Diese studierte es eingehend.

„Da sind ja nur zwei Gespräche vom Tag ihres Todes, beides Anrufe. Einer am Vormittag und einer von elf Uhr nachts, sogar von einer Telefonzelle.“

„Der erste ist aus einem Dinner, der Besitzer konnte sich aber nicht erinnern, ob ihr Bruder an dem Tag da war oder nicht. Und in der Telefonzelle gab es auch keine Hinweise auf ihn.“

„Wo steht die Telefonzelle?“

„Kennedystreet.“

„Mhm. Was macht ihr Bruder beruflich?“

„Er ist Bauarbeiter.“

„Da hast du deinen fehlenden Mosaikstein. An der Kennedystreet ist, wenn ich mich nicht irre, eine Baustelle von so nem neuen Bürowolkenkratzer. Wenn die noch von seiner Firma gebaut wird, ist das die fehlende Verbindung.“

„Nur ist das noch nicht gerade ein wasserdichter Beweis.“

„Warum nicht? Morgens ruft er aus dem Dinner seine Schwester an und bittet sie in Geld, da er nicht mehr weiter weiß. Sie lehn ab ihm zu helfen. Sie streiten sich. Nach der Arbeit geht er vielleicht noch in einer Kneipe, nahe der Baustelle mit seinen Kollegen was trinken. Danach ist er auf dem Wag nach hause an der Telefonzelle vorbeigekommen und bittet seine Schwester ihn, betrunken wie er ist, abzuholen, da er nicht mehr weiß, wie er nach Hause kommt. Sie macht sich auf den Weg, da Blut bekanntlich dicker als Wasser ist. In der Zwischenzeit hat Ron sich an das Gespräch vom Vormittag erinnert. Als sie ankommt, ist er so wütend, dass er erst nicht mit ihr mitgehen will. Ron läuft weg in Richtung Baustelle. Elisabeth folgt ihm, sie ist in Sorge um ihn und redet beruhigend auf ihn ein. Er dreht sich um und scheit sie an. Es hört keiner etwas, da sie mitten auf der Baustelle sind. Sie streiten, Ron greift sich die Schaufel und ist so in Wut, dass er mit voller Wucht zuschlägt. Sie beginnt zu bluten und Ron weiß sofort, dass das seine Chance ist. Elisabeth darf nur niemand finden, sie würde verbluten und in der richtigen Straße abgelegt, würde es wie ein Überfall aussehen und kein Verdacht würde auf ihn fallen.“

„Diese Theorie hört sich plausibel an.“, nickte Jordan. Sie war erstaunt über Abbys Fähigkeit, sich in das Geschehen hineinzuversetzen. Im Vergleich zu den Fällen, die sie mit ihrem Vater löste war die kleine Frau mindestens genau so gut, ein Naturtalent. „Trotzdem, was ist mit Rons Alibi? Das passt irgendwie nicht. Also muss ich das erstmal Woody beibringen und auch noch einen Beweis für die Geschichte finden, die am besten auch noch das Alibi beseitigt.“

„Nun ja, dass ist schließlich deine Aufgabe, Jordan. Wer ist Woody?“ Die Pathologin erzählte Abby von ihren Erlebnissen mit dem Detective und beide merkten über den Erzählungen gar nicht, dass langsam der Morgen graute.

XXX

Nach einer Dusche und einem Frühstück mit extra starkem Kaffee machten sich die beiden Frauen auf den Weg zu Jordans Büro.

„Also, wo kann ich mich nun umziehen?“, fragte Abby.

„Ähm, am besten gleich hier.“, entgegnete die Gerichtsmedizinerin und begann die Jalosienen herunterzulassen. Abby zog kurz die Augenbrauen hoch und entgegnete in einem gleichgültigen Tonfall: „Von mir aus. Ich hoffe nur, die Türe lässt sich abschließen.“

„Ich werde draußen warten und aufpassen, dass niemand reinkommt.“

„Das erregt nur unnötige Aufmerksamkeit. Bleib lieber drin und stell dich einfach vor die Tür. Das ist genau so effektiv.“ Der befehlende Ton in der Stimme ihrer Nachbarin verhinderte, dass Jordan die Worte, welche ihr als erstes in den Sinn kamen, aussprach. Stattdessen, tat sie was ihr aufgetragen war. Um der anderen Frau genug Privatsphäre zu geben, drehte sich die Pathologin zur Tür, während die Mittelblonde sich auszog. Obwohl Jordan sich etwas komisch vorkam bei der ganzen Aktion konnte sie trotz allem nicht umhin, ihrer Neugierde stattzugeben und die andere Frau im Spiegel der Glasscheiben zu betrachten. Ihr viel dabei auf, dass Abby eine wohlgeformte Figur hatte und eine gut trainierte Muskulatur besaß. Sie war ganz vertieft in den Anblick, so dass ein Schreck in sie fuhr, als plötzlich jemand anklopfte und versuchte den Türknauf zu betätigen. Jordan warf sich gegen die Tür.

„Jordan, sind Sie da? Was ist den mit Ihrer Türe los? Ist alles in Ordnung?“ Die Medizinerin erkannte die besorgte Stimme ihres Chefs.

„Ja Garret, es ist alles ok. Ich kann Sie nur gerade nicht reinlassen.“ Jordan warf einen schnellen Blick über ihre Schulter und sah mit Erleichterung, dass Abby gerade die letzten Köpfe ihrer Bluse geschlossen hatte und nun in ihre Schuhe schlüpfte.

„Warum? Ich erwarte, dass Sie auf der Stelle die Tür aufmachen!“ Garret war total verwirrt und die Ungewissheit über die Situation machte ihn noch dazu unruhig. Da die Lage nun keine geschlossene Türe mehr erforderte, sprang Jordan einen Schritt zurück und machte den Weg für ihren Chef frei. Dieser stolperte nun durch das überraschende Weichen des Widerstandes ins Zimmer. Abby hatte gerade ihre anderen Sachen zusammengelegt und sah den Mann mit der Halbglatze an.

„Jordan, was geht hier vor?“, fragte Dr. Macy.

„Garret, darf ich vorstellen, dass ist Abby Morrisen, meine Nachbarin.“ Die Brünette deutet auf die andere Frau, die ruhig da stand, die Hände in den Taschen ihres Hosenanzugs, als wäre nichts geschehen. „Abby, das ist mein Chef, Garret Macy.“

„Sehr erfreut. Jordan hat mir schon viel von Ihnen erzählt.“ Die kleinere Frau machte einige Schritte auf den Herren des Hauses zu und streckt ihm eine Hand zur Begrüßung entgegen. Dr. Macy hatte die ganze Sache noch immer nicht begriffen, er wurde noch verwunderter und ergriff schließlich die Hand, wie es sich gehörte, wenn man jemandem vorgestellt wird. „Ich hoffe nur Gutes.“, murmelte der Leiter der Gerichtsmedizin, da ihm nichts anderes mehr einfiel.

„Das kann ich Ihnen versichern.“, bestätigte sein Gegenüber lächelnd und verabschiedete sich.
Abby ließ die zwei Pathologen in Jordans Büro allein. Jordan erklärte kurz die ganze Sache ihrem Chef, der langsam wieder sein normales Verhalten annahm.

„Also, das war die Frau mit den Kleidern?“ fragte er schließlich. Jordan nickte. „Von mir aus kann sie sich jeden Tag hier umziehen, wenn Sie dadurch so früh hier sind. Ich wollte eigentlich nur wissen, ob Sie den Leichnam in der Sache Holms endlich freigegeben haben.“

„Noch nicht, ich wollte ihn mir heute noch mal anschauen. Vielleicht habe ich etwas bei der ersten Autopsie übersehen.“ Mit diesen Worten rauschte Jordan auch schon an Garret vorbei und ließ ihren Chef kopfschüttelnd in ihrem Büro zurück.

XXX

Miss Morrisen lief einen langen, hellen Gang entlang. Vor einer Türe machte sie halt. In ein Display gab sie den nötigen Zahlencode ein, um die Barriere dazu zu bringen, ihr den Weg in den dahinter befindlichen Gebäudetrakt freizugeben. Ein leises Piepsen ertönte und das Schoss lies sie gewähren. Es waren noch weitere Flure zu durchqueren bis sie schließlich die Türe zu ihrem Büro erreicht hatte. Die kleine Frau staunte nicht schlecht, als sie an einem der beiden Schreibtische einen großen, schlanken Mann mit dunklen Haaren sitzen sah. Ihn hatte sie hier nicht erwartet, nicht nach dem was in den letzten Tagen alles passiert war! Seinen linken Arm trug er in einer Schlinge und als er aufsah um Abby anzulächeln, wurde die Frau auch wieder an das Veilchen erinnert, welches in dunkellilarer Farbe sein rechtes Auge zierte.

„Tony, was machst du hier?“, fragte sie vorwurfsvoll und baute sich vor dem Schreibtisch ihres Kollegen auf. Der Mann blinzelte sie an und setzte eine Unschuldsmiene auf.

„Ich schreibe meinen Bericht. Und warum bist du schon hier? Ich dachte du wolltest erstmal ausschlafen?“

Abby verzog das Gesicht. „Ich bin gar nicht zum Schlafen gekommen. Meine Nachbarin hat es geschafft mich in einen ihrer Fälle reinzuquatschen. Und da ich nun wach war, konnte ich auch früh hier her kommen.“

Tony zog die Augenbrauen hoch. „Diese, wie heißt sie noch gleich?“

„Jordan.“

„Genau, scheint dich ja ganz schön in ihren Bann zu ziehen. Läuft da was zwischen euch?“

Abby verdrehte die Augen. „Nein, Chapman, da läuft gar nichts. Dass du nur an das Eine denkst, erstaunt mich immer wieder! Es ist nicht so, dass jeder gleich mit jedem, mit dem er sich gut versteht ins Bett geht!“ Die kleine Frau stemmt die Hände in die Hüften und nahm auf ihrem Stuhl Platz.

„Aber sie muss wenigstens ziemlich gut aussehen! Du lässt dich ja nicht von jedermann so einfach dazu kriegen, die Nacht durchzumachen.“

„Was willst du denn jetzt damit sagen?“ Tony sah zwar, dass seine Kollegin einen bedrohlichen Blick zu ihm herüberwarf, aber im Moment war seine Neugierde größer als alles andere.

„Nun ja, es ist ja nicht so, als wäre dein Sexualleben zur Zeit sehr aufregend. Keinen festen Partner, keine One-Night-Stands, aber eine schöne Nachbarin. So was gibt mir nun mal zu denken. Stehst du auf sie?“

‚Oh man. Womit habe ich nur solche Gespräche am frühen Morgen verdient?’, dachte Abby während sie für einige Sekunden ihr Gesicht in den Handflächen vergrub. „Nein, ich stehe nicht auf sie! Wir sind bloß befreundet. Und wenn du danach gehst, dann müssten wir beide an laufenden Band miteinander Schlafen, so viele Nächte wie wir schon zusammen durchgemacht haben!“

„Das ist doch was anderes, dass ist der Job.“, versuchte Tony seine Theorie zu verteidigen.

„Ach, jetzt gibt es auf einmal Ausnahmen? Du machst es dir mal wieder einfach wie?“ Abby warf einen gespielten Blick der Verwunderung herüber.

Ihr Kollege verzog schmollend das Gesicht. „Und du versuchst dich rauszureden!“

„Nein, dass tue ich nicht. Akzeptiere einfach, dass ich anders bin als du. Und nun Schluss mit dem Thema, Mister: ‚Ich habe schon halb Bosten in meinem Bett gehabt’! Wir haben noch Arbeit vor uns.“ Tony zuckte zusammen. Er merkte an dem Nachdruck mit dem seine Kollegin gesprochen hatte, dass er besser davon abließ sie weiter auszufragen, wenigstens für heute!

XXX

Jordan untersuchte indessen in der Autopsie 1 erneut die Leiche. Auf den ersten Blick fiel ihr nichts Neues auf. Dann schaltete sie Schwarzlicht ein und lies es langsam über die gesamte Körperoberfläche gleiten. Zuerst wurde auch dadurch nichts Neues zu tage gefördert, jedoch bemerkte Jordan schließlich einige dunkle Flecken an Elisabeth Holms’ Armen. Die Form der Flecken war eindeutig, es handelte sich um die Hände eines Menschen, der die Frau an den Unterarmen, direkt vor den Handgelenken gepackt haben und sie an diesen ziehend bewegt haben musste. Dass die Flecken erst jetzt sichtbar wurden, war ein natürlicher Prozess, da die Hämatome eine gewisse Zeit brauchten, selbst wenn ihr Träger gestorben war, um sichtbar zu werden. Dies war der Beweis dafür, dass die Leiche bewegt worden war. Der Fundort war somit nicht der Tatort. Wenn sie herausfand, wo Elisabeth wirklich umgebracht worden war, würden sich dort auch sicher Spuren finden, die den Mörder überführen. Aber wo sollte Jordan sich nach ihnen umsehen? Einen Kollegen oder gar Woody um Hilfe zu bitten kam nicht in Frage in dem frühen Stadium ihrer neuen Erkenntnisse. Man würde sie höchstens für verrückt erklären, besonders wenn sie jemandem erzählte, dass für sie feststand, dass Miss Holms’ Bruder für sie der Mörder war. Für die anderen war sein Alibi, er wäre bis 12 Uhr in der Kneipe gewesen, wasserdicht. Der Todeszeitpunkt lag ja bei halb 12. Und nur die Hämatome waren kein Beweis um ihn als Mörder zu entlarven.
Jordan grübelte und erinnerte sich an das nächtliche Gespräch mit ihrer Nachbarin. Die Baustelle und in ihrer Nähe die Kneipe. Das war schon mal ein guter Ansatzpunkt!
Eilig schob die Pathologin den Leichnam zurück in sein Kühlfach und begab sich auf den Weg.

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Wenne Mittwoch überlebst is Donnerstag!

Re: The Something Untold Series: Kapitel 1: Someone new

Kapitel 1: Someone new (Teil 3)



Der silberne Geländewagen hielt in einer Parkbucht, die dem Fahrer den direkten Blick auf eine Baustelle freigab. Die Sonne brannte in den Mittagsstunden und Jordan hielt es für besser ihre Sonnenbrille auf der Nase zu belassen als sie das Gefährt zurückließ und den sandigen Boden betrat. Die trockene Erde staubte bei jedem Schritt den sie mit ihren Schuhen tat um sich in einer gelblichen Nebelwolke auf diesen niederzulegen. Jordan beobachtete dies mit Missgunst, denn solcher Boden war höchst ungeeignet um irgendwelche Spuren länger als ein paar Stunden zu erhalten, und dass nur, wenn man eine ganze Menge Glück hatte, angesichts des eifrigen Treibens, welches auf der Baustelle herrschte. Ein Bagger hob ein Loch für ein zweites Fundament aus, auf den schon errichteten zukünftigen Keller legte ein großer Kran Stahlträger nieder, die Arbeiter verschraubten und verschweißten um später die Formen für die zu gießende Betonmasse einfüllen zu können. Und über allem lag ein gehöriger Lärmpe-el, der einem ungewohnten Besucher stetig ein kleines bisschen mehr aufs Gemüt zu schlagen drohte.
Die Pathologin schaute sich um, während sie auf den Rohbau zusteuerte. Aber noch ehe sie einen näheren Eindruck der Szenerie gewinnen konnte, ertönte auch schon eine Stimme: „He, Sie da, warum tragen Sie keinen Helm? Und was wollen Sie hier?“ Ein kleiner, dicklicher Mann lief auf Jordan zu.

„Ich komme von der Gerichtsmedizin und möchte zu Mr. Derkins.“ Die Pathologin wedelte mit ihrer Dienstmarke und lächelte dem Mann entgegen.

„Na schön. Aber ohne Helm können Sie hier nicht rumlaufen. Kommen Sie mit.“ Dieser führte sie mürrisch zu einem Bauwagen und reichte Jordan schließlich eine gelbe Kopfbedeckung. Mit dieser auf dem Haupt taperte sie dem Kleinen nach, der kreuz und quer über die Anlage lief. Am äußersten Ende der Baustelle machten sie halt. Sie standen nun vor einem tiefen, schwarzen Loch. Es war ein Zugangsschacht zur Kanalisation, welche später nach Beendigung der Bauarbeiten das Schmutz- und Regenwasser des Geländes dem städtischen Abwassersystem zuführen sollte.

Der kleine Mann rief in die runde Öffnung hinein: „Derkins, komm’ mal rauf, da ist ne Lady, die dich sprechen will.“

Kurze Zeit später schob sich ein weißer Helm mit einer Lampe darauf ans Tageslicht, gefolgt von Ron Derkins’ missmutigem Gesicht über die Zwangsunterbrechung seiner Tätigkeit. Seine Miene verfinsterte sich noch einmal, als er Jordan erkannte, die neben dem kleinen Dicken auf ihn wartete. Derkins schaltete die Lampe ab und brummte: „Was wollen Sie denn hier? Geben Sie endlich die Leiche meiner Schwester frei? Wenn Sie mir Ärger machen wollen, dann hauen Sie wieder ab, hab schon genug am Hals, auch ohne Sie.“

Jordan, die sich innerlich bereits auf eine ablehnende Haltung eingestellt hatte, hielt Angriff für die beste Verteidigung: „Den Gefallen kann ich Ihnen leider nicht tun. Ich brauche einen Handabdruck von Ihnen, Mr. Derkins.“

Verdutzt schaute dieser aus der Wäsche. „Wozu? Kriegen Sie nicht.“, knurrte er knapp.

„Ich bräuchte ihn um Sie als Verdächtigen ausschließen zu können, da wir an Ihrer Schwester neue Verletzungen entdeckt haben.“

„Kriegen Sie trotzdem nicht!“ Damit war für Derkins das Gespräch beendet. Er stieg wieder in das finstere Loch.

„Was macht er eigentlich da unten?“, fragte die Pathologin den Dicken, der noch immer neben ihr stand.

„Er prüft, ob die einzelne Rohrabschnitte richtig verschweißt sind oder ob sich nach dem Zuschütten der Grube wieder irgendwo was gelöst hat. Wenn später das Wasser hier durchfließt und das Teilstück an den Hauptkanal angeschlossen wurde, darf es keine undichten Stellen geben.“

Jordan nickte. „Sagen Sie mal, fehlt bei Ihnen zufällig ein Spaten auf der Baustelle?“

Der kleine Mann lachte: „Sie wollen mich auf den Arm nehmen! Wissen Sie wie viele Spaten wir hier haben? Und ständig ist sowieso irgendwas kaputt. Selbst wenn wir da nachzählen würden, würde es nie stimmen.“ Die Gerichtsmedizinerin nickte erneut.

Als sie später wieder im Auto saß, dachte sie über ihre neuen Erkenntnisse nach. Derkins sofortige Ablehnung des Abdrucks erhärtete ihren Verdacht gegen ihn nur noch mehr. Zwar war ihr von Anfang an klar gewesen, dass ein Handabdruck vor Gericht als Beweis nichts wert war, aber allein seine Reaktion war es, die Jordan testen wollte. Die Spaten, die sie auf der Baustelle gesehen hatte, entsprachen genau dem Modell, mit dem Elisabeth Holms erschlagen worden war. Zwar gab es auch keine Möglichkeit, stichhaltig zu beweisen, dass der Spaten von hier stammte, aber je mehr Jordan über alles nachdachte, umso besser passte alles zusammen. Blieb nur noch ein großes Problem übrig. ‚So, jetzt nehmen wir mal dein Alibi genau unter die Lupe, mein Freund.’, dachte Jordan bei sich, als sie den Motor startete.

Sie hielt zwei Straßen weiter vor einem Gebäude, welches auch schon bessere Tage gesehen hatte. Natürlich hatte die Kneipe noch geschlossen, so dass es nicht möglich war, sich die inneren Räumlichkeiten anzuschauen. Jordan versuchte trotzdem sich ein Bild von der Örtlichkeit zu verschaffen, in dem sie durch ein Fenster spähte. Ihre Blicke schweiften über Tische, Stühle, Barhocker, den Tresen, den Zapfhahn und blieben schließlich auf der großen Uhr an der Wand haften. ‚Etwas stimmt da nicht’, sagte Jordans innere Stimme. Sie guckte auf ihre Armbanduhr, von dieser wieder durch die Scheibe auf die große und wieder zurück. ‚So ein raffinierter Kerl.’, schoss es der Pathologin durch den Kopf. ‚Leider nicht klug genug. Jetzt hab ich dich!’[i], triumphierte sie innerlich.
Aber ihre Neugierde war noch immer unbefriedigt. Daher lief sie durch ein Tor in den Hinterhof. Dort standen die umliegenden Häuser nahe beieinander, so dass der Hof fast vollständig im Schatten lag. []‚Nachts ist es hier sicherlich stockfinster.’
, überlegte sie. Eine Hintertür, die zur Kneipe gehören musste, erregte ihre Aufmerksamkeit. Bei genauerem Hinsehen fielen ihr Kratzspuren am Schloss auf. Plötzlich fügte sich alles ein. Aufgekratzt lief die Gerichtsmedizinerin zu ihrem Wagen zurück, griff nach ihrem Handy und wählte.

„Hier ist die Mailbox von Woody Hoyt. Wenn Sie eine Nachricht hinterlassen möchten, sprechen Sie nach dem Piep.“

Die Pathologin verzog missmutig das Gesicht: „Woody, hier ist Jordan. Ich weiß jetzt, dass Elisabeth Holms doch von ihrem Bruder getötet wurde und habe auch einen Beweis, der sein Alibi zerstört. Ruf mich bitte an.“ Sie hatte gerade aufgelegt, als das Handy in ihrer Hand klingelte.

„Cavanaugh.“

„Hi.“, tönte Abbys fröhliche Stimme an ihr Ohr. „Ich wollte nur mal fragen, wie es dir so geht, nach der kurzen Nacht!“

„Sehr gut! Ich habe rausgekriegt, wie Derkins an sein Alibi gekommen ist!“, erzählte Jordan enthusiastisch.

„Gratulation!“ Abby spitzte neugierig die Ohren und ließ ihre Nachbarin erzählen.

„Er hat die Uhr vorgestellt, so dass seine Kollegen sagen mussten, sie wären bis Mitternacht zusammen gewesen. Aber ich habe trotzdem noch immer keinen wasserdichten Beweis, der ihn als Mörder überführt. Ich hoffe nur, dass Woody nun empfänglich für unsere Theorie ist und wie dann zusammen auf die Suche gehen können. Und wie geht es dir?“

„Ich bin etwas müde. Werde wohl gleich nach Hause gehen und Schlaf nachholen. Hier ist heute auch nicht viel los.“ Die Bankerin konnte nicht umhin bei dem Gedanken an ihr Bett ein wenig zu gähnen.

„Dann leg dich mal hin, das hast du dir verdient. Und schlaf gut.“

„Und du pass auf dich auf, wenn ihr Beweise suchen geht. Wer weiß, wozu der Typ fähig ist, wenn man ihm auf die Spur kommt. Tschüß, Jordan.“

„Tschüß, Abby.“

XXX

Nachdem sie aufgelegt hatte, schaute Abby verwundert in das amüsierte Gesicht ihres Kollegen.

„Was ist so komisch?“, fragte sie und zog die Stirn in Falten. Sie ahnte, dass Tonys Grinsten nichts Gutes für sie bedeuten würde.

„Och nichts Besonderes. Außer der Erkenntnis, dass deine Aussage von heute früh doch nicht so ganz der Wahrheit entsprochen hat!“, teilte er triumphierend mit. Abby schwieg. Sie hatten sich entschieden vorerst passiv zu bleiben, um sich selbst zu schützen. Kopfschmerzen waren dabei sich anzukündigen und die Erfahrung hatte gezeigt, dass eine vorschnelle Reaktion auf Tonys Sticheleien ihn nur weiter anstachelte.

„’Pass auf dich auf’“, zitierte er, „Das sagt man nicht zu jedem einfach so. Gib zu, dass du an ihr interessiert bist.“

Seine Kollegin schüttelte nur den Kopf und massierte ihre Schläfen. „Du interpretierst da zuviel hinein. Jordan neigt dazu unnötige Risiken einzugehen. Wenn du wüsstest, was sie mir schon alles erzählt hat, würdest du nicht so reden. Und dann tut dies auch noch jemand, der keinerlei Ausbildung für diese Aktionen hat. Es ist wirklich alles rein freundschaftlich.“

„Ja, diese Art von freundschaftlich kenne ich.“, lachte Tony.

Doch Abby winkte ab. „Jetzt ist’s wirklich gut für heute. Mir brummt schon langsam der Schädel vor Müdigkeit. Glaub was du magst, ich geh ins Bett.“ Die blonde Frau erhob sich von ihrem Schreibtisch, verabschiedete sich von ihrem Kollegen und machte sich auf den Heimweg.

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Re: The Something Untold Series: Kapitel 1: Someone new

Kapitel 1: Someone new (Teil 4)



Einige Zeit später, es war inzwischen schon früher Abend geworden, hielt Jordan ihren Wagen vor dem Haus von Ron Derkins. Sie hatte vergeblich versucht Woody zu erreichen, sogar im Präsidium war er nicht anzutreffen gewesen, dafür hatte man ihr die Information gegeben, dass Detective Hoyt heute im Gericht bei mehren Fällen als Zeuge aussagen müsse. So hatte sie den Entschluss gefasst, selbst Derkins noch einen Besuch abzustatten und ihn nun mit ihren Erkenntnissen zu konfrontieren.

‚Woody wird mich sicher gleich zurückrufen und dann nehmen wir den Kerl fest.’, dachte sie, als sie die Türklingel betätigte. Die Tür wurde aufgerissen und vor der Pathologin stand ein angetrunkener, wütender Ron Derkins, der sie anfauchte: „Schon wieder Sie! Was soll das alles?“ Er leerte seine Bierflasche und starrte in das Gesicht der Frau.

„Ich kann nun beweisen, dass Sie ihre Schwester umgebracht haben.“ Jordan war zu dem Entschluss gekommen, dass man bei ihm nur etwas erreichen kann, wenn man sofort alle Karten auf den Tisch legt und ihn so festnagelt.

„Dann kommen Sie mal rein.“, knurrte Ron.

Jordan trat an ihm vorbei in eine heruntergekommene Wohnung. Doch kaum hatten ihre Ohren das Zuschlagen der Türe registriert, fühlte die Gerichtsmedizinerin einen dumpfen Schmerz auf ihrem Hinterkopf und alles um sie herum wurde schwarz.

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Ein schriller Ton durchschnitt die Finsternis in der sich Jordans Geist seit einiger Zeit befunden hatte. Als sie langsam wieder zu sich kam, fühlte sie als erstes einen klopfenden Schmerz an ihrem Kopf, als zweites, dass sie sich keinen festen Boden unter den Füßen hatte, drittens waren ihre Hände hinter ihrem Rücken zusammengebunden und schließlich konnte sie das Geräusch als das Klingeln ihres Handys identifizieren. Sie öffnete ihre Augen und berührte gleich darauf mit ihrem Po unsanft den Boden. Erst als sie aufsah, ergab alles plötzlich Sinn.

Über ihr stand Ron Derkins, der sich bückte, in ihrer Jackentaschen zu kramen begann und ihr Handy herauszog. Die Gerichtsmedizinerin sah in an. „Damit kommen Sie nicht durch! Die Polizei ist schon auf dem Weg.“ Sie versuchte ihn aus dem Konzept zu bringen.

Aber Ron lachte. „Ach ja, und woher sollen die wissen, wo du bist?“

Die Brünette sah sich um und bemerkte erst jetzt, dass sie nicht mehr in seiner Wohnung waren. Die Dämmerung hatte inzwischen eingesetzt und nur die Umrisse der nahe liegenden Objekte, welche im Halbdunkeln erkennbar waren, verrieten ihr, dass er sie auf die Baustelle gebracht haben musste. In ihrem Inneren begann ein ungutes Gefühl sich auszubreiten, aber Jordan wusste nur zu gut, dass sie sich das nicht anmerken lassen durfte.

„Sie werden mich schon finden!“, beharrte sie daher.

„Wohl nicht.“ Damit ließ Derkins das inzwischen verstummte Handy fallen und trat mehrere Male darauf. Die Pathologin sah auf den kleinen Haufen von Plastikteilen zu Rons Füßen.

‚Hoffentlich kommt Woody bald.’, dachte sie.
Ron zerrte seine unfreiwillige Begleiterin wieder auf ihre Füße und schob sie vor sich her, immer näher an ein für Jordan ungewisses Ziel heran.

XXX

Abby war inzwischen zu hause angekommen und sofort in ihr Bett gefallen. Doch schien der ersehnte Schlaf auf sich warten zu lassen. Sie wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere, aber vergeblich. ‚Also gut, gehe ich eben duschen. Vielleicht hilft das.’, beschloss sie. Und tatsächlich, nachdem sie sich erneut niedergelegt hatte, fielen nicht nur die Augen zu, sondern auch ihr zuvor unruhiger Kopf kam zur Ruhe. Sie war gerade ein paar Minuten eingedöst, als ein lautes Klopfen an der Wohnungstür sie wieder aufschreckte. Verärgert über die Störung quälte sie sich aus dem Bett und taperte barfuss zum Eingang, um den ungewollten Besucher zu verscheuchen.

XXX

Woody begann langsam sich Sorgen zu machen. Er hatte nun schon alles versucht, um Jordan zu erreichen. Nachdem er seine Mailbox abgehört hatte, wollte er die Gerichtsmedizinerin im Institut aufsuchen, aber dort teilte man ihm mit, dass Jordan schon seit dem frühen Nachmittag nicht mehr da war. Auch ein Anruf auf ihrem Handy war erfolglos, ebenso bei ihr zu hause. Nun stand er vor ihrer Wohnungstür, in der stillen Hoffnung, die Pathologin dort antreffen zu können. Aber niemand hatte ihm aufgemacht. Er überlegte.

‚Hat Jordan nicht in den letzten Wochen was von einer neuen Nachbarin erzählt mit der sie sich gut versteht? Die beiden scheinen viel Zeit miteinander zu verbringen. Vielleicht ist sie ja bei ihr. Wo soll sie noch gleich wohnen? Ach ja, direkt gegenüber, hat Jordan gesagt.’ Woody wandte sich der Türe mit der Nummer 312 zu und klopfte an.

Die Türe wurde schließlich geöffnet und Woody starrte in das Gesicht einer Frau, deren schulterlanges, wallnussblondes Haar etwas unordentlich um ihre Wangen hing. Sie trug Boxershorts und ein weites T-Shirt und blickte den Detective nicht besonders freundlich an. „Was gibt’s?“, fragte sie knapp.

„Ich bin Detective Woody Hoyt von der Polizei Bosten. Ich suche Dr. Cavanaugh. Ist sie vielleicht bei Ihnen, Miss …?“, entgegnete Woody.

„Morrisen. Ach Sie sind das. Ich hatte Sie mir anders vorgestellt.“ Falten der Enttäuschung zeigten sich in dem Gesicht der Frau und Woody zog ungläubig die Augenbrauche hoch.

„Anders? Wie meinen Sie das, Miss Morrisen?“

„Na ja, Jordan hat mir einiges von Ihnen erzählt und ich habe mir daher vorgestellt, Sie sähen stattlicher aus. Irgendwie beeindruckender.“

„Aha.“ Woody war vollkommen aus seinem Konzept geraten. Er überlegte kurz, warum er eigentlich hier war. „Nun ja, wissen Sie nun wo Jordan ist?“

„Also hier ist sie nicht, denn sonst würde ich wohl wieder nicht zum Schlafen kommen.“, Abby lächelte, als sie an die letzt Nacht dachte und konnte ein Gähnen nicht verhindern. „Als ich heute Nachmittag mit ihr telefoniert habe, wollte Sie doch mit Ihnen zu diesem Kerl, dem Bruder von der Toten.“

„Wie, was wissen Sie denn darüber?“ Der Detective kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

„Wir haben letzte Nacht über dem Fall zusammen gebrütet und sie schien den Fall geknackt zu haben, denn sie sagte, sie könnte nun beweisen, dass der Typ sein Alibi irgendwie nicht rechtens bekommen hat. Aber fragen Sie sie doch selbst.“

„Das würde ich ja gerne, aber ich kann Jordan nicht erreichen, noch weiß irgendjemand wo sie ist. Was wissen Sie noch?“, fragte Woody ungeduldig, denn langsam wurde ihm mulmig. „Hat sie gesagt wo sie hin wollte?“

Auch in Abbys Gesicht änderten sich die Züge. Sie hatte begriffen, dass etwas nicht stimmte. „Sie meinen doch nicht etwa, dass sie auf eigene Faust losgezogen ist?“

„Es wäre gut möglich.“

„Scheiße. Kommen Sie rein. Wir müssen Sie suchen. Ich zieh mir nur schnell was an, dann können wir los.“ Die Blondine lief in ihr Schlafzimmer. Woody betrat langsam die fremde Umgebung und blieb schließlich in diskretem Abstand zur Schlafzimmertüre stehen.

„Sie sagte was davon, dass der Typ, man ich komm jetzt nicht mehr auf seinen Namen, irgendeine Uhr vorgestellt hatte. Haben Sie eine Idee, von welcher Uhr sie gesprochen haben könnte?“, fragt Abby.

Woody ging im Kopf schnell noch einmal die Fakten des Falls durch. „Es kommt eigentlich nur die Kneipe in Frage, in der er mit seinen Kollegen gewesen sein soll.“

„Gut, worauf warten wir dann noch! Nichts wie hin, vielleicht ist sie dort gesehen worden.“ Abby kam fertig angezogen auf den Detective zu und nahm eine Jeansjacke von der Garderobe. Das Adrenalin, welches durch die Kunde von Jordans Verschwinden in ihr freigesetzt worden war, hatte sie wieder wach gemacht. Woody war verblüfft. Es blickte der Frau, die jetzt in Jeans, Pullover und Jacke vor ihm stand an.

„Sie wollen mit? Das geht nicht, das ist Polizeisache.“, erklärte er störrisch.

Abby schaute scharf in seine Augen. „Natürlich gehe ich mit! Jordan ist ebenso eine Freundin von mir, wie von Ihnen. Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass ich hier bleibe.“ ‚Bitte, nicht noch so eine!’, dachte Woody. Abbys Blick ähnelte dem von Jordan, wenn diese nicht bereit war in einer Sache nachzugeben. Er wusste, dass er hier verlieren würde und da Zeit gerade kostbar war, lenkte er ein.

XXX

Derkins hatte Jordan in der Zwischenzeit an das Ende der Baustalle geschafft, an dem er heute Mittag gearbeitet hatte. Er hatte die wie wild zappelnde Frau die Leitersprossen hinunter getragen und sie mit einer Kette an die unterste Sprosse gefesselt. Dann hatte er in jeweils ein paar Schritten Entfernung liegende Ventile betätigt und die einzelnen Schleusenabschnitte verschlossen, die den Kanalabschnitt, in welchem sie sich befanden, fest verschlossen. Derkins kletterte die Stufen wieder empor und nach wenigen Minuten kam er zurück. Ron hatte einen dicken Wasserschlauch bei sich, auf dem offenbar schon Wasser lag. Dessen Ende befestigte er an einem der Ventile, so dass er sich außerhalb der Reichweite der Gerichtsmedizinerin befand.

„Was haben Sie vor?“, fragte Jordan.

Derkins blickte zu der Frau hinüber, die auf dem Boden des Kanals saß. Er erkannte jetzt doch in der Dunkelheit, die nur durch das Licht seiner Lampe erhellt wurde, Furcht in ihrem Gesicht. „Diese Schleusen hier, sollen dazu dienen, im Falle eines Lecks den Kanal an fast jeder möglichen Stelle absperren zu können. Ich werde jetzt in diesen Zwischenteil Wasser einlassen und in einer guten Stunde wird das ganze Teilstück voller Wasser sein, aber das wirst du nicht mehr erleben. Gegen Morgen komme ich wieder, stelle das Wasser ab, nehme deine Kette ab und das abfließende Wasser wird dich wegspülen.“ Er lachte, öffnete das Ventil des Schlauches, so dass das Wasser begann, in die Röhre zu fließen und stieg die Leiter erneut empor. Oben beugt er sich noch einmal über die Öffnung.

„Ach ja, ich hätte fast vergessen es zu sagen, aber schreien ist zwecklos. Hier kann einen keiner hören. Und meine Kollegen kommen erst in ein paar Stunden. Leben Sie wohl, Doktor!“

Sein Lachen war noch eine Weile gut hörbar. Jordan saß in der Dunkelheit und riss mit ihren Armen an der Kette. Diese saß fest, aber mit dem Mut der Verzweifelung riss sie trotzdem dran. Irgendetwas musste sie ja tun. Und wenn es noch so eine geringe Chance gab, dass es ihr helfen würde, die musste sie nutzten, denn das Wasser hatte ihre Beine schon erreichte und sie spürte die Feuchtigkeit auf ihrer Haut.

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Re: The Something Untold Series: Kapitel 1: Someone new

Kapitel 1: Someone new (Teil 5)



Zur selben Zeit erreichten Woody und Abby die Kneipe, in welcher Derkins mit seinen Arbeitskollegen immer ein Feierabendbier zu trinken pflegte. Sie sprachen mit dem Besitzer, doch dieser hatte die Gerichtsmedizinerin nicht gesehen. Dafür bekamen die beiden die Bestätigung ihrer Vermutung, dass Jordan am Telefon von der Uhr in dieser Kneipe gesprochen hatte. Als sie wieder in Woodys Dienstwagen stiegen, konnte dieser nicht umhin seiner Wut Ausdruck zu verleihen. „So ein Mist! Jetzt haben wir gute 15 Minuten verschwendet und haben nichts erreicht!“

„Nun beruhigen Sie sich mal wieder. Wir werden Jordan schon finden. Ich werde noch einmal probieren sie anzurufen.“, entgegnete Abby ruhig.

„Sie machen sich wohl überhaupt keine Sorgen, wie?“ Die Anspannung vibrierte in Woodys Stimme.

„Doch, aber ich weiß, dass man nicht vernünftig denken kann, wenn man sich zu sehr von seinen Gefühlen mitreißen lässt. Und wir brauchen hier einen klaren Kopf. Also, reißen Sie sich zusammen! Wo können wir noch suchen?“

„Wir könnten Derkins selbst mal einen Besuch abstatten.“, schlug der Detective vor, nachdem er ein paar tiefe Atemzügen zur Beruhigung seiner Nerven getätigt hatte.

„Gute Idee. Dann nichts wie los.“
Woody startete den Motor und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Abby schaute während der Fahr aus dem Fenster und ließ ihre Gedanken wandern. Sie versuchte sich ein wenig auszuruhen, um dann wenn es nötig werden sollte, ihre Sinne in bester Verfassung zur Verfügung haben zu können. So wäre es ihr fast entgangen, wo sie waren und woran sie gerade vorbeigefahren waren. ‚Das gerade war doch nicht etwa…’ „Detective Hoyt, wie heißt noch mal die Straße, die wir eben entlang gefahren sind?“

„Kennedystreet.“

Abby konnte es nicht glauben. „Drehen Sie sofort um.“

„Warum?“, frage Woody irritiert.

„Haben Sie es denn nicht gesehen?“

„Was gesehen?“

„Da stand doch eben an der Baustelle ein silberner Geländewagen. Sah aus wie Jordans.“ Abby war froh, dass sie den Sicherheitsgut angelegt hatte, denn so stark wie Woody in die Eisen ging und das Steuer herum riss, hätte man durch die Windschutzscheibe fliegen können. Gut das gerade niemand sonst auf der Straße unterwegs war.

„Sind Sie sicher?“, fragt er seine Beifahrerin.

„Ja, aber bringen Sie mich bitte nicht um! Ich hatte eigentlich vor, noch mal was von meiner Rente zu haben.“

XXX

Jordan saß mittlerweile bis zur Mitte des Brustkorps im Wasser. Sie rüttelte noch immer an der Kette. Sie hatte gehofft, dass das Wasser vielleicht die Fessel aufweichen würde, mit der ihre Hände noch immer zusammengebunden waren, so dass es ihr gelingen könnte, die Kette auf dem Grund dieses Wasserloches zurückzulassen. Aber es rührte sich nichts und langsam schwanden ihre Kräfte. Hinzu kam, dass das Wasser sehr kalt war und Jordan bemerkte, wie sie vor Kälte zitterte, als sie einen Moment aufhörte an der Kette zu zerren. „Bitte, lass endlich jemanden kommen, der mich hier rausholt.“, murmelte Jordan vor sich hin, in der Hoffnung, dass dieses Stoßgebet Hilfe bringen würde.

XXX

Mit quietschenden Bremsen hielt Woody seinen Dienstwagen neben dem silbernen Jeep. Beide Insassen stiegen aus und betrachteten den Wagen. Er war verlassen, aber der Schlüssel steckte noch im Schloss. „Sehr leichtsinnig.“, bemerkte Abby, als sie durch das Fenster auf der Fahrerseite schaute.

„Aber immer wieder ein geeignetes Mittel um einen Wagen loszuwerden, wenn man eine andere Tat vertuschen will.“, warf Woody ein. Die Blondine zog die Augenbrauen hoch und wartete auf eine Erklärung. Der Detective deutete auf die Kopfstütze an der Beifahrerseite. „Das sieht nach Blut aus.“

„Dann sollten wir uns beeilen.“, meinte Abby.
Sie holten zwei Taschenlampen aus dem Auto und begannen das Gelände der Baustelle abzusuchen, denn es schien ihnen der ideale Ort zu sein, um jemanden auf ewig verschwinden zu lassen.

Der trockene, staubige Boden ließ viele verschiedene Fußspuren erkennen, welche in alle möglichen Richtungen führten. Keine einzige war darunter, die sich aus der Masse besonders hervorhob. Daher beschlossen sie zuerst geradeaus bis zur Mitte der Baustelle zu gehen und von dort aus nach Hinweisen oder möglichen Verstecken zu suchen.

„Da hinten, da ist doch jemand.“ Abby deutete auf ein Licht, welches sich in einiger Entfernung bewegte. Nun hatten die beiden Suchenden ein Ziel gefunden, an dem sie sich orientieren konnten.

XXX

Ron Derkins hatte sich nach seiner erfüllten Mission ein Bier von seinen Kollegen aus einem der Bauwagen genehmigt. Gerade hatte er diesen wieder verschlossen und wollte sich auf den Heimweg machen, als seine Augen zwei Lichter erfassten, die sich auf ihn zu bewegten. ‚Scheiße, wer schleicht den jetzt hier noch rum? Sicher irgendwelche Lümmel. Na wartet, euch werde ich helfen.’ Er griff nach einem Stück Holz, welches herumlag, versteckte sich hinter dem Bauwagen und löschte seine Lampe.

Nach einigen Minuten konnte er hin und wieder zwei Stimmen ausmachen, die langsam lauter wurden. „Wo ist er hin? Hat sich sicher hier irgendwo versteckt.“ Es war die Stimme eines Mannes.

„Glauben Sie, es war dieser Typ?“, fragte eine Frauenstimme leise. Nun konnte er ihre Schritte hören und kurz darauf leuchtete ein Lichtkegel auf den Boden, welchen er unter der Ecke des Bauwagens erspähen konnte. Er umfasste das Holz fest mit seiner rechten Hand und fasste einen Entschluss.

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Woody griff nach seiner Waffe. Die Sache könnte gefährlich werden und er gab seiner Begleiterin ein Zeichen, hinter ihm zu bleiben. Er wollte um den Wagen herum gehen, um nachzusehen, ob dort jemand steckte. Sein Instinkt sagte ihm ebenfalls, dass es Derkins sein müsste, der hier herumschlich. Es passte einfach alles zusammen. Aber dennoch blieb eine Frage offen: Wo war Jordan? Hatte er sie in den Bauwagen gesperrt? Lebte sie überhaupt noch?

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‚Toll, ein kaltes und nasses Grab. Ich steigere mich wirklich! Da war es ja fast schon Luxus, als ich letztes Jahr von diesem Verrückten in dem Sarg verbuddelt wurde.’, dachte Jordan. Das Wasser stand ihr mittlerweile buchstäblich bis zum Hals.

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Re: The Something Untold Series: Kapitel 1: Someone new

Kapitel 1: Someone New (Teil 6)



Detective Hoyt stand mit dem Rücken an einer Ecke des Bauwagens, bereit sich im nächsten Augenblick um die Ecke zu drehen und jemanden, der eventuell dort stand zu überraschen. Er warf noch einen kuren Blick zu Abby hinüber, die in einigem Abstand wartete. Woody zählte innerlich bis drei, drehte sich um die Ecke und kam mit einem Abstand von nur wenigen Zentimetern genau vor Ron Derkins zu stehen. Mit allem hatte der Detective gerechnet, aber nicht damit. Er vergas das übliche zu sagen, wie jedes Mal wenn er einen Verdächtigen festnahm. Stattdessen zögerte er einige Sekunden. Diese Zeit war genug für Woodys Gegner um eher als er zu reagieren. Derkins holte mit seinem Holzstück aus und schlug nach ihm. Ron verfehlte Woodys Kopf, denn dieser war in der Lage, den Schlag mit seinen Armen abzuwehren. Aber die Wucht des Angriffs war groß genug um die Dienstwaffe des Detectives aus dessen Hand zu schleudern. Sie verschwand in der Dunkelheit, ohne dass auch nur einer der Beiden auch nur die Flugrichtung der Pistole verfolgen konnte. Die zwei Männer waren zu sehr damit beschäftigt, gegeneinander zu kämpfen. Derkins holte erneut mit seinem Holzstück auf, diesmal traf er Woody in der Magengegend und der Polizist krümmte sich vor Schmerz. Diesen schutzlosen Augenblick nutze Ron aus. Er ließ das Holz mit dem Hinterkopf seines Gegners kollidieren, woraufhin dieser in sich zusammensackte und das Bewusstsein verlor.

Abby war auf ihrem Platz stehen geblieben. Sie wusste, dass sie es sich nicht leisten konnte, hier dadurch aufzufallen, dass sie sich einmischte. Sie musste wohl oder übel darauf vertrauen, dass der Detective sein Handwerk verstand und es schaffen würde, den Bösewicht allein festzunehmen. Als Kämpfgeräusche von der Ecke des Bauwagens kamen, hinter welcher Woody aus ihrem Blickfeld verschwunden war, trat die Blondine näher an den Schauplatz des Geschehens heran, denn es war ihr klar, dass eins nicht passieren durfte: Falls dies wirklich der Bruder der Toten war und er auch etwas mit Jordans Verschwinden zu tun hatte, durfte er nicht entkommen. Nicht bevor er ihr gesagt hatte, was er wusste, was er wirklich wusste.
Plötzlich rannte jemand an Abby vorbei. ‚Scheiße! Da ist was schief gegangen!’, dachte sie und rannte so schnell sie konnte hinter der Gestalt her, bevor sie in der Dunkelheit entschwinden konnte. Der Flüchtige war nicht sehr flink, so dass es für die Frau keine Schwierigkeit war ihn einzuholen. Nach ein paar hundert Metern hatte sie sich auf ihn geworfen und zu Fall gebracht. Noch bevor sich der Mann wehren konnte, hatte Abby sich seine Arme geschnappt und sie hinter seinem Rücken in den Polizeigriff genommen. Ihr Knie drückte sie leicht in seinen unteren Rücken, so dass es für ihn unmöglich wurde sich zu befreien.

„So, mein Freund, wie heißt du?“, fragte Abby ihren Gefangenen.

„Ron Derkins.“, antwortete der am Boden Liegende wenig begeistert. „Lass mich los, du Schlampe!“

„Oh, wir haben ja Manieren. Sehr schön.“, bemerkte die Blondine in einem gleichgültigen Tonfall. Aber dafür verdrehte sie einen von Rons Armen ein wenig mehr. Derkins gab einen kleinen Schmerzlaut von sich und versuchte vergeblich sich durch Zappeln zu befreien.

„Sag mal, Ron, wo wir uns jetzt so gut verstehen, kannst du mir da sagen, wo Dr. Cavanaugh ist?“ Abbys Stimme war inzwischen emotionslos geworden.

„Das möchtest du gerne wissen, wie?“ Ron sprach trotzig, denn er dachte, er hätte trotz seiner Lage noch immer die Oberhand über die Situation. Schließlich war sie ja nur eine Frau, jemand der nicht über die gleichen Kräfte und Ausdauer verfügte wie er. Noch dazu wollte sie etwas von ihm wissen. „Das wirst du nicht erfahren. Und wenn, dann ist es schon zu spät.“ Die Augen der Frau verformten sich für einen winzigen Augenblick zu kleinen Schlitzen und ihr Blick wurde kurz starr. Diese Antwort hatte ihr überhaupt nicht gefallen

„Das war die falsche Antwort, mein Freund.“, sprach sie leise, aber für Ron noch gut hörbar, in einem eiskalten Tonfall. Doch bevor er Zeit hatte um Angst zu bekommen, musste er auch schon einen Schmerzensschrei ausstoßen. Abby verdrehte und zog nämlich weiter, diesmal an beiden Armen zugleich. Hinzu kam noch, dass sie für einige Sekunden mehr Gewicht auf ihr rechtes Bein verlagerte und auf seinen Rücken drückte.

„Nun, ich frag dich noch einmal. Wo ist sie?“ Diesmal lief ein kalter Schauer Derkins Rücken hinunter. Aber er wollte noch nicht nachgeben.

„Das sag ich dir nicht, du Miststück.“, stieß er durch zusammengebissene Zähne hindurch hervor. Zur Belohnung wurden seine Arme erneut verdreht, diesmal noch heftiger als zuvor. Ron lief langsam eine Träne die Wange hinunter.

„Ok, beim nächsten Mal, kugele ich dir beide Arme aus, wenn mir die Antwort nicht gefällt. Willst du wirklich wissen, was das für ein Gefühl ist?“ Abbys Stimme glich einem Eisblock. Sie erhöhte noch einmal kurz die Intensität ihrer Maßnahmen. Ron schrie erneut auf und schüttelte schließlich den Kopf.

„Also, wo ist sie? Wo ist Jordan? Spuck’s aus!“

„Sie ist in einem Kanalschacht am westlichen Ende der Baustelle.“, antwortete Ron mit gequälter Stimme.

„Ist das die Wahrheit, oder lügst du mich an?“ Abby brauchte Gewissheit über die Zuverlässigkeit der Information, daher zerrte sich noch einmal leicht an seinen Armen. Derkins schüttelte erneut den Kopf.

„Bete zu Gott mein Freund, dass ich sie lebend finde, sonst werde ich dafür sorgen, dass der Rest deines Lebens die Hölle auf Erden wird.“ Mit diesen Worten hatte die Blondine Derkins Arme für den Bruchteil einer Sekunde nur mit einer Hand festgehalten und mit der anderen nach ihrer Taschenlampe gegriffen, die sie während sie auf Woody gewartet hatte, für einen solchen Notfall in ihren Hosenbund gesteckt hatte, um sie nicht verlieren zu können. Mit dieser holte die Frau kurz aus und beförderte Derkins mit einem gezielten Schlag auf den Hinterkopf in das Land der Träume.
Abby eilte zu Woody zurück. Sie fand den Detective noch neben dem Bauwagen. Er war gerade wieder zu sich gekommen und versuchte sich zu orientieren.

„Derkins ist außer Gefecht. Er liegt dort hinten.“ Die Frau half Woody auf die Beine und deutete in eine Richtung. „Nehmen Sie ihn fest, ich werde in der Zwischenzeit am westlichen Ende nach Jordan suchen.“

Woody hatte zwar keinen Schimmer, wie die blonde Frau an diese Informationen gekommen war, aber im Augenblick gab es wichtigeres für ihn. Er nickte kurz und lief in die angegebene Richtung davon, während seine Mitstreiterin westwärts losspurtete. Nur das Licht ihrer jeweiligen Taschenlampen erhellte das Fleckchen Erde vor ihren Füßen und jeder der Beiden war dankbar, als der Mond wieder hinter seinem Wolkenschloss hervorkam und auch die nähere Umgebung ein wenig besser erkennbar machte.

Die Blondine hatte fast die westliche Grenze erreicht, als sie anhielt und sich umsah, während sie kurz zu Atem kam. ‚Jordan, wo steckst du nur?’, fragte sie sich im Geiste. Dann begann sie ihren Namen zu rufen, während sie langsam weiterging, immer in der Hoffnung, die Brünette in den nächsten Minuten zu finden.

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Re: The Something Untold Series: Kapitel 1: Someone new

Kapitel 1: Someone New (Teil 7)


Der Wasserspiegel hatte zwischenzeitlich Jordans Unterlippe erreicht. Ihr war klar, dass es nicht mehr all zu lange dauern würde, bis Luftholen ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Ebenso klar war ihr, dass der Tod durch Ertrinken nicht gerade angenehm war. Die Pathologin hatte oft genug Wasserleichen auf dem Tisch gehabt, deren Organe entnommen und untersucht. ‚Ich kann nur hoffen, dass meine Autopsie ordentlich gemacht wird! Ob Garret sich selbst darum kümmert? Oder überlässt er Bug diese Aufgabe? Auch gut, solange nicht diese Elaine in meinen Organen rumwühlt! Das fehlt mir noch zu allem Überfluss! Könnte jetzt mal langsam jemand kommen und mich hier rausholen?’ So sprangen Jordans Gedanken hin und her, während sie begann, dass sie umgebende Wasser auf ihren Lippen zu schmecken. Sie lauschte angestrengt, doch nichts war zu hören, außer dem Plätschern des Wassers, welches munter weiter in den Raum lief, oder wenn sie sich bewegte. Dass das Wasser kalt war, merkte die Frau mittlerweile nicht mehr. Dafür machte sich langsam Müdigkeit in ihr breit, denn ihre Kräfte schwanden. ‚Nein, nicht einschlafen! Dann ist alles zu spät! Wach bleiben, Jordan, wach bleiben!’, ermahnte sie sich selbst.

‚Halluziniere ich jetzt etwa schon?’ Jordan konnte es nicht glauben, aber sie glaubte draußen etwas gehört zu haben. ‚Bitte, lass es nicht wieder dieser Derkins sein. Wenn ich schon sterbe, will ich mir nicht auch noch seine Kommentare anhören müssen.’ Sie rechnete mit dem Schlimmsten. Doch als sie genauer lauschte, hörte sie es lauter. Jemand war da draußen! In ihrem Inneren lebte erneut Hoffnung auf. Vielleicht war es Woody, der sie suchte! Oder Jemand anderes, wer war ihr mittlerweile vollkommen egal, Hauptsache man holte sie aus diesem Loch heraus! Ihre Begeisterung steigerte sich zur Euphorie, als sie ein Rufen vernahm: „Jordan!“

War das nicht Abbys Stimme? Ja es war ihre! Was auch immer sie hier machte, es tat gut eine bekannte Stimme zu hören. Jetzt musste sie sich nur noch bemerkbar machen. Die Pathologin legte den Kopf ein paar Zentimeter in den Nacken, so dass ihr Mund nicht mehr im Wasser war und rief so laut sie konnte: „Abby! Ich bin hier! Ich bin hier unten!“

Nach noch einigen Rufen erschien ein Lichtstrahl an der Öffnung des Kanalschachtes, gefolgt von Abbys Kopf, welche sich über den Rand beugte um sich ein Bild machen zu können. „Schön dich zu sehen.“, blinzelte Jordan in den Lichtkegel der Taschenlampe.

„Schön dich gefunden zu haben.“ Abby zog ihre Jacke aus und stieg zu ihrer Nachbarin in den Schacht hinunter. „Aber jetzt holen wir dich erstmal hier raus.“

„Das wird schwierig. Derkins hat mich an die Stufen gefesselt. Ich glaube, er hat eine Kette benutzt.“, weihte Jordan die andere Frau ein, welche nun bis zur Hüfte im Wasser stand und sich näher umsah.

„Dann werden wir erstmal das Wasser abdrehen.“ Die Blondine wartete zu dem Wasserschlauch hinüber, klemmte die Taschenlampe unter ihren Arm und wickelte den Schlauch vom Schleusenventil los. Sie drehte das Schließventil des Schlauches zu, aber kurz darauf riss das Gummi direkt hinter dem Verschluss aus seiner Naht. Das Wasser lief wieder munter in die Kammer hinein.

„Das kann doch nicht wahr sein.“, murmelte Jordan, die aus ihren Augenwinkeln das Geschehen mit angesehen hatte. Sie konnte bald nicht mehr sprechen und nur noch atmen, wenn sie den Kopf in den Nacken gelegt hatte, wenn nicht bald etwas geschehen würde. Die andere Frau hatte unterdessen die Taschenlampe wieder in ihren Hosenbund gesteckt und versuchte, das Schleusenventil zu drehen, um das Wasser abfließen zu lassen. Doch schon bald darauf musste sie aufgeben. Das Ventil rührte sich kein Stück.

„Dieses Mistding hier klemmt!“, fluchte sie, als sie sich zu ihrer Nachbarin herumdrehte. Diese war inzwischen nicht mehr in der Lage ihr zu antworten, so hoch stand der Wasserspiegel. Dieser hatte ebenfalls eine solche Höhe erreicht, dass das Wasser Jordans Wunden am Hinterkopf berührte, welche dadurch brannte. Abby sah deutlich Angst in Jordans Augen, denn beiden war klar, dass ihnen die Zeit wischen der Fingern verrann.

„Keine Angst, es wird alles gut. Du hast mein Wort, Jordan. Ich hol dich hier raus. Versprochen!“, bestärkte sie die Brünette und strich ihr beruhigend über die Stirn. „Wenn es so nicht geht, dann drehe ich eben den Hahn ab.“ Sie begann eilig die Leitersprossen wieder hinaufzusteigen. Das Wasser, welches auf ihren Hosenbeinen tropfte, fiel der anderen Frau ins Gesicht. Jordan bewegte sich heftig unten im Schacht. Sie hatte Angst, dass Abby nicht mehr rechtzeitig wiederkam, trotz ihres Versprechens.

„Ich bin gleich wieder da, halte nur noch ein paar Minuten durch!“ rief Abby noch einmal kurz zu ihr hinab, dann war sie verschwunden.

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Woody hatte währenddessen Derkins in Handschellen gelegt und ihn zurück zum Bauwagen gebracht. Dort hatte er ihn mit den Handschellen angekettet und auch seine Waffe wieder gefunden. Nun machte er sich auf die Suche nach Miss Morrisen. Er rannte ebenfalls in westliche Richtung und erspähte sie schließlich dank dem Licht ihrer Taschenlampe. Der Detective folgte ihr und erreichte sie schließlich an einem Wasserhahn.

„Haben Sie Jordan gefunden?“, fragte er noch ganz außer Atem.

„Ja, in einem Kanalschacht, aber sie ist kurz davor zu ertrinken.“ Die Blondine drehte so schnell sie konnte den Wasserhahn zu. „Dieser Scheißkerl hat sie mit einer Kette angebunden. Haben Sie bei ihm einen Schlüssel gefunden?“

„Nein, ich habe ihn gar nicht durchsucht.“ Woody hatte die Routine in der ganzen Aufregung um Jordan völlig vergessen. Nun war ihm danach sich selbst zu Ohrfeigen.

„Dann fragen Sie ihn. Ich bin sicher, er wird ihnen bereitwillig antwort geben. Und rufen Sie einen Arzt. Jordan wird sicher Hilfe brauchen, wenn sie aus dem Wasser kommt.“ Ein gewisser Ärger war in Abbys Stimme erkennbar.

„Und was machen Sie solange?“, wollte Woody noch wissen.

„Ich werde nach etwas anderem suchen, um Jordan zu befreien. Und nun bewegen Sie sich.“
Woody rannte, als würde es um sein eigenes Leben gehen. Abby blickte sich um, aber sie erspähte nichts Brauchbares. ‚Immer wenn man was braucht, findet man nichts! Und meine Waffe habe ich auch zu hause gelassen!’, ärgerte sich die blonde Frau. Doch längeres Suchen schien ihr aussichtslos. Daher lief sie zu Jordan zurück.

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„Ach du Schande!“, entfuhr es der Blondine, als sie wieder unten im Kanalschacht stand. Jordans Atemwege waren nun nicht mehr über der Wasseroberfläche. Aber sie war noch bei Bewusstsein und hatte tapfer die Luft angehalten. Einige Blasen stiegen langsam empor, als sie mit weit aufgerissenen Augen die andere Frau anstarrte. Abby handelte vollkommen instinktiv, als sie selbst tief Luft holte, sich zu ihrer Nachbarin hinunterbeugte, ihre Lippen zusammenführte und Atemluft in Jordans Mund pustete, während sie zeitgleich ihre Nase zuhielt. Sie hatte gehofft, dass Jordan ihre Aktion verstehen würde und sich nicht gegen den fremden Körperkontakt wehren würde. Umso mehr war sie erleichtert, als Jordan bereitwillig ihren Mund öffnete und die Luft entgegennahm.

Dieses Manöver führten sie immer wieder durch und in der Zeit tastete Abby hinter Jordans Rücken die Fesseln ab. Sie bemerkte, dass die Hände der Brünetten nur mit diesen weißen Plastikstreifen zusammengebunden waren, die die Polizei gerne als Handschellenersatz bei Großeinsätzen nahm. Diese Dinger hatten sich auch hier bewährt, denn ihre Haltbarkeit und Stabilität war noch immer ungebrochen. Abby ärgerte sich, dass sie kein Taschenmesser oder etwas ähnliches bei der Hand hatte, sonst währe es ihr möglich gewesen, die Fessel zu durchtrennen. An der Kette fand sie ein Vorhängeschloss, sogar ein ziemlich großen. Es schien so, als hätte Ron kein kleineres bei der Hand gehabt. Erneut ärgerte sich die Blondine darüber, ihre Waffe nicht bei der Hand zu haben, denn damit wäre es ihr möglich gewesen, das Schloss mit einem gezielten Schuss zu zertrümmern. Doch ruhten bei jedem Schub Atemluft, den sie Jordan zuführte ihre Hoffnungen darauf, dass Detective Hoyt jede Sekunde mit dem Schlüssel zurück sein musste.

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Re: The Something Untold Series: Kapitel 1: Someone new

Kapitel 1: Someone New (Teil 8)


Endlich beugte sich Woody über die Kanalöffnung und beleuchtet das Vorgehen unter sich mit seiner Taschenlampe. „Er hatte den Schlüssel nicht mehr bei sich. Er meinte, er müsse ihn verloren haben.“

„Glauben Sie ihm das?“, fragte Abby zwischen zwei Atemzügen.

„Ja, es ist gut möglich, dass er ihn während des Kampfes verloren hat. Aber was machen wir jetzt? Warten? Die Feuerwehr und der Notarzt müssen gleich da sein.“

„Haben Sie ein Taschenmesser?“, wollte die Blondine wissen.

„Nein.“ Woody schüttelte den Kopf. Es konnte deutlich die Frustration über die Lage in den Gesichtszügen der Frau erkennen.

„Dann geben Sie mir ihre Waffe. Ich werde Jordan nicht noch länger hier in dem kalten Wasser lassen. Selbst wenn sie nicht erstickt oder ertrinkt, erfrieren soll sie erst recht nicht.“, verlangte Abby als sie nach oben sah. Das Wasser tropfte aus ihren Haaren auf ihr Oberteil, welches aber auch schon längst durchnässt war, von ihrer Jeans ganz zu schweigen.

Woody schaute sie entsetzt an. Doch bevor er etwas entgegnen konnte, musste er warten, bis die Frau Jordan neue Luft zugeführt hatte. „Warum? Ich denke gar nicht daran, Ihnen meine Dienstwaffe zu geben! Wollen Sie Jordan umbringen?“

Die Blondine verdrehte die Augen. „Nein. Aber ich werde dieses Vorhängeschloss zerschießen. Es ist sehr groß und daher steht die Chance sehr gut, dass ich es unter Wasser richtig treffe und es zerspringt. Jetzt geben Sie das Ding endlich her!“ Abbys Ton wurde befehlender.

„Aber können Sie überhaupt mit einer Waffe umgehen? Ich mache das lieber selbst.“ Woody traute der Frau nicht zu, diese Aufgabe erledigen zu können.

„Hören Sie, wir haben keine Zeit noch lange zu diskutieren. Ich kann sehr gut mit Waffen umgehen. Außerdem weiß ich genau, wie groß das Schloss ist und wo es sich unter Wasser befindet. Zudem haben wir höchstens nur einen Schuss. Denn wenn die Waffe nass ist, geht gar nichts mehr, dass wissen Sie selbst. Also lassen Sie uns die besten Möglichkeiten ausnutzen. Und das bin im Moment ich. Vertrauen Sie mir. Es geht schließlich um das Leben eines Menschen!“

Während Abby ihrer gemeinsamen Freundin erneut lebenswichtige Luft gab, hatte Woody einen Augenblick Zeit um nachzudenken. Es könnte noch eine ganze Weile dauern, bis die Rettungskräfte sie hier auf dem Gelände gefunden hatten und das nötige Werkzeug herbeigeschafft hatten. Und Jordan erschien im schon langsam etwas bläulich im Gesicht, soweit er das von hier oben, in dem halbdunkeln erkennen konnte. Er kannte diese Miss Morrisen zwar erst seit heute, aber soweit er es beurteilen konnte, schien sie doch ein Mensch zu sein, dem man trauen konnte. Und es ging um Jordan! Was, wenn sie nicht mehr lange genug durchhalten konnte?

Als Abby wieder zu ihm aufblickte zog er seine Waffe aus dem Halfter und reichte sie der Frau hinunter, die ihm ein paar Sprossen auf der Leiter entgegenkommen musste, um sie zu erreichen. „Ich hoffe, Sie wissen was Sie tun.“, sagte er.

Die Blondine nickte nur und entsicherte die Waffe fachgerecht, während der Detective oben versuchte der Frau mit seiner Lampe so viel Licht wie möglich an der richtigen Stelle zu geben. ‚Keine Angst, ich weiß ganz genau was ich tue. Ist ja nicht das erste Mal.’, dachte sie.

Einmal gab sie Jordan noch Luft, dann suchte sie schnell noch mal mit der linken Hand das Schloss, hielt es am Bügel in die Richtung, die von Jordan wag zeigte, zog dann geschwind die Pistole unter Wasser, setzte sie auf das Schloss auf und drückte den Abzug. Sie spürte den Rückstoß der Waffe in ihrer Hand, hörte einen dumpfen Knall und prüfte sofort mit der Linken, ob das Manöver geglückt war, indem sie an der Kette zerrte. Diese löste sich in den Fluten ohne große Schwierigkeiten und sie Blonde griff sofort Jordans Schulter und zog die Pathologin an die Wasseroberfläche. Die Waffe wurde gesichert und in Abbys Hosenbund gesteckt. Dann griff sich auch mit der anderen Hand nach der Frau, die erleichtert nach Luft schnappte und half ihr auf die Beine. Jordan lehnte sich erschöpft an ihre Nachbarin. Ihre Knie waren weich und ohne das Abby sie festhielt, wäre sie sicher wieder ins Wasser zurück gefallen. Zitternd stand sie für einige Minuten da, gehalten von der anderen Frau und genoss neben der reichlichen Luft Abbys Körperwärme. Sie war halb erfroren und alles was wärmer war als das eisige Wasser, war für die Pathologin im Moment ein Geschenk des Himmels.

„Langsam und tief einatmen. Jetzt ist alles gut.“, murmelte Abby in das Ohr der triefnassen Brünetten und strich gleichzeitig beruhigend über ihren Rücken.

„Jordan, wie geht es dir?“, rief Woody von oben. Er hatte bisher geschwiegen und nachdem seine Freundin wieder an der Wasseroberfläche war kurz nach den Rettungskräften Ausschau gehalten. „Es kommt gleich Hilfe, ich sehe schon ihre Lampen.“

Jordan blickte nach oben und blinzelte ins Licht. „Woody? Endlich bist du da. Ich hab gewusst, dass du mich nicht im Stich lässt.“, sagte sie mit schwacher, dennoch freudiger Stimme. „Ohne dich hätte ich das nicht geschafft.“ Abby fühlte sich in dieser Sekunde so, wie in der Schule, wenn derjenige, der von einem abgeschrieben hat nicht nur ein Lob, sondern auch noch eine gute Note bekommt. Aber dieses Gefühl verdrängte sie ganz schnell wieder, denn sie wusste, dass Menschen, die solche extremen Situationen hinter sich hatten, in den seltensten Fällen noch wussten, was Realität und was das Wunschdenken war, welches einem die ganze Zeit am leben gehalten hatte. Daher drückte sie die andere Frau einfach fester an sich, um ihr so viel Körperwärme wie möglich zukommen zu lassen.

Einige Minuten später waren endlich die Rettungskräfte eingetroffen. Man befreite Jordan von ihrer verbliebenen Fessel und half ihr die Leiter hinauf. Oben wurden beide Frauen in dicke Decken gehüllt. Nachdem der Notarzt Jordans Kopfwunde, die zum Glück nur eine leichte Platzwunde war, gesäubert hatte, halfen Abby und Woody der Pathologin zum Wagen zurück. „Ich bringe euch beide gleich nach hause.“, bot der Detective an. „Aber ich muss vorher noch ein paar Dinge regeln.“

Jordan, welche sich auf den Beifahrersitz seines Dienstwagens fallen ließ, nickte nur schwach. Die Erlebnisse der letzten Stunden standen ihr im Gesicht geschrieben. Sie war blass und trotz der warmen Decke zitterte sie noch immer. Abby kniete sich vor ihr hin und legte eine Hand auf das Knie der Pathologin. „Hey, geht’s langsam wieder?“, fragte sie leise.

Die Brünette nickte erneut. „Das war ein ganz schönes Abenteuer.“, lachte sie schwach.

„Richtig, aber mach das bloß so bald nicht wieder. Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, da unten in dem Schacht.“, grinste Abby zurück. Es war ein gutes Zeichen, dass Jordan trotz der ganzen Geschichte nicht ihren Humor verloren hatte und schon wieder zum Scherzen aufgelegt war. Dennoch schaute sie ihrer Nachbarin mit ernster Mine ins Gesicht.

„Keine Angst, ich bin nicht scharf darauf in naher Zukunft wieder fast zu ertrinken!“ Ein Grinsen erschien auf ihren Wangen, die langsam wieder Farbe annahmen. Jordan schaute weiterhin fröhlich dem Treiben zu, doch mit einem Mal verschwand die Farbe mitsamt dem Lächeln aus ihrem Gesicht. Sie saß da wie versteinert. Abby blickte sich um und sah den Grund: Zwei Polizisten führten, gefolgt von Detective Hoyt Ron Derkins vom Gelände. Dieser sah nun wieder finster drein und schaute in Richtung der beiden Frauen. Wut und Hass waren in seinen Augen erkennbar, ein loderndes Feuer, welches von dem Gedanken an Rache genährt wurde. Abby ließ diese Maske allerdings unbeeindruckt. Sie hatte gesehen, dass Ron eigentlich nur ein armes Würstchen war, jemand mit dem man Mitleid haben müsste, hätte er nicht getötet und wäre jederzeit wieder bereit es wieder zu tun. Und obwohl es gefesselt war, schien er noch immer Jordan Angst zu machen. ‚Aber das Spiel kann man auch zu zweit spielen, mein Freund!’, dachte sie. Die Blondine hob furchtlos eine Augenbraue und suchte Blickkontakt mit Derkins. Es war nicht lange, dass er dem kalten und zugleich strengen Blick der Frau standhalten konnte. In ihren Augen war genau das zu erkennen, was sie ihm vorher schon zu verstehen gegeben hatte: Ich werde dafür sorgen, dass dein Leben zur Hölle auf Erden wird. Also sag und tue nichts Falsches! Ron schluckte, senkte betreten den Kopf und der Stolz mit dem er noch zuvor seinen Oberkörper aufgerichtet hatte, verschwand. Nun lief er wie ein getretener Hund mit hängenden Schultern zwischen den beiden Officers her und ließ sich ohne Schwierigkeiten in einen Polizeiwagen verfrachten.

Abby lächelte zufrieden. Sie wusste nun mit absoluter Sicherheit, dass Ron niemandem gegenüber auch nur ein Wort darüber verlieren würde, was zwischen ihnen auf der Baustelle passiert war. Das war etwas, dessen sie sich sicher sein musste. Etwas anderes könnte gefährlich werden. Nicht nur für ihren Beruf, sondern auch für ihr Leben.

Woody hatte bemerkt, dass Abby Derkins angesehen hatte und wenn er ehrlich war, ließ ihn dieser Blick erschaudern. Die Blondine würde er nicht gerne zum Feind haben, auch wenn er immer noch gerne wissen würde, wie sie es geschafft hatte, Derkins zu überwältigen. Dies und ihr Blick gaben dem Detective Rätsel auf. Das dieser Frau etwas Geheimnisvolles anhaftete, etwas was auch irgendwie unheimlich war, konnte er nicht abschütteln. Er würde in Zukunft ein Auge auf sie haben.

Abby wandte sich wieder Jordan zu und streichelte sie. „Keine Angst, er ist weg. Er kann dir nichts mehr tun.“ Langsam hob Jordan erneut ihren Kopf. Zwei Tränen liefen über ihre Wangen und sie suchte Sicherheit in dem Gesicht der anderen Frau. Diese fand sie in einem Paar blauen Augen, während ihr sanfte Finger die Tränen von den Wangen wischten. Ihre Blicke trafen sich für einige Sekunden und es reichte aus, um Jordan für einen ebenso langen Zeitraum wieder lächeln zu lassen.

Doch das Lächeln entschwand und gleich darauf gesellte sich Woody zu den beiden Frauen. „Wenn ihr soweit seid, dann können wir jetzt los.“ Jordan nickte kurz.

Nach einer relativ stillen Autofahrt hielt der Wagen schließlich in der Pearl-Street. „Danke, Woody.“ Dies waren die ersten Worte, die Jordan seit Beginn der Fahrt gesprochen hatte. Der Detective machte sich deshalb ein wenig Sorgen um sie.

„Soll ich noch mit hoch kommen?“, wollte er wissen. Die Pathologin schüttelte nur den Kopf du stieg aus dem Auto.

„Ich werde mich um sie kümmern, Detective.“, warf Abby ein. Sie hatte seinen besorgten Blick bemerkt, den er der Brünetten hinterher geworfen hatte.

„Das ist nett von Ihnen, Miss Morrisen.“ Erleichterung färbte seine Stimme.

„Es ist selbstverständlich. Und sie ist weiß Gott nicht der Typ, der sich vernünftig verhält. Da sollte jemand ein Auge drauf haben. Besonders nach so einem Tag.“ Sie wünscht dem Detective eine gute Nacht und eilte der anderen Frau hinterher.

In der ersten Etage holte sie Jordan ein. Die Gerichtsmedizinerin stand auf der letzten Stufe, hatte den Kopf gesengt und hielt sich krampfhaft am Treppengeländer fest. Ein Arm schlang sich um ihre Taille und stützte sie. „Komm, ich helf dir.“ Abby sah, dass Jordans Gesicht durch die Anstrengung wieder an Farbe verloren hatte. Die Brünette wandte ihr den Kopf zu.

„Ich weiß nicht, ob ich das noch schaffe.“, gestand sie leise. Sie blickte wieder nach unten und schaute ihre freie Hand an. Abby folgte ihren Blicken und beide sahen, dass diese zitterte.

„Das wäre doch gelacht. Wir machen das ganz langsam. Und im Notfall werde ich dich einfach tragen.“ Die Blondine versuchte die Stimmung zu lockern. Um Jordan wieder von ihrer Hand loszureißen, die diese immer noch anstarrte, ergriff sie sanft Jordans linken Arm und legte ihn über ihre Schultern. Das gab der Pathologin die Möglichkeit, sich noch weiter an der anderen Frau abzustützen. Als nach einigen Sekunden schließlich deren letzte Worte verarbeitet worden waren, nickte sie kurz und begann langsam, das Geländer loszulassen.

Nach einer ganzen Weile erreichten sie die dritte Etage. Abby schloss mit Jordans Schlüssel deren Türe auf, während diese sich erschöpft an die Wand lehnte. Im Appartement ließ sich die Pathologin auf ihr Bett fallen. Ihr war innerlich noch immer kalt und so begann sie automatisch sich in ihre Bettdecke einzudrehen. Abby hatte in der Zwischenzeit Jordans Schrank geöffnet und ihr einige trockene Sachen herausgesucht. Als sie die andere Frau in im Bett entdeckte, riss sie ihr die Decke weg. „Hey, was machst du? Lass die Decke los! Mir ist kalt!“, rief die Brünette.

„Du kannst doch nicht mit den nassen Sachen ins Bett. Das wird doch auch ganz nass.“, erklärte sie. Die Blondine machte ein besorgtes Gesicht, als sie sah, wie Jordan noch immer vor Kälte zitterte. „Was du brauchst, ist eine heiße Dusche. Danach schlüpfst du in trockene Sachen und ich mache dir was Warmes zum Trinken.“ Sie beugte sich hinunter und zog Jordan wieder aus dem Bett. Nachdem sie die andere Frau ins Bad gebracht und ihr auch die trockenen Kleider gegeben hatte, steckte sie Jordans Schlüssel ein, lief in ihre Wohnung hinüber und sprang selbst auch unter die Dusche.
Das heiße Wasser vertrieb die Erinnerung an die nasskalten Sachen auf ihrer Haut. Als sie nach einer knappen Viertelstunde wieder zu ihrer Nachbarin hinüber ging, war von dieser noch nichts zu sehen. Daher klopfte sie vorsichtig an die Badezimmertüre. „Jordan, ich bin wieder da. Ist alles ok?“

„Ja.“, schallte als Antwort über das Rauschen des Wassers durch die Türe.

„Gut. Was möchtest du trinken, Tee oder lieber Kakao?“

Jordan zögerte einen Augenblick: „Kakao wäre himmlisch. Aber ich glaube nach der ganzen Aufregung ist Tee viel magenfreundlicher.“

Erstaunt und ebenso besorgt über diesen Kommentar zog Abby die Augenbrauen in die Höhe, beschloss aber vorerst nichts weiter dazu zu sagen, als, „Ok.“

Daher bereitete sie beides vor, Tee und Kakao. Alles was sie nicht bei Jordan fand, holte sie kurzerhand herüber. Abby fischte gerade den Teebeutel aus der Tasse, als hinter ihr Schritte zu hören waren. „Das Duschen hat wirklich gut getan.“ Jordan ließ sich auf das Sofa fallen. Die Blondine hatte ihr noch immer den Rücken zugedreht.

„Ja es löst oftmals auch die Anspannung, die man innerlich mit sich herumschleppt.“

Jordan blinzelte verwirrt. „Was meinst du damit?“

Die andere Frau atmete noch einmal tief durch und stellte dann die Frage, die sie in den letzten Minuten beschäftigt hatte.

„Wie hat du das vorhin gemeint, als du eben von magenfreundlichem Tee gesprochen hast?“ Sie drehte sich um und schaute die Brünette besorgt an. Diese versuchte unschuldig den Blick zu erwidern.

„Nur so. Das war nur alles so kalt und mir ist auch gerade nicht nach Kakao.“ Bei dem Gedanken an die zuvor erfahrene Kälte lief ihr ein Schauer über den Rücken, welcher sie wieder zittern lies. Abby trat herüber, reichte ihr den Tee und setzte sich neben sie. Die Pathologin begutachtete die gelbliche Flüssigkeit. Es roch nach Kamillentee, was ihr erster Schluck auch bestätigte.

„Extra magenfreundlich.“, sagte Abby und grinste kurz. Jordan sah sie an. Die Gesichtszüge ihres Gegenübers wurden wieder ernst. „Du musstest sich übergeben, oder?“

Jordans Augen wurden so groß wie Untertassen. „Woher weißt du das?“

„Jemand der zuerst weiß wie die Wand war und dann von magenfreundlichem Tee spricht, der hat dafür einen Grund. Und irgendwie muss man ja den ganzen Druck loswerden, der sich in solchen Extremsituationen in einem aufbaut. Das ist nichts besonderes, wenn das dann so passiert.“ Die Brünette sah Verständnis in Abbys Augen. Aber sie hatte auch so ein Gefühl, als ob die Blonde aus Erfahrung zu ihr sprach. Sie trank noch etwas Tee, um ihre Gedanken ordnen zu können. Es klappte schließlich, denn der Kräutertrank entfaltete seine beruhigende Wirkung. Abby hatte in der Zwischenzeit ihren Kakao schon ausgetrunken und lehnte sich entspannt in die weichen Polster zurück.

„Warum bist du so ruhig? Hat dich der heutige Tag überhaupt nicht mitgenommen?“, fragte Jordan ihre Nachbarin zögerlich.

„Ich war nicht das erste Mal in einer Situation in der es um Leben oder Tod eines anderen ging, Jordan.“ Sie schaute Abby fragend an. Diese ließ ihre Blicke durch die Wohnung schweifen. Es fiel ihr schwer zu Jordan Blickkontakt zu halten, denn die Antwort betraf einen Teil ihrer Vergangenheit, der ihr Leben verändert hatte. Es war aus ihrer Sicht zwar nichts schlechtes, was daraus entstanden war, aber es hatte immer wieder Probleme geschaffen, mit denen sie regelmäßig zu kämpfen hatte. Sie holte tief Luft und erklärte.

„Als ich mit der Schule fertig war, bin ich zum Militär gegangen. Zu den Marines, um genau zu sein. Ich hatte sogar einige Kampfeinsätze. Doch dann hatte ich das Gefühl, dass mein Leben nicht das eines Marines sein kann.“ Sie wandte sich wieder der anderen Frau zu. „Versteh mich nicht falsch, es war eine schöne Zeit beim Militär, die mir viel gegeben und mich geformt hat. Aber ich dachte: ‚Das kann doch nicht alles sein.’ Also bin ich ausgetreten und habe bei der Bank angefangen. Dort habe ich mich von ganz unten hochgearbeitet. Bereut habe ich nichts von alledem. Ich bin sogar froh, dass es so gekommen ist.“

Abby spürte Erleichterung nachdem sie dieses Geheimnis losgeworden war. Jordan eine Lüge zu erzählen, erschien ihr nach den Ereignissen des heutigen Tages nicht fair und jede andere Geschichte als diese wäre zudem auch wenig glaubwürdig. Sie traute Jordan trotz allem noch immer zu die Dinge zusammenfügen zu können. Und selbst wenn sie es im Moment nicht könnte, wäre da das Risiko, dass sie es an einem anderen Tag tun und daraufhin zu viele Fragen stellen würde. Fragen, auf die sie weder antworten durfte, noch es konnte, um ihre Nachbarin nicht unnötig zu gefährden. Daher setzte sie lieber auf die halbe Wahrheit und hoffte, dass sie nicht so bald wieder vor der Wahl zwischen einer Lüge und der Wahrheit stehen würde, wenn es darum ging, Jordan etwas aus ihrem Leben zu erzählen.

Die Pathologin schaute sie ungläubig an. „Das glaube ich nicht, dass du bei den Marines warst.“

„Wenn du Beweise brauchst, dann gib mir eine Minute Zeit.“, sagte die Blondine. Sie stand auf und ging in ihre Wohnung hinüber. Jordan sah der Frau im Jogginganzug verdutzt hinterher. Doch bevor sie auch anfangen konnte, über das vorhin Gehörte nachzudenken, kam ihre Nachbarin auch schon zurück. In ihrer Hand hielt sie eine Kette, an welcher tatsächlich Hundemarken baumelten. Sie nahm diese in die Hand. Auf ihnen stand Abbys Name, Geburtsdatum und ihre Personalnummer. Es gab keinen Zweifel daran, dass die Hundemarken echt waren.

„Das ist unglaublich.“, sagte Jordan und gab die Kette ihrer Besitzerin zurück. „Ich hätte das nicht erwartet.“

Abby grinste. „Was hast du denn gedacht? Beim Militär sind auch nur ganz normale Menschen. Da ist niemand anders als jemand, der dir auf der Straße begegnet.“

„Kann ich dich mal was fragen?“ Sie schaute ihrer Nachbarin in die Augen. Diese nickte erwartungsvoll. „Musstest du auch töten?“

Abbys Miene verdunkelte sich. „Ja. Es ließ sich leider nicht vermeiden. Hätte ich es nicht getan, säße ich heute nicht hier.“

„Und nimmt dich das nicht mit? Ich meine, ist das der Grund, warum du jetzt so ruhig bist?“, wollte die Pathologin weiter wissen.

Die Blondine suchte einen Augenblick nach Worten. Sie ließ die Erinnerungen an diese Jahre hervorkommen und ließ bestürzt den Kopf hängen. „Es war nicht einfach, vor allem an den ersten Tagen. Danach lernt man unweigerlich das Ganze erst einmal zu verdrängen, damit man den Kopf frei behält um selbst zu überleben. Deine Schuldgefühle nimmst du mit nach Hause. Ich hatte noch Monate lang nach meinem ersten Einsatz Albträume. Du kanntest keinen von denen, hast oftmals nicht einmal ihr Gesicht gesehen, aber du weißt ganz genau, dass irgendwo jemand seinen Vater, seinen Mann, Bruder, Sohn oder Freund verloren hat. Diese Schuldgefühle können dich zerstören, wenn du nicht anfängst zu lernen, mit ihnen umzugehen. Ich musste mich oftmals übergeben in den ersten Wochen. Ich hielt die Schuld nicht mehr aus. Dann wurde es besser. Aber du lebst trotzdem jeden Tag damit.“ Sie sah auf und bemerkte, dass Jordan sie die ganze Zeit mit forschendem Blick angesehen hatte. „Bei mir kommen seit dem solche Reaktionen meistens erst einige Tage später.“

Sie saßen einige Zeit still auf der Couch, jede ging ihren Gedanken nach. Jordan hatte versucht aus Abbys Erzählung für sich Schlüsse zu ziehen und hoffte, dass die Zeit ihr dabei helfen würde, alles verarbeiten zu können. Aber etwas wollte sie dennoch wissen. „Was war denn deine erste Extremsituation, nach der du Anspannung loswerden musstest?“

Abby dachte kurz nach und musste unweigerlich grinsen. „Oh man, das war während der Ausbildung im Chore. Unsere Truppe wurde durch uns fremdes Gelände geschickt um es zu erkunden und 12 kleine Kästchen zu finden, die versteckt waren. Wir wussten, dass überall Fallen aufgebaut worden waren. Unterwegs spalteten wir uns in immer kleinere Gruppen, um das ganze Gebiet abdecken zu können. Ein Kamerad und ich waren schließlich allein in einem Teil eines Waldes. Wir mussten uns aber auch noch aufteilen. Wir wollten uns nur für fünf Minuten trennen und uns dann am gleichen Platz wieder treffen. Als ich dort eintraf, war mein Kamerad nicht da. Ich suchte ihn und fand ihn schließlich Kopfüber an einem Baum hängend. Sein Kopf begann schon rot und blau anzulaufen, denn der Strick hatte sich nicht um seine Beine, sondern um seinen Bauch gewickelt. Doch in den Händen hielt er tapfer die gefundene Schachtel. Er sah fast aus, wie eine reife Kirsche, so an den Seil hängend. Ich musste auf den Baum klettern, um ihn zu befreien, aber das war noch nie etwas in dem ich besonders gut war. Dass mir auch noch die Zeit weglief war auch nicht gerade hilfreich. Nach einigen Versuch, bei denen ich fast heruntergefallen wäre, schaffte ich es schließlich den Ast zu erreich und das Seil durchzuschneiden. Mein Kamerad kam frei und nach einigen Minuten ging es ihm wieder gut. Aber der Gedanke, dass es bei mir lag, ob er überlebt hätte, machte mich in den nächsten Tag ziemlich fertig. Ich hätte es nämlich nicht mehr rechtzeitig schaffen können Hilfe zu holen. Ich bin nachts schweißgebadet aufgewacht, weil ich Albträume hatte. Dann habe ich so lang klettern geübt, bis ich auf jeden Baum ohne Probleme in ein paar Sekunden hinauf kam.“

Jordan grinste. „Was ist so lustig?“, wollte Abby wissen.

„Ich habe gerade versucht mir vorzustellen, wie du in einer Uniform aussiehst und einen Baum hochkletterst. Ich denke, dass sieht sehr komisch aus!“

„Ich kann dem Bild nichts Komisches abgewinnen.“

„Ich schon. Besonders wenn ich mir noch vorstelle, wie du fast runter fällst. So an einem Arm am Baum hängend….“, kicherte Jordan.

In spielerischem Tonfall entgegnete die andere: „Na warte, das zahle ich dir heim.“ Sie stürze sich auf die Brünette und kitzelte sie lachend, so lange, bis beide vor Lachen ganz außer Atem waren.

„Das hat gut getan.“, sagte Jordan, während sie sich bemühte, wieder zu Atem zu kommen. Die Blonde nickte bestätigend.

„Wie wäre es jetzt mit einem Kakao?“

„Ich denke, ich kann einen vertragen.“ Abby stand auf und kam wenig später mit zwei Tassen, gefüllt mit warmem Kakao zurück. Sie hatte sogar eine Sahnehaube auf den Trank gesprüht. „Gut, dass du ihn warm gehalten hast.“, freute sich die Pathologin. „So etwas schokoladiges ist genau das richtige für die Seele. Und dann auch noch mit Sahne.“

„Und dann noch Plätzchen.“, ergänzte Abby, als sie einen Teller voller Waffelröllchen dazu stellte.

„Hast du die etwas wieder selbst gebacken?“, wollte Jordan wissen, während sie schon den ersten Bissen im Mund hatte. Jetzt wo die erste Aufregung verflogen war, forderte der Körper seine verbrauchte Energie zurück.

Die Blondine schüttelte den Kopf und tauchte ein Röllchen in die warme Flüssigkeit. „Sie sind zwar selbstgebacken, aber nicht von mir. Die hat meine Oma vor ein paar Tagen geschickt.“

„Und dann sind die noch so frisch? Sie schmecken wie gerade aus dem Ofen.“

„Wozu gibt’s denn sonst diese Frischhaltedosen aus Plastik?“, fragte Abby. Sie grinste Jordan verschmitzt zu.

So plauderten die zwei Frauen noch eine Weile entspannt miteinander, bis Jordan herzhaft gähnte. „Oh ich denke, es ist Zeit ins Bett zu gehen.“ Ihre Nachbarin nickte. Doch schaute sie Jordan prüfend an, die aufgestanden war und ihre müden Muskeln streckte.

„Glaubst du, dass du heute Nacht allein zu recht kommst? Wen du möchtest, dann bleibe ich. Es macht mir nichts aus auf der Couch zu schlafen.“

Doch die Pathologin winke selbstsicher ab und unterband gleich alle weiteren Kommentare mit einer bestimmenden Handbewegung. „Oh nein, kommt nicht in Frage. Du gehst in dein Bett! Der Tag war für dich mindestens genauso anstrengend wie für mich. Ich komme schon klar. Ist doch jetzt alles wieder gut, nicht war?“

„Ja das ist es.“, versicherte Abby nickend. „Dann gute Nacht, Jordan.“ Sie erhob sich von dem Sofa und ging in Richtung Tür.

„Gute Nacht.“, wünschte die Brünette. „Und Abby…“ Diese hatte gerade den Türknauf betätigt und drehte sich noch einmal im Türrahme um. Sie schaute Jordan fragend an. „Danke für alles.“

Die andere Frau lächelte. „Keine Ursache. Du hättest das gleiche getan.“ Mit diesen Worten schloss sie die Türe hinter sich und machte sich auch auf den Weg ins Bett.

XXX

Nachdem sie zuerst noch zu aufgedreht war um schlafen zu können, hatte es Abby schlussendlich geschafft in einen angenehmen Halbschlaf zu kommen und erwartete jeden Augenblick das Hinabgleiten in den wohlverdienten tiefen Schlaf. Die ganze Zeit zuvor hatten sie Gedanken an Jordan wach gehalten, denn sie hatte sich gefragt, ob Jordan tatsächlich schon so weit war allein zu bleiben oder ob sie nur so stark und selbstsicher getan hatte. Vielleicht hatte sie sich auch getäuscht, aber sie glaubte etwas in ihrem Blick gesehen zu haben. Da war etwas was sie nicht genau bestimmen konnte, etwas was ihre Gedanken hatte kreisen lassen. Doch schließlich hatte sie diese Überlegungen beiseite geschoben und sich auf sich selbst konzentriert. In wenigen Minuten würde sie das Traumland erreicht haben.

Sie genoss die Sonne an einem weißen Sandstrand, blickte in die Ferne auf dem Wasser, wo irgendwo ein kleiner dunkler Punkt langsam vorwärts kroch. Ein Schiff war das, das wusste sie genau. Doch es war so weit weg, dass es schon gar nicht mehr real erschien. Sie hörte das Rauschen der Wellen und das Klopfen an der Tür. Das Klopfen an der Tür? Meer und Strand verschwanden in der Dunkelheit.

Müde und missmutig über das abrupte Ende ihres wunderschönen Traumes öffnete Abby die Augen. Sie knipste das Licht an, blinzelte in die Helligkeit und seufzte, denn das Klopfen ertönte noch immer. „Ich komme ja schon.“, rief die Frau und lief zu der Quelle der Störung.

Mit mürrischem Gesicht öffnete sie die Türe, doch ihre Züge wurden augenblicklich weich und verständnisvoll als sie die Person sah, die für das Klopfen verantwortlich war. Vor ihrer Türe stand Jordan mit roten Augen, noch feuchten Wangen und sah so aus, als würde sie jeden Moment in sich zusammensinken. Abby zögerte keine Sekunde, sondern zog die dunkelhaarige Frau zu sich in die Wohnung, ließ die Türe mit einem leichten Fußtritt ins Schloss fallen und nahm Jordan in die Arme. Diese lehnte sich an die Blondine und vergrub das Gesicht an ihrer Schulter. So standen sie eine Weile ohne ein Wort zu sagen. Jordan brauchte die Zeit, um sich zu überwinden. Dann hob sie ihren Kopf und schaute Abby an. Sie fand Stärke, Ruhe und Sicherheit in den blauen Augen, so dass sie die Kraft fand etwas zu fragen. „Gilt dein Angebot von vorhin noch?“ Ihre Stimme war leise und unsicher.

Auf dem Gesicht ihres Gegenübers erschien ein zuversichtliches, kleines Lächeln. „Natürlich.“

Jordan ließ sich wieder in die Arme ihrer Nachbarin sinken. Sie schlang ihre Arme um deren Taille und hielt sich fest, als würde ihr Leben davon abhängen. Nach einigen Minuten spürte die Blondine Feuchtigkeit auf ihrer Schulter und als sie die Ohren spitzte, nahm sie deutlich ein leises Schluchzen war. Jordan weinte. Die andere Frau hielt es für das Beste, die Brünette selbst bestimmen zu lassen, wann sie über das, was sie bedrückte sprechen wollte. Daher striche sie Jordan einfach nur beruhigend über den Rücken und hielt sie weiter fest. Die sonst so selbstbewusste Pathologin wirkte im Moment so zerbrechlich, dass Abby sich auch nicht traute sie loszulassen. Nach einiger Zeit merkte sie plötzlich, wie Jordans Beine nachgaben. Reflexartig packte Abby fester zu, um die Frau in ihren Armen nicht zu Boden fallen zu lassen. Gleichzeitig spürte sie, wie sich Jordans Fingernägel in ihrem Rücken auf der Suche nach Halt festkrallten. Kurzerhand fasste sie einen Entschluss. Sie hielt die Brünette so gut sie konnte auf ihren Beinen und navigierte sie zu ihrem Bett. Dort kamen beide auf der Matratze zu sitzen. Jordan hatte noch immer ihr Gesicht in Abbys Schulter vergraben. Diese strich ihr nun über die Wange, hob ihren Kopf an und sah ihr verständnisvoll in die Augen.

„Brauchst du ein Taschentuch?“, fragte sie einfach. Abby hatte keine Ahnung, was sie sonst sagen sollte. Manchmal war sie eher eine Person der Tat, als der des Wortes und im Moment fehlten ihr letztere.

Die Brünette schüttelte den Kopf. Tränen kullerten weiterhin über ihre Wangen. „Wirklich nicht?“ Sie wischte mit ihrer Hand der anderen Frau diese sanft aus dem Gesicht. „Du machst mir aber das T-Shirt ganz nass.“

Unweigerlich musste Jordan kurz lachen. „Entschuldige. Das wollte ich nicht.“ Sie legte ihre Hand auf Abbys Schulter, so als könnte sie die Feuchtigkeit wieder wegwischen. Die Blonde Frau nahm Jordans Hand von dort und hielt sie fest. Sie wollte nur, das Jordan sie wieder ansah.

„Ach, lass doch das Shirt. Das trocknet wieder. Du bist viel wichtiger.“ Nun hatte sie die Aufmerksamkeit der Pathologin. Diese erforschte ihr Gesicht um zu erfahren, ob das ernst gemeint war. Doch sie fand nichts, was auf das Gegenteil hinwies.

„Ich bin müde. Schrecklich müde.“, brachte sie schließlich mit leiser Stimme hervor. Abby nickte. Sie konnte sowohl die Erschöpfung, als auch die Angst in Jordans Augen erkennen.

„Möchtest du heute Nacht hier bleiben?“, fragte sie, während sie über Jordans Handrücken strich um sie weiterhin zu beruhigen.

„Wenn es dir nichts ausmacht.“ Sie blickte zu Boden, ehe sie weiter sprach. „Ich nehme auch die Couch.“

Abby schmunzelte und hob den Kopf der Brünetten wieder an. „Auf gar keinen Fall. Wer hat vorhin noch gesagt, dass wir beide in ein Bett gehören, nach so einem Tag? Und wenn es mir etwas ausmachen würde, warum hätte ich dann überhaupt mein Angebot gemacht? Hast du schon wieder vergessen, was du gefragt hast, nachdem du eben rüber gekommen bist?“

Jordan schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte das nicht vergessen. Aber im Augenblick war ihr Gehirn wie in Watte gepackt. Es fiel ihr nicht leicht, klar zu denken. Die Erschöpfung nagte an ihr und zugleich hielt sie eine Sperre in ihr davon ab, sich in die Arme des Schlafes fallen zu lassen. Stattdessen lehnt sie sich wieder an ihre Nachbarin. Diese legte erneut die Arme um sie. Die beiden schwiegen wieder für lange Minuten. Abby hatte schon fast den Eindruck, dass Jordan eingeschlafen sei, denn sie atmete nun völlig ruhig und gleichmäßig. Doch als ihr Körper anfing zu zittern, war ihr klar, dass die Gerichtsmedizinerin wach war, denn sie drückte sich auf der Suche nach Wärme stärker an sie. „Komm wir legen uns hin. Das ist bequemer und unter der Decke ist es schön warm.“

Die Brünette brummte ihre Zustimmung, ließ ihre Nachbarin los und erhob sich langsam. Jede der Frauen legte sich auf eine Seite der Matratze. Jordan rollte sich wie ein Baby im Mutterleib zusammen, umklammerte mit einer Hand die Bettdecke und hoffte, dass irgendwann noch in dieser Nacht die Bilder vor ihren Augen aufhören würden, damit sie Ruhe finden könnte.

Abby lag auf ihrer Rechten Seite und betrachtete die andere Frau. Schließlich fand sie die Worte, die sie eben noch gesucht hatte. „Albträume?“

Jordan öffnete ihre Augen. Hilflos blickte sie Abby an. Sie wusste nicht ob sie reden können würde, daher nickte sie bloß. Die Blondine strich über ihre Wange, drehte sich auf den Rücken und sagte nur: „Komm her.“ Sie machte eine Geste, die der Pathologin zu verstehen gab, dass sie sich ruhig wieder an die andere Frau ankuscheln konnte. „Es kann dir nichts passieren. Du bist nicht allein, Jordan.“ Sie hatte ihren Kopf wieder auf ihre Schulter gelegt, so dass sie dort ihr Nicken spürte. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit für sie, legte Abby auch ihren Arm um sie. Die andere Frau wusste, dass Jordan jetzt das Gefühl von Sicherheit brauchte. Sonst würde sie nie darüber reden. Und das war aber ein Muss, damit sie den Tag richtig verarbeiten können würde.

Doch vorerst hüllte sich die Gerichtsmedizinerin in Schweigen. In ihrem Kopf bewegten sich die Gedanken mit unglaublicher Geschwindigkeit. Schließlich bekam sie einen zu fassen. „Abby, kann ich dich was fragen?“

„Sicher.“, kam die knappe Antwort. Während des Wartens auf Jordans Worte war sie schon fast eingeschlagen. Doch jetzt wurde sie wieder hell wach und schenkte der Pathologin ihre volle Aufmerksamkeit.

„Hattest du schon mal Angst um dein Leben?“, wurde mit leise gefragt. Angst und Unsicherheit schwang in der Stimme mit.

Abby blinzelte. Mit so einer Frage hatte sie nicht gerechnet, aber sie wollte Jordan eine ehrliche Antwort geben. „Ja, als ich beim Militär war.“

Die Brünette stemmte sich mit dem linken Arm auf der Matratze ab und blickte die andere ein wenig vorwurfsvoll an. „Nein, ich meinte jetzt, ob du schon mal richtige Todesangst hattest. Ob du schon mal so nah davor warst….“ Weiter kam sie nicht, weil sie es nicht aussprechen konnte. Es war seltsam, da sie jeden Tag mit dem Tod zu tun hatte, ebenso mit den Menschen, die jemanden verloren hatten, oder mit den Geschichten die einem die Leichen auf dem Seziertisch erzählten. Aber das alles, diese Routine, schien nichts zu bringen, wenn es um einen selbst ging.

Die Blonde schaute verwundert zu ihr hoch. „Ich habe nichts anderes gemeint. Ich bin in einem Kampfeinsatz getroffen worden. Hätte mich ein Kamerad nicht rechtzeitig ins Lager gebracht, hätte man mir nicht mehr helfen können. Ich hatte fast schon zu viel Blut verloren und das sogar ohne es zu merken.“

Jordans Augen wurden untertassengroß. „Wo wurdest du getroffen?“, wollte sie wissen.

Abby setzte sich auf, drehte der Pathologin den Rücken zu und hob ihr T-Shirt an. „Dort auf dem Schulterblatt. Die Kugel ist im Knochen stecken geblieben.“

Die Gerichtsmedizinerin begutachtete ihr rechtes Schulterblatt und entdeckte schließlich eine kleine, blasse Narbe an der Stelle, auf welche die Finger der anderen Frau gedeutet hatten. „Da hattest du riesiges Glück. Ein paar Zentimeter weiter links und es hätte dich getötet.“

„Das hat es auch so schon fast geschafft.“, scherze sie. Jordan fand das nicht komisch. Sie strich mit ihren Fingern über das einst verletzte Gewebe, so als wollte sie sich verdeutlichen, dass das alles kein Traum war. Konnte es sein, dass auf einmal jemand auftaucht, der ähnliches erlebt hatte, wie man selbst? Und der dann auch noch bereit war, diese Erlebnisse mit einem zu teilen? Langsam lies sie ihre Hand wieder sinken.

Abby, wieder vollständig eingehüllt, drehte sich herum und legte sich an ihren alten Platz. Sie zog Jordan zu sich herunter. Sie hatte das Gefühl, dass es ihr das Reden leichter fallen würde, wenn sie nicht unbedingt Blickkontakt hatten. Dass sie damit richtig lag merkte sie, als sie schließlich Jordan eine Frage stellte. Nachdem sich die Brünette ein paar Minuten lang an sie gelehnt und Abby auch wieder den Arm um sie gelegt hatte, wagte sie es. „Ging es in dem Albtraum darum? Um Todesangst?“ Sie spürte zuerst nur, wie Jordan an ihrer Schulter nickte.

Dann antwortete sie ein leises „Ja.“ Die Pathologin schwieg erneut ein paar Minuten, in denen sie innerlich darum kämpfte, wie sie ihren Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen sollte.

„Heute in diesem dunkeln Loch,… ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dass mich noch jemand findet. Zuerst habe ich geglaubt ich träume, als ich dein Rufen gehört habe. Und dann glaubte ich, ich komme nun ganz schnell da raus. Aber dem war nicht so und das Wasser steig weiter. Bis über meine Nase. Das Ganze erschien wie ein langer Albtraum aus dem man nicht aufwachen kann. Ich dachte nach unserem Gespräch vorhin, ich könnte allein damit umgehen. Es erschien alles wieder so normal. Doch als ich in meinem Bett lag und die Augen zu machte, war ich auch schon wieder in diesem Loch. Es drehte sich alles um mich herum und ich habe es nicht geschafft, diese Bilder zu verdrängen. Dabei fühle ich mich wie gerädert, so als könnte ich mich einfach hinlegen und sofort schlafen. Aber ich kann es nicht. Und das ist zermürbend. Was noch hinzukommt ist, dass ich nicht das erste Mal in so einer Lage war. Letztes Jahr hat mich so ein Irrer in einem Sarg vergraben. Und jetzt schient es so, als würde das von heute auch noch das von damals wieder aufreißen.“

Abby hatte während Jordan gesprochen hatte angefangen ihr beruhigend den Rücken zu streicheln. Besonders, als sie gemerkt hatte, die sie sich an ihrem T-Shirt festkrallte und dass Jordan wieder weinte. „Du hast damals das einfach beiseite geschoben und verdrängt, hm?“

„Vielleicht.“, antwortete sie leise. Jordan hätte nicht antworten zu brauchen. Ihrer Nachbarin war klar geworden, dass Jordan so gehandelt haben musste, nach alles was sie erzählte. Das der heutige Tag nur der Trigger war, der alles wieder an die Oberfläche gebraucht hatte, war die Konsequenz, die man daraus ziehen musste.

„Du wärst fast erfolgreich gewesen. Du hättest nur nicht heute in das Loch kriechen dürfen.“

Jordan brachte ein kurzes Lachen zwischen ihren Tränen hervor. Ihre Hand löste sich aus ihrer Verkrampfung um den Stoff in ihrer Hand. Mehr sagte Abby nicht, außer einigen beruhigenden kleinen Sätzen des Trostes, die Jordan das Gefühl von Geborgenheit geben sollten. Ansonsten hielt sie sie einfach nur fest und ließ sie ausweinen. Schließlich verstummte das Schluchzen. „Meinst du, ich komme darüber weg?“, wollte Jordan wissen.

„Sicher. Das braucht zwar seine Zeit, aber das wird schon.“, versicherte ihr die Blondine. Sie fühlte noch immer Anspannung in Jordans Körper. Doch ein Gefühl sagte ihr, was da noch im Argen liegen könnte. „Das ist keine Schwäche, Jordan. Niemand geht mit so was so einfach um, oder braucht nur einen Tag um damit das zu verarbeiten. Das kann dir jeder Psychiater bestätigen.“

„Oh nein.“, stöhnte Jordan, denn unweigerlich formte sich das Gesicht von Dr. Stiles vor ihrem geistigen Auge. Abby musste über diese Reaktion lachen und es war so herzhaft, dass schließlich beide lang und feste lachten. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatten, wirkte Jordan sichtlich erleichtert und entspannt. Sie kuschelte sich wieder an ihre Nachbarin und beide mussten kräftig gähnen. „Versuch nun zu schlafen. Morgan ist auch noch ein Tag und dann sieht die Welt schon ganz anders aus.“, sagte Abby und streichelte Jordan noch einmal über den Rücken, bevor sie das Licht auf ihrem Nachttisch löschte.

Jordan nickte an ihrer Schulter. „Gute Nacht, Abby.“

„Gute Nacht, Jordan.“, sagte Abby und gab ihrer Nachbarin noch einen sanften Kuss auf den Kopf. Nach wenigen Minuten schliefen beide tief und fest.

XXX

Ende Kapitel 1


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Wenne Mittwoch überlebst is Donnerstag!