Ressentiment!
Herbstdoppelheft (buch) von Merkur
http://www.online-merkur.de/
"über dieses Heft
Ressentiment!
Zur Kritik der Kultur
Doppelheft Sept./Okt. 2004
Ressentiment gehört zu den Wörtern, die man als Vorwurf am wenigsten auf sich selbst beziehen möchte: Gemeint sind die anderen, und zwar die besonders Kleinkarierten. Jemandem vorzuwerfen, er habe Ressentiments, heißt ihm zu sagen, er sei ein Mensch ohne Selbstbewußtsein, der sich dafür rächen will. Ressentiment ist unter den negativen Eigenschaften wie Neid oder Haß die niedrigste und der Vorwurf daher besonders verletzend. Seit dem letzten Jahrhundert spricht man nicht nur vom Ressentiment bei Einzelpersonen, sondern bei ganzen Bevölkerungsgruppen, ja sogar Völkern. Das soziale Ressentiment war ein wichtiges Movens bei allen Massenbewegungen und Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts, nicht zuletzt im nationalsozialistischen Kontrollstaat. Überhaupt die Nationalsozialisten: Ließe sich ihr Aufkommen und ihr Erfolg nicht vom Ressentiment her erklären? Zum Beispiel auch von dem gegen "den Westen". Und gibt es dieses Ressentiment in verwandelter Form nicht abermals, hierzulande und fast überall? Ressentiment als ein individualpsychologisches und kollektives Defizit das ist der gängige Gebrauch des Begriffes, und gerne wird er durch die antike Fabel illustriert: vom Fuchs, dem die Trauben zu hoch hängen und der sie deshalb als sauer zurückweist. Eine andere Idee des Ressentiments ist neueren Datums, und Nietzsche hat sie skizziert: die Geburt des Ressentiments aus dem Geiste des Geistes. Nietzsches Genealogie, die mit der jüdischen Priesterschaft zur Zeit des römischen Imperiums beginnt und in der christlichen Moral triumphiert, ist eine Luftblase, die zerplatzt, wenn sie an historische Fakten stößt. Faszinierend bleibt der Gedanke, daß es ein schöpferisches Ressentiment gibt, ein Ressentiment, das seine Ohnmacht in Klugheit verwandelt, in perennierende Intellektualität: Das Ressentiment des Ohnmächtigen wird zur Überlegenheit des Argumentierenden, sagt Nietzsche, angstvoll und mit Lust. Denn ist nicht er selbst ein Neffe Rameaus, einer der ersten modernen Intellektuellen, deren Basis das Ressentiment ist?
Im Zentrum dieses Heftes steht das produktive Ressentiment des intellektuell oder künstlerisch Begabten: Ressentiment als Quelle von Originalität, nicht nur als Erkennungsmarke von Zukurzgekommenen. Wie es auch in den einfallsreichsten Ideengebäuden herumspukt mit seinen dumm und klug machenden Energien, wird in drei Themenfeldern untersucht: philosophisch, ästhetisch, politisch-soziologisch. Dabei geht es um Rousseau, Nietzsche, Heidegger, aber auch um die Kritische Theorie; um das Ressentiment bei Thomas Mann, Karl Kraus und Louis-Ferdinand Céline, aber auch im Bereich der bildenden Kunst der Moderne; um das Ressentiment in der sozialen und ökonomischen Welt, um Selbsthaß und Opferrhetorik, um Moralisierung und Seelenvergiftung. Abzulehnen, was ist, im Namen dessen, was (noch) nicht ist: Dieses Grundprinzip moderner Kulturkritik entstammt dem Geiste des Ressentiments. Seinen avancierten Ausdruck hat es in der Dialektik der Aufklärung gefunden, weshalb die Auseinandersetzung mit ihr dieses Heft eröffnet. Was wäre dem schöpferischen Ressentiment entgegenzuhalten? Vielleicht die absolute Akzeptanz der sinnlich wahrnehmbaren Welt, nicht zuletzt durch den Dichter und dessen ursprüngliches Prinzip: das Rühmen."
LG. Pegus
PS: Hi Eva, von Dd- ich wusste es auch nicht :-)
P,.:`#.:,,S