Dilla´s & Eva´s grenzwissenschaftl. & polit. Forum - M 2003 bis 2006

Bruderkrieg im Paradies

Bruderkrieg im Paradies

Bruderkrieg im Paradies

Von Lars Langenau, Colombo

Im Schatten des weltweit operierenden islamischen Terrorismus tobt in Sri Lanka weitgehend unbeachtet ein blutiger Konflikt. Trotz eines Waffenstillstandes setzen die Separatisten der Tamil Tigers ihre Morde fort. Doch nun hat sich der Bürgerkrieg in einen Bruderkampf unter den Tamilen gewandelt - mit unabsehbaren Folgen.



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LTTE-Chef Velupillai Prabhakaran: Für die einen ein Gott, für andere Pol Pot
Der Tod kam in der Nacht. Er kam aus dem Lauf einer Uzi. Die Salve erwischte die acht Tamilen mitten im Schlaf. Als die Polizei kam, verteilte sich das Blut der Opfer auf die weiß gekalkten Wände des kargen Raum, in dem sich die Männer zuvor zum Schlafen zurückgezogen hatten.

Weder entdeckte die Polizei Zeichen eines Kampfes, noch fanden sie an dem unauffälligen Haus in einem Vorort von Sri Lankas Hauptstadt Colombo Spuren eines Einbruchs. Der Mörder muss bereits unter ihnen gewesen sein, als sie sich ahnungslos auf ihre Matratzen legten.



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Attentat auf LTTE-Dissidenten in Colombo: Der Tod kam in der Nacht
Die Toten waren Anhänger eines abtrünnigen Rebellenführers der tamilischen Unabhängigkeitsbewegung in Sri Lanka, dem früheren Ceylon: V. Muralitharan alias Commander Karuna war bis vor vier Monaten der zweite Mann einer der brutalsten und schlagkräftigsten Guerilla-Organisationen der Welt. Karuna, "der Mitfühlende", hat selbst seinen Anteil daran, dass die "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) das tropische Paradies im indischen Ozean in einen 20 Jahre andauernden Bürgerkrieg zogen, der rund 64.000 Menschen das Leben kostete.

Und er weiß, dass sein Chef Velupillai Prabhakaran, 50, der die LTTE im Alter von 18 Jahren 1972 gründete, seine Rivalen und Dissidenten kaltblütig beseitigen lässt. Mit 21 Jahren ermordete Prabhakaran eigenhändig den Bürgermeister der Tamilen-Hochburg Jaffna, danach ließ er die meisten Morde von anderen ausführen.

Führers Geburtstag ist Feiertag



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Kämpfer der Tamil Tigers: Eine der grausamsten und schlagkräftigsten Guerilla-Organisationen der Welt
Ein paar Jahre später hatte sich die LTTE mit einer erbarmungslosen Strategie als alleinige Vertretung der Tamilen etabliert - als Armee und als Quasiregierung. Seinen Namen in Sri Lanka auszusprechen führt zu sonderbaren Situationen. Für große Mehrheit ist Prabhakarans totalitäre Machtausübung nur vergleichbar mit Größenwahn, mit dem Terror von Pol Pot. Offen reden wollen sie nicht. Zu groß ist die Angst vor seiner Rache. Durchschnittlich werden pro Monat zehn seiner Kritiker ermordet, weitere "verschwinden" einfach. Abtrünnige werden selbst noch im Ausland verfolgt.

Prabhakaran Kämpfer hingegen sind ihm treu ergeben. Und sie sollen lieber sterben, als gefangen genommen zu werden - eine Zyankalikapsel tragen sie ständig bei sich. Der rundliche Feldherr im abenteuerlichen Tiger-Dress wird von seinen Anhängern wie ein Gott verehrt. Der Geburtstag des Führers ist in seinem Machtgebiet im Norden und Osten der Insel ein Feiertag. Geld für seine Organisation kommt vor allem - zu einem hohen Anteil erpresst - von Tamilen in der Diaspora, aber auch aus dem Menschen- und Drogenhandel.

Commander Karuna weigerte sich vor vier Monaten, tausend Kämpfer in den Norden zum seinem Chef zu entsenden. Der 40-jährige Hauptmann sagte sich mit 6000 Kämpfern der insgesamt 15.000 LTTE-Rebellen von Prabhakaran los. Dieser schickte umgehend eine Strafexpedition. Nach viertägigen Kämpfen zwang sie Karuna zur Flucht in den Dschungel.

Nun wird Karuna von der LTTE-Führung beschuldigt, mit der Zentralregierung zu kollaborieren, um so einen Stellvertreterkrieg gegen die LTTE zu führen. Ob Karuna aufgeben wird, ist mehr als fraglich. Noch im Frühjahr sagte er: "Als Soldat habe ich keine Angst vor dem Tod. Der Tod bedeutet nichts im Vergleich zu den Rechten unseres Volkes."

Kampf mit Selbstmordattentaten und Kindersoldaten



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Präsidentin Kumaratunga: Warnung vor Ausverkauf der Interessen Sri Lankas
Nach der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahre 1948 wurden die Tamilen systematisch unterdrückt. Die ehemalige Führungsschicht stellt 18 Prozent der 23 Millionen Einwohner Sri Lankas. 1983 eskalierten die schwelenden Unruhen in einem offenen Bürgerkrieg, den die LTTE mit Selbstmordattentaten und Kindersoldaten kämpft. Ihr Einsatz galt lange einem eigenen Staat für die tamilische (überwiegend hinduistische) Minderheit im Norden und Osten des Landes. In den übrigen Teilen der Insel von der Größe Bayerns stellt die singhalesische (buddhistische) Bevölkerung die Mehrheit.

Grausamkeiten wurden seither von beiden Seiten mit noch mehr Gewalt beantwortet. Attentaten folgten Pogrome. In den fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen stehen sich die Kontrahenten auch laut dem aktuellen Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in nichts nach. Die LTTE tötete 1991 den indischen Premier Rajiv Gandhi und ermordete Sri Lankas Staatsoberhaupt Ranasingh Premadasa. Auch die aktuelle Präsidentin Chandrika Kumaratunga überlebte 1999 nur knapp einen Anschlag, bei dem sie ein Auge verlor.

242 Mitglieder der "Schwarzen Tiger", wie sich die Selbstmordbrigade nennt, rissen seit 1987 mit ihren Kamikaze-Angriffen mehr als tausend Menschen in den Tod. Mehr als eine Million Menschen flohen während des Krieges aus dem Osten und Norden. Weniger als ein Drittel von ihnen kehrte seither wieder zurück.

Bereits vor dem 11. September 2001 setzten die USA, Kanada, Großbritannien und Indien die Tamil Tigers auf die Liste der terroristischen Organisationen, aber erst nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York gerieten auch die tamilischen Rebellen zunehmend unter Druck. Jedoch setzte sich auch in der Regierung in Colombo langsam die Erkenntnis durch, dass ein Frieden gegen diesen zu allem entschlossenen Gegner nicht durch Krieg zu erzwingen ist. Im September 2002 kam es schließlich unter norwegischer Vermittlung zu einem fragilen Waffenstillstand zwischen den Kontrahenten. Nach anfänglicher Euphorie gerieten die Verhandlungen über einen Friedensschluss jedoch alsbald ins Stocken. Im April vergangenen Jahres lehnte die LTTE-Führung alle weiteren Gespräche ab, da sie von einer internationalen Geberkonferenz zum Wiederaufbau des Landes ausgeschlossen wurde.

Eigene Zeitrechnung im Rebellengebiet



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Regierungssoldaten: Rebellen und Soldaten stehen sich in Grausamkeiten in nichts nach
Im November 2003 setzte dann Präsidentin Kumaratunga überraschend Neuwahlen fest und verhängte den Ausnahmezustand über das Land. Vermittler Norwegen setzte die Friedensgespräche aus. Nach Neuwahlen im April und einer Stärkung der Position der Präsidentin, wurden erst in diesen Tagen wieder neue Vermittlungen unter der Schirmherrschaft Norwegens aufgenommen.

Immerhin gaben die Rebellen Anfang des Jahres ihr Maximalziel eines Tamil Eelam (tamilisches Land) auf, und beschränken sich nun auf die Forderung einer weitgehenden Autonomie im Rahmen eines föderalen Staates. Die haben sie freilich schon heute: So erhebt die LTTE in ihrem Machtgebiet eigene Steuern, verfügt über eine eigene Polizei und sogar über eine eigene Zeitzone. Die Regierung in Colombo hält hingegen strategisch wichtige Punkte auf Halbinsel Jaffna und verwandelte sie in "Hochsicherheitszonen", 30.000 Soldaten überwachen das Gebiet mit einem flächendeckenden Netz von Kontrollpunkten.

Aber auch in den anderen Landesteilen sind erhöhte Sicherheitsmaßnahmen in Kraft: Vor jeder touristischen Attraktion und vor jedem staatlichen Gebäude im Land sind Fahrhindernissen angebracht. Soldaten sitzen mit der MG im Anschlag in kleinen, mit Sandsäcken bewehrten Burgen. Das Kriegsgebiet beginnt gleich hinter der antiken Königsstadt Anuradhapura. Neuerdings warnt das Auswärtige Amt wieder eindringlich vor Reisen in den Norden und Osten des Landes.

Die Angst ist begründet: Nach drei Jahren relativer Ruhe sprengte sich Anfang Juli in Colombo erstmals wieder eine Selbstmordattentäterin in die Luft und tötete dabei vier Polizisten. Ursprünglich hatte sie einen tamilischen Minister im Visier.

Die hinterhältigen Morde an den acht Männern in Colombo könnte der Auftakt einer beispielslosen Säuberung in der LTTE sein. Beobachter befürchten gar die Spaltung der Rebellenorganisation. Doch so absurd es klingt, gerade das könnten den Waffenstillstand nachhaltig gefährden und ein Friedensabkommen in unerreichbare Ferne rücken. Colombo würde einfach der Verhandlungspartner fehlen.

Norwegens Chefvermittler, der stellvertretende Außenminister Vidar Helgesen, warnte angesichts der neuen Gewalttaten bereits eindringlich vor einem Spiel mit dem Feuer. Denn obwohl jeder auf Sri Lanka kriegsmüde erscheint, könnte aus der Glut des Bruderkrieges im Paradies abermals der Bürgerkrieg entfacht werden.

LG. Pegus

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