ViB-the new Generation
ViB-The next Generation
Die Vögel zwitscherten fröhlich auf den Ästen des großen Baumes, der schon seit einer Ewigkeit vor der großen Villa stand - nein, er stand nicht nur, er bewachte das mondäne Haus regelrecht. Eine Ewigkeit... Für Lisa Seidel war es keine Ewigkeit, sondern sie erinnerte sich an den Tag, als wäre er erst gestern gewesen. Vor Fünfundzwanzig Jahren hatte sie - ehemals Lisa Plenske aus Göberitz - hier im schönen Park David ihr Ja-Wort gegeben.
Lisa Plenske, ich will dich nicht nur ehren, lieben und dir treu sein. Ich will dich mein ganzes Leben lang auf Händen tragen, dir die Sterne vom Himmel holen, die du dir durch das Teleskop ausgesucht hast. Ich will dich immer begehren, ganz gleich, was mit uns passiert. Ob wir alt und grau werden oder auch durch Krankheit gezeichnet. Ich werde dich nie in Stich lassen, eher soll mich der Teufel persönlich holen. Ich werde dir Plätze zeigen, von denen du bisher nur geträumt hast, aber den Platz in meinem Herzen, den hast du eh schon auf immer und ewig gepachtet! Und egal was du träumst, ich werde es in Erfüllung gehen lassen. (Als witzigen Zusatz bat er noch: Aber bitte, bitte stecke mich nicht in ein Biene-Willi-Kostüm!)
Lisa Plenske, ich bin dir auf ewig verfallen und danke Gott für die unverdiente Gnade, die er mir erwiesen hat. Mein ganzes Leben lang war ich blind, aber du hast mir die Augen geöffnet für die wahren Dinge des Lebens! Lisa, ich möchte mit dir bis zum Tod glücklich sein und hoffe, dass du mir die Ehre erweist, meine Frau zu werden!
Lisa kamen jetzt noch die Tränen, als sie an diese traumhafte Liebeserklärung dachte. Selbst der Standesbeamte konnte sich nicht beherrschen und Lisas Vater Bernd wollte ihm schon mit einem - peinlicherweise ölverschmierten - Taschentuch aushelfen.
Papa... Lisa atmete tief durch. Sie musste an ihren Vater fast ebensoviel denken wie an David. Nur, dass David glücklicherweise am Leben war und stets an ihrer Seite. Aber Papa Plenske erlag schon vor fünf Jahren seinem schweren Herzinfarkt. Für Lisa brach damals eine Welt zusammen, und David hatte lange gebraucht, bis sie wieder ein Lächeln auf dem Gesicht hatte. Ihre Mutter allerdings war jetzt noch tief depressiv und sprach immer davon, dass Lisa sie doch endlich ins Pflegeheim stecken möchte.
Aber Lisa wollte und konnte ihre Mutter nicht so einfach abschieben, das lag nicht in ihrer liebenswürdigen Natur. Zum Glück hatte sie in David einen überaus verständnisvollen Mann, der sie tatkräftig unterstützte. Und sie hatte ja auch noch ihre Tochter.
Lisa musste schmunzeln und rückte ihre Brille (die schon seit langem dezenter war, als die alte, die sie anhatte, als sie bei Kerima anfing) zurecht. Sie war wirklich stolz auf ihre Tochter und David sowieso, der hatte einen regelrechten Narren an ihr gefressen. Wenn sie nicht ihre Tochter wäre, könnte sie glatt eifersüchtig werden...
Alexandra Seidel war eine Bilderbuchschönheit, die noch dazu äußerst souverän und intelligent war. Sie war 24 Jahre alt, hatte traumhaft langes, blondes und glattes Haar und ihre Augen strahlten so blau wie die von Lisa. David fragte sich immer wieder, was sie denn von ihm haben könnte, worauf Lisa sich immer amüsieren musste. Nun, zumindest hatte sie die niedliche Nase von ihm. Aber die Zielstrebigkeit hatte sie wieder eindeutig von ihrer Mutter.
Mutz, träumst du schon wieder?
Lisa drehte sich um. Wen man vom Teufel spricht... Alexandra stand schmunzelnd an der Tür, elegant in einem engen, beigen Kostüm gekleidet. Sie musste ihre Mutter immer Mutz nennen. Anfangs war Lisa das gar nicht recht, aber inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt.
Du solltest dir das endlich abgewöhnen, das Träumen! Träume nicht dein Leben, sondern...
Lebe deine Träume, jaja! Lisa blickte auf die Uhr. Ist dein Vater schon auf? Wir müssen gleich bei b.style sein. Heute haben wir eine wichtige Pressekonferenz!
Alexandra schnappte sich einen Apfel von der Schale, die auf dem Tisch stand und antwortete:
Du weißt doch, dass Paps immer der Erste ist, wenn es um die liebe Presse geht!
Mutter und Tochter mussten gleichermaßen grinsen. Die beiden hatten noch nie ernsthafte Probleme miteinander gehabt. Alexandra war zwar lebhafter als Lisa in ihrer Jugend, dennoch war sie gleichzeitig ein sehr disziplinierter Mensch.
Redet ihr gerade über mich?
David stolperte die Treppe runter und kam ins Zimmer. Lisa blickte ihn so verliebt an, wie vor über 25 Jahren. Er war trotz seiner ergrauten Haare und Augenbrauen immer noch ein wahnsinnig attraktiver Mann. Mit seinen 54 Lenzen war er zudem noch überaus sportlich, so dass er jetzt fast noch eine bessere Figur hatte als in seinen Jugendjahren.
Über wen denn sonst?, gab Alex belustigt zurück und gab ihrem geliebten Paps ein Küsschen auf die Wange. Dann blickte sie auf die Uhr und geriet leicht in Panik. Sorry, ihr Lieben! Ich muss mich jetzt sputen, sonst macht mir Onkel Richard wieder die Hölle heiß!
Seit einem Jahr schon arbeitete sie bei Kerima Moda, in der Richard von Brahmberg, der Halbbruder von David, leitender Geschäftsführer war. Dieser wollte allerdings aus unerfindlichen Gründen seine Stellung aufgeben und nach Kanada auswandern. In der Firma munkelte man, dass er Sabrina Hofmann mitnehmen würde, die allerdings noch mit Jürgen Decker liiert war - aber eben auch nicht verheiratet.
Alexandra arbeitete Tag und Nacht wirklich hart für die Firma, was ihr die Anerkennung von vielen einbrachte, vor allem von Hugo Haas, der immer noch die meisten Kollektionen von Kerima entwarf.
Aber Richard mochte Alexandra von Anfang an nicht, sie war ihm höchstens gut genug für seine widerlichen Grabschereien. Alex hatte ihm vor kurzem deshalb eine schallende Ohrfeige vor der ganzen Belegschaft verpasst und seitdem hasste Richard sie noch mehr.
Aber Alexandra war sich siegessicher. Heute würde Richard abreisen und bis dato hatte sich noch kein anderer Kandidat für den Geschäftsführerposten gefunden.
Wünscht mir viel Erfolg! Heute Abend feiern wir dann, dass Kerima wieder unter Seidels Hände liegt!
David und Lisa grinsten, als sie die Daumen erhoben und so ihre Tochter ermutigend verabschiedeten.
Wenig später waren die beiden wieder alleine. Helga Plenske lag wie immer um diese Zeit noch im Bett und so strich David mit seiner Hand sanft über Lisas weiches Haar.
Ich vergöttere dich immer noch wie am ersten Tag, weißt du das?
Lisa musste herzhaft lachen und der Spiegel war ihr dankbar, dass sie keine Zahnspange mehr trug.
Am ersten Tag? Da hast du mich nicht mal beachtet damals!
David seufzte und rieb seine Nase zärtlich über Lisas Wange, so dass ihr Körper richtig zu beben begann.
Ich rede nicht von meinen Narren-Tagen, das weißt du genau.
Lisa lächelte, während David nun ihren Hals mit zärtlichen Küssen überhäufte und liebkoste.
Nicht, David! Von deinem Parfum werde ich wieder ganz schwach?
David spielte den Empörten. Nur von meinem Parfum? Dabei ist das dieselbe Rehpisse wie damals!
Beide mussten herzhaft lachen und wenig später küssten sie sich, als wärs das erste Mal. Auch in all den Jahren war der Zauber ihrer Liebe nicht verflogen und beide hofften, dass auch ihre Tochter einmal soviel Glück haben würde.
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Zur gleichen Zeit in Zürich...
Mariella von Brahmberg und ihr Gatte Lars van der Lohe frühstückten gerade herzhaft auf der sonnigen Terrasse ihrer großen Villa. Vom Mittelmeer importierte Palmen spendeten Schatten, und Mariella genoss die herrliche Luft und die Aussicht auf die majestätischen Berge. Sie waren schon ewig verheiratet und Mariella war trotz ihrer Alters immer noch eines der schönsten und zauberhaftesten Wesen der Welt. Sie kleidete sich immer noch elegant und stilvoll und die einzigen Fältchen, die sie hatte, waren die Lachfalten, die sie Lars verdankte.
Zärtlich legte er seine Hand auf die ihrige und blickte sie so verliebt und leidenschaftlich an, wie vor 25 Jahren.
Woran denkst du, Honey?
Mariella seufzte tief. An unseren Sohn. Heute fliegt er ja nach Berlin und fängt seine Stelle als Geschäftsführer bei Kerima an!
Lars wurde nachdenklich und rührte seinen Kaffee.
Meinst du wirklich, dass Richard ihm diesen Posten überlässt? Da wäre ja immer noch Alexandra Seidel. Eine tüchtige Frau!
Bei dem Namen Seidel wurde es Mariella wieder mulmig ums Herz. Jahrzehntelang hatte sie nichts mehr von der Familie gehört und jetzt würde ausgerechnet ihr Sohn die Seidels kennen lernen.
Mariella wischte die Gedanken zur Seite und antwortete energisch:
Mag ja sein. Aber Mathis ist eindeutig der Bessere für die Position. Und außerdem ist er ein von Brahmberg! Das verschafft ihm schon einen deutlichen Vorteil bei Richard.
Lars musste wieder schmunzeln, seine Frau war für ihn so süß wie der Honig, den er sich vor einer Minute auf das Brötchen gestrichen hatte.
Deshalb wolltest du deinen Namen nicht ändern! Ganz schön gerissen!
Mariella lachte laut auf, noch immer konnte sie mit ihrem strahlenden Lachen ganze Legionen von Männern betören.
Aber immer doch! antwortete sie und schob ihm sanft ein kleines Stück ihres Brötchens in den Mund.
Just in dem Augenblick fuhr ein schwarzer Porsche vor und ein junger, sehr attraktiver Mann sprang aus dem Wagen. Mariellas Augen erstrahlten hell, als sie ihren Sohn erblickte, der seinen Eltern schon aus der Ferne zuwinkte.
Mathis!, schrie sie freudig auf, während der junge Mann auf die Terrasse eilte. Er liebte die Schweiz, er liebte diese grandiose Villa samt dem traumhaft schönen Grundstück und vor allem liebte er seine Eltern. Aber heute würde es ernst werden und für eine ganze Zeit lang würde er dieses Paradies nicht mehr sehen. Es wurde ihm leicht schwermütig ums Herz...
Mathis gab seinem Vater Lars kumpelhaft die Hand und ging dann zu seiner Mutter, die er wie immer mit zwei liebevollen Küsschen auf die Wangen begrüßte.
Hallo, ihr Lieben! Lasst es euch schmecken. Ich muss gleich wieder los, denn ihr wisst ja, dass heute mein großer Tag ist.
Mariella betrachtete ihren Sohn mit Stolz, aber auch mit Sorge. Wie würde er sich gegenüber Richard behaupten können? Würde ihm so eine Großstadt wie Berlin nicht verderben? Würde er so liederhart werden wie David früher? David... Sie starrte Mathis an und bemerkte, dass dieser sich wieder seine dunklen Augenbrauen gerupft haben musste. Oder war das Wunschdenken? Mathis war ein Adonis von einem Mann, mit einem sportlichen Körper, dunkle Haare und warme, fast schwarze Augen, die alle an seine Mutter erinnern ließen, nur Mariella selbst dachte dabei an jemand anderen. Aber er war doch der Sohn von Lars, das redete sie sich zumindest immer ein. Allerdings ertappte sie sich in letzter Zeit dabei, wie sie immer öfters an David denken musste. Warum musste auch Richard ihrem Sohn dieses Angebot machen? Dadurch wurden bei ihr wieder alte Wunden aufgerissen.
Mom? Träumst du? Mathis wischte mit seinen Händen spielerisch vor ihren Augen.
Mariella zuckte zusammen, wie ein ertapptes kleines Schulmädchen und errötete. Ihre beiden Männer grinsten sie vielsagend an. Sie räusperte sich.
Ähm, schön, dass du vorher noch bei uns vorbeischaust, mein Sohn! Ich bin wirklich stolz auf dich und wünsche dir viel Erfolg! Aber pass gut auf dich auf, ja?
Mathis lachte und Mariella war erleichtert, dass dieses Lachen wirklich eine Gabe von Lars war.
Er strich seiner Mutter sanft über das Haar und versprach:
Das mach ich sicherlich. Und ich rufe auch jede Stunde bei euch an.
Erschrocken sahen seine Eltern ihn an, woraufhin er wieder lachen musste. Ein Scherz!
Mathis blickte auf die Uhr. Sorry, aber ich muss mich beeilen, wenn ich den Flieger noch erwischen will! Wünscht mir Glück und passt ihr auch gut auf euch auf!
Mariella spürten den großen Kloß in ihrem Hals. Ihr Junge war zwar schon lange flügge, aber jetzt wurde es richtig ernst und sie wusste, dass sie ihn für lange Zeit nicht mehr sehen würde.
Seine Eltern standen auf und zuerst bekam Mathis eine herzhafte Umarmung von seinem Vater. Dann strich seine Mutter ihm liebevoll über die Wange und wehmütig blickte sie ihn an. Mathis erkannte den Schmerz, den sie verspüren musste, und küsste sie wieder zärtlich auf die Wange. Hab dich lieb, Mom! Ich melde mich bei euch regelmäßig, versprochen! Mariella nickte stumm und ließ ihren Sohn endlich los.
Er winkte ihnen noch zu, als er rief: Ihr werdet weiterhin stolz auf mich sein können! Der Posten ist wie für mich geschaffen!
Lars blickte ihm wirklich stolz hinterher, als Mathis mit dem Porsche wieder davonbrauste. Mariella hatte dagegen Tränen in den Augen, sie vermisste ihren Sohn jetzt schon. Lars bemerkte dies und wischte ihr die Tränen zärtlich mit seinen Fingern an. Dann legte er seinen Arm um sie und drückte sie fest an sich.
Mathis wird das schon packen, er ist genauso eine Kämpfernatur wie seine Eltern!
Mariella musste wieder groß schlucken und flüsterte mehr zu sich selbst: Das hoffe ich! Das hoffe ich sehr!
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Alexandra war mehr als verzweifelt...
Ausgerechnet heute musste ihr VW Lupo den Geist aufgeben und sie konnte nun mit dem Bus durch die dichten Straßen Berlins fahren. Sie blickte auf die Uhr und erschrak: Es war schon fast Mittag... Richard müsste denken, dass sie aus der Schweiz angeflogen kam. Apropos Schweiz... Der überaus attraktive junge Mann neben ihr hatte doch tatsächlich Schweizer Schokolade in der Hand und kaute diese genüsslich. Verstohlen warf Alex einige Blicke auf ihn und auf das Objekt der Begierde.
Der junge Mann merkte ihre Blicke und sah die hübsche Frau an. Es war kein Blick, der Frauen auszog - so wie die unverschämten Blicke von Richard. Es war eher ein sehr sympathischer Blick, der Typ schien einer zu sein, mit dem man Pferde stehlen konnte. Und so pochte Alexandras Herz wider Willen etwas schneller, was diesmal nicht an der Schokolade lag.
Er hielt ihr dennoch den Riegel hin. Möchten Sie ein Stück abbrechen? Andere Männer ködern mit Hunde oder Kindern die Frauen, dies ist meine Methode! Rumms! Das saß und hatte bei Alexandra eine fatale Wirkung. Sie dachte sofort wieder daran, dass das anscheinend doch nur so ein erbärmlicher Macho war wie alle anderen und stand auf.
Sie Widerling!, schnauzte sie ihn an und beschloss, den Rest der Fahrt im Stehen zu verbringen.
Der junge Mann musste sich wirklich sehr wundern, denn mit dem frechen Spruch hatte er wirklich keine schlechten Absichten gehabt. Im Gegenteil, er fand die hübsche Person sehr anziehend und wollte so die Atmosphäre etwas lockern. Was ihm mal wieder gründlich misslungen war. Die Deutschen schienen viel spießiger zu sein als seine Landsleute. Obwohl er ja auch kein richtiger Schweizer war.
Seine Mutter war Deutsche, sein Vater Amerikaner und er selbst kam erst mit fünf Jahren in den Genuss der majestätischen Alpen.
Leicht schüchtern blickte er immer wieder zu der schönen jungen Frau hin, die ihm aber nur scharfe Blicke zurückwarf. Nicht viel später erblickte Alexandra ihre Haltestelle und stieg aus. Mit Schrecken bemerkte sie, dass der unverschämte Typ hinter ihr stand.
Verfolgen Sie mich? Ich warne Sie - ich kann schreien wie eine Sirene!
Aber der junge Mann mit den pechschwarzen Haaren und den dunklen Augen blinzelte ihr nur frech zu.
Sirene...Ja, das hat was. Aber Sie erinnern mich eher an die Sirenen aus den Legenden. Blond, verführerisch - aber auch unheilbringend!
Was man auch von unverschämten Schweizern sagen kann!
Woher wissen Sie das so genau - ich meine, dass ich aus der Schweiz komme!
Alexandra stöhnte auf, sie hatte jetzt wirklich nicht die Muse, einen Idioten zu einem Dummkopf zu machen. Sie zeigte nur auf seinen Mund und meinte abschätzig: Putzen Sie sich erst mal die Schokoreste runter!
Während der ihr schon ziemlich verhasste Kerl sich verwundert den Mund abwischte, eilte Alexandra zu Kerima. Aber vor dem Aufzug eilte ihr das Unglück sogleich hinterher und sie starrte ihn fassungslos und mit offenem Mund an.
Das...das ist doch die Höhe! Verschwinden Sie hier, oder ich lasse Sie rauswerfen!
Inzwischen hatte aber auch der junge Mann genug von dem zickenhaften Getue der Blondine. Und das fehlte gerade noch, dass ausgerechnet diese Person ihn aus seiner künftigen Firma rausschmeißen sollte.
Sorry, aber das ist mein künftiger Arbeitsplatz!, murmelte er, als er mit ihr in den Aufzug stieg.
Oh Gott, Max Petersen hatte wieder einen Anfall von geistiger Umnachtung!, entfuhr es Alex, während sie sich theatralisch gegen die Stirn schlug. Ihr Kontrahent dagegen wollte nun alles tun, um sie zu ignorieren und pfiff genüsslich bis zum 14. Stock vor sich hin.
Alexandra war überglücklich, als sich die Tür öffnete und sie vor der akustischen Folter entfliehen konnte. Aber sie konnte es sich nicht verkneifen, sich umzudrehen und ihn hämisch zu fragen:
Als was sind Sie denn eingestellt? Als neuer Putzlappen für die Kantine?
Gerade in dem Moment kam Richard aus dem Büro und glaubte seinen Ohren nicht recht zu hören.
Alexandra war seiner Meinung nach eh nicht die Hellste, zumal sie eine Seidel war und jetzt moserte sie auch noch seinen Neffen an.
Nein, Mathis von Brahmberg ist dein Mitbewerber für die Stelle als Geschäftsführer!, antwortete Richard mit grimmiger Stimme.
Alexandra wäre nun fast in Ohnmacht gefallen, nur ihre ältere Freundin und Schnitt-Directrice Hannah konnte sie grade davon abhalten und hielt sie fest. Beide Frauen blickten verwundert und entsetzt zugleich den inzwischen wieder grinsenden jungen Mann an.
Mathis von Brahmberg... murmelte Lisa fassungslos. Dann war das tatsächlich der Sohn von Richards Schwester, die sie nur aus Erzählungen kannte.
Auch Mathis blickte Alexandra nun wesentlich intensiver an und wusste, dass das nun seine neue Konkurrentin war. Er kannte sie auch nur aus den Erzählungen von seinem Onkel Richard und daher war seine Meinung von ihr jetzt noch schlechter als nach ihrer ersten Begegnung.
Alexandra hatte inzwischen ihre Worte wiedergefunden und maulte Richard an. So geht das aber nicht! Der Posten steht mir zu!
Aber Richard lachte sie nur gehässig aus, denn er liebte es, wenn er wieder einen Menschen zur Verzweiflung gebracht hatte. Auch sein fortgeschrittenes Alter war kein Hinderungsgrund für seine immer noch recht dynamischen Intrigen.
Der Posten steht demjenigen zu, der mich in den nächsten vier Wochen, in denen ich schon mal meine Blockhütte teste, am Besten vertritt. Also gebe ich euch beiden eine Chande. Bin ich nicht nett?
Alexandra funkelte ihn wütend an, sie hatte irgendwie das dumpfe Gefühl, dass er Mathis auf jeden Fall bevorzugen werde. Allerdings war sie auch kein Mensch, der so leicht aufgab. Das Kämpferische hatte sie auf jeden Fall von ihrer Mutter geerbt.
Richard merkte, dass kein Widerspruch kam und klaschte in die Hände. Und jetzt auf an die Arbeit! Ach... Alex...mach doch bitte noch dein Büro frei! Du kriegst das alte Assistentinnen-Zimmer deiner Mutter! Alex war entsetzt, aber Richard deutete mit einem Handzeichen, das man als Köpfen auslegen konnte, an, dass er zu keiner Verhandlung bereit war.
Wenig später räumte Alexandra wütend ihr Büro, dass früher einmal ihrem Vater gehörte, leer, während es sich Mathis auf dem Chefsessel so richtig gemütlich machte. Sein erster positiver Eindruck von Alexandra war längst vergessen, jetzt zählte nur noch, dass sie seine Konkurrentin war und noch dazu eine unfähige - wie Richard ihm immer wieder aufs Brot schmierte. Frech legte er seine Beine auf dem Schreibtisch und zwinkerte Alexandra zu: Ach, seien Sie doch so nett und besorgen Sie mir eine Tasse Kaffee!
Alexandra war nur für Sekunden fassungslos, dann drückte sie mit aller Kraft Mathis Beine vom Tisch und schnauzte ihn an: Besorgs dir selbst!
Mathis lachte sie nur aus und stand dann auf. Die beiden Kontrahenten standen sich gegenüber und wenn Alexandra nicht so ein widerspenstiges Biest gewesen wäre, dachte sich Mathis, dann hätte er sie wohl sofort geküsst. Denn diese Frau strahlte wirklich einen faszinierenden Zauber aus. Aber auch einen sehr gefährlichen Zauber. Alexandra merkte seine Blicke und deutete diese wieder völlig falsch.
Sie dachte an Richard und seine unzähligen Angrabschversuche und redete sich ein, dass Mathis da um keinen Deut besser sein konnte. Chauvinist!, zischte sie, als sie ihre vollbepackten Schachteln nahm und das Büro verließ.
Hexe!, entgegnete Mathis. Als Alexandra schon außer Hörweite war, fügte er jedoch noch flüsternd hinzu. Aber eine süße Hexe - irgendwie!
Und so prallten zwei Welten und Menschen aufeinander, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
Alexandra und Mathis dachten beide, dass nun der Grundstein einer wundervollen Feindschaft entstanden war - ahnten aber nicht, dass das Schicksal anderes mit ihnen vorhatte.
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Das ist wohl ein schlechter Witz!, entfuhr es Alexandra, als sie ihr karges Büro sah. Sie kannte es nur aus düsteren Erzählungen ihrer Mutter und hatte immer geglaubt, dass dies ein Märchen gewesen wäre.
Aber diese Folterkammer war pure Realität und es war immer noch so bitterkalt wie früher. Das Neonlicht flimmerte unerträglich und Alex wollte sofort wieder flüchten. Aber Hannah hielt sie fest.
Reiß dich zusammen! Das bekommen wir schon hin. Mit etwas Hilfe vom Hausmeister...
Ja, und in der Zwischenzeit darf ich mir den Arsch abfrieren oder was?
Alexandras Laune war wirklich am Tiefpunkt angelangt. So hatte sie sich den heutigen Tag nicht vorgestellt. Richard war ja bekannt für seine Teufeleien, aber das hier war noch schlimmer als die Hölle - denn dort war es wenigstens nicht so kalt.
Überraschenderweise kam aber in dem Augenblick Mathis vorbei und staunte nicht schlecht.
Was suchen Sie denn in der Abstellkammer hier? Das ist doch kein Büro!
Alexandra ballte die Fäuste. Was war denn das für ein erbärmlicher Heuchler?
Natürlich ist das mein Büro! Meine Mutter musste es hier immerhin auch ein paar Tage aushalten!
Mathis blickte sie reichlich verwirrt an und Alexandra verdammte ihn für diesen zugegebenermaßen zuckersüßen Blick.
So geht das aber nicht! Wir können uns ja ein Büro teilen, bis wir für Sie etwas anderes gefunden haben!
Alexandra staunte bei diesen Worten nicht schlecht. Was war denn in diesen Macho gefahren? Welche billige Tour veranstaltete er jetzt? Sie kam einfach nicht darauf.
Mathis wartete allerdings nicht lange auf ihre Antwort und hob tatkräftig ihren Karton vom Schreibtisch.
Nun folgen Sie mir schon, oder wollen Sie sich hier den Tod holen?
Verdutzt gingen Alexandra und Laura dem jungen Mann hinterher - zumindest bis zu dem Punkt, wo Richard sie stoppte.
Was soll dieser Ententanz hier? Kann mir das mal einer erklären?
Der graumelierte Mann, der zwar keine gegelten Haare mehr hatte (allein wegen Mangel an Haaren) aber immer noch den spitzen Bart, der an einen Teufel erinnerte, schnaubte vor Wut.
Das mit dem Büro für Frau Seidel war wohl ein Irrtum. Sie kann ja mit mir vorerst das Büro teilen. Oder sie könnte... Mathis kam eine erneute Idee, während Richards Gesicht so blutrot anlief, dass es Alex und Hannah richtig Angst und Bange wurde.
Oder sie könnte doch im ehemaligen Büro von meiner Mutter arbeiten. Das benutzt grad...
Richard zischte wütend dazwischen.
Das benutzt bald mal wieder Rokko Kowalski, dem das Büro immer noch zusteht!
Mathis knurrte leicht genervt, denn so wohl war im bei dem Gedanken, mit der Zicke das Büro zu teilen, nun auch wieder nicht. Aber er war durchaus ein gerechter und anständiger Mensch und so befahl er Alex doch in sein Büro.
Dann müssen wir halt doch zusammenrücken!
Alex nickte überrascht und freudig zugleich und hätte fast dem völlig perplexen Richard die Zunge rausgestreckt. Dieser aber winkte nun ab und schrie ihnen hinterher:
Dann mal viel Spaß! Aber nur einer von euch beiden bekommt den Posten, damit das klar ist! Und mit diesen Worten verließ Richard Kerima Moda in der Hoffnung, dass Mathis sich von der Brut der Plenske nicht einwickeln lassen würde.
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Einige Stunden später...
Die Telefone klingelten heiß, es herrschte wieder Hochbetrieb bei Kerima.
Mathis sah sich die Unterlagen durch und schüttelte den Kopf. Wenn Kerima wieder Marktführer werden wollte, was zur Zeit leider b.style war, musste sich einiges gewaltig ändern.
Alex kam wohlwollend und mit zwei Friedens-Schoko-Puddings in das Zimmer und lächelte ihn an.
Einen Pudding in Ehren, kann niemand... setzte sie fröhlich an, aber sie kam nicht weiter.
Mathis blinzelte sie wütend an, er hatte sich in den letzten Stunden so seine Gedanken gemacht.
Die Umsatzzahlen sind s.c.h.e.i.s.s.e!, betonte er mit aller Schärfe, die er zur Verfügung hatte.
Alexandra kam immer noch nicht auf den Gedanken, dass er SIE dafür zur Verantwortung ziehen wollte.
Nun ja, die Geschäfte laufen nicht so sonderlich, aber Herr Haas plant schon eine neue, sehr innovative Kollektion, die...
Die natürlich ihren Eltern keine Gefahr darstellen sollen!, stellte Mathis jetzt mit deutlich hartem Gesichtsausdruck klar.
Endlich hatte Alexandra kapiert, worauf er hinaus wollte. Er stellte allen Ernstes ihre Loyalität zu Kerima in Frage und meinte wohl, dass sie alles daran setzte, um der Firma zu schaden und b.style dadurch zum alleinigen Marktführer zu machen.
Also das ist doch die Höhe! Ich reiße mir hier tagtäglich ein Bein für Kerima aus, lasse mich von Richard begrapschen, von Herrn Haas aufgrund seines Liebeskummers täglich verhöhnen... Und Sie behaupten, dass ich Kerima zugrunde richten will!
Mathis verzog aber nur den Mund, denn er war sich sehr sicher, dass er mit seinen Vermutungen recht hatte. Dann zeigen Sie mal das Gegenteil! Als Geschäftsführerin wären sie so oder so nicht geeignet!
Alexandra hatte alle Mühe, sich zu beherrschen, um ihn nicht den Pudding über den Kopf zu schütten.
So nahm sie auch seinen Pudding wieder mit und verließ mit den Worten das Büro: Das werden wir ja noch sehen, wer hier nicht geeignet ist! Sie sind ja nur durch ihre Beziehungen und ihrem von Lahmberg-Namen hier reingekrochen!
Wütend schmiss sie die Tür zu, so dass fast das Glas aus dem Türrahmen fiel. Mathis ballte die Fäuste und knirschte wütend und zu seiner Überraschung auch enttäuscht: Dumme Kuh! Und dir habe ich auch noch geholfen!
Wenig später rief er seine Mutter an und erzählte ihr von den Vorfällen in der Firma. Zu seiner Verwunderung zeigte sich diese eher froh über die Spannungen zwischen ihm und Alexandra.
Aber Mom, ich möchte wirklich keinen Streit in der Firma. Vielleicht habe ich auch Alexandra Unrecht getan. Irgendwie gefällt sie mir sogar...
Das war der Satz, der seine Mutter nun entgültig verändern und noch für viel Wirbel sorgen sollte.
Sie gefällt dir? Diese Schlampe will Kerima ruinieren, damit die Seidels schließlich UNSERE Firma mit ihrem blöden b.style schlucken können! Willst du das etwa?
Mathis fiel fast von seinem Chefsessel, als er die Worte seiner sonst so beherrschten und liebreizenden Mutter vernahm.
Mutter, Alex ist zwar eine Nervensäge aber keine Schlampe! Immerhin ist sie doch auch die Tochter von deinem Ex...
Eben drum! David war schon so ein Hallodri, da wird seine Tochter noch viel schlimmer sein. Halt dich bloß fern von ihr - und tu dein Möglichstes, sie aus Kerima zu vertreiben!
Zornig legte Mariella auf, während Mathis die Welt nicht mehr verstand. Warum hasste seine Mutter Alexandra nur so sehr? Und seine Mutter ahnte nicht, dass gerade ihre Worte Mathis neugierig machten und er sich vornahm, die junge Frau nun doch genauer kennen zu lernen.
Auch Lars hatte das Gespräch mitangehört und fiel ebenfalls aus allen Wolken.
Sag mal, was ist denn in dich gefahren? Wie kannst du über eine Person so schlecht sprechen, die du gar nicht kennst? Und die Sache mit David sollte doch längst gegessen sein. Nachdenklich fügte er noch hinzu: Oder liebst du David noch?
Mariella hatte inzwischen Tränen in den Augen. Sie konnte sich niemanden anvertrauen, nicht einmal Lars. Sie hatte eher Angst, dass er es erfuhr und so murmelte sie leise:
Entschuldigung. Das wird nicht wieder vorkommen!
Lars gab sich damit zufrieden und gab sich nun wieder seiner Lieblingsbeschäftigung hin: Das Gärtnern.
Aber Mariella stand noch lange mit Tränen in den Augen vor dem Fenster und war verzweifelt.
Sie betete inständig, dass Mathis sich wirklich von Alexandra fernhielt. Denn eine engere Beziehung könnte eine Katastrophe bedeuten...
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Eine Woche war seitdem vergangen und zwischen Alexandra und Mathis herrschte immer noch ein Kleinkrieg. Was vor allem an Alexandra lag , die ihm einfach keine Chance geben wollte.
Mathis stand entnervt an der Theke vom Catering und bestellte sich einen schwarzen Kaffee. Seit etwa zehn Jahren arbeitete die ehemalige Wolfhardts-Kellnerin Simone Werth dort und freundlich brachte sie ihrem neuen Chef das Getränk.
Mathis hielt die Tasse in den Händen und bemerkte vor lauter Gedanken fast nicht, wie heiß diese war.
Tag und Nacht musste er an Alexandra denken, ob er wollte oder nicht. Es war dummerweise nicht nur der Ärger mit ihr, der ihn zum Grübeln brachte. Nein, aus unerklärlichen Gründen fand er die Superzicke, wie er sie immer liebevoll nannte, richtig anziehend. Zumindest war sie das, solange sie ihren Mund hielt, was bedauerlicherweise nicht oft vorkam.
Na, sind wir wieder am Faulenzen? Na, mir soll es recht sein, dann steht ja die neue Geschäftsführerin schon so gut wie fest!
Alexandra blickte ihren Konkurrenten hämisch an, was diesen jetzt wieder zur Weißglut brachte.
Machen Sie sich da nur keine Hoffnungen!, schnaubte er zurück.
Ach, Sie denken wohl, nur weil sie ein von Brahmberg sind, bekommen Sie den Stuhl automatisch?
Aber Mathis wollte sich nicht mehr provozieren lassen und winkte grinsend ab.
Den Stuhl hab ich ja schon und der Rest ist eh nur Formsache!
Das war nun der Beweis für Alexandra, dass sie wegen dieser Vetternwirtschaft eh keine Chance hatte und innerlich fluchte sie. Äußerlich aber bemühte sie sich gelassen zu sein und streckte ihren Kopf empor.
Das werden wir ja noch sehen Erhobenen Hauptes schritt sie in ihr gemeinsames Büro, aber ein Eingebildeter Fatzke entfuhr ihr doch noch.
Mathis zischte daraufhin leise zurück: Du...du wandelnder Blondinenwitz! Mürrisch trank er seinen Kaffee aus und betrachtete in Ruhe seine Unterlagen.
Simone beobachtete ihn genau. Sie wusste, dass er nur zu Alexandra so schroff war, ansonsten war dieser gutaussehende junge Mann wirklich charmant und intelligent. Eigentlich genau der Richtige für ihre Tochter Isabel...