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Reformen der Arbeitslosensicherung und Sozialhilfe

Reformen der Arbeitslosensicherung und Sozialhilfe

Hallo,

es hat sich nach zweimaligem Versuch (sorry for that!) heraus gestellt,
dass es nicht möglich ist, attachments über die Liste zu verschicken.

Da ich bzgl. einer Einstellung auf der Homepage erst noch
urheberrechtliche Fragen mit der ZSR klären müsste, schlage ich vor,
dass sich Interessierte einstweilen direkt an mich wenden
(var m = String.fromCharCode(109,97,105,108,116,111)+':';var e = 'kmohr'+String.fromCharCode(64)+'gwdg'+String.fromCharCode(46)+'de';document.writeln(''+e+'');support@gwdgde) oder sich den Text aus der Zeitschrift besorgen.

Hierzu noch einmal genauere Angaben:

Katrin Mohr (2004): Pfadabhängige Restrukturierung oder Konvergenz?
Reformen in der Arbeitslosensicherung und der Sozialhilfe in
Großbritannien und Deutschland, in: Zeitschrift für Sozialreform, Jg. 50
Heft 3, S. 283-312

Mit besten Grüßen
Katrin Mohr

--
Katrin Mohr (Dipl. Soz.)
Graduiertenkolleg „Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells“
Universität Göttingen
Humboldtallee 3
37070 Göttingen

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Tel.: 0551/39-2059
Fax: 0551/39-7200
http://www.uni-goettingen.de/de/sh/3567.htmlLiebe Kolleginnen und Kollegen,

anbei ein Text von mir zu den real statt findenden Reformen in der
Arbeitslosensicherung und Sozialhilfe in Großbritannien und Deutschland,
der im Juni in der Zeitschrift für Sozialreform erschienen ist (Jg. 50:
3, S. 283-312).

Die "Reformen" gehen ja in vielerlei Hinsicht in eine zu den Zielen des
Netzwerks (existenzsichernd, nicht bedürftigkeitsgeprüft, ohne
Arbeitszwang) gegenläufige Richtung. Vielleicht ist es daher für die
eine oder den anderen interessant, sich genauer mit den Entwicklungen -
auch im liberalen Wohlfahrtsmodel - zu beschäftigen.

Mit besten Grüßen
Katrin Mohr

Re: Reformen der Arbeitslosensicherung und Sozialhilfe

Liebe Freunde,
zum hoch interessanten Text von Katrin Mohr hier ein in der heutigen FAZ
erschienener kleiner Beitrag zur Anthropologie von Hartz IV -- der auch aus
Grundeinkommenssicht zu denken gibt ..

Der Mensch nach Hartz IV
Von Mark Siemons

28. Juli 2004 Über die Anthropologie von Hartz IV (alias Arbeitslosengeld
II) ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die zwei Faktoren, die den
Umfang staatlicher Hilfen für Langzeitarbeitslose nunmehr verringern,
spielen beide die Vergangenheit gegen die Gegenwart aus: Es sind früher
erworbenes Vermögen, auch in Gestalt von Eigentum und Versicherungen, und
früher gebildete "Bedarfsgemeinschaften", worunter mit dem Antragsteller
zusammenlebende Familienmitglieder verstanden werden.

Die Bezüge orientieren sich nicht mehr an irgendwelchen Leistungen von
gestern, sondern gut materialistisch allein an den aktuellen Bedürfnissen;
auch was man früher einmal in die Arbeitslosenkasse eingezahlt hatte, spielt
keine Rolle mehr. Der bisherige Bildungs- und Berufsweg soll bei der Suche
nach neuer Arbeit ohnehin nicht ausschlaggebend sein. Die Reform
neutralisiert also die Unterschiede, die das frühere Leben hervorgebracht
hat, sei es durch Beruf, Vorsorge, familiäre Zusammenschlüsse oder sonstige
Zufälle. Früher hätte man gesagt: Sie annulliert das Schicksal.

Katalysator staatlicher Institutionen

Damit macht die Reform alle gleich in ihrer Unmittelbarkeit zum Staat. Die
bisher geäußerten Meinungen greifen insofern ein wenig kurz: Sowohl Kritiker
als auch Verteidiger halten es offenbar für völlig selbstverständlich, daß
das gesellschaftliche Leben vom Staat her sich aufbaue und zu organisieren
sei. Bei den Sozialstaatsanhängern, die hinter der Reform den Zynismus eines
gut verdienenden Establishments wittern, ist das offensichtlich, doch auch
die Reformer, die die Wirtschaft vermeintlich aus den Fesseln von zu viel
Staat befreien wollen, überlassen die Gesellschaft keineswegs deren eigenen
Selbstheilungskräften und noch nicht einmal denen des Marktes. Vielmehr
schieben sie zwischen den einzelnen und die geplante Veränderung den
Katalysator staatlicher Institutionen.

Der Hartz-IV-Staat entkleidet die Bürger zwar der Sicherheiten, die sie im
Sozialstaat besaßen, aber er beläßt ihnen die Abhängigkeit, an die dieser
sie gewöhnt hatte. Der Sozialstaat hatte sich den Kapitalismus als ein
System zu eigen gemacht, indem er es übernahm, dessen Lücken auszugleichen.
Doch er konnte nur so lange existieren, wie der Kapitalismus als ganzer
funktionierte, so lange also, wie sich die Menschen gemäß der Markttheorie
verhielten und sich eigenverantwortlich um die Sicherung der eigenen
Existenz bemühten. Indem sich der Staat jedoch schützend über den Markt
beugte, deformierte er die Instinkte, die zu dessen Erhaltung nötig sind.
Jetzt muß er, da er nun einmal die Patenschaft übernommen hat, die
kapitalistischen Energien von außen entfachen und die Marktsubjekte zum
Jagen tragen.

Im Augenblick und allein leben

So steckt in dem Reformvorhaben eine Paradoxie, die keine noch so
ausgefuchste Ausführungsbestimmung beheben könnte. Der Staat will die Bürger
über seine Hilfen hinausweisen, dem offenen Leben zu. Aber da dort
keineswegs so viel Arbeit wartet, wie die gute Absicht unterstellt, wird
sich ein gut Teil der Zielgruppe wieder auf die Hilfen selbst und deren
gewandelte Bedingungen einzustellen wissen. Ökonomisch eigenverantwortlich
betrachtet, zahlt es sich da für Langzeitarbeitslose und solche, die es
werden können, nicht mehr aus, anders als im Augenblick und allein zu leben.
Es empfiehlt sich nicht, an die Zukunft zu denken und Geld auf die hohe
Kante zu legen: Das verhindert dann nur die monatlichen Zuwendungen.

Und genausowenig ist es vernünftig, sich an andere Menschen zu binden, die
womöglich auch noch Geld verdienen. Alles Geld, das in einer
"Bedarfsgemeinschaft" von Eltern, Kindern, Gatten oder Lebensgefährten
verdient wird, geht von dem eigenen Anspruch ab. So kommen Ehen,
Partnerschaften, Groß- und Kleinfamilien, Patchworkverhältnisse aller Art
auf den Prüfstand: Ist es wirklich notwendig, weiterhin zusammenzuleben?
Reicht es für eine postmoderne Beziehung nicht aus, sich bei Gelegenheit zum
Abendessen und danach zu treffen? Warum muß eine volljährige Tochter noch
unbedingt bei ihrer Mutter wohnen? Das Familienmodell zahlt sich nur dann
unter bestimmten Umständen aus, wenn noch kleine Kinder im Spiel sind.

Ausdifferenzierende Dienstleistungsgesellschaft

Offenkundig gibt es den Trend, der in solchen Überlegungen zum Ausdruck
kommt, auch ohne Hartz IV in der sich immer weiter ausdifferenzierenden
Dienstleistungsgesellschaft. Doch die Reform gibt ihm einen in Heller und
Pfennig ausrechenbaren rationalen Grund und mithin einen staatlich
sanktionierten neuen Schub. Hartz IV fördert die zeitliche und räumliche
Zersplitterung der Gesellschaft. Seine Zielvorstellung ist die Monade, die,
aus allen allzu engen schicksalhaften und menschlichen Bindungen der
Vergangenheit befreit, dem Staat direkt gegenübersteht und sich daher gerne
von diesem eine Arbeit, welche auch immer, zuweisen läßt.

Der Menschentypus, den Hartz IV favorisiert, ist der Einzelkämpfer, der alle
Brücken hinter sich abgebrochen hat und weiter fortlaufend abbricht. Er
wohnt allein in einer günstigen Zweizimmerwohnung, trifft sich, um
emotionale Löcher zu vermeiden, regelmäßig mit Freunden am Büdchen um die
Ecke und findet sein seelisches Gleichgewicht ansonsten bei
Meditationskursen, die ihm dabei helfen, immer wieder Tabula rasa im Kopf zu
machen und neu anzufangen. "Vorrangiges Ziel ist Ihre Eingliederung in
Arbeit", lautet das Leitmotto der "wichtigen Hinweise", die die
Bundesagentur den Antragstellern mit auf den Weg gibt. Dazu erklärt sich der
Staat sogar bereit, Kinder zu betreuen oder die häusliche Pflege von älteren
Angehörigen zu übernehmen. Die Eingliederung in die staatlich verwaltete
Arbeit scheint also mit der Ausgliederung aus der gesellschaftlichen Arbeit
durchaus zusammenzugehen.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.07.2004, Nr. 174 / Seite 29


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prof. dr. michael opielka
institut für sozialökologie (isö)
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www.isoe.org