Ein junges Ding. Der Praktikant. Nur etwa so groß wie ich. Filigran und ernst. Zuerst dachte ich: Was ist denn das für einer? Ist der hier richtig? Dann tat er etwas und ich erkannte: Aha! Wenn er nicht angestellt ist (und dafür ist er augenscheinlich zu jung) und außerdem kein Weiß trägt, dann muss er Praktikant sein! Nein so was! So sieht er gar nicht aus!
Der Praktikant machte alles Mögliche. Hing Bilder auf oder ab, brachte Gegenstände von A nach B, schob Patienten in die Kantine und wieder hinaus, sprach mit der Oberschwester und mit dem Computerfritzen. Alles nix Besonderes.
Doch manchmal saß er auch einfach nur da. Hatte wohl gerade nichts zu tun. Saß in einem Sessel und starrte in die Ferne. So etwas taten Angestellte nie! Und manchmal, wenn er nicht in die Ferne starrte, dann beobachtete er uns. Wie wir hinein- und hinausgingen. Treppauf. Treppab. Hin und her. Mal hatten wir Zettel in der Hand, mal einen Patienten dabei. Was halt so unsre Arbeit war. Und manchmal dann, beobachtete er auch mich. Saß ganz bewegungslos und schaute. Und wenn sich unsre Blicke trafen, schaute er nicht etwa weg, nein, er fixierte mich. Beinahe zweideutig. Ja, da sagte ich mir: Dieser Junge ist zu jung, der darf gar nicht so gucken! Und er tat mir leid. Weil er mir so fassungslos dabei erschien. Doch er interessierte mich nicht. Irgendwie jedenfalls. Zunächst.
Dann kam diese Vorführung. Ein Riesenfest. Die Patienten hatten unter therapeutischer Anleitung ein Stück einstudiert. Es war schrecklich dilettantisch. Im Allgemeinen verzeiht man den Patienten natürlich so etwas. Also, ich jedenfalls. Egal, das Theaterstück war grausam, das Publikum wohlwollend und ich genervt. Nicht vom Stück. Nein, vom Rumstehen und Lächeln. Man musste ja repräsentieren. Schließlich kamen ja auch viele Leute von außerhalb. Zur Höflichkeit wurden wir ausdrücklich angewiesen. Als der Applaus versiegte, die Darsteller von der Bühne gescheucht waren, trat ein korrekter Herr ans Mikrophon und begann zu reden. Na ja, genauer gesagt: Er las vor. Das war noch viel schlechter und langweiliger, als das ganze Patiententheater vorher und ich bekam Kreislaufstörungen. Ich schaute mich um. Alle Stühle waren besetzt. Und da saß der Praktikant. Still und ernst. Etwa drei Meter von mir. Zu meiner Linken. Er wendete den Kopf, unsere Blicke trafen sich, er schaute, schaute beinahe zweideutig und schaute weiter und ich schließlich zu Boden. Gerade wollte er mir wieder leid tun, da hörte ich den langweiligen Redner sagen: Und besonderen Dank möchte ich dem Phillip, unserem Praktikanten zuteil werden lassen Ich blickte hoch. Zurück zum Gelobhudelten. Dachte noch schnell bei mir, gleich würde er bestimmt entzückend rot und verunsichert werden. Ich hörte die weiteren Ausführungen des Langweilers, den anschließenden Applaus, speziell für den Praktikanten, und wurde schließlich und gänzlich überrascht.
Der Praktikant wurde überhaupt nicht rot! Er zwinkerte auch nicht nervös. Er war still. Wie immer. Veränderte nur seine Haltung um eine kleine Nuance. Kaum sichtbar für mich. Sein Gesicht war fast genauso starr wie eben. Doch auf einmal mischte sich in seinen Ausdruck, der ja fast keiner war, etwas Neues: Stolz und Männlichkeit. Unversehens wirkte er größer, stattlicher. Erwachsener, ja, attraktiver. Klein, wie er war. Es kam von Innen.
Und nun starrte ich. Zu ihm hinüber. Ihm direkt ins Gesicht. Suchte seinen Blick. Ich dachte Dinge, die ich hier lieber nicht erzählen werde. Unzweideutige Dinge. Doch er schaute nur geradeaus. Dabei nicht in die Ferne. Nein, sein Blick war sehr konkret. Plötzlich fand ich ihn unwiderstehlich und fühlte Verunsicherung in mir aufkommen: Warum guckt er denn bloß nicht? Jetzt würde ich seinem Blick standhalten können! Und später vielleicht einen Sekt mit ihm trinken
Die Leute erhoben sich. Ich verlor ihn aus den Augen. Meine Kollegen zogen mich fort in den Nachbarraum und wir begannen, Schnittchen zu reichen. Zu lächeln und herumzustehen. Mit all den angewiesenen Höflichkeiten. Er kam den ganzen Abend nicht ans Buffet. Ich war enttäuscht.
Ich sah ihn erst in der nächsten Woche wieder. Ich lief mit einem Zettel in der Hand die Stufen hinunter. Er saß in einem Sessel und starrte in die Ferne. Dann sah er mich. Fixierte mich. War er fassungslos? Zweideutig vielleicht? Ich schaute weg. Da dachte ich bei mir: Eigentlich ist er ja nur der Praktikant. Außerdem viel zu jung! Und ging vorbei.
Re: Prosa für Nachdenkliche
Das ist schön geschrieben, Gräfin! Was mich kurz grübeln ließ, ob man wirklich wegguckt, wenn man Mitleid empfindet und jetzt in die Augen gucken kann, wenn man männlich findet. Kann aber sein, dass es so ist.
Re: Prosa für Nachdenkliche
Schönes Wochenende!
Ich war in Eile. Treppe rauf, jetzt aber schnell! Wo war doch gleich das Zimmer? Ja, Station eins, rechter Flur. Danach Wochenende! Yippie! Klopf, klopf und rein. Stille. Kein Licht? Wo war mein Patient? Und sein Bett? Warum war sein Bettnachbar so bleich? Und was machte er mit der Rose in der Hand Okay. Ich geh dann mal lieber.
Leise griff mir der Tod auf die Schulter als ich die Zimmertüre schloss. Schönes Wochenende! wünschte er mir.
Re: Prosa für Nachdenkliche
Eine der schönen Sachen dieser Welt ist: mit einer dampfenden Tasse Tee im Bett zu sitzen und zu lesen. Im Moment spielt es bei mir keine Rolle, ob ich ein gutes Buch habe oder im Forum meines Vertrauens stöbere.
Ich grüße Oma, Kuddel, Luffe, Rolle und Fritz!
Re: Prosa für Nachdenkliche
Solange die Kinder friedlich Playstation spielen, heißt es auch morgen wieder:
Schalten sie ein, genießen sie die ruhige Atmosphäre in ländlicher Gegend im
Forum ihres Vertrauens!
Re: Prosa für Nachdenkliche
Ficken!
Hallo. Ich sag mal was. Ficken! Hm. Provoziert euch das? Also, mich schon. Ich mag das. Das Wort. Ich sags noch einmal: Ficken! Uuuh! Schön ordinär. Find ich. Klingt nach, Moment, ich muss nachdenken, klingt nach, warum muss ich überhaupt nachdenken, klingt nach: Sex. Schmutzigen Sex. Schnellen Sex. Verruchten und triefenden Sex. Finde ich. Also, ich sag das gern. Vielleicht, weil in meinen Gedanken mindesten drei von vier Blicken hochschnellen, zwei von ihnen empört, manchmal nur ein einziger von ihnen angemacht und dieser dann von schräg unten so. So guckend. So.
Oh, ich sags einfach noch mal, einfach weil es so einfach ist, es zu sagen: Ficken. Fickenfickenfickenficken! Das machen keine Tiere. Nee. Also Ficken kann man schon von hinten und so, sollte, nein, könnte man tun, wenn man wollte, wenn man das macht, so animalisch, aber Ficken (Hach!) klingt nach Menschen, nach Körperflüssigkeiten, nach Nacktheit, Wildheit und rotem Licht. Uuuh! Nach Reibung und Glitsch. Ganz im Gegensatz zum Poppen, was ja für den eigentlichen Sachverhalt allzu leichtfertig dahingesagt erscheint, oder auch dem Sex machen, was irgendwie viel zu beschreibend klingt und Pimpern, was nach rhythmischem Kopfwackeln und Lächerlichkeit klingt. Ganz im Gegensatz dazu klingt FICKEN nach Geilheit. Hmmmm. Und geil sollte man schon sein, wenn man es tut. Alles andere passiert zwar auf dieser Welt, viel zu oft natürlich, leider, ist schlimm, ich weiß, doch das ist doch dann irgendwie nicht gut. Nein. Naja, auch von der Psychohygiene her sollte man schon richtig geil sein, wenn man fickt. Uuu! Wenn man fickt. Frau und Mann. Oder auch in verschieden Kombinationen, alle durcheinander. Frau-Frau-Mann-Mann-Frau-Männer-Frauen-mit-oder-ohne-mehrere-oder-Liebe. Das klingt nach Ficken, wow!
Habt Ihr etwa schon genug? Ha! F-I-C-K-E-N. Genug? Ficken. Hach! Ich erzähl noch ein bisschen weiter, okay? Die drei von den vier Blicken können ja zwischendrin wieder wegschnellen. Zu Boden vielleicht. Wo gerade einfach gar nichts nach Ficken aussieht. Nur Wollmäuse und Holz da unten. Guckt denn der Eine noch schräg? Na, los, noch ein wenig schräg von unten schauen. Bitte. Ficken. FICKEN: Klingt nach Tönen. Stöhnen, Juchzen, Schmatzen, Lutschen, Rein und raus und zack, zack, mehr, mehr, yeah, yeah! Ja, und so weiter. Hmmmm. Manchmal träumte ich von einer ganz abwegigen Situation. Wie zum Beispiel, lasst mich doch überlegen, wieso muss ich eigentlich überlegen, wie zum Beispiel: Zum Beispiel beim Bahnfahren. Linie 4 Richtung Garbsen. Alle starren irgendwo hin. Schweigen. Halten ihre Handtaschen fest. Und ich ruf: FICKEN! Sehr laut. Aah. Peinlich. Schön. Hm. Ob ich das schon mal gemacht hab? Das Rufen mein ich. Nee. Bin ja gar nicht so. Spiele ja nur manchmal mit solchen Gedanken. Ficke gerne. Ja. Klar. Wer denn nicht?
Oder, passt auf, oder der Herr Pastor vom Seniorenheim in der Auerstr., nur mal als Beispiel, der kommt auf mich zu, das macht er ja viel zu oft, gibt mir so blöd devot die Hand, redet so komisches Verständniskrams und ich rufe ihn mitten ins mildes Gesicht hinein: FICKEN! FIIIICKEN! So ganz laut. Das Gesicht von dem müsste ich erst mal aushalten. Naja, ich habs ja auch nie gemacht. Bin ja gar nicht so. Würde aber gern. Und jetzt kommts: Ich würde gerne, heißt auch, ich hätte gewollt. Wäre da nicht mein Sohn. Der Älter von Beiden. Der, der sich gerade so richtig fies in der Pubertät befindet, mich andauernd provoziert. Ja, und der: Benutzt mein schönes Wort! Völlig falsch! Ohne Arg und komplett anders, als ich es je für möglich gehalten hab. Die Jugendsprache macht mir plötzlich mein bestes Wort kaputt! Sowas! Ficken heißt nämlich auf neumodisch gar nicht mehr das. Das mit Sex und Glitsch und so. Damit hat das überhaupt gar nichts mehr zu tun. Ficken heißt nämlich gerade ziemlich aktuell nur mehr so viel wie: Verarschen. Ausnutzen. Degradieren und Besiegen. Dissen. Das ist auch so ein supermodernes Wort. Keiner guckt mehr empört. Nur ich. Also, so was! Da kann ich nicht einen von meinen gedanklichen vier Blicken senken und schräg gucken. Da kann ich nur starren und mich ärgern und gleich danach traurig werden. Mein schönes Wort! Meine hübsche Provokation. Alles dahin! Ficken zu sagen ist auf einmal schnöde, dröge, nüchtern, erschreckt nur meine Mutter und vielleicht den Pastor, aber mit dieser anderen, absurden hippen, absolut falschen Bedeutung, bah, will ich das Wort jetzt nicht mehr benutzen. Da bin ich bockig. So!
Unter uns: Wenn ich sag Ficken. Fühlt ihr euch überhaupt noch provoziert? Immer noch? Ihr habt genug davon? Echt? Fickenfickenfickenfickenficken! Wisst ihr was, ich hab genug davon. Ich suche ein neues Wort. Für meine ganz individuelle Provokation. Nur in mir drinnen, da bleibt es Ficken, aber nach außen sag ich jetzt: Was sag ich jetzt bloß? Ich frag mal im Internet nach. Da steht in etwa Folgendes: (Ich weiß, ihr seid langsam gestresst, jaja. Trotzdem mach ich weiter, ist ja Teil meiner schönen individuellen Provokation )
Sex, Pempern, Schnaxeln, Budern, Rammeln, Bienchen und Blümchen, Vögeln, Begatten, Liebe machen, Beischlafen, Penetrieren, Piepen, Nageln, Beischlaf, Geschlechtsverkehr, Koitus, Geschlechtsakt, Bumsen, eine Nummer schieben, Rummachen, Durchnudeln, Schnackseln, Bledern, Luntzen, Miteinanderschlafen, den Penis in die Scheide einfügen, Pennen, Bashen, Bammsen, Bommsen, Rammeln, Pimperln, Hopsen, Flachlegen, Runterspitzen, Fegen, Koitieren, Penetrieren, Stechen, Einen wegstecken, Ranzen, Titschkerln, ein Rohr verlegen, Pudern, Knallen, Schustern, Packln, Stehbeidlpolka oder Begattungswalzer tanzen, dem Liebesakt frönen, den Liebesakt vollziehen, Besamen, Muggeln, Matratzensport betreiben, Knattern, Knacken, Dübeln, Rattern, Tackern, Schrauben, Hobeln, Pflocken, Nieten, Schreddern, Sägen, Impfen, Fortpflanzen, Reitertanzen.
Ach, wisst ihr was? Davon bin ich jetzt wirklich ganz ungeil geworden. Bin gar nicht mehr provoziert, bin plötzlich müde geworden. Ich hab genug. Echt. . Ihr nicht? Immer noch nicht???? Okay. Einmal noch: Ficken. Gähn. Genug. Aus. Vorbei. Echt jetzt!
FICKEN! Ich bin weg.
Nein, ich sag nichts mehr. Endgültig. Sucht euch ne andere!
Ficken? Nö. Ich geh schlafen. Tschüss.
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Re: Prosa für Nachdenkliche
Das finde ich trashy, aber vielleicht benutze ich das Wort auch falsch.
Re: Prosa für Nachdenkliche
Meine Damen und Herren, es singt für sie: Das Niveau.
Aber auch das hat ja eine schöne Stimme.
Re: Prosa für Nachdenkliche
Sagt man etwa jetzt "Niveau" für "Ficken"? Tsst! ;-)
Toller Text aber! Den hört man richtig. Und der "Untergang der Möglichkeit zu Provokation durch die Verschiebung der landläufigen Bedeutung des Wortes "Ficken"" ist eine überraschende, aber nur wenig konstruiert wirkende Wendung des Textes.
Re: Prosa für Nachdenkliche
Niveau? Hm. Ich würde das gerne lesen, wenn ich das nächste Mal auftrete. Da ich mich selbst provozieren möchte, find ichs natürlich etwas provokant....