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"Studiengebühren - warum nicht?", Schätzel-Interwiew, 4.10.

"Studiengebühren - warum nicht?", Schätzel-Interwiew, 4.10.

"Studiengebühren - warum nicht?" Interview mit Ludwig Schätzl aus der HAZ vom 04.10.2003

Die Universität Hannover kämpft um Professoren, Studenten und ihr
Profil. 150 Stellen muss die Hochschule einsparen - so verlangt es der Wissenschaftsminister. Trotz des drastischen Sparprogramms will die Hochschule im Wettbewerb weiter mithalten. Wie geht das?

Fragen an Präsident Ludwig Schätzl.

Herr Schätzl, Hannover hat als Hochschulstandort eine eigentümliche Tradition - zunächst stand die Technische Hochschule im Mittelpunkt, dann erst gewann die Universität mit geisteswissenschaftlichen Köpfen wie
Hans Mayer oder Oskar Negt ein anderes Profil. Jetzt wird ausgerechnet in diesem Bereich stark gespart. Entwickelt sich die Uni wieder zurück?

Davon kann keine Rede sein. Schon vor der aktuellen Spardebatte habe ich ein Zukunftsprogramm für die Universität aufgestellt: Alle "großen Bereiche" der Hochschule sollen erhalten werden- Ingenieur- und Naturwissenschaften ebenso wie Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Sprach- und Sozial wissenschaften sowie Erziehungswissenschaften. Anders als München oder Berlin hat Hannover nur eine Universität. Und die muss ein breites Ausbildungsangebot für alle Studierenden aus der Region vorhalten - mit dem Ziel, im nationalen und internationalen Wettbewerb exzellente Leistungen zu erbringen.

Der Soziologe Oskar Negt, bis vor einem Jahr Professor an Ihrer Hochschule, meint mit den Kürzungen sollten die kritischen Potenziale
der Universität weggespart werden.

Herr Negt ist emeritierter Professor und hat natürlich das Recht auf eine Meinung. Sein Eindruck ist nicht durch Fakten belegbar: Auf der jetzt mit dem Ministerium abgestimmten Sparliste ist keiner der "großen Bereiche" überproportional von Stellenkürzungen betroffen.

Der Studiengang Romanistik wird komplett gestrichen die Soziologen müssen die Hälfte ihrer Stellen abgeben ...

... ja aber auch bei Bauingenieuren und Architekten, beim Gartenbau und bei der Landesarchitektur wird gekürzt. Bei allen mit dem Ministerium abgestimmten Sparentscheidungen haben Gutachten über Forschung und Lehre ebenso eine Rolle gespielt wie die Auslastung der Studiengänge, Abbrecherquoten und Berufsperspektiven. Die Fächer müssen eigene Profile entwickeln und sich dem Wettbewerb stellen.

Warum waren denn Ihre Soziologen nicht wettbewerbsfähig?

Die Universität braucht Soziologen, Wissenschaftler, die die Gesellschaft analysieren, auch in vielen anderen Fächern. Darum schließen wir nicht die Soziologie insgesamt, sondern stellen nur den Magisterstudiengang ein. Generell haben sich die Magisterstudiengänge überlebt.
Künftig setzen wir auf das Bachelor- und Mastermodell. Damit sind international anerkannte Abschlüsse möglich, durch ein strukturierteres Studium werden sich die Studienzeiten verkürzen.

Wie werden die Studenten das Sparprogramm zu spüren bekommen?

Jeder Studierende kann sein Studium in angemessener Zeit beenden. Das Personal wird schrittweise in den nächsten fünf bis zehn Jahren abgebaut. Werden die Kapazitäten der Fächer reduziert, können künftig auch weniger Studierende aufgenommen werden. Ich rechne aber nicht mit dramatischen Einbrüchen.

Was macht Sie da so sicher?

Die meisten Studierenden kommen aus der Region Hannover. Sie entscheiden sich bewusst für den Studienort. Wenn sie hier zum Beispiel in Jura keinen Stu- dienplatz mehr bekommen, studieren sie vielleicht Wirtschaftswissenschaften oder Gymnasiallehramt.

Vom Sparen abgesehen - wie soll sich die Hochschule in den kommenden zehn Jahren entwickeln?

Wir wollen unsere Stärken stärken. Die liegen vor allem im Maschinenbau, mit dem Produktionstechnischen Zentrum
entsteht in Garbsen ein europaweit einmaliges Forschungs- und Entwicklungszentrum, in Zusammenarbeit mit der Industrie. Auch in der Quantenphysik, der Nachrichtentechnik und der Informatik haben wir Spitzenforscher berufen können. Weiterer Schwerpunkt ist die Bio-
medizintechhik: Werkstoffkundler arbeiten mit Forschern der Medizinischen und Tierärztlichen Hochschule zusammen, um innovative Medizinprodukte zu entwickeln - eine bundesweit beispielhafte Kooperation.

Und wo liegen die Stärken der Geisteswissenschaften?

Im Wettbewerb um Forschungsgeld haben sie es ungleich schwerer - nicht nur in Hannover. Schon bei meinem Amtsantritt vor sechs Jahren habe ich mich für einen Sonderforschungsbereich beziehungsweise eine Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingesetzt. Potenziale hierfür sehe ich beispielsweise bei den Ökonomen, Politologen und Sprachwissenschaftlern. Das hat sich aber bislang nicht realisieren lassen.

Warum?

Vielleicht ist das ein Problem der Organisation. Ingenieure arbeiten eher im Team. Bei den Geisteswissenschaftlern scheint das schwieriger zu sein.

Ist das klassische Hochschulmanagement mit sehr eigenständigen Professoren eigentlich noch zeitgemäß und handlungsfähig - gerade, wenn es um Strukturreformen geht?

Das Präsidium der Universität Hannover muss nicht gestärkt werden. Gleichwohl wäre eine straffere Strukturierung bei den Abstimmungsprozessen mit dem Ministerium und den Gremien der Hochschule sinnvoll. Ansonsten rate ich zu mehr Gelassenheit - im Wettbewerb der Hochschulen untereinander bin ich beispielsweise ein großer Anhänger der Marktwirtschaft. Die Forschungsleistung und die Nachfrage der Studierenden sollten über die Gewinner und Verlierer beim
Standortwettbewerb entscheiden.

Das Ministerium plant das Studium für Grund- Haupt- und Realschulen nach Hildesheim zu verlegen. Glauben Sie, dass die Studenten folgen werden?

Die Lehrerausbildung sollte nicht in die Peripherie verlegt werden, sondern in den Metropolen präsent sein. Über die geplante Verlagerung verhandeln wir noch intensiv mit dem Ministerium. Ich werde mich dafür einsetzen, dass das Studium für das Grund-, Haupt- und Realschullehramt der Universität Hannover erhalten bleibt. Zudem haben wir ein Konzept zur Neuausrichtung der gesamten Lehrerausbildung erarbeitet. Dabei geht es unter anderem darum, die Didaktik für die verschiedenen Unterrichtsfächer gezielt in die Fachinstitute zu integrieren.

Sie haben viele Ideen wie wollen Sie das alles bezahlen?

Langfristig brauchen die Hochschulen und braucht natürlich auch die Universität Hannover mehr Geld. Das Land wird die Mittel in den kommenden Jahren aber nicht aufstocken können. Darum müssen wir uns nach anderen Einnahmequellen umsehen. Die Einführung von Studiengebühren wäre eine mögliche Alternative.
Ein Betrag von 500 Euro pro Semester wäre denkbar, natürlich mit sozialen Regelungen etwa für Bafögempfänger. Wissenschaftsminister Lutz Stratmann hat vorgeschlagen, dass die Hochschulen selbst über die Einführung von Studien- gebühren entscheiden können. Das halte ich für eine sehr überdenkenswerte Idee.

Wie geht'sweiter an der Uni Hannover?
Ludwig Schätzl im Gespräch mit den HAZ-Redakteuren Hendrik Brandt und Juliane Kaune.

Zur Person
Der 65-jährige Ludwig Schätzl gebürtiger Oberbayer, ist seit 1997
Präsident der Universität Hannover.
Der Wirtschaftsgeograph promoviertean der Universität München, er habilitierte sich an der Gießener Universität. Nach Stationen in Gießen und
Berlin kam Schätz 1978 als Professor für Wirtschaftsgeographie an die
hannoversche Hochschule. Er war zweimal Dekan des Fachbereichs
Erdwissenschaften, von 1984 bis 1986 wurde er zum Uni-Vizepräsi-
denten für Forschung gewählt. Seit 1993 ist der verheiratete Vater eines
Sohnes Koordinator des Schwerpunktprogrammes "Technologischer Wandel und Regionalentwicklung inEuropa" der Deutschen Forschungs-
gemeinschaft. Seine Amtszeit als Uni-Präsident endet Ende 2004.