Frankfurter Rundschau: Stramme Burschen
Stramme Burschen
Rechtsextremisten und Studenten-Verbindungen pflegen - mehr oder weniger offen - fruchtbare Beziehungen
VON JÖRG SCHINDLER
Die Kasseler Burschenschaft Germania ist eine "fröhliche Gemeinschaft". Immer mal wieder laden die 14 Studenten der Verbindung zu Grill- oder Kaminabenden in ihr "Germanenhaus" im Stadtteil Wolfsanger, das schon allein deswegen gut zu finden ist, weil oben auf dem First unübersehbar eine schwarz-rot-goldene Flagge prangt. Das Haus, so wirbt der als gemeinnützig anerkannte Männerbund auf seiner "Heimatseite", stehe Interessierten jederzeit offen: "Gäste sind stets willkommen."
So auch am 19. November 2004. Damals begrüßte die heitere Männerrunde einen gewissen Jürgen Rieger in ihrer Mitte, um etwas über "germanischen Glauben in unserer Zeit" zu erfahren. Rieger ist auf dem Gebiet durchaus kompetent: Der Neonazi-Anwalt plant in Niedersachsen zurzeit eine Art Paarungsinstitut für Arier. Mit Nicht-Deutschen dagegen hat Rieger so seine Probleme. Deswegen soll er auch vor den Kasseler Burschenschaftlern empfohlen haben, Türken derart zu verprügeln, "dass ihnen alle Zähne fehlen". Berichte über den NS-Massenmord an Sinti und Roma habe der rechte Jurist kurzerhand als "Schwachsinn" abgekanzelt. Weil von den Tiraden ein Filmteam des ZDF Wind bekam, ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Auch beim hessischen Verfassungsschutz hat man den Auftritt Riegers "mit Interesse zur Kenntnis genommen". Denn von einem Einzelfall kann längst keine Rede mehr sein.
Von einer "neuen Qualität" der Zusammenarbeit zwischen Rechtsextremisten und Burschenschaften sprach kürzlich, ungewohnt offen, der hessische Verfassungsschutz-Präsident Lutz Irrgang. Mancher der angestaubten Studenten-Clubs - in denen Säbelrasseln, Koma-Saufen und das Absingen von Liedzeilen wie "Deutschland, Deutschland über alles" zu den gängigen Ritualen zählen - sei auf dem Weg, zur "Denkfabrik" für die organisierten Neo-Faschisten zu werden. Vor allem eine Burschenschaft hatte der oberste Schlapphut dabei im Sinn: die ultrarechte Gießener Verbindung Dresdensia-Rugia.
Aus deren Reihen stammen -Zufall oder nicht - gleich drei Männer, die derzeit bei der NPD im sächsischen Landtag Karriere machen: Stefan Rochow, seit 2002 Bundesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten (JN) und in Dresden NPD-Fraktionsassistent; der Diplom-Volkswirt Arne Schimmer als wissenschaftlicher Mitarbeiter; sowie der Abgeordnete Jürgen W. Gansel, der jüngst mit seiner Rede über den "Bomben-Holocaust" von Dresden bundesweit für Empörung sorgte. "Das ist ein gravierender Vorgang", ächzt Verfassungsschützer Irrgang, "das hatten wir bis jetzt noch nicht." Wirklich nicht?
Tatsächlich fielen in den vergangenen Jahren bundesweit etliche Burschenschaften dadurch auf, dass sie unverhohlen mit dem Rechtsextremismus kokettierten. So zeichnen sich etwa an der Universität Greifswald vor allem die Studentenclubs Markomannia Aachen und Rugia durch stramm rechtes Auftreten aus. Maßgebliches Mitglied der Rugia ist Mathias Rochow, Jahrgang 1976, Bruder des JN-Chefs und wie dieser seit Jahren ein Aktivposten der NPD. "Mindestens drei weitere Burschenschaftler" des mecklenburgischen Uni-Städtchens seien in der Partei tätig, sagt Bernd Biedermann, der Sprecher der Greifswalder "Freitagsrunde". Wann immer in der Stadt Rechte aufmarschierten, seien Markomannia, Rugia, gelegentlich auch die Schwesterschaft Athena mit von der Partie - so erst kürzlich wieder bei einer Kundgebung des "Heimatbundes Pommern".
In München war es die Burschenschaft Danubia, die Innenminister Günther Beckstein (CSU) Anfang 2001 schnauben ließ, Studenten seien drauf und dran, "Wortführern des Rechtsextremismus" die Tür zu öffnen. Zuvor hatten Danuben in ihrem Verbindungshaus den kahlköpfigen Schläger Christoph Schulte versteckt, der wegen eines brutalen Überfalls auf einen Griechen polizeilich gesucht wurde. Dank tätiger Mithilfe der Waffen tragenden Burschen konnte sich Schulte in die Niederlande absetzen, bevor er gefasst wurde. Die "Danubia" halte sich seither zwar "nach außen sehr stark zurück", heißt es beim bayerischen Verfassungsschutz. Innen aber weht nach wie vor ein völkischer Wind. Einer, den auch Karl Richter, ein "alter Herr" der Danubia, zu schätzen weiß: Richter brachte es nicht nur fertig, als Statist im Hitler-Epos "Der Untergang" mitzuwirken - er ist auch offiziell "Berater" der NPD im sächsischen Landtag.
Im westfälischen Münster wiederum treibt seit geraumer Zeit Oliver Westerwinter sein Unwesen. Als Bundespressesprecher der JN zeichnete er nicht nur für die infame Ködernummer "Nationalismus in die Schule tragen" verantwortlich. Im März vergangenen Jahres rief er zudem zu einem Protestmarsch gegen eine geplante Synagoge auf. Ganz nebenbei residierte Westerwinter monatelang im Verbindungshaus der Münsteraner Burschenschaft "Franconia".
Zufall? Eher nicht. Ob Franconia, Danubia, Rugia oder Dresdensia: Alle der genannten Verbindungen gehören dem Dachverband "Deutsche Burschenschaft" (DB) an, der mit der Abgrenzung nach rechts schon immer Schwierigkeiten hatte. Insbesondere seit der Wiedervereinigung 1989 wurden in der DB die Stimmen lauter, die für einen Anschluss auch anderer Gebiete wie Ostpreußen oder Österreich eintreten. Im DB, sagt der Wiesbadener Experte Dietrich Heither, habe seit geraumer Zeit der noch rechtere Dachverband "Burschenschaftliche Gemeinschaft" das Sagen. Zu deren Grundsätzen zählt unter anderem, "dass keine Abtretung der Ostgebiete stattgefunden hat, sondern dass sich diese Gebiete im Schwebezustand befinden." Rassismus und das Schüren von Fremdenfeindlichkeit gehörten inzwischen zur Programmatik der DB, so Heither.
Wegen des radikalen Rechtskurses gab es innerhalb des Dachverbandes immer mal wieder heftige Kämpfe. Als schließlich ein Teil der Ewiggestrigen Mitte der 90er Jahre besoffen durch Kaliningrad wankte und lautstark "Freiheit für Königsberg" einforderte, wurde es dem eher liberalen Flügel zu braun: Acht Verbände spalteten sich 1996 von der DB ab und gründeten die "Neue Deutsche Burschenschaft". In der alten hatten somit endgültig die Rechtsaußen das Sagen. Seither, sagt die Gießener Politologin Alexandra Kurth, "treten Verbindungen zur NPD immer deutlicher zu Tage".
Nicht nur zu ihr. Auch andere Gruppen aus dem rechten Spektrum scheinen auf einen Teil der schmissigen Studenten gehörigen Reiz auszuüben. So residiert etwa die Jenaer Burschenschaft Normannia in der "Wilhelmsburg". Das Haus gehört dem stadtbekannten "Republikaner" Wilhelm Tell, der es dem obskuren Verein "Jenaische Burse" zur Verfügung gestellt hat. Mitglieder dieses Vereins sind unter anderem Peter Dehoust, ehemals führender Funktionär der bayerischen NPD, sowie der Burschenschafter und Theologe Dirk Metzig, der der Thüringer Polizei schon 2001 wegen "enger Kontakte zu Führungspersonen der rechten Szene" auffiel. Nach Angaben der Straßensozialarbeiterin Katharina König soll es zudem Verbindungen zwischen der Normannia und freien Kameradschaften wie dem "Thüringer Heimatschutz" geben.
In Marburg waren es ebenfalls Mitglieder einer Normannia, die sich vor einigen Jahren für die Neugründung des Republikanischen Hochschulverbandes stark machten. Treibende Kraft seinerzeit: der "Normanne" Eike Erdel, Oberstleutnant der Reserve und jahrelang REP-Kreistagsabgeordneter. Erdel soll zwar nicht mehr der Normannia angehören, fühlt sich offenbar aber immer noch ganz rechts wohl: Zur Zeit vertritt er als Anwalt den NPD-Aktivisten Safet Babic, der im Studentenparlament der Uni Trier für Wirbel sorgt.
Die Burschen und die Neonazis: Das ist ganz offensichtlich eine fruchtbare Verbindung. Von 50 bis 60 Bünden spricht Buchautor Heither, "auf die man immer wieder stößt, wenn es um Verknüpfungen zum Rechtsextremismus geht." Diese seien "eindeutig völkisch großdeutsch orientiert". Die Gastredner-Listen dieser Burschenschaften lesen sich bisweilen wie das Who's Who der Ewiggestrigen: Horst Mahler, Rolf Schlierer, Alain de Benoist, Franz Schönhuber - alles schon Gäste bei den reaktionären Studenten. Die "Volksfront von rechts", von der NPD-Chef Udo Voigt jüngst schwadronierte: Sie erhält Zulauf auch von der akademischen Elite. Es hat den Anschein, als sei bereits eingetreten, was ein Sprecher des "Nationaldemokratischen Hochschulbundes" 1999 in der Rechtsaußen-Postille "Nation & Europa" als Ziel formulierte: "Im Zuge der vielbeschworenen und notwendigen Intellektualisierung des nationalen Lagers wäre es angebracht, sich verstärkt studentischer Korporationen anzunehmen."
"Es gibt inzwischen eine klare Verknüpfung zwischen intellektuellen Rechten und Stiefelnazis", sagt Politologin Kurth. Und manche Burschenschaft geriert sich dabei immer dreister. Grund dafür sei mit Sicherheit der Einzug der Rechtsextremen in die Landtage von Sachsen und Brandenburg. "Das eröffnet den ganz Rechten in den Burschenschaften ungeahnte Karriere-Perspektiven", sagt Kurth. Damit hole Deutschland nach, was in Österreich bereits Praxis ist: Dort haben es etliche Burschenschaftler für die FPÖ in Ministerämter geschafft. Welche Dimension diese Entwicklung hier zu Lande noch haben werde, sei bestenfalls zu ahnen. "Ich kenne auch nur die Spitze des Eisbergs", so Kurth. Denn die ultrarechten Burschen würden immer konspirativer.
Beim Verfassungsschutz tut man sich denn auch entsprechend schwer, die merkwürdigen Umtriebe der rechten Studenten zu bewerten. "Wir wissen, dass einzelne Burschenschaften personelle Schnittmengen zum Rechtsextremismus aufweisen", heißt es im Thüringer Landesamt. Dass einzelne Verbindungen jedoch "in toto" rechtsextrem seien, sei kaum nachzuweisen. "Ein schwieriges Gebiet", heißt es in Niedersachsen. "Wir haben das im Auge", sagen die Bayern. "Da bahnt sich was an", glauben die Hessen. Was genau? Schulterzucken.
Vielleicht, argwöhnt Alexandra Kurth, hat die Zurückhaltung der Verfassungsschützer aber auch politische Gründe. Denn würde man die Burschenschaften zu genau in die Mangel nehmen, könnten womöglich auch Menschen ins Blickfeld geraten, die man bislang für lupenreine Demokraten hielt. Menschen zum Beispiel wie Hans-Jürgen Irmer. Als die SPD im hessischen Landtag kürzlich wegen der Dresdensia/NPD-Connection genauer nachforschte, stieß sie auch auf einen Vortrag, denn Irmer 1996 bei der Dresdensia gehalten hatte. "Islam - eine Gefahr für Deutschland" lautete der Titel. Die hessische Regierungspartei CDU ist seither ein wenig peinlich berührt: Irmer ist ihr schulpolitischer Sprecher.
Burschenschaften
Die Burschenschaftsbewegung entstand in Deutschland um 1815, als sich in Jena Studenten mit nationalen, christlichen und freiheitlichen Idealen zusammen schlossen. Der größte Dachverband ist heute die Deutsche Burschenschaft (DB), in der von Anfang an ein völkisch-elitäres, weitgehend antisemitisches Weltbild vorherrschte. So wurde Hitlers Machtergreifung von der DB euphorisch begrüßt, etliche Burschenschaften traten begeistert dem NS-Studentenbund bei. Nach der Neugründung des DB 1950 gab es wiederholt Versuche liberaler Gruppierungen, eine Abgrenzung nach rechts zu erreichen - allesamt blieben erfolglos. 1961 gründete sich, sozusagen als Dachverband innerhalb der DB, die "Burschenschaftliche Gemeinschaft", die ein völkisch-nationalistisches Weltbild propagiert und die radikalen österreichischen Verbindungen ausdrücklich in ihren Reihen begrüßt. Nach und nach besetzte sie die Schlüsselstellen in der DB - erst recht, seit sich 1996 der vergleichsweise liberale Flügel abspaltete und die "Neue Deutsche Burschenschaft" gründete. Der DB gehören heute rund 130 Ver-bindungen mit etwa 15 000 Studenten an. Daneben gibt es circa 900 weitere studentische Verbindungen mit größtenteils liberaler Programmatik.