Kreative Intelligenz - Kurzgeschichten

1970: Kosmische Wohnungssuche

1970: Kosmische Wohnungssuche

Kosmische Wohnungssuche

1972 in Mallorca ging Maharishi ausführlich auf die Frage ein, warum die Menschen nicht von Natur aus im Glückszustand leben. Er verglich den Zustand der Unwissenheit mit einem bewölkten Himmel, der die Sonne verdeckt. Aber selbst bei einem Nervensystem voller Stress, der die Natur des wahren Selbst überschattet, können wir durch die Lücken zwischen den Wolken manchmal die ewig  im Hintergrund strahlende Sonne sehen und den Zustand der Erleuchtung wenigstens zeitweilig erleben.
 
Genau eine solche Zeit, in der die Sonne durch die Wolkenlücken über mehrere Monate schien und ich als völlig selbstverständlich hinnahm, dass alles völlig reibungslos ineinandergriff und klappte, erlebte ich 1970/71 in Berlin. Ich war die ganze Zeit völlig »im Fluss«.
 
Es begann damit, dass ich im Herbst 1970 nach Kössen in Österreich fuhr, um laut Rundschreiben »die letzte Gelegenheit zu nutzen, Maharishi in Europa zu treffen, bevor er sich endgültig nach Indien zurückzieht«. In Kössen hörte ich zum erstenmal von sieben Bewusstseinszuständen und erfuhr, dass ein klares Zeichen für kosmisches Bewusstsein der Wachschlaf sei. Als ich Tage später von Satyanand die Nachttechnik erlernte und drei Tage lang meinen Schlaf bewusst wahrnahm, war ich fest davon überzeugt, dass ich - nach drei langen Jahren der Meditation - nun endlich dieses kosmische Bewusstsein erreicht hatte.
 
Ich kam also - aufgeladen mit dem Sattwa einer Versammlung von 2000 Meditierenden mit Maharishi - zurück nach Berlin und erzählte jedem, dass der begrenzte Zustand innerhalb der ersten drei Bewusstseinszustände völlig schal und fade sei im Vergleich zu dem abenteuerlichen Reichtum, der sich bei voller Entfaltung aller sieben Bewusstseinszustände erreichen ließe, worauf fast alle meine (Kunst- und Drogen-)Freunde anfingen zu meditieren.
 
Bei der Aufnahmeprüfung zur Kunsthochschule (bei der ich Jahre zuvor in Mainz durchgefallen war), schrieb ich auf die Frage, warum ich Kunst studieren wolle: »Ich will durch die verschiedenen Kunstrichtungen ausdrücken, dass meine seit Jahrtausenden schlafende Seele wieder erwacht und das Erdenleben zu blühendem Leben erweckt.« Nachdem ich bestanden hatte, meinte der Professor: »Bei Ihnen gab es im Kollegium die stärksten Meinungsverschiedenheiten. Wir waren uns nicht einig, ob Sie völlig durchgedreht sind oder genial.«
 
Aufgrund meiner absoluten Selbsicherheit (ich wusste ja, im kosmischen Bewusstsein brauchen wir uns um nichts zu kümmern, denn die Natur sorgt für alles) war ich schon nach kurzem ASTA-Vorsitzender und Ansprechpartner für alle Studentenfragen. Genauso klappte alles in anderen Bereichen. Wollte ich mit dem Bus fahren, kam der Bus genau in dem Augenblick, an dem ich zur Haltestelle kam, wollte ich jemanden sprechen, rief er an, sobald ich die Wohnungstür aufgeschlossen hatte. Als ein TM-Lehrer nach Berlin kam, arrangierte ich TM-Vorträge an der Kunsthochschule, plante mit ihm große Werbekampagnen mit U-Bahn-, S-Bahn- und Litfassäulenwerbung, und nach einem halben Jahr hatte Berlin 2000 neue Meditierende.
 
Das beste Beispiel, wie die Natur alles reibungslos organisierte, war mein Wohnungswechsel. Ich hatte vor dem Kurs mit Maharishi eine Wohngemeinschaft in Berlin-Schöneberg übernommen, in der Mitglieder des Musical Hair Ensembles wohnten, die während meiner Abwesenheit laute nächtliche Feste mit Musikinstrumenten gefeiert hatten, so dass uns die Wohnung mit Räumungstermin zum 6. Dezember gekündigt wurde. Als ich aus Kössen zurückkam, suchten alle bereits eifrig nach einer neuen Unterkunft. Ich jedoch sagte: »Sucht ihr nur, ich brauch das nicht. Ich ziehe einfach um, wenn wir raus müssen.«
»Und wohin?«
»Das wird sich finden. Im kosmischen Bewusstsein sorgt die Natur für alles.«
»Und was machst du, wenn du am 6. Dezember nichts gefunden hast?«
»Dann bestelle ich den Möbelwagen, räume ein und fahre durch die Stadt bis zu der Stelle, wo ich einziehen soll.«
»Na dann viel Glück!«
Kurz vor Weihnachten, zwei Wochen nach dem Umzug, trafen wir uns wieder. Die meisten hatten eine Bleibe in Kreuzberg Hinterhof zwischen jugoslawischer und türkischer Volksmusik gefunden und fragten mich. »Und wo wohnst du?«
»In Frohnau, dem Villenviertel im Norden, direkt am Wald, ganz in der Nähe des Buddhistischen Tempels. Zur Zeit habe ich das ganze Haus samt Garten für mich allein.«
»Und wie kam das?«
»Am 5. Dezember fragte mich abends ein Meditationslehrer, ob ich Lust hätte, mit ihm eine Villa zu besichtigen, die er als Meditationszentrum mieten wolle. Ich fuhr also mit nach Frohnau und erlebte, wie er den Mietvertrag unterschrieb. Auf der Heimfahrt fragte er, ob ich Lust hätte, schon mal einzuziehen und das Haus zu hüten, solange er zur Lehrerfortbildung in Spanien sei. ‘Das trifft sich gut’, sagte ich, ‘morgen muss ich sowieso aus meiner Wohnung’.«
»Aber das konntest du doch vorher gar nicht wissen.«
»Das hab ich euch doch gesagt: Hätte ich mir vorher was gesucht und gemietet, hätte ich ja nicht einfach ja sagen und einziehen können.«
 
Diesen Zustand, in dem alles vollkommen im Fluss ist, habe ich so deutlich gespürt, dass ich mich noch heute an jede Einzelheit erinnern kann, vor allem aber an das wunderbare Lebensgefühl, von der Natur vollkommen getragen zu werden.
Diese Erfahrungsbericht ist auch enthalten in: https://www.alfa-veda.com/9783945004289-jan-mueller-patanjalis-yoga-sutra.html