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Der Wert der Maske (Short-Story)

Der Wert der Maske (Short-Story)

Der Wert der Maske..

Alles, was sie wollte, war doch nur die Flucht vor der Einsamkeit. Sie hasste es alleine zu sein, zu wissen, dass man keine Freunde hat.. Und jetzt saß sie schon wieder in diesem kleinen Café namens „Victory“ und schlürfte mit ein paar anderen Cappuccino. Victory, was für ein passender Name für ein Café, indem ständig irgendwelche Zicken die Einzelgänger und Außenseiter diskriminierten, dachte sie und nahm einen großen Schluck, um den Gedanken zu verdrängen, dass sie selbst zu den Zicken gehörte. Dabei teilte sie gar nicht einmal ihre Meinung, im Gegenteil. Sie hasste es immer wieder, wenn Außenseiter fertig gemacht wurden, schließlich war sie selbst mal einer gewesen. Aber was sollte sie tun? Mitmachen war die einzige Möglichkeit, in der Clique zu bleiben. Und sie brauchte ihre Clique, sie brauchte sie so sehr..
Jedenfalls als Tarnung. Denn sie wollte doch einfach nur Normal sein, so wie alle anderen auch. Es war ihr Wunsch, auch irgendwann einmal so oberflächlich zu sein wie ihre Freunde. Dann würde nichts mehr so nah an sie heran kommen, dass sie zerbrechen könnte. Dann wäre sie endlich stark..
Und so lange sie noch nicht so war, sondern ein komischer, merkwürdiger Mensch, musste sie eben diesen normalen Menschen spielen. Jeden Tag, wenn sie aus dem Haus ging, setzte sie ihre Tarnung auf wie eine Maske, die erst dann wieder abging, wenn sie wieder zu Hause war. Und tatsächlich erkannte bisher keiner ihre Maske, jeder dachte, es wäre ihr wahres Gesicht. Und darauf war sie wahrlich stolz. Denn wenn es herauskommen würde, wäre sie Alleine. Dann wäre sie das, was sie niemals wollte – Wovor sie die größte Angst hatte.
Bisher hatte sie noch keinen Menschen getroffen, der ihr annähend gleich war. Noch nie hatte sie jemanden gesehen, der bei dem Thema Selbstverletzung nicht das Gesicht vor Ekel verzerrte, um dann laut über diese Leute, die sich selbst verletzen, zu lachen. Und gerade deswegen musste sie ihr wirkliches Gesicht verstecken..
Sie wollte nicht mehr ausgelacht werden. Schließlich hatte dadurch damals das angefangen, womit sie nicht mehr aufhören konnte.. >Es< war wie eine Sucht und eine Befreiung zugleich. Und wenn sie näher darüber nachdachte, dann war >es< auch ihr einziger Halt in dieser schalen, rauen Welt..

Auf dem Weg nach Hause dachte sie über den Nachmittag nach, der so gut wie jeder andere Nachmittag verlief. In dem kleinen Café sitzen, sich über andere lustig machen und dann den Abend planen.. Warum tat sie sich das überhaupt an? Die neusten Modetipps, die letzte und nächste Party.. Das alles interessierte sie doch nicht im Geringsten. Außerdem kotzte es sie sowieso an, wie die anderen aus ihrer Clique mit Außenstehenden umgingen.. Wenn sie die Leute doch bloß nicht brauchte, dann wäre sie sicher schon längst von ihnen getrennt. Aber sie war abhängig von ihnen, wie ein Junkie vom Heroin. Ohne die Leute konnte sie nicht Leben – Alleine konnte sie nicht Leben. Sie wusste noch nicht einmal, wieso sie so fürchterliche Angst vor dem Alleinsein hatte, es war einfach so. Und deswegen nahm sie lieber alles auf sich, egal was es war. Denn die schlimmste Hölle war besser, als den Satz „Ich habe keine Freunde“ auszusprechen. Außerdem war sie sich sicher, dass die anderen aus ihrer Clique sie mochten, und das gab ihr Kraft. Erst letztens hatten alle gegenseitig Passfotos ausgetauscht, um diese in die Brieftasche zu tun. Das jemand sie mochte gab ihr unheimlich Kraft, das alles durchzustehen. Denn egal wie deren Charakter auch war – Diese Menschen mochten sie.


Etwas später war sie gestylt und fertig zu der anstehenden Party, auf die ihre Clique gehen wollte. Alle trafen sich an einem bestimmten Punkt und gingen dann gemeinsam – natürlich schon mit einigen Alkoholflaschen, die sie selbst wie immer mitgebracht hatte – zu der Party. Dort verfiel sie ihrem alltäglichen Muster. Einfach so viel Alkohol trinken, bis sie nichts mehr mitbekam und nicht mehr denken konnte. So verdrängte sie wenigstens für einige Zeit den Schmerz, den die Maske auf sie drückte..
Sie wusste nicht, wie lange sie schon dort gewesen waren, aber irgendwann war der mitgebrachte Alkohol leer. Sie beschlossen alle zusammenzulegen und kramten ihre Geldbörsen raus. Zufällig schaute sie in eins der Portmonnaies ihrer Freunde. Ja, dort waren die ganzen Passfotos, die sie getauscht hatten.. Aber, halt! Wo war ihres? Aus dem Augenwinkel heraus suchte sie das ganze Portemonnaie nach ihrem Foto ab. Aber nichts, kein bisschen zu sehen davon.. Und auch im nächsten war kein Bild von ihr. Wie konnte das sein?
Auf einen Schlag war sie nüchtern. Konnte es sein? Haben ihre Freunde sie etwa nur verarscht? War ihre Vorstellung, dass die sie vielleicht wirklich mochten, etwa so falsch gewesen? Zerplatzen jetzt etwa wirklich alle ihre Träume? Durch diesen Schlag war sie sehr verwirrt..
Aber sie durfte sich nichts anmerken lassen. Vielleicht war alles ja auch nur ein Versehen, und sie hatte nicht richtig hingesehen? Oder das Foto wurde einfach noch nicht eingefügt. Das konnte ja alles mal passieren. Also ließ sie sich weiter mit Alkohol, den sie gekauft hatten, zudröhnen und vergaß das kleine Fotoproblem..
Eine Weile später machte ihre Clique sie kichernd auf ein Mädchen aufmerksam, das ungefähr in dem gleichen Alter wie sie sein musste. Auch dieses Mädchen trug nur schwarz, wie sie selbst eigentlich auch, wenn sie nicht mit ihrer Clique unterwegs war und sich verstellte. Aber dieses Mädchen trug ein T-Shirt, was sie selbst sich niemals trauen würde. Ihr Blick schweifte automatisch auf den freien Arm – Da erkannte sie, warum ihre Clique über dieses Mädchen lachte..
Denn ihre Arme waren voller Narben, die dunkelrot von der blassen Haut hervorstachen. Konnte das sein? Hatte sie endlich jemanden gefunden, der das gleiche Problem hatte wie sie? War dieses Mädchen aber einfach nur mutiger, um keine Maske zu tragen? Wie schaffte die das nur, so selbstbewusst damit umzugehen? Und weswegen machte sie das überhaupt? Vielleicht zeigte sie ihre Narben ja auch extra, schließlich hab es einige, die das als Mode Erscheinung sahen..
Für einige Sekunden schwebte sie in Gedanken, bis ihre Clique sie daraus hervorholte und von ihr verlangte, doch auch über dieses „geistesgestörte Mädel“ zu lachen. Doch eigentlich war ihr gar nicht nach Lachen zumute.. Schließlich würde sie auch über sich selbst lachen, wenn sie über dieses Mädchen lachte. Außerdem schoss ihr in diesem Moment wieder die Passfoto-Story durch den Kopf.. War die Clique es wirklich Wert, über so ein ernstes Thema zu lachen – Über sich zu lachen?..