alive and swinging
Nur beim Steppen läuft es noch nicht so richtig rund
Schuld ist mal wieder Robbie Williams: Er löste das Swing-Revival aus. Warum deutsche Popstars jetzt so lässig sein wollen wie Frank Sinatra und Dean Martin
Xavier Naidoo nimmt den Spaß, den er hat, wie immer sehr ernst. Seit drei Tagen versucht der Sänger, die Grundregeln des Steppens zu lernen. Jetzt sind auch seine Kollegen Sasha, Rea und Michael Mittermeier im "Step In" erschienen, einem Hamburger Tanzstudio im Souterrain einer Tennishalle, zwischen Gebrauchtwagenhändler und Textil-Discount. Das Training klappt schon ganz gut, nur bei Sasha läuft es noch nicht rund: "Wir sind ja völlige Laien. Das wird ganz interessant - für uns wie für das Publikum."
Bis kommenden Donnerstag muß alles sitzen, dann steigt die Show "Alive and Swingin'": In der Frankfurter Jahrhunderthalle wollen vier deutsche Stars einem amerikanischen Mythos ihre Liebe erklären. Die Sänger Sasha, Xavier Naidoo, Rea von der Gruppe Reamonn und der Comedian Michael Mittermeier versuchen sich an der Interpretation der 20 größten Klassiker von Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis Jr., kurz: The Rat Pack.
500 Euro kostet ein Platz an einem der 75 "exklusiven Tische" mit Damast und Kerzenleuchter. Damit sich in Frankfurt nicht nur die Eintrittspreise auf Las-Vegas-Niveau bewegen, wird auf der Bühne eine Bar stehen, eine Showtreppe, und ein paar tanzende Mädels sind auch dabei. Zu "The Lady Is A Tramp" über "I Get A Kick Out Of You" bis "May Way" gibt es Champagner, im Anschluß eine große Party. Peter Maffay und Fernsehkoch Tim Mälzer haben gleich zehn Plätze gebucht, denn es geht um einen guten Zweck: Der Erlös kommt der von Raemonn gegründeten Kinderstiftung Saving an Angel zugute.
"Im Grunde sind wir so etwas Ähnliches wie das deutsche Rat Pack", findet Initiator Rea. 1960 drehten Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis Jr. den Film "Ocean Eleven", streiften abends den Smoking über und zogen auf der Bühne des "Sands" die größte Show ihres Lebens ab. Das Hotel in Las Vegas galt als coolster "place in the sun". Keine Wolke trübte 365 Tage im Jahr den Himmel, und wer im Hotelpool zwischen Filmstars, Gangsterbossen und Frauen, von denen man nicht wußte, ob sie Starlets oder doch nur Callgirls waren, sein Glück an schwimmenden Black-Jack-Tischen versuchte, wähnte sich auch sonst auf der Sonnenseite des Lebens. Hier verkehrten sie alle - von John F. Kennedy bis Marilyn Monroe.
Aber zum Hotspot der internationalen Showbusiness wurde das "Sands" erst als Nest des Rat Packs. Und weil Swing seit einiger Zeit wieder ein sicheres Geschäft ist, bevölkern Rat-Pack-Imitatoren die Theater- und Musicalbühnen.
"Ich glaube, die Magie unserer Kombination ist so einzigartig, das sich jeder Vergleich mit ähnlichen Projekten verbietet", meint Rea. "Keiner von uns spielt Dean Martin oder Frank Sinatra. Das wäre ja langweilig", so Mittermeier. "Dann könnte man auch einen Musical-Sänger hinstellen. Wir sind vier Freunde, und jeder hat seinen Charakter." Er übernimmt den Part von Joey Bishop, der für das Erzählen von Witzen zuständig war, damit sich die anderen inzwischen in Ruhe betrinken konnten. "Wir brauchen Michael, um das Publikum bei Laune zu halten. Wir sind ja nicht besonders witzig", sagt Sasha im Namen der Sänger.
Er hat schon Erfahrung mit Retro-Projekten. Bis vor kurzem trat er als Rock 'n' Roller Dick Brave vor die Leute. Die Vorstellung, als Rattenschwanz des Swing-Revivals belächelt zu werden, kann ihn nicht mehr schrecken. Seit vier, fünf Jahren perlt es die Charts hoch und runter - Swing als "Feng Shui für die Ohren", gegen Casting-Shows und Fließband-Pop. Den Anfang machte Robbie Williams mit seinem Erfolgsalbum "Swing When You're Winning". Was als spielerischer Zeitvertreib eines versierten Pop-Strategen seinen Anfang nahm, lockte Legionen ernstmeinender Epigonen in die Studios. Diana Krall und Nora Jones mag man noch ein gewisses künstlerisches Profil zugestehen, doch spätestens beim Gebalze des australischen Shooting-Stars Michael Buble wird die Strategie des Musikmarkts erkennbar, die dramatischen Umsatzeinbußen bei den Download-Kids mit Zuwächsen bei Erwachsenen zu kompensieren, die zu ungeschickt oder zu faul fürs Runterladen sind und das gute alte Lied schätzen.
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Jetzt swingt es auch mächtig im deutschen Fernsehen. Beflügelt durch den Erfolg von heimischen Künstlern wie Anette Louisian durfte Stefan Raab am vergangenen Donnerstag bei Pro Sieben mit einer "TV Total Jazz Night" auf Sendung gehen. Unterstützt von Helge Schneider, dem anderen routinierten Epigonen der Musikgeschichte, gelang ihm der unterhaltsame Beweis, wie man mit Klassikern umspringen muß, um nicht "denselben alten Sermon runterzuleiern". Der Frankfurter Swing-Gipfel wird am 7.Mai ebenfalls von Pro Sieben übertragen, in der Hoffnung, daß es ebenso lustig zugehen wird wie bei Raab.
Der Sender hat Thomas Herrmanns, den Herbergsvater der deutschen Comedy, nach Hamburg geschickt, um der Rat-Pack-Show eine fernsehtaugliche Inszenierung zu verpassen. "Laßt es einsacken. Wenn ihr noch eine Idee habt, sagt Bescheid", gibt er seinen erschöpften Stars nach der Tanzprobe mit auf den Weg. Man wird sich erst in Frankfurt wiedertreffen, wenige Tage vor der Gala, um erstmals mit der Big Band des Hessischen Rundfunks zu spielen. Bisher war keine Zeit für Musikproben, alle sind auf Tournee oder im Studio. Mittermeier mosert, daß es "vor allem bei der Textsicherheit noch a bisserl hapert, Freunde". Wenn einer seinen Text partout nicht beherrscht, wird eben ein anderer den Song übernehmen. In seinen späten Tagen war Dean Martin schließlich auch nicht für seine Textsicherheit berühmt. Die vier eifrigen Adepten haben noch mal die alten CDs gehört, DVDs begutachtet, das Standardwerk "Rat Pack Confidential" gelesen: "An manchen Tagen sahen Frank Sinatras Augen aus wie zwei Urinspritzer im Schnee."
Michael Mittermeier besorgte sich sein Anschauungsmaterial gleich aus erster Hand. Bei der Verleihung der Goldenen Kamera hielt er die Laudatio auf Jerry Lewis, der jahrelang mit Dean Martin das erfolgreichste Komikerduo der USA formierte. "Er hat mir Geschichten über Dean Martin erzählt, da kann kein Buch mithalten." Bei der Gelegenheit hat er auch den Charme des Smokings entdeckt: "Bei Jerry Lewis war mir klar: Du kannst so einem Mann nicht gegenübertreten ohne Smoking. Die Kunst kommt mit der Klamotte. Du bekommst erst das richtige Gefühl, wenn du da drinsteckst. Als ich ihn zum ersten Mal anhatte, stand ich vor dem Spiegel und dachte: Sag mal, du Vollidiot, wieso trägst du jetzt, mit 39 Jahren, deinen ersten Smoking? Du stehst an der Bar, ein Whiskey-Glas in der Hand und fühlst dich einfach geil dabei." In Frankfurt wird die Arbeitskleidung von Strenesse gestellt.
Beim Abschied in Hamburg unternimmt Mittermeier einen erneuten Anlauf, sich auch als Sänger bei seinen Kollegen ins Gespräch zu bringen. "Jetzt darfst du erst mal versuchen, ein bißchen zu tanzen. Vom Singen ist noch nicht die Rede", macht Rea der Diskussion ein Ende. Mittermeier läßt nicht locker: "Ich werde bis zum Konzert nicht aufgeben, da noch was reinzudrücken."
Sollte er nur den Pausenclown geben, hat er um so mehr Zeit, sich an der Bühnenbar einen hinter die Binde zu kippen. "Wir müssen ja auch das tun, was wir am besten können", findet er. Hoffentlich ist das nur eine leere Drohung. Lucas Koch
Artikel erschienen am 1. Mai 2005
http://www.wams.de/data/2005/05/01/712354.html?s=2
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