Voll integriert, aber unerwünscht (17.06.) Arigona Zogaj
Vor neun Jahren beantragte Familie Zogaj aus dem Kosovo in Österreich Asyl, nun hat die Regierung in Wien ihre Ausweisung durchgesetzt
Wien - Im Burgtheater spielt man ein antikes Stück zur Tagespolitik. Ein Gestrandeter, den die Brandung an fremde Gestade geworfen hat, beruft sich aufs Asylrecht, auf 'das Recht der Götter'. Ein Ordnungsmensch aber bellt ihn an: 'Hier bist Du eine Last, wirst mit Gewalt bald fortgeschafft.' So geht es zu in 'Helena' des großen griechischen Tragöden Euripides, einem Stück gut 2400 Jahre alt und doch so aktuell. Lebte er im heutigen Österreich, hätte Euripides vielleicht eine Groteske namens 'Arigona' geschrieben: Arigona Zogaj ist eine Last, wird mit Gewalt bald fortgeschafft, wenn sie nicht eilig selber geht. Diese nun 18-jährige junge Frau gilt seit Jahren als der Inbegriff einer rigiden und herzlosen Fremden- und Asylpolitik.
Arigona Zogaj kam als Kind mit Familie aus dem Kosovo, ist bestens integriert, spricht ein Oberösterreichisch wie kaum ein Oberösterreicher, und muss doch gehen, weil ihr nach neun Jahren in Österreich weder Asyl zusteht, noch ein humanitäres Bleiberecht gegönnt wird. Die Familie ist zerbrochen. Der Verfassungsgerichtshof in Wien hat nun den Asylantrag endgültig abgelehnt, ein Verfahren, das 2001 seinen Anfang nahm und dessen Mangel nach Meinung der Hilfsorganisationen, der Kirchen und zivilgesellschaftlicher Gruppen in der rechthaberischen Grausamkeit eines Staatsapparates besteht, der unbedingt obsiegen will, wo Menschlichkeit am Platze wäre.
Arigona Zogaj und deren Mutter, die mit zwei jüngeren Geschwistern die Wahl zwischen freiwilliger Ausreise und gewaltsamer Abschiebung haben, sind akut selbstmordgefährdet. Ein Betreuer, der Pfarrer Josef Friedl von Ungenach, sagt, sie hätten im Kosovo die Wahl: 'Entweder kriminell werden oder sterben.' Wann es soweit sein wird, weiß noch niemand.
Die Parteien der Wiener Großen Koalition aus ÖVP und SPÖ sind für die Ausreise. 'Recht muss Recht bleiben', ist die Devise besonders der Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) in einem Land, in dem seit langem Verfassungsgerichtsurteile verhöhnt und missachtet werden. Im Jahr 2007 wurde der Asylfall Zogaj zum Skandal. Damals schon soll die noch intakte Familie - Arigonas Vater und Mutter, zwei ältere Brüder, zwei jüngere Geschwister - ausgewiesen werden.
Arigona taucht unter, droht mit Selbstmord. Vater und Geschwister werden in den Kosovo abgeschoben, die Mutter darf bleiben, um die Tochter zu suchen. Der Vater setzt sich bald von den Kindern ab, verschwindet. Die Kinder versuchen wieder nach Österreich zu kommen, werden in Ungarn aufgegriffen, werden zurückgeschickt; die kleinen Geschwister können später vorläufig in Oberösterreich bleiben, die Älteren gehen freiwillig in den Kosovo. Seit 2001 verzeichnet der Fall 110 Asyl- und Bleibe-Anträge. Alle sind abgelehnt worden. Innenministerin Fekter legt es der Familie als besondere Niedertracht aus, dass sie alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat.
Menschenrechtler kritisieren, in diesem wie in vielen anderen Fällen hätten nach den ersten negativen Bescheiden sofort klare Verhältnisse geschaffen werden müssen. Asylverfahren müssten in zwei Jahren spätestens komplett erledigt sein. Sonst lebten sich die Menschen wie diese Familie ein, beheimateten sich - um dann hinausgeworfen zu werden. Der Verfassungsgerichtshof sieht letztlich Prinzipien des Schutzes der Privatsphäre und der Familie, wie sie in der Menschrechtskonvention stehen, nicht verletzt, da diese nicht Menschen schützen sollten, die fremdenrechtliche Bestimmungen missachten. Dass Kinder wie Arigona und ihre Geschwister gar keine rechtlich eigenen Taten hätten vornehmen können, bleibt unberücksichtigt. Bei der Abschiebungsaktion 2007 war die öffentliche Empörung in Österreich so groß, dass inzwischen ein 'humanitäres Bleiberecht' eingeführt wurde. Gertraud Jahn (SPÖ), Sprecherin der oberösterreichischen Plattform für gut integrierte Asylbewerber, sieht das aber als Finte: Es seien Hinderungsgründe eingebaut, die sie als 'Zogaj-Hürde' bezeichnet, um speziell das Bleiben dieser Familie auszuschließen. Auch der sozialdemokratische Landeshauptmann der Steiermark spricht im Gegensatz zur Parteilinie von einem 'extrem inhumanen' Signal, der Bischof von Linz fordert Menschlichkeit ein. Die Grünen sind entsetzt, die rechte Opposition aus FPÖ und BZÖ frohlockt und fordert die schnelle Ausweisung.
Öffentlich wird spekuliert, ob Arigona nicht vom Kosovo aus neue fremdenrechtliche Rückkehrmöglichkeiten in Anspruch nehmen könne. Illusion, sagen die Experten. Innenministerin Fekter empfiehlt in unnachahmlichem Zynismus, auch Heirat sei eine legale Rückkehrmöglichkeit - und das in einem Land, wo serienweise Hochzeiten mit Ausländern als 'Scheinehen' diskreditiert und Eheleute durch Ausweisung des ausländischen Partners auseinandergerissen werden. Voraussetzung wäre immer auch, dass Arigona freiwillig geht. Wird sie ausgewiesen, gibt es lange Zeit gar keine Hoffnung mehr. Die Innenministerin verordnete in diesem Jahr neue Schärfen für Asylsuchende: Präsenzpflicht am Ort der Erstaufnahme, was Menschenrechtsorganisationen als Aufnahmehaft werten. Österreich ist das Land, das relativ auch die meisten Menschen in Abschiebehaft nimmt, ohne dass irgendwelche Unrechtshandlungen vorlägen. Viele Betroffene erfahren nie, ob und wie sie sich rechtlich dagegen wehren können. Amnesty International hat dies sowie den Umgang mit inhaftierten Kindern wiederholt scharf bemängelt.
In diesem Jahr haben sich bereits in mehreren Fällen beim Anrücken des Abschiebekommandos ganze Dörfer schützend vor ausländische Mitbürger gestellt. Nicht zuletzt aufgrund des Verlaufs des Falles Zogaj wächst an der Basis das Gefühl für Legitimität und Menschlichkeit - statt kalter Legalität.
Von Michael Frank
Quelle: Jetzt Magazin der SZ
Mein Kommentar hierzu: Sicherlich kann man sagen, "wenn Arigona und ihre Familie bleiben darf, dann sollen auch andere bleiben dürfen.." Gleiches Recht für alle... Aber man muss auch bedenken, dass nicht alle diese Masse an Anträgen stellt, jede auch noch so kleine Möglichkeit ausschöpft, vielleicht doch ein Bleiberecht zu erwirken.
Ich würde mir wünschen, dass Menschlichkeit hier siegt!