Perspektive Kosova - Privatisierung & Investitionen

Her mit der Kohle (06.12.07)

Her mit der Kohle (06.12.07)

Das Kosovo steht kurz vor der Unabhängigkeit. Mit der Aussicht auf politische Freiheit wächst bei den Bürgern auch die Hoffnung auf wirtschaftlichen Wohlstand. Denn die kleine Balkanprovinz sitzt auf gigantischen Rohstoffvorkommen.

Das Tragseil des Liftes sieht noch halbwegs stabil aus. Stabiler jedenfalls als die Kabine, die tagtäglich Menschen in 650 Meter Tiefe befördert. Rost hat sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten in die Wände des engen Metallkastens gefressen, beim Einsteigen wackelt der Boden bedrohlich. Doch für einen Rückzieher ist es jetzt zu spät: Xhafer Pece drückt die Startsirene, Scharniere kreischen, die Kabine rumpelt abwärts durch den Schacht, hinein ins Herz der Stanterg-Mine von Mitrovica. Was ist, wenn gerade jetzt wieder der Strom ausfällt, wie es so oft im Kosovo passiert? "Keine Angst, hier im Aufzug hat es noch nie einen Unfall gegeben", beruhigt der Bergmann. "Jedenfalls keinen tödlichen."

Xhafer Pece grinst, er ist bester Laune. Je tiefer es in den Berg geht, je stickiger die Luft im Aufzug wird und je stärker der Druck auf den Ohren, desto wohler scheint sich der Kosovo-Albaner zu fühlen. Seit zwei Monaten darf der 49-Jährige wieder die Produktion in Stanterg beaufsichtigen, endlich ist das ewige Herumsitzen vorbei.

Acht Jahre war Pece arbeitslos, so lange war die bedeutendste Blei-Zink-Mine des Kosovo geschlossen.

Nun hat sie den Betrieb wieder aufgenommen - wenn auch zunächst in ganz kleinem Stil. Gerade einmal 300 Tonnen Erz holen rund 200 Kumpel zurzeit pro Tag aus dem Berg. Als Pece hier 1983 anfing, war der Ausstoß sechsmal so hoch. Damals gehörten Stanterg und die anderen Minen des Trepca-Komplexes zu den wichtigsten Devisenbringern Jugoslawiens. Nun sollen sie einem neuen Staat dringend benötigte Euro und Dollar verschaffen: dem Kosovo.

Acht Jahre nach der Nato-Intervention endet am Montag die letzte Verhandlungsfrist über den künftigen Status der südserbischen Provinz, die zurzeit von den Vereinten Nationen verwaltet wird. Eine Einigung scheint ausgeschlossen: Die Serben sperren sich gegen die vollständige Unabhängigkeit des Kosovo, die Kosovo-Albaner beharren darauf. Und so dürfte Kosovos designierter Premier Hashim Thaçi noch vor Ende des Winters die einseitige Abspaltung verkünden.

Von Aufbruchstimmung ist im Lande allerdings wenig zu spüren: Tausende junge Männer lungern gelangweilt auf den schlaglochübersäten Straßen herum, zwischen Bauruinen türmt sich der Müll, knatternde Dieselgeneratoren verpesten die Luft. Besonders trist ist es in der Hauptstadt Pristina: Auf dem Platz vor dem Präsidentengebäude, dem vielleicht repräsentativsten Ort des Staates in spe, hat jemand vor Monaten aus unerfindlichen Gründen ein Loch gegraben. Bis heute ist niemand auf die Idee gekommen, es zuzuschütten.

Krieg und Vetternwirtschaft, vor allem aber der jahrzehntelange Stillstand haben Wirtschaft und Infrastruktur des Kosovo ruiniert.

Nahezu die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos, und wer noch einen Job hat, verdient monatlich im Durchschnitt gerade einmal 240 Euro. Alle paar Stunden geben Wasser- oder Stromversorgung den Geist auf. Selbst einfache Nahrungsmittel wie Butter oder Marmelade müssen importiert werden. Ohne die Schattenwirtschaft und die Geldüberweisungen der Auslandskosovaren würde im Land die blanke Not herrschen. "Die Leute sind müde, frustriert und enttäuscht", sagt Joachim Rücker, der deutsche Leiter der Uno-Mission im Kosovo (Unmik).

Doch eine letzte Hoffnung haben die Kosovaren noch: ihre Bodenschätze. Die Natur hat die kleine Balkanprovinz mit Rohstoffen gesegnet.

Unter ihren zahllosen Hügeln und Bergen lagern

Bunt- und Edelmetalle wie Zink, Blei, Nickel, Silber oder Gold 

und dazu Braunkohle in rauen Mengen. 11,5 Milliarden Tonnen des fossilen Energieträgers haben die Geologen unter dem Staatsgebiet von der halben Fläche Hessens entdeckt; das Kosovo verfügt über die drittgrößten Reserven Europas. Und damit nicht genug: Die kosovarische Braunkohle kann mit relativ geringem Aufwand abgebaut werden; sie liegt meist nur wenige Meter unter der Erde. "Unsere Geologen lieben dieses Gebiet", sagt John Jowett, Kosovo-Geschäftsführer des deutschen Energiekonzerns RWE.

Energiekonzerne buhlen um Kosovo-Standort

Der Stromriese bezeichnet das Kosovo als "eine der interessantesten Investitionsmöglichkeiten von Europa". Und mit dieser Einschätzung sind die Deutschen nicht allein. Gleich vier Interessenten wollen sich um den Bau eines neuen, hochmodernen Braunkohlekraftwerks mitsamt Mine bewerben. 3,5 Mrd. Euro soll Kosova C kosten, es wäre das größte Industrieprojekt in der Geschichte des Kosovo. Neben RWE buhlen Konsortien um EnBW, den tschechischen Versorger CEZ und den italienischen Konzern Enel um den Zuschlag.

Für das Kosovo ist das 2000 Megawatt-Kraftwerk überlebenswichtig. Denn trotz der weitgehenden Deindustrialisierung können die bisherigen beiden Anlagen den Energiebedarf des Landes hinten und vorn nicht decken.

In Kosova A quillt nur noch aus einem von fünf Schornsteinen dicker gelber Rauch, so marode ist das Braunkohlekraftwerk, das seit seiner Inbetriebnahme vor 46 Jahren nicht ein einziges Mal generalüberholt wurde.

Kosova B, Baujahr 1984, läuft auch nur mit halber Leistung. Für eine ernsthafte Renovierung fehlen dem Strommonopolisten die Mittel. Denn viele Kunden weigern sich, ihre Rechnung zu bezahlen - zumeist aus Ärger über die ständigen Ausfälle.

Ausländische Kapitalgeber scheuen sich

Kosova C könnte diesen Teufelskreis durchbrechen. Doch obwohl das Projekt schon seit Jahren im Gespräch ist, hat die Ausschreibung für den Bau noch immer nicht begonnen. Denn bislang wagt sich kaum ein ausländischer Kapitalgeber in das Land; zu unklar sind die rechtlichen Rahmenbedingungen. "Alles hängt am Status", sagt Unmik-Chef Rücker. "Die Betriebe werden keine neuen ausländischen Investoren finden, und das Kosovo wird keinen Zugang zu den Krediten internationaler Finanzinstitutionen bekommen, ehe der Status geklärt ist."

Auch Stanterg braucht dringend Geld. Tief im Inneren des Berges bohren Peces Leute mit einem alten Presslufthammer Löcher für Dynamitstangen in den Felsen; sie wollen einen Tunnel sprengen. Eine moderne Maschine, die die Arbeit erleichtern würde, kann sich die Mine nicht leisten. Seit 1930 wurde Stanterg nicht mehr renoviert.

Pece selbst stört das in diesem Moment kaum. Fasziniert untersucht er einen orangefarbenen Dolomitkristall, den einer seiner Kollegen herbeigeschleppt hat. Andächtig streichelt er über den 30 Zentimeter großen Stein. "Wir hier unten sind wie eine Familie", sagt er, "gemeinsam können wir vieles erreichen."

Doch Solidarität allein genügt nicht. Zurzeit kann Stanterg sein Blei und Zink nur als Konzentrat verkaufen - Trepca verfügt nicht über einen einzigen funktionierenden Schmelzofen zur Gewinnung reinen Metalls. Gut 150 Euro Anfangsinvestitionen seien nötig, um die Minen wieder international konkurrenzfähig zu machen, sagt Nazmi Mikullovci, der Manager des Komplexes, der zurzeit noch unter Uno-Kontrolle steht. Dann aber könne man aus den Minen 80.000 Tonnen Zink, 60.000 Tonnen Blei und 120.000 Kilo Silber pro Jahr herausholen - im Wert von 280 Mio. Euro.

Ungeachtet dieser verlockenden Perspektiven hat auch Trepca noch keinen neuen Eigentümer.

Und das liegt nicht nur am ungeklärten politischen Status des Kosovo. Das Unternehmen quält sich mit Altlasten.

1997 verkaufte Jugoslawiens Regierung dem griechischen Mischkonzern Mytilineos Schürfrechte für die darauf folgenden zehn Jahre. 1999 machte die Mine aber ihre Tore zu. Nun fordern die Griechen von Trepca 25 Mio. Euro Entschädigung.

"Wenn dieses Projekt scheitert, wäre das eine Tragödie"

Unkalkulierbare Risiken wie dieses schrecken potenzielle Geldgeber vom Kosovo ab. Einer probiert es trotzdem: IMR/Alferon.

Ende 2005 hat der kasachische Bergbaukonzern der Uno-Privatisierungsbehörde die Nickelschmelze Ferronikeli für gut 30 Mio. Euro abgekauft und sie anschließend für 45 Mio. Euro teilmodernisiert.

Seit vier Monaten läuft das Werk wieder; 1050 Menschen arbeiten hier. "Wenn dieses Projekt scheitert, wäre das eine Tragödie für das ganze Kosovo, dann würden alle Investoren an diesem Land zweifeln", sagt Marketingchef Arten Bajrushi. "Aber wir werden beweisen, dass es geht."

Bislang läuft das Geschäft gut. Ferronikelis Nickelstahl-Barren sind auf Anhieb zum kosovarischen Hauptexportprodukt geworden - der alten Spitzenreiter war Metallschrott, der oft aus heimlich demontierten Eisenbahnschienen stammte. Um den Strom muss die Werksleitung nicht bangen. IMR/Alferon hat sich von dem Stromversorger KEK eine exklusive Rund-um-die-Uhr-Belieferung garantieren lassen.

Stanterg kennt dieses Privileg nicht. "Aber wir haben natürlich unsere Notstromaggregate", sagt Xhafer Pece, während die Kabine wieder gen Tageslicht rattert. Acht Minuten später kommt der Aufzug oben an; der Bergmann streckt die Hand zum Abschied aus. Er hat es plötzlich eilig: Unten in der Mine wartet die Familie.