Geschichte ;___________________; traurig
Die traurige Geschichte von Flocke, der Hündin mit den "guten Genen"
Von Mary Fichtinger
Es war einmal ein kleiner, weißer, strubbeliger Hund, der aus irgendwelchen unbekannten Gründen von zuhause Reissaus genommen hatte, aufgegriffen wurde und so in einer Hundepension in Norddeutschland gelandet war.
Dieser Hund war ein mittelgrosses, übermütiges, lustiges und verspieltes und dabei sehr sensibles Hundemädchen, dessen Fell viel Ähnlichkeit mit einem Flokati hatte oder auch durchaus an Schneeflocken erinnerte. So nannte man dieses reizende Tier "Flocke".
Herr C. war die nächste Station von "Flocke".
In München angekommen, stellte sich sehr bald heraus, dass sie, die auf ein knappes Jahr geschätzt wurde, "Menschenfutter" mehr als alles andere liebte. Sie hatte offensichtlich Probleme mit dem Trockenfutter und war nicht gewohnt, diese Brocken zu beissen. Bei Flocke musste man damit rechnen, dass von ihr alles geklaut wurde , was nicht fest verschlossen oder verräumt war.
C., der sich gerade zwischen den verschiedenen Hundefachrichtungsmöglichkeiten entscheiden wollte, wusste natürlich genau, wie der Hündin das Klauen abzugewöhnen war: Der Gehorsam eines Hundes wird leichter gefördert, wenn man ihn belohnt für alles, was er richtig macht, was in Trainersprache "positive Verstärkung" heisst. Ein Hund sollte demnach tagsüber stets hungrig sein, weil ihm - mit dem Futter als Ziel - schneller etwas beizubringen ist.
Bei Flocke allerdings wirkte sich das so aus, dass sie dadurch wirklich keine Gelegenheit ausliess, sich das Futter zu holen, das zum Beispiel fürs Frühstück auf den Tisch gestellt wurde. Ging man kurz aus der Küche, so konnte es das Brot in der Tüte oder Nudeln sein, sogar die ganze Salatschüssel konnte sie vom Tisch holen und leer fressen, kurz: einfach alles, was den Hunger stillte. Wenn der eigentlich allen so freundlich scheinende C. sie dabei erwischte, warf er mit Büchern oder sonstigen Gegenständen nach ihr oder versetzte ihr mit schneller Bewegung Tritte, so dass sie es nicht merken sollte, dass er der Urheber des Schmerzes sei, sondern dass vielmehr das "Geklaute" zugeschlagen habe.
Es half alles nichts.
Da aber Flocke zu dieser Zeit noch sehr oft bei M. war, die lange schon in dem Haus wohnte, in dem dann auch das gemeinsame Geschäft war, verdächtigte C. bald diese, dass sie Flocke hinter seinem Rücken Menschenfutter gebe und es ihr deshalb nicht abzugewöhnen war. Sie hatte ja ausserdem bereits "dumme und lästige Fragen" bezüglich der ihrer Meinung nach unverhältnismässig harten Unterwerfungsmethoden gestellt.
Sie kriegte das "Teletakt" um den Hals. Für sie leicht auszumachen, jedoch nicht auf dem Boden, wurde der "Köder" ausgelegt.
Dann begab C. sich nach draussen vor das Fenster und konnte so auf den Auslöser drücken, wenn sie klauen wollte. Geradezu stolz war er, als er berichten konnte, dass er sie voll erwischt habe, gleich auf der höchsten Stufe, das müsse ausreichend gewesen sein.
Doch auch mit weiteren Stromschlägen sollte das Klauen noch lange nicht abgestellt sein. Aus diesem Grund war der junge Mann sehr streng mit ihr, er übersah sie geradezu, streichelte und belohnte sie möglichst wenig, damit sie endlich lerne, was Hund sein bei C. heisst. Sie war ja schließlich nicht die einzige.
Futter wurde zu dieser Zeit einmal abends allen ausgestreut (bis auf die, die Clickertraining machten), wie man es früher auf dem Hühnerhof machte, und jeder bekam, was er erwischte. Wenn alle drei Hunde manchmal hinter der Glastüre ihren Herrn erwarteten, stürmte der forschen Schrittes in das Büro, schlug dabei die Türe auf ohne Rücksicht, ob eines der Tiere getroffen wird und fand dies als ein probates Mittel, um den Hunden die Rangordnung zu lehren.
Mit der Zeit wüssten sie dann schon, dass er es war, der Zeitpunkt und Ausmass von Zuwendungen bestimmte und dass man (und Hund) ihn nicht belästigt.
Da - allerdings nur in seiner Nähe - auch Flocke alsbald auf das leiseste Signal gehorchte und sich nicht mehr von seinem Knie weg bewegte, sah er seine Methode bestätigt. Ging jemand anders mit ihr raus, so war es einigermassen schwierig, denn sie büchste nur allzu gerne aus, um im nahegelegenen Hundemarkt Futter zu betteln.
Gleichzeitig zeigte sich, dass die Hündin wiederholt in die Wohnung Häufchen machte oder auch pinkelte, kurzum nicht das war, was man "stubenrein" nannte. Das "grosse Geschäft" machte sie nur ganz selten, wenn sie mit C. draußen war. Ging sie mit anderen, dann setzte sie oft vier oder fünf Haufen nacheinander.
Lange schon darf Flocke nicht mehr zu M. Nur ab und zu wurde sie zum Wochenende von U. abgeholt und durfte für wenige Stunden wieder ganz "Flocke" sein. Aus ihr ist eine total stille Hündin geworden, die ja außer kurz sich entleeren nicht solche Freuden erlebt wie alle die "verwöhnten" Hunde, die täglich mit ihren Herrchen und Frauchen an die Isar gehen.
Da sie sich offensichtlich doch nicht so ganz gut verkaufen lässt wie geplant, sollten wenigstens ihre "guten Gene", die sie ja bereits bei Tierbesuchen gezeigt hatte, doch wenigstens fortgepflanzt werden, zur Gebärmaschine taugt sie wohl.
Vor einigen Wochen war sie läufig. Fast regelmässig kamen vom "Gassigehen" fremde Rüden mit, die dann vor der Haustüre ausharrten, bis sie wieder von ihren Besitzern gefunden und abgeholt wurden.
Man kann davon ausgehen, dass ein Rüde mit ebenso "guten Genen" gesucht und gefunden wurde und sie "Mutterfreuden" entgegen sieht. Tatsache ist, dass sie viele Tage traurig und völlig apathisch hinter der Glastüre oder auf ihrem Teppich neben dem vollen Fressnapf sass und vermutlich von einem besseren Leben nach ihrer Befreiung noch heute träumt.