SonniVioVinci - Violettas Opernkiste

Violettas Opernkiste

Re: Violettas Opernkiste

Ja, es mag schon sein, daß mir die Zeitrechnung einen Streich spielt. Auf der anderen Seite  haben Sänger wie Wunderlich, Callas, , Joseph Schmidt, Julius Patzak, Erna Berger, Cesare Siepi etc. durchaus zur selben Zeit  gesungen. Pavarotti und Joseph Schmidt waren allerdings später bzw. früher.

Es fällt mir schon auf, daß es heute viele gute Sänger gibt die eine sichere Bank sind und auf die ich jeder Intendant verlassen kann, aber nur wenige, deren Gesang den direkten Weg vom Herzen zum Herzen findet. Für mich sind das neben Villazón vor allem Michael Schade und Natalie Dessay.

Ich habe heute einen privaten Audiomitschnitt der Aufführung vom Montag bekommen und beim Bücherreparieren kurz reingehört. Ist wirklich sehr, sehr schön. Wie gesagt, ein Abend sagt nocht nichts über den weiteren Verlauf der Karriere, über Rückschläge oder Fortschritte, aber ich bin doch sehr angenehm überrascht. Vor allem ist das wieder da, was ich beim Radiomitschnitt des Don Carlos 2008 manchmal vermisst habe: das berückend schöne Piano, mit dem er mich immer wieder kriegt.

 

Re: Violettas Opernkiste

Vielleicht ist es auch so, dass es hinsichtlich alle möglicher Bedingungen, die heutzutage in dem Metier herrschen, ganz andere "Produkte" herauskommen, als früher.
Da mögen Dinge hereinspielen, die scheinbar damit gar nichts zu tun haben, wie Globalisierung, Geld, Strömungen, Moden, Ausbildung, Regieansprüche.... keine Ahnung....
Du kennst Dich da doch aus....Ist die Szenerie heute noch genauso, wie vor etlichen Jahren/Jahrzehnten? - Schwere Frage...was?

Vincent

Re: Violettas Opernkiste

Ich denke, das hat viele Gründe und jeder der von dir genannten ist einer davon. Ich vermute, daß Streß und Hektik viel größer sind als zur Zeit eines Fritz Wunderlich der  ein Jahrhundertsänger war sich aber im Alter von 35 Jahren am BEGINN einer Weltkarriere befand, während heute in diesem Alter so manches hoffnungsvolle Talent bereits ausgebrannt ist.  Berufliches singern war wohl zu allen Zeiten anstrengend und eine Aufführung ist immer mit (durchaus auch positivem) Streß verbunden. Das geht schon Laien so und wird bei Profis nicht anders sein. Aber das Umfeld drumherum ist  härter geworden.

Christa Ludwig z.B, hat sich zu ihrer Zeit auf eine Auftrittsserie in Japan mit einer mehrwöchigen Schiffspassage nach Japan vorbereitet. Heute ist es keine Seltenheit, daß ein Sänger eine Auftrittsserie in Berlin singt und zwei Wochen später an der MET engagiert ist. Das Flugzeug macht es möglich und wen schert schon der Jetlag. Grundsätzlich sind aber auch die Anforderungen an Sänger größer geworden. Gut singen mußten sie immer, aber heutzutage werden fast ebenso gute schauspielerische Leistungen erwartet (was nicht verkehrt ist, den Oper ist MusikTHEATER, kein Konzert im Kostüm), und seit neuestem auch noch blendende Schönheit. Franco Zeffirelli hat vor wenigen Monaten für Schlagzeilen gesorgt als er die Sopranistin Daniela Dessi aus seiner Traviata-Produktion geekelt hat. Sie sei zu alt und fett für die Rolle gewesen. Der Dirigent war mit diesem Rauswurf nicht einverstanden, da Frau Dessi eine sehr gute Sängerin sein soll (ich habe sie nie gehört, kann es also nicht beurteilen)

Hier ein Bild von Frau Dessi mit ihrem Tenor-Ehemann der den Alfredo hätte singen sollen:

Für mich ist sie eine schöne, sinnliche Frau die sehr wohl eine glaubhafte Kokotte hätte darstellen können. Sie ist nicht so fragil wie die liebreizedne Teresa Stratas, aber das darf ein Grund sein, eine gute Sängerin abzuschieben. Ihr Mann hat die Rolle des Alfredo aus Solidarität übrigens abgegeben.

Hinzu kommen wohl der Starkult, der vielen Sängern das Genick brechen kann, die Tatsache, daß jede Absage wegen Erkältung zur kapitalen Krise, jede tatsächliche Krise zum definitven Karriereende erklärt wird, wird Sängern ihren Beruf nicht gerade erleichtern. Jede gesangliche Unschönheit, jeder Fehler, jeder Auftritt in einer unpassenden Rolle, jede tatsächlich sehr problematische Aufführung  (und sowas passiert jedem Sänger irgendwann) ist heute nach wenigen Stunden auf Youtube zu begutachten und wird kommentiert. Das wissen die Sänger und es muß hart sein, damit umzugehen.  Bei RVs Comeback waren Fernsehkameras im Saal geplant um Teile der Aufführung für die Abendnachrichten des ORF mitzuschneiden. Villazón der mit einem ganzen Theatersaal voller Menschen und normalerweise auch mit jeder Kamera flirten kann soll sich das energisch verbeten haben, und das finde ich auch völlig richtig so, der Druck muß ohnehin groß genug gewesen sein.

Also: es hat viele Gründe wenn sich nur noch wenige Sänger trauen nicht einfach auf Nummer sicher zu gehen, sondern sich durch ihren Gesang verletzlich zu machen in dem sie uns ein Stück ihrer Seele zeigen, so wie es Callas, Patzak, Wunderlich, Joseph Schmidt früher getan haben und so wie es Rolando Villazón und Natalie Dessay heute tun. Aber der traurigste Grund ist vielleicht der, daß Sänger von der Plattenindustrie und Teilen des Publikums als Gesangmaschinen wahrgenommen werden die zu funktionieren haben, nicht als Menschen, die einen der schönsten aber auch schwersten Berufe der Welt ausüben und deren Stimme (und Stimmzustand!) nicht von ihrer Persönlichkeit zu trennen ist. Ein Pianist spielt ein Instrument, der Sänger IST eines und das ist ein gewaltiger Unterschied.

Übirgens: ich habe doch mal erwähnt, daß ich ab und zu in einem geschlossenen Fan-Forum schreibe, oder? Wie auch immer, manchmal herrscht dort eine Form der Anbetung die sehr an verliebte Teenies erinnert, nud ich mache mir immer mal wieder Feinde wenn ich die Damen zurückpfeife (Sonja, wir kennen das noch aus dem grünen Forum, gell? , aber am Montag waren viele von uns in Wien und haben an der Theaterpforte einen Gruß hinterlassen, der offenbar tatsächlich angekommen ist und gelesen wurde. Ein spanisches Mitglied des Forums kennt RV persönlich und hatte nach der Vorstellung Zugang zur Garderobe, er hat den Gruß  gerührt und erfreut erwähnt wie sie schreibt.

Die Damen treiben mich und den einzigen Mann im Forum manchmal in den Wahnsinn, denn uns ist diese  Form der verliebten Anbetung nicht (mehr) gegeben, aber die Sache mit dem Gruß haben sie toll hingekriegt.

Bitte schön:

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Re: Violettas Opernkiste

Falls es jemanden interessiert, hier ein Ausschnitt vom "Eugen Onegin" in Berlin am 26.3.2010.Es ist die Produktion die ich 2008 ebenfalls in Berlin gesehen habe.

Ja ich weiß, es ist Youtube und ich habe im Beitrag vorher die Problematik angesprochen die mit diesem Portal verknüpft ist, aber manchmal ist YT auch klasse. Wie in diesem Fall, denn hier kann man hören, daß eine der schönsten Stimmen und einer der wunderbarsten Künstler  unserer Zeit endlich wieder zurück ist. Wie lange das andauern wird, kann bei dieser Intensität des Singens niemand vorhersagen, und die ersten unken auch schon wieder, aber ich denke mittlerweile, daß man diesen Mann ohnehin nicht mit den Maßstäben des Normalkünstlers messen darf. Er ist nunmal die Kerze die an beiden Enden brennt. Wie gesagt, Stimmverwalter haben wir mehr als genug.

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Re: Violettas Opernkiste

Oh, Mann...da hab ich ja wirklich oben ne schwere Frage hinterlassen...Aber aller Achtung Vio! Du und Deine Kenntnis der Materie haben die Antwort erstaunlich gut hinbekommen...Danke....!
Ja klar ist es so, dass man sich für diese Rollen, wie die Violetta usw. auch entsprechend gutaussehende Sängerinnen wünscht. Ich gabe unumwunden zu, dass ich mit L. Pavarotti als Rodolfo einige Skepsis hatte, noch bevor ich die LaBoheme-Inszenierung mit M. Freni als Mimi sah.

Aha.....also "Die Anonymen Villazoniker"...."

Vincent