Häuser des Horrors: Kindesmissbrauch in irisch-katholischen Heimen
Das päpstliche Kreuz im Phoenix Park in Dublin.
Das päpstliche Kreuz im Phoenix Park in Dublin.
Katholische Kirche im Visier
Missbrauchsverdacht in Irland
Mittwoch, 20. Mai 2009
"Häuser des Horrors"Katholische Kirche schweigt
Gegen die katholische Kirche in Irland werden in einem Ermittlungsbericht schwere Missbrauchs-Vorwürfe erhoben: Tausende Kinder sind demnach in kirchlichen Einrichtungen von Nonnen und Priestern sexuell oder seelisch missbraucht oder geschlagen worden. Rund 35.000 Kinder waren bis in die 80er Jahre in Erziehungsanstalten, Schulen oder auch Heimen für Behinderte untergebracht. Rund 2500 Zeugen sagten aus, dort missbraucht oder misshandelt worden zu sein. Der Bericht ist das Ergebnis neun Jahre langer Ermittlungen einer Sonderkommission und wurde in Dublin vorgestellt.
Die Kommission war im Jahr 2000 ins Leben gerufen worden und ging Vorwürfen nach, die bis zu 60 Jahre zurückreichen. Für den Bericht wurden mehr als 100 Einrichtungen in ganz Irland untersucht. Die Ermittlungen, bei denen Fälle bis Ende der 80er Jahre unter die Lupe genommen wurden, kosteten den Staat rund 70 Millionen Euro.
Kirche wusste Bescheid
Die Studie wirft Kirche und Staat vor, wissentlich die Augen vor den Zuständen verschlossen zu haben. Jeder Missbrauchsfall sei von der Kirche als Einzeltat und in Verschwiegenheit behandelt worden. Es habe keine Bestrebungen gegeben, das Problem grundlegend in Angriff zu nehmen, heißt es in dem Bericht. Die Angst vor einem Skandal sei größer gewesen als die Sorge um das Wohl der Kinder. "Im besten Fall wurden die Peiniger versetzt, aber für das Kind wurde nichts gemacht. Im schlimmsten Fall wurden dem Kind noch Vorwürfe gemacht", heißt es in dem Bericht.
Besonders litten Jungen der Studie zufolge unter den Misshandlungen. "Sexueller Missbrauch war in den Einrichtungen für Jungen üblich. Dies sei zwar als "dauerhaftes Problem" bekannt gewesen, die katholische Kirche habe den Opfern jedoch keine Aufmerksamkeit geschenkt oder ihnen trotz Beweisen nicht geglaubt. In den Einrichtungen für Mädchen habe es zwar auch sexuellen Missbrauch gegeben, dieser sei jedoch nicht "systematisch" gewesen.
Lebensmittel aus dem Müll
Kinder seien so sehr vernachlässigt worden, dass sie sich Lebensmittel aus Abfalleimern holten. Zudem seien die Unterkünfte kalt und karg gewesen. Das ganze System habe Betroffene eher wie Gefangene als wie Kinder behandelt. "Die Schänder werden nicht verfolgt", schimpfte Missbrauchsopfer John Kelly, Vorsitzender des Opferverbandes SOCA. "Niemand wird zur Rechenschaft gezogen, deswegen fühlen sich die Opfer leer und betrogen", sagte er am Rande der Veröffentlichung des Berichts. Die Kinder seien als "Sklavenarbeiter" an Bauern vermietet worden, so Kelly weiter. Schläge seien für die nicht bei ihren Namen, sondern mit Nummern gerufenen Minderjährigen an der Tagesordnung gewesen: "Ich war nicht John Kelly, ich war Nummer 253, das werde ich niemals vergessen."
Bereits 2003 war ein Zwischenbericht mit den Aussagen von 700 Zeugen veröffentlicht worden. Die Männer und Frauen berichteten, dass sie unter anderem mit Lederriemen und Stöcken geschlagen wurden. Andere wurden sexuell missbraucht. Einige beschrieben, wie sie von mehreren Tätern gleichzeitig vergewaltigt wurden. Die Regierung stellte den Opfern Entschädigungszahlungen in Aussicht.
Zum Teil 16 Jahre lang Horror
Der Skandal kam nach einer TV-Dokumentation Ende der 90er Jahre ans Licht. Die Journalistin Mary Raftery sagte, die Kinder seien in "Häusern des Horrors" gefangen gewesen, teils bis sie 16 Jahre alt waren. Viele der mutmaßlichen Täter sind bereits tot. "Die Kinder waren zu einem Leben unter einem Regime des körperlichen, sexuellen und emotionalen Missbrauchs verurteilt", sagte Maeve Lewis von der Opferorganisation One in Four. "Während es die Institutionen nicht mehr gibt, müssen die Menschen, die heute zwischen 30 und 80 Jahre alt sind, tagtäglich mit diesen Erfahrungen fertig werden."
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"Häuser des Horrors" - Katholische Kirche schweigt
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Ausland
Irland: Bericht über Kindesmissbrauch veröffentlicht
Bericht über jahrzehntelangen Missbrauch veröffentlicht
Erschütterndes aus Irlands "Häusern des Horrors"
Albtraum ohne Ausweg: Tausende irische Kinder wurden im vergangenen Jahrhundert in Heimen missbraucht - seelisch, körperlich und auch sexuell. Jetzt hat die Regierung einen Untersuchungsbericht vorgelegt. Aber viele Opfer sind mit dem Ergebnis alles andere als zufrieden.
Von Ralf Borchard, ARD-Hörfunkstudio London
Das irische Missbrauchsopfer John Kelly liest in dem Untersuchungsbericht. (Foto: AP) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Das irische Missbrauchsopfer John Kelly liest in dem Untersuchungsbericht ... ]
Zehn Jahre ist diese Entschuldigung bereits her: 1999 bat der damalige irische Regierungschef Bertie Ahern die Opfer von Kindesmissbrauch in meist katholischen Schulen und Heimen stellvertretend um Vergebung. Die Regierung leitete damals eine umfassende staatliche Untersuchung ein - deren Bericht jetzt vorliegt.
Es ist ein erschütternder Bericht über den seelischen, körperlichen und sexuellen Missbrauch von Kindern in Irland, vor allem in den 1940er bis 1980er Jahren. Erstmals ans Licht gekommen waren die Fälle systematischen Missbrauchs durch Isolation, Schläge und Vergewaltigungen vor gut zehn Jahren durch zwei Fernseh-Dokumentationen über die so genannten "Häuser des Horrors".
"Das Schlimmste war der Verluste der Freiheit"
Patrick Walsh war zwei Jahre alt, als er in eine katholische Erziehungsanstalt kam, 14 Jahre lang war er dort: "Der Missbrauch war emotional, psychologisch und, vor allem im fortgeschrittenen Kindesalter, sexuell. Wenn ich gefragt werde, was das schlimmste an allem war, denke ich immer wieder darüber nach und sage heute: der Verlust der Freiheit."
Die inneren Verletzungen fühle er nach wie vor, sagt Walsh: "Als Erwachsener hat mich das in allen menschlichen Beziehungen sehr scheu und vorsichtig gemacht, supervorsichtig, übervorsichtig, oder wie immer man das nennen will."
Anklagen vor allem gegen die Kirche
Irischer Untersuchungsbericht zu Kindesmissbrauch (Foto: AP) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: ... und stellt sich den Fragen von Journalisten. ]
Die meisten Missbrauchsopfer waren als Waisen oder Sozialfälle per Gerichtsbeschluss in die Heime eingewiesen worden. 2500 Opfer haben vor der Kommission ausgesagt. Ihre Anklage richtet sich zum einen gegen die katholische Kirche, die den Missbrauch lange vertuscht und die Täter gedeckt hat, etwa, in dem diese schlicht in andere Heime versetzt wurden.
Zum anderen richtet sich der Unmut der Opfer gegen die irischen Staat, der seine Aufsichtspflicht verletzt und die Aufklärung nur zögernd vorangetrieben hat. Die erste Vorsitzende der Untersuchungskommission war vor Jahren wegen mangelnder Unterstützung zurückgetreten.
Opfer kritisieren Bericht
Auch über den Abschlussbericht sind die Opferverbände empört: "Die Ergebnisse greifen viel zu kurz", sagt John Kelly, Sprecher einer der Gruppen, "etwa was die Verantwortung irischer Gerichte angeht, die uns in die Heime eingewiesen und die Täter unzureichend verfolgt haben. Sie werden geradezu reingewaschen." Kritisiert wird etwa auch, dass im Bericht nur solche Täter namentlich genannt werden, die bereits gerichtlich verurteilt sind.
Dieses besonders dunkle Kapitel der irischen Geschichte ist auch mit dem jetzt vorgelegten Bericht längst nicht abgeschlossen.
* VideoSchwere Missbrauchs-Vorwürfe [A. Dittert, ARD London].
* AudioMissbrauchs-Vorwürfe [R. Borchard, BR London].
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Weltatlas
Weltatlas: Irland
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Stand: 20.05.2009 18:16 Uhr
http://www.tagesschau.de/ausland/irland128.html