Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - Fälle von sexuellem Missbrauch

Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

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Urteil in Korruptionsaffäre
Doch kein „Sachsen-Sumpf"

Von Reiner Burger, Dresden
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Ein Berg an Akten: Der sächsische Innenminister Buttolo auf einer Pressekonfe...

Ein Berg an Akten: Der sächsische Innenminister Buttolo auf einer Pressekonferenz zur Korruptionsaffäre im August 2007

29. April 2008 Die Staatsanwaltschaft Dresden hat die Ermittlungen in der sogenannten sächsischen Korruptionsaffäre weitgehend eingestellt. Die vermeintlichen Hauptbeschuldigten - der ehemalige Leipziger Staatsanwalt Norbert Röger, der heute Präsident des Amtsgerichts Chemnitz ist, der pensionierte Richter Jürgen Niemeyer und der Leiter der Rechtsabteilung der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft (LBW), Martin Klockzin, seien unschuldig, teilte die Dresdner Staatsanwaltschaft am Dienstag mit. Das vom Verfassungsschutz in seinem „Fallkomplex Abseits III“ vermutete „kriminelle Personennetzwerk“ existiere nicht.

Die staatsanwaltlichen Ermittlungen waren im vergangenen Jahr auf der Grundlage von sogenannten Behördenzeugnissen des ehemaligen Referats Organisierte Kriminalität (OK) des sächsischen Verfassungsschutzes aufgenommen worden. Im zentralen Dokument mit dem Namen „Abseits III“ war von der Leiterin des OK-Referats, Simone H., das Bild eines korrupten Netzes aus Juristen, Immobilienhändlern und Mitgliedern der Rotlichtszene entworfen worden. Die Verfasserin, eine ehemalige DDR-Staatsanwältin, hatte in dem Papier den Anspruch erhoben, Strukturen beschrieben zu haben, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährden. Die Bundesanwaltschaft bezweifelte allerdings schon im Juni vergangenen Jahres, dass sich aus „Abseits III“ überhaupt ein Anfangsverdacht ergebe, und lehnte es ab, die Ermittlungen zu übernehmen.

„Bloße Vermutungen und Gerüchte“

Trotzdem verselbständigte sich die vor allem von Politikern der Linkspartei und Teilen der Medien am Köcheln gehaltene Geschichte. „Sachsen versinkt in einem Sumpf von Skandalen“, glaubte etwa die Illustrierte „Stern“ diagnostizieren zu können. „Es geht um Korruption, Amtsmissbrauch, Kinderprostitution.“ Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) verlieh den Dokumenten des Geheimdienstes durch eine emotionale Rede im Landtag eine scheinbare Evidenz, als er behauptete, die korrupten Netze seien noch aktiv und schlügen womöglich zurück.
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Die Staatsanwaltschaft kam nun zu dem Schluss, dass das Dossier „Abseits III“ auf „bloßen Vermutungen und Gerüchten“ basiere. Zudem seien die Beschuldigungen überwiegend schon früher Gegenstand staatsanwaltlicher und polizeilicher Ermittlungen gewesen, ohne dass sich seinerzeit ein begründeter Straftatverdacht ergeben habe.

Die Verfassungsschützerin Simone H. habe dennoch einen Anfangsverdacht behauptet und die Existenz von Quellen mitgeteilt, „bei denen es sich tatsächlich um Polizei- und Justizbeamte handelte“. Eine der Quellen, eine Staatsanwältin, gab an, unwissentlich beim Mittagessen von der OK-Referatsleiterin abgeschöpft worden zu sein und geäußert zu haben, dass sie die Gerüchte für unglaubwürdig halte.

Erfinder einer Verschwörungstheorie

Auch die Hauptquelle „Gemag“, der Polizist Georg Wehling, der sich auf dem Höhepunkt der Affäre im vergangenen Sommer mit vollem Namen von verschiedenen Medien als standhafter Kämpfer feiern ließ, distanzierte sich von den Darstellungen der Geheimdienstlerin. Gleichwohl sieht die Staatsanwaltschaft den Polizisten in einem zweifelhaften Licht und vermutet in ihm und Simone H. die Erfinder des „Abseits III“-Konstrukts. Denn es habe sich herausgestellt, dass die Kernvorwürfe in der sogenannten Korruptionsaffäre - nämlich angebliche Verstrickungen der Leipziger Justiz in das Rotlichtmilieu und in unlautere Immobiliengeschäfte - in groben Zügen schon in den Jahren 1999/2000 von Kriminalhauptkommissar Wehling skizziert worden seien. „Dabei handelt es sich jedoch nur um Vermutungen nach Art einer Verschwörungstheorie.“

Im Zentrum der geheimdienstlichen Gerüchtesammlung stand - als vermeintlicher Schlüssel zum Verständnis der Geschichte - das Kinderbordell „Jasmin“, das bis Anfang 1993 wenige Monate lang in Leipzig von Zuhälter Michael W. betrieben wurde. Die Juristen Röger und Niemeyer hätten dort ebenso verkehrt wie der Immobilienmanager Klockzin - was die Beschuldigten stets bestritten. Niemeyer habe dann als Richter im „Jasmin“-Prozess gegen den Bordellbesitzer Michael W. eine milde Strafe verhängt, um ihn ruhigzustellen und zu verhindern, dass W. gegen hochrangige Personen aussage, behauptete die Geheimdienstlerin in ihrem Dossier.

Manipulation durch Journalisten

Diese Behauptung hat sich nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft als falsch erwiesen. Auch als Mitte der neunziger Jahre die damalige Lebensgefährtin von Niemeyer eine Immobilie in Leipzig erworben habe, sei es nicht zu einem unrechtmäßigen Zusammenwirken mit dem bei der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft angestellten Klockzin gekommen. Die Immobilie sei korrekt verkauft worden. Erschwert hat die aktuellen Ermittlungen nach Angaben von Oberstaatsanwalt Avenarius das Vorgehen von Journalisten, die ehemaligen „Jasmin“-Prostituierten Fotos der Beschuldigten vorlegten und sie auf diese Weise manipuliert hätten.

Martin Klockzin sah sich am Dienstag komplett rehabilitiert - auch einen Arbeitsgerichtsprozess hat er vor kurzem gewonnen und ist an seinen Arbeitsplatz bei der LWB zurückgekehrt. Amtsgerichtspräsident Röger zeigte sich erleichtert über das Ende der Ermittlungen und griff sowohl Innenminister Albrecht Buttolo als auch Justizminister Geert Mackenroth (CDU) scharf an. Mittlerweile laufen mehrere Ermittlungsverfahren unter anderen gegen Simone H., Wehling, zwei ehemalige Prostituierte und Journalisten wegen übler Nachrede.



Text: F.A.Z.
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa
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Re: Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

Neues aus dem «Sachsen-Sumpf»

Dresden (ddp). Der als Schlüsselfigur in der sogenannten
«Sachsen-Sumpf-Affäre» geltende Leipziger Polizist bestreitet, die
Hauptquelle des Verfassungsschutzes in dessen umstrittenem Dossier zu
vermeintlichen kriminellen Netzwerken gewesen zu sein. «Ich hatte
2005 keinen Kontakt zum Verfassungsschutz», sagte der 52 Jahre alte
Kriminalhauptkommissar am Mittwoch vor dem Untersuchungsausschuss
des sächsischen Landtags. Ein entsprechender Vorwurf, der als einer der
Gründe für seine Entbindung von Dienst vor einem Jahr angegeben
worden sei, sei nicht zutreffend.

Mit Vertretern des Landesamtes habe er sich erstmals und lediglich
zweimal im Mai 2006 getroffen, sagte er im Zeugenstand. Kurz darauf
hatte der Nachrichtendienst die Beobachtung organisierter
Kriminalität von Rechts wegen einstellen müssen.

Keine Kontakte vorhanden
Der Polizist äußerte Zweifel daran, dass er selbst mit der
offenbar im Verfassungsschutzdossier genannten Quelle «Gemag»
gemeint sein könnte. Dieser würden gute Kontakte in Wirtschaft und
Politik sowie zu einem Staatsanwalt nachgesagt, was bei ihm alles nicht
zutreffe.

Die Initiative zu seinen beiden Treffen im Mai 2006 sei vom
Nachrichtendienst ausgegangen. «Der Verfassungsschutz ist zu mir
gekommen», sagte der Polizist. Er erinnerte sich daran, dass ihm beim
zweiten - fünfstündigen - Treffen ein Fragenkatalog vorgelegt worden
sei. Dabei habe man ihm zu verstehen gegeben, dass es vor ihm weitere
Hinweisgeber gegeben habe. «Es gibt definitiv noch andere», sagte der
Zeuge bestimmt. Nach seiner «Hochrechnung» müsse es etwa 40
Gespräche gegeben haben. Dies gehe auch aus den nach seiner
Schätzung rund 10 000 Aktenseiten hervor, die ihm als Beschuldigter
eines von der Staatsanwaltschaft Dresden eingeleiteten Verfahrens
wegen «Verfolgung Unschuldiger» zur Verfügung gestellt worden seien.

In seinem Gespräch mit den Verfassungsschützern seien ihm
Erkenntnisse «aus dem Nahbereich» der organisierten Kriminalität
«rübergebracht» worden, die ihm selbst nur bis 2002 bekannt gewesen
sein könnten, fügte der Zeuge hinzu. Bis dahin war er mit
organisierter Kriminalität befasst, insgesamt zwölf Jahre lang, er
wisse also, wovon er spreche - so hatte der Polizist seinen Vortrag
eingeleitet.

Schlussfolgerungen verschieden
Seine Aussagen wurden von den Obleuten des Ausschusses
unterschiedlich interpretiert. Christian Piwarz (CDU) sah durch den
Zeugen die Legende vom «Sachsen-Sumpf» zerstört - Caren Lay (Linke)
dagegen jene der Staatsregierung, dass der «Sachsen-Sumpf» die
Erfindung eines «verschwörungstheoriehörigen Polizisten» sei. Auch
Johannes Lichdi (Grüne) nannte es nachvollziehbar, dass der Zeuge
nicht die Hauptquelle der Vorwürfe sei.

Das Bekanntwerden der Datensammlung des Verfassungsschutzes hatte
im Mai 2007 die Affäre ausgelöst. Die im Dossier aufgelisteten
Vorwürfe reichten angeblich von Amtsmissbrauch bis Kinderprostitution
und Bandenkriminalität. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat inzwischen
sämtliche Ermittlungen gegen beschuldigte Juristen eingestellt.

18.12.2008 Ta
http://www.e110.de/artikel/detail.cfm?pageid=67&id=92437

Re: Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

«Sachsen-Sumpf»: Rüge für Staatsanwaltschaft

Dresden (ddp-lsc). Die Dresdner Staatsanwaltschaft hat ihre
Ermittlungen gegen einen Leipziger Kriminalkommissar offenbar
vorschnell eingeleitet. Der Landtagsuntersuchungsausschuss zur
sogenannten Sachsen-Sumpf-Affäre wies am Donnerstagabend darauf hin,
dass die Vernehmung des als Schlüsselfigur geltenden Polizisten noch
gar nicht abgeschlossen worden sei. Schon deshalb gebe es «keinerlei
Voraussetzung für die Annahme eines Verdachts der falschen
uneidlichen Aussage», erklärte Ausschusschef Klaus Bartl (Linke) im
Namen des Gremiums.

Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor verkündet, aufgrund von
Presseberichten über die Zeugenaussagen vom Mittwoch ein
Ermittlungsverfahren gegen den 52-Jährigen eingeleitet zu haben.
«Nach der hiesigen Aktenlage objektiv nicht nachzuvollziehen» sei
etwa, dass der Polizist nicht der Haupthinweisgeber des
Verfassungsschutzes in der Affäre unter dem Decknamen «Gemag» gewesen
sei, teilte Behördensprecher Christian Avenarius mit.

Auf andere Hinweisgeber verwiesen
Der Polizist, der bis 2002 mit organisierter Kriminalität befasst
war, hatte im Zeugenstand bestritten, Hauptquelle des
Nachrichtendienstes in dessen umstrittenem Dossier zu vermeintlichen
kriminellen Netzwerken gewesen zu sein. Zudem hatte er bezweifelt,
dass er selbst mit «Gemag» gemeint sein könnte. Dieser Quelle würden
in Akten gute Kontakte in Wirtschaft und Politik sowie zu einem
Staatsanwalt nachgesagt, was bei ihm alles nicht zutreffe. Vor ihm
habe es «definitiv noch andere» Hinweisgeber gegeben. Mit Vertretern
des Verfassungsschutzes habe er sich lediglich zweimal im Mai 2006
getroffen. Kurz darauf hatte der Nachrichtendienst die Beobachtung
organisierter Kriminalität von Rechtswegen einstellen müssen.

Es gebe «größte rechtliche Bedenken», dass die Staatsanwaltschaft
ohne Rückfrage beim Ausschuss das Ermittlungsverfahren eingeleitet
habe, sagte Bartl. Der Ausschuss sehe sich deshalb «veranlasst, die
Staatsanwaltschaft auf die Rolle, Bedeutung und Funktion eines
Parlamentarischen Untersuchungsausschusses nachdrücklich
hinzuweisen». Die Zeugenvernehmung sei am Mittwoch nur unterbrochen
worden und solle zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden.
Jeder Zeuge könne «bis zum Abschluss seiner Vernehmung von ihm
getroffene Aussagen jederzeit abändern oder widerrufen».
Grünen-Obmann Johannes Lichdi zufolge hat die Staatsanwaltschaft
durch das Ermittlungsverfahren gegen den Polizisten «jeden Anspruch
verspielt», als von der Staatsregierung unabhängige Anklagebehörde
wahrgenommen zu werden. Er äußerte zugleich «den Verdacht, dass an
den Mutmaßungen über korruptive Netzwerke in Sachsen doch etwas dran
ist». Linke-Obfrau Caren Lay sprach von einer «kalkulierten
Verunsicherung bisheriger und potenzieller Zeugen des
Untersuchungsausschusses». Die «Ignoranz der Staatsanwaltschaft
gegenüber dem Parlament» könne nicht hingenommen werden. CDU-Obmann
Christian Piwarz teilte indes unter Verweis auf die Zeugenaussage vom
Donnerstag des einst für die Beobachtung der Organisierten
Kriminalität zuständigen Abteilungsleiters im Landesamt mit, dass
«die Existenz eines korruptiven Netzwerkes widerlegt» sei.

Das Bekanntwerden der Datensammlung des Verfassungsschutzes hatte
die Affäre im Mai 2007 ausgelöst. Die im Dossier aufgelisteten
Vorwürfe reichten angeblich von Amtsmissbrauch bis Kinderprostitution
und Bandenkriminalität. Sämtliche Ermittlungen gegen beschuldigte
Juristen hat die Staatsanwaltschaft Dresden inzwischen eingestellt.

19.12.2008 Ta
http://www.e110.de/artikel/detail.cfm?pageid=67&id=92457

Re: Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

Sachsensumpf und keine Ende: Ermittlungen gegen Ex-Verfassungsschutz-Chef

Dresden (ddp-lsc). Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt gegen
den früheren Präsidenten des sächsischen Landesamtes für
Verfassungsschutz, Rainer Stock. Das bestätigte ein Justiz-Sprecher
der «Sächsischen Zeitung» (Freitagausgabe). Demnach wurde vor wenigen
Tagen ein Verfahren wegen Verdachts der Verletzung von
Dienstgeheimnissen gegen den ehemaligen Geheimdienstchef eröffnet.
Stock gilt als eine Schlüsselfigur des sogenannten Sachsensumpfes,
einer angeblichen Verstrickung von Politik, Justiz und Rotlicht im
Freistaat. Bisher war gegen Stock dazu nicht ermittelt worden. Es lag
aber eine Anzeige gegen ihn vor.

Auslöser des Verfahrens ist die Zeugenaussage der früheren
Stock-Mitarbeiterin Simone Henneck im Untersuchungsausschuss des
Landtags. Henneck hatte dort jüngst erklärt, dass Stock den
Landtagsabgeordneten Marko Schiemann, Volker Bandmann (beide CDU) und
Stefan Brangs (SPD) Details und Zwischenergebnisse der
Verfassungsschutzermittlungen erzählt habe. Trifft dies zu, hätte
Stock Dienstgeheimnisse preisgegeben und sich damit strafbar gemacht.
Stock ist derzeit im Innenministerium tätig.

13.03.2009 Ta
http://www.e110.de/artikel/detail.cfm?pageid=67&id=94172

Re: Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

«Sachsen-Sumpf»: Aussage von Innenminister Buttolo

Dresden (ddp-lsc). Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) hat sein
Verhalten in der Affäre um eine umstrittene Datensammlung des
Verfassungsschutzes im Landtagsuntersuchungsausschuss verteidigt.
Erst nach dem von ihm vorgenommenen Führungswechsel an der Spitze des
Landesamtes (LfV) im Juni 2007 habe er von schweren «internen
Mängeln» in dem für die Beobachtung organisierter Kriminalität
zuständigen Referat gehört, sagte Buttolo am Dienstag. Damit
begründete der Zeuge auch seine vorherigen, als «Mafia-Rede»
bekanntgewordenen Äußerungen in einer Landtagsdebatte.

Eine Fachaufsicht, wie sie seinem Ministerium im Fall des
Verfassungsschutzes obliegt, ist Buttolo zufolge «immer der Blick von
außen». Sie habe deshalb die handwerklichen Fehler im Landesamt nicht
aufspüren können. Erst die Information durch den neuen
LfV-Präsidenten Reinhard Boos habe zu «veränderten Wahrnehmungen»
geführt. Grünen-Obmann Johannes Lichdi warf Buttolo in der Befragung
vor, sich damit sein «Organisationsverschulden» nicht einzugestehen.

Von Mitarbeiterin getäuscht?
Linke-Obfrau Caren Lay nannte Buttolo «von Anfang an mit der
Affäre völlig überfordert». Das Problem sei seine «chronische
Unbedarftheit». Dagegen äußerte ihr CDU-Amtskollege Christian Piwarz
Verständnis für Buttolos Auffassung, wonach «kein Fall aufsichtlichen
Versagens des Innenministeriums» vorliege. Der Minister und sein Haus
könnten nicht die Aufgabe eines obersten Sachbearbeiters übernehmen,
sagte Piwarz.

Buttolo hatte am 5. Juni 2007 in einer aufsehenerregenden Rede im
Plenum die Existenz mafiöser Strukturen bestätigt und zugleich vor
dem Zurückschlagen krimineller Netzwerke gewarnt. Unter Verweis auf
den erst eine Woche später von ihm an die LfV-Spitze zurückgeholten
Boos sagte Buttolo: «Erst im Nachhinein, als ein Insider sich die
Arbeitsweise angesehen hat, kam es zu einer anderen Bewertung bei
mir.» Zuvor habe ihn die ehemalige Referatsleiterin über die Vorwürfe
zum angeblichen «Sachsensumpf» so informiert, «dass ich an diese
Netzwerke glauben musste». Von ihr fühle er sich deshalb «getäuscht».

Herkunft der Erkenntnisse verwischt
Als Beispiel für die unprofessionelle Arbeit des Referates führte
er den Umstand an, dass ein Polizeibeamter unter Zusicherung der
Anonymität als Hinweisgeber geführt worden sei. Buttolos
Einschätzung, dass dessen Aussagen wesentlich für den Fallkomplex
«Abseits III» gewesen seien, wichen von Aussagen der
Ex-Referatsleiterin im Zeugenstand ab. Unter diesem Namen hatte der
Nachrichtendienst laut Minister «Indizien zusammengetragen, die auf
ein angebliches Netzwerk aus Rotlicht, Justiz, lokaler Wirtschaft und
Politik im Raum Leipzig deuten sollten«. Die Herkunft der
Erkenntnisse bei dem Fallkomplex sei jedoch innerhalb des LfV
«systematisch verwischt» worden. Diese «Verschleierung» werfe »bis
heute Probleme« auf, sagte Buttolo.

Er verwies darauf, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen
gegen die angeblichen Beschuldigten der Affäre längst eingestellt
habe: »Ein Sumpfgebiet wurde nicht ausgemacht.» Die sogenannte
Sachsensumpf-Affäre war vor zwei Jahren durch Bekanntwerden einer
Datensammlung des Nachrichtendienstes ausgelöst worden. Darin soll
von kriminellen Netzwerken mit Beteiligung sächsischer Juristen,
Polizisten und Politiker die Rede gewesen sein. Die Vorwürfe reichten
angeblich von Amtsmissbrauch bis Kinderprostitution und
Bandenkriminalität.

Im Juni 2007 hatte Buttolo den damaligen Präsidenten des
Verfassungsschutzes, Rainer Stock, ins Innenministerium versetzt.
Nachfolger Boos war bereits vor Stock LfV-Präsident. Wegen Buttolos
mehr als siebenstündiger Vernehmung wurde die ursprünglich für
Nachmittag vorgesehene Aussage von Boos auf einen noch unbekannten
Termin verschoben.

25.03.2009 Ta

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Wohnungseinbruch: Schlimmer als
der Verlust von Wertgegenständen
sind die seelischen Folgen...


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Re: Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

«Sachsensumpf»: Keine Hinweise auf Juristen unter «Jasmin»-Freiern

Dresden (ddp-lsc). Gegen den Vorwurf, mit seinen Aussagen die
sogenannte Sachsensumpf-Affäre verursacht zu haben, setzt sich ein
Kriminalhauptkommissar aus Leipzig weiter zur Wehr. Der
Verfassungsschutz habe ihm nie zu verstehen gegeben, dass er als
«Haupthinweisgeber» geführt worden sei, sagte der 53-Jährige am
Dienstag im Landtagsuntersuchungsausschuss. Wie ein unmittelbar vor
ihm befragter Kriminalkommissar sah er zudem keine Beweise dafür,
dass hochrangige Juristen als Freier in dem 1993 geräumten Leipziger
Kinderbordell «Jasmin» verkehrt hätten.

Der Kriminalhauptkommissar ist laut Verfassungsschutzpräsident
Reinhard Boos eine Hauptquelle für ein Dossier des sächsischen
Nachrichtendienstes, dessen Bekanntwerden vor zwei Jahren die Affäre
ausgelöst hatte. Die Vorwürfe reichten angeblich von Amtsmissbrauch
bis Bandenkriminalität und Kinderprostitution.

Freier außen vor gelassen
Die Vorgänge im «Jasmin» wurden auch nach Angaben des ersten
Ausschusszeugen vom Dienstag nur unzureichend aufgearbeitet. Als er
sich dienstlich 1999 und 2000 mit dem Fall befasst habe, seien ihm
«erhebliche Defizite» aufgefallen, sagte der 48-jährige Polizist. So
habe er sich etwa darüber gewundert, warum niemand bei den
Ermittlungen nach der Räumung 1993 die im Bordell arbeitenden und zum
Teil minderjährigen Mädchen nach ihren Freiern gefragt habe.

Der damals zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilte
Ex-Zuhälter habe ihm gegenüber ausgesagt, dass sein Strafmaß nur
wegen eines Deals seiner Anwältin mit dem damaligen Richter so gering
ausgefallen sei. Dieser habe vorgesehen, dass er keine Angaben zu
Freiern mache. Indes habe er bei seinen Ermittlungen keine konkreten
Anhaltspunkte dafür gefunden, dass hochrangige Juristen im «Jasmin»
verkehrt hätten, sagte der Polizist in seiner fünfeinhalbstündigen
Vernehmung. Der Beamte hatte im Jahr 2000 auch eine heute 32-jährige
Leipzigerin vernommen, die vor einer Woche im Zeugenstand angegeben
hatte, dass in den Fall des Kinderbordells «auch Staatsanwälte und
Richter verwickelt» gewesen seien. Diese Angaben seien für ihn «nicht
nachvollziehbar».

Lob für den Ex-Chef
Anerkennend äußerte sich der Polizist über die Arbeit seines
einstigen Vorgesetzten bei dem mit organisierter Kriminalität
befassten Kommissariat der Leipziger Kriminalpolizei, dem später als
zweiten Zeugen gehörten Beamten. Dieser sei «einer der besten
Polizisten im Freistaat Sachsen» und habe immer «sehr gewissenhaft
gearbeitet».

Der damit gemeinte 53-Jährige ist seit Monaten vom Dienst
entbunden. Im Zeugenstand bekräftigte er seine Darstellung, dass er
nicht Haupthinweisgeber des Verfassungsschutzes gewesen sei. Allein
in dem OK-Kommissariat habe es «mehrere Beamte» mit Kontakten zum
Landesamt gegeben. Dies gehe aus dem Auskunftsbuch des
OK-Kommissariats hervor. Er selbst habe sich erst im Mai 2006 zwei
Mal mit Vertretern des Verfassungsschutzes getroffen und von sich aus
auch nicht um Quellenschutz gebeten.

Verfahren gegen Zeugen
Die Ermittlungen gegen die in der Datensammlung des
Verfassungsschutzes angeblich verdächtigten Juristen waren von der
Staatsanwaltschaft Dresden vor einem Jahr eingestellt worden. Sie
leitete zugleich Verfahren gegen die Ex-Zwangsprostitutierte wegen
Verleumdung und gegen den Kriminalhauptkommissar wegen Verfolgung
Unschuldiger ein. Ihm droht zudem ein Ermittlungsverfahren wegen
Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss, vor dem er bereits im
Dezember 2008 ausgesagt hatte.

06.05.2009 Ta
http://www.e110.de/artikel/detail.cfm?pageid=67&id=95269

Re: Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

Untersuchungsausschuss
Irgendwas bleibt hängen

Der Landtag beschäftigt sich erneut mit dem »Sachsensumpf«. Im Mittelpunkt steht ein Leipziger Wohnhaus

© Matthias Hiekel/dpa
Der Landtag in Dresden versucht sich noch einmal an einer Aufarbeitung des Sachsensumpfes

Der Landtag in Dresden versucht sich noch einmal an einer Aufarbeitung des Sachsensumpfes

Man kann sofort einziehen in das Haus der wilden Gerüchte. Im Dachgeschoss ist eine Wohnung frei. Riemannstraße, Leipziger Südvorstadt. Bis ins Zentrum läuft man fünf Minuten. Zwei Zettel neben der Eingangstür preisen das Parkett, die offene Küche mit amerikanischem Kühlschrank und zwei Terrassen. »Die Wohnung steht seit Monaten leer«, sagt eine Nachbarin. Früher habe die Eigentümerin mit ihrem Mann darin gewohnt. »Sympathische Leute. Sie haben noch nie die Miete erhöht.« Es klingt wie: Wer weniger als fünf Euro je Quadratmeter verlangt, kann kein schlechter Mensch sein.
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Und doch beschäftigt sich ein neuer Untersuchungsausschuss im Landtag unter anderem mit dem Gründerzeithaus und seinen Besitzern. Es geht mal wieder um den sogenannten Sachsensumpf, der vor drei Jahren bundesweit Schlagzeilen machte. Von einem Netzwerk aus kriminellen Juristen, Politikern und Polizisten war damals die Rede. Von Amtsmissbrauch, Bestechung und Korruption. Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) warnte schrill: »Die organisierte Kriminalität wird zurückschlagen, weil wir sie zerstören wollen.« Und die schwarz-rote Landesregierung versprach Aufklärung, doch nach einigen Ermittlungen galt die Affäre Anfang 2008 als erledigt. »Nur heiße Luft«, beteuerte der damalige Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU).

Nun will die Opposition nachbohren. »Vielleicht hat die Landesregierung ein Verschleierungsszenario aufgezogen«, sagt Johannes Lichdi (Grüne). Seit zwei Wochen prüfen er und 18 weitere Abgeordnete wieder Akten. Mehr als 15.000 Seiten hatte Sachsens Verfassungsschutz unter teils fragwürdigen Umständen gesammelt. Nur ein Bruchteil konnte von den Politikern bis zum Ende der vorigen Legislaturperiode ausgewertet, lediglich 35 von 80 Zeugen konnten vernommen werden. Trotzdem glaubt nicht einmal der Ausschussvorsitzende Klaus Bartl von den Linken, dass sich noch Beweise für ein sachsenweites korruptes Netzwerk finden. »Aber Anhaltspunkte für lokale kriminelle Netzwerke sehe ich durchaus.«

Das nächste Mal treffen sich die Abgeordneten am 11. August. Sie werden dort ansetzen, wo der erste Ausschuss vor gut einem Jahr aufgehört hat – bei den Vorgängen in Leipzig, die der Verfassungsschutz unter dem Namen »Abseits III« zusammentrug. Die Geschichten daraus klingen tatsächlich etwas abseitig. Und immer wieder führen sie über verschlungene Wege zu dem Gründerzeithaus.

Mitte der neunziger Jahre hatte die Münchner Rechtsanwältin Sieglinde Buchner-Hohner das marode Gebäude gekauft. Sie zahlte dafür an die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) 360.000 Mark. Zwei bayerische Immobilienmakler gingen leer aus, obwohl sie mit 680.000 Mark fast das Doppelte geboten hatten.

Später wurde der für den Verkauf zuständige LWB-Manager vor seiner Wohnung niedergeschossen und dabei lebensgefährlich verletzt. Ein Racheakt der unterlegenen Bieter. Ein Leipziger Gericht verurteilte die Attentäter zu lebenslanger beziehungsweise zu zwölf Jahren Haft. Ihre später ermittelten Auftraggeber kamen mit einer Zahlung von 2500 Euro davon. Die extrem unterschiedlichen Urteile fanden einige Juristen und Journalisten schon damals merkwürdig.

Sachsensumpf? »Davon habe ich gehört«, sagt die Mieterin im zweiten Stock. Was das mit ihrem Haus zu tun haben soll? Sie zuckt mit den Schultern. »Ich lese kaum Zeitung. Aber sehen Sie die feinen Risse im Flur?«, fragt sie und zeigt auf eine blassgrün gestrichene Wand. »Die finde ich schon ärgerlich.« Ein Nachbar habe außerdem Probleme mit der Dusche. Die Mittvierzigerin steht im Treppenhaus wie im Auge eines Taifuns. Rund um das Haus wirbelt jede Menge Staub. Aber im Zentrum bekommt man davon nichts mit.

Ende 2009 wurde ein Bericht des Sächsischen Rechnungshofes öffentlich. Die Behörde kritisiert darin, für die Sanierung der Immobilie sei zu viel Fördergeld gezahlt worden. Die Eigentümerin habe nicht die Absicht gehabt, Wohnungen an Behinderte, Alte und sozial Schwache zu vermieten. Der Rechnungshof moniert »einen nicht gerechtfertigten Subventionsvorteil von rund einer Million Euro«. Beim Weiterverkauf einiger geförderter Wohnungen habe Buchner-Hohners Firma »einen Überschuss von fast 600.000 Euro« erzielt.

Dieser Bericht befeuert nun die politische Fantasie des Ausschussvorsitzenden Klaus Bartl: »Wenn der Rechnungshof Merkwürdigkeiten bei der Riemannstraße bestätigt, dann könnte auch an anderen Gerüchten in der Korruptionsaffäre etwas dran gewesen sein.«

Da geht es etwa um das Minderjährigenbordell Jasmin in Leipzig-Lindenau. Anfang der neunziger Jahre mussten dort bis zu acht Mädchen ihre Körper verkaufen. Zu den Kunden sollen auch Juristen gehört haben, die mit dem fünf Kilometer entfernten Gründerzeithaus in der Südvorstadt direkt oder indirekt zu tun hatten. Bekannte der Eigentümerin. Sogar ihr heutiger Ehemann wurde des Bordellbesuchs bezichtigt. Ein Richter. Er bestreitet die Vorwürfe vehement.

Tatsächlich kennt er den Zuhälter des Jasmin. Denn er verurteilte ihn 1994 nach Auflösung des Bordells zu vier Jahren Haft. Einige Beobachter fanden das recht milde. Dass der Richter im Prozess nicht nach Namen von Freiern gefragt hatte, führte zu bösen Verdächtigungen. Saßen sich im Prozess Zuhälter und Freier als Angeklagter und Richter gegenüber? Das legten zumindest die Aussagen zweier ehemaliger Prostituierter nahe, die im Sommer 2007 – nach Freiern befragt – den Richter und einen seiner Kollegen auf Fotos wiedererkannt haben wollen.

»Mein Mann ist ein völlig unbescholtener, sehr korrekter Mensch«, beteuert Buchner-Hohner. Er hätte schon Skrupel beim Falschparken, sagt sie. Auch beim Kauf ihres Hauses sei alles korrekt gelaufen. Sie lädt ausdrücklich zu einer Besichtigung in die Riemannstraße ein: »Überzeugen Sie sich selbst, dass ich mich nicht bereichert habe.«

Der Verwalter lächelt. Natürlich lese er Zeitung. »Aber ich kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen.« Der Mann führt durch den Flur. »Die Briefkästen hängen tiefer«, sagt er, »damit auch Rollstuhlfahrer leichter herankommen.« Auch die Lichtschalter, Fensterbretter und Türschwellen wurden bei der Sanierung behindertengerecht gestaltet. Im Hof zeigt er auf die gelben Tonnen. »Die sind abgesenkt, damit man sie auch im Sitzen öffnen kann.« Der Fahrstuhl ist allerdings sehr eng, was auch der Rechnungshof bemängelte. »Ich komme rein«, sagt eine Rollstuhlfahrerin im zweiten Stock und ergänzt: »Mit dem kleinsten Modell.« Eine Etage darunter wird ein elektrischer Rollstuhl benutzt. Auch der passt gerade so.

Waren alle Vorwürfe doch nur infame Gerüchte? Bleibt vom Sumpf nur die Frage, ob eine Fahrstuhltür den Vorgaben der Behörden entspricht?

Die Staatsanwaltschaft Dresden ging den angeblichen Besuchen im Kinderbordell nach. Im April 2008 stellte sie alle Ermittlungen gegen die beschuldigten Juristen ein, wegen zu vieler Widersprüche. Stattdessen geht sie heute gegen die Zeuginnen vor. So müssen sich die beiden Prostituierten wegen Verleumdung verantworten. Ihr Prozess wird am Dresdner Amtsgericht stattfinden. Präsident ist dort inzwischen einer, den sie als damaligen Freier wiedererkannt haben wollen. Das stärkt nicht unbedingt das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Gerichts. »Der Präsident ist nicht der Richter des Verfahrens«, sagt dazu die Pressestelle.

Nach Ansicht der sächsischen CDU gibt es keinen Grund, die Sachsensumpf-Akten noch einmal aufzuklappen. »Der neue Untersuchungsausschuss bedeutet vor allem viel verschwendete Lebenszeit«, sagt Fraktionssprecher Dirk Reelfs. »Als eigentlicher Sumpf«, entgegnet SPD-Politiker Karl Nolle, »erweist sich die Verbissenheit, mit der sich die CDU gegen unsere Untersuchungen wehrt.« Was der eine fürchtet, sieht der andere politisch vielleicht als Chance: Egal wie es ausgeht, irgendetwas bleibt hängen.

Erstmals sitzt auch Eva-Maria Stange (SPD) im Untersuchungsausschuss – die ehemalige sächsische Wissenschaftsministerin. Sie will vor allem klären, was der Verfassungsschutz darf und was nicht. »An die Mär, dass alle Behauptungen in den Akten auf nur eine Quelle zurückgehen, glaube ich nicht.« Stange erinnert sich noch gut daran, wie ihr Kabinettskollege, Innenminister Albrecht Buttolo, 2007 im Sächsischen Landtag vor Mafiastrukturen im Freistaat warnte. »Ich war über die drastischen Worte entsetzt, zumal die Landesregierung überhaupt nicht informiert war«, sagt Stange.

Befremdlich findet sie auch das Vorgehen der Justiz gegen Journalisten, die über den Sachsensumpf recherchiert haben. 21 Verfahren wurden eingeleitet. Dabei hatten die meisten Berichterstatter weit weniger Drastisches behauptet als Buttolo in seiner Rede. Zwei Autoren aus Leipzig hatten unter anderem für ZEIT ONLINE geschrieben. In ihrem Artikel werfen sie der Dresdner Staatsanwaltschaft mangelnde Aufklärungsarbeit im Fall Jasmin vor.
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* Chronik Die Geschichte des "Jasmin"

Schlagworte
Korruption | Sachsen

So kritisieren sie, die Widersprüche, in die sich die beiden ehemaligen Prostituierten vor der Staatsanwaltschaft verstrickt hätten, seien marginal gewesen. Sie werfen in ihrem Artikel zwei Fragen auf, in denen die Staatsanwaltschaft nun eine Verleumdung vermutet. Inzwischen blicken die Autoren ihrem neunten Verhandlungstag am Dresdner Amtsgericht entgegen. Für einen Verleumdungsprozess ein erstaunlich langes Verfahren. Der Deutsche Journalisten-Verband spricht von »versuchter Einschüchterung«.

Eine seltsame Affäre. Viele seltsame Geschichten. Und ein Haus in Leipzig, das bislang alle Wirren überstanden hat. Demnächst wird noch eine kleine Wohnung frei.
Übersicht zu diesem Artikel:

1. Seite 1 Irgendwas bleibt hängen
2. Seite 2 Waren alle Vorwürfe doch nur infame Gerüchte?

http://www.zeit.de/2010/28/S-Sumpf?page=all

Re: Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

"Sachsensumpf"-Ausschuss hat sich konstituiert

Auf das Gremium wartet ein hartes Stück Arbeit

Foto: ddp

Dresden (ddp-lsc). Der zweite "Sachsensumpf" - Untersuchungsausschuss hat sich am Freitag in Dresden konstituiert. Der rechtspolitische Sprecher der Linke-Fraktion und Ausschusschef Klaus Bartl sagte, das Gremium habe "ein hartes Stück Arbeit vor sich".

Linke, SPD und Grüne haben gemeinsam zwölf Beweisanträge eingereicht. Zwei davon widmen sich laut Bartl "möglichen Anhaltspunkten in Ermittlungs- und Gerichtsakten" darauf, dass unter anderem Personen aus der Justiz Kunden im Leipziger Kinderbordell Jasmin gewesen sein sollen. Zudem sollen auf der Grundlage des Sonderberichts des Landesrechnungshofes zur Leipziger Immobilienaffäre Zeugen im Ausschuss vernommen werden. Die nächste Sitzung des Gremiums findet am 11. August statt.

Der erste "Sachsensumpf"-Ausschuss war im Juli 2007 eingesetzt worden. Die Vorwürfe reichten damals von Amtsmissbrauch bis zu Kinderprostitution und Bandenkriminalität. Der erste Zeuge im Untersuchungsausschuss wurde aber erst im September 2008 vernommen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dazu wurden eingestellt. Der Ausschuss beendete vor der Landtagswahl Ende August 2009 seine Arbeit.

ddp

Erschienen am 25.06.2010
http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/REGIONALES/7402602.php

Re: Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

Sachsen
Journalisten auf der Anklagebank

Zwei Leipziger Journalisten haben für den "Spiegel" und für ZEIT ONLINE zur Korruptionsaffäre in Sachsen recherchiert. Sie befragten ehemalige Zwangsprostituierte, die ranghohe Juristen als ihre Freier wiedererkannt haben wollen. Nun stehen die Journalisten in Dresden vor Gericht.

© Jan Zappner
Die Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt

Die Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt

Plötzlich geht es um eine Haftstrafe. "Dafür hatten Sie doch anfangs plädiert", sagt der Richter. Der Nebenkläger nickt. "Ja selbstverständlich", antwortet seine Rechtsanwältin.
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Amtsgericht Dresden Ende Mai. Auf der Anklagebank sitzen die Leipziger Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel. Zum ersten Mal in ihrem Leben stehen sie vor Gericht. Für einen Text, den sie mitrecherchiert, aber nicht selbst geschrieben haben. Und für zwei Fragen, die sie nach eigenen Worten auch als Aussagen hätten formulieren können. Haftstrafe. Thomas Datt schüttelt ungläubig den Kopf.
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"Wir haben uns nichts vorzuwerfen", sagt er wenige Tage später in Leipzig. "Wir haben ordentlich gearbeitet", sagt auch sein Partner Arndt Ginzel. Die beiden freien Journalisten kennen sich mit schwierigen Themen aus. Sie haben zur Leuna-Affäre recherchiert. Einen Film über Angehörige von getöteten Afghanistan-Soldaten gedreht. Vor Gericht geht es nun um einen Aspekt im sogenannten Sachsensumpf. Um Zwangsprostituierte und ihre Kunden. Um die Frage, was geschrieben werden darf. Und es geht um die Ehre. "Am Anfang war ich geradezu beleidigt, als man uns vorwarf, wir hätten schlecht recherchiert", sagt Datt.

Doch ihre Geschichte ist so unglaublich, dass mancher Krimiautor sie konstruiert finden könnte. Sie reicht zurück ins Jahr 1992, als der Ex-Boxer Michael W. in Leipzig ein Wohnungsbordell mit Minderjährigen betrieb. Bis zu acht Mädchen mussten dort ihre Körper verkaufen. Die Jüngste war gerade einmal 13 Jahre alt. Ende Januar 1993 stürmten Polizisten das sogenannte Jasmin. Der Zuhälter wurde festgenommen und zu vier Jahren Haft verurteilt. Ein relativ mildes Urteil. Das fanden einige schon damals.

Seitdem wurde in Leipzig viel spekuliert. Warum hat damals niemand die Mädchen zu ihren Freiern befragt? Gab es einen Deal zwischen Richter und Angeklagten? Was meinte der Zuhälter, als er Jahre später aussagte, er habe "keine dreckige Wäsche gewaschen"?

Im Spätsommer 2007 beschließen Datt und Ginzel, nach den ehemaligen Prostituierten zu suchen. In allen Medien erscheinen bereits lange Texte zur sächsischen Korruptionsaffäre. Die Gerüchte rund um das Jasmin sind ein Teil davon. "Wir waren spät dran", erinnert sich Ginzel. "Wir haben erst angefangen, uns mit der Sache zu beschäftigen, als tagesschau.de uns um eine Übersicht zu den Vorwürfen bat."

Sie machen sieben Frauen aus dem Jasmin ausfindig, die heute fast alle ein normales Leben mit Beruf und Familie führen. Vier von ihnen stimmen einem Treffen zu. Eine beschreibt, wie sie nach einem gescheiterten Fluchtversuch aus dem Bordell misshandelt wurde. Eine andere erzählt, dass sie jede Woche 1000 Mark anschaffen mussten. Datt und Ginzel legen ihnen bis zu 30 Fotos vor. Sie fragen, ob darauf Freier zu sehen sind. Und sie landen einen Volltreffer. Zumindest sieht es erst einmal danach aus.

"Zwei Frauen haben hochrangige Justizangehörige identifiziert", sagt Datt. Sie hätten auf ein Foto gezeigt, auf dem ein Freier abgebildet war, den sie beide Ingo nannten. "Sie konnten sich sehr gut erinnern, weil sie um ihn gestritten hatten, weil Ingo das Doppelte bezahlte." Das Foto zeigte laut Datt niemand Geringeren als jenen Richter, der den Zuhälter des Jasmin 1994 zu vier Jahren Haft verurteilt hatte. Er macht eine Pause. War das möglich? Saß der Bordellbetreiber im Prozess einem ehemaligen Freier gegenüber? "Die Schwere der Anschuldigungen war uns sofort klar", ergänzt Ginzel. "Für uns wäre es auch eine Geschichte gewesen, wenn die Frauen niemanden erkannt hätten."

Die beiden Journalisten übergaben ihre Recherchen dem Spiegel. Dort entschied man sich zu warten, bis zwei der Frauen auch vor der Staatsanwaltschaft ausgesagt haben. Danach schrieb ein Spiegel-Redakteur auf Grundlage des Rechercheprotokolls einen Text unter der Überschrift "Dreckige Wäsche". Er nannte keine Namen. Doch wer sich in der sächsischen Justiz auskannte, wusste, wer Freier Ingo angeblich sein soll: Jürgen Niemeyer. Der ehemalige Vizepräsident des Leipziger Landgerichts.

Wer mit Niemeyer telefoniert, kommt kaum zum Nachfragen, weil sich der 70-Jährige so aufregt. "Ich bin fassungslos", sagt er. "Ich war nur einmal in einem Bordell. Damals war ich Richter in Stuttgart und habe im Rahmen eines Verfahrens eine Ortsbesichtigung gemacht." Nach Leipzig sei er gezogen, um Aufbauhilfe im Osten zu leisten. Das Jasmin habe er nie betreten. Auch den Zuhälter kenne er erst seit dessen Verhaftung. Warum ihn die Frauen als Freier Ingo identifiziert haben, könne er sich nicht erklären. "Aber ich kann Ihnen sagen, dass mich das kaputt gemacht hat. Im Kollegenkreis wurde ich als Kinderficker diffamiert."

Niemeyer zeigte die Journalisten an. "Weil man einen Menschen in so übler Weise nicht diffamieren darf", sagt er. "Weil sie nicht richtig recherchiert haben." Auch ein Kollege, der in dem Spiegel-Artikel als "Geschäftsfreund" des Zuhälters vorgestellt wird, stellte Strafantrag. Die Staatsanwaltschaft Dresden erhob Anklage wegen Verleumdung.

Fünfter Verhandlungstag. Richter Hermann Hepp-Schwab sieht mit seiner Brille und dem Rauschebart ein bisschen aus wie Wolfgang Thierse. Die Verteidigung vermisst aber dessen salomonische Haltung und will einen Befangenheitsantrag stellen. Rechtsanwalt Ulf Israel empfindet den Prozess als Farce. "Die beiden Angeklagten haben den Spiegel-Artikel nicht geschrieben", donnert Israel. "Der Autor hat unmissverständlich ausgesagt, dass er bei Einwänden nicht auf die beiden gehört hätte." Richter Hepp-Schwab lässt das unbeeindruckt. Für ihn kommt auch Beihilfe zur Verleumdung infrage. Er hat für den Fall zwölf Prozesstage angesetzt.

Jürgen Niemeyer ist zur Verhandlung mit seiner Ehefrau gekommen, die ihn als Anwältin vertritt. "Mein Mann ist ein völlig unbescholtener und sehr korrekter Mensch", beteuert sie am Rande. "Den plagt schon das Gewissen, wenn er mal keinen freien Parkplatz findet und er überlegen muss, ob er falsch parken soll." Auch der zweite Nebenkläger – der angebliche Geschäftsfreund – ist angereist.

Ihnen gegenüber sitzen die beiden Angeklagten mit ihren Verteidigern. "Die grinsen immer frech zu mir rüber", hatte sich Niemeyer am Telefon geärgert. Momentan grinsen Datt und Ginzel aber nicht. Sie machen sich Notizen, denn Richter Hepp-Schwab ruft einen Polizisten aus Leipzig in den Zeugenstand.

Der Beamte hat mit einem Kollegen schon im Jahr 2000 einige Frauen aus dem Jasmin ausfindig gemacht und sie nach ihren Freiern befragt. Schon damals will eine von ihnen Niemeyer identifiziert haben. Im Protokoll wurde aber nichts dergleichen vermerkt. Hepp-Schwab hält eine alte Ermittlungsakte hoch und bittet die Prozessbeteiligten an seinen Richtertisch. Man blättert in den Seiten. Ob vor zehn Jahren vielleicht Fotos vorgelegt worden sind, die nicht abgeheftet wurden? Möglicherweise war es so. Aber an Details kann sich der Zeuge nicht erinnern.



Während der Aussage lehnt sich Niemeyer weit auf seinem Stuhl zurück und betrachtet seine Fingernägel. Er wirkt gelassener als am Telefon. Ein weißhaariger, schlanker Herr in hellem Anzug und roter Krawatte. Ein Mann mit Stil. Geht so einer in den Puff?

Die Staatsanwaltschaft Dresden hat das verneint. Sie ermittelte gegen Niemeyer wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Strafvereitelung im Amt. Der pensionierte Richter wurde befragt. Die Frauen aus dem Jasmin mussten mehrfach als Zeuginnen aussagen. Am Ende sahen die zuständigen Staatsanwälte zu viele Widersprüche. Weder der Zuhälter noch sechs weitere Frauen bestätigten, dass Niemeyer in ihrem Bordell war. Im April 2008 wurden beide Ermittlungsverfahren eingestellt.

Stattdessen ging die Justiz nun gegen die Journalisten vor. Angeklagt war neben Datt und Ginzel ursprünglich auch der Autor des Spiegel-Artikels. Um einen Prozess gegen seinen fest angestellten Redakteur abzuwenden, zahlte der Spiegel 6500 Euro Strafe und druckte eine kryptische Korrektur. Darin stellte die Redaktion unter anderem klar, dass die bildliche Beschreibung des Freiers Ingo nicht auf Aussagen der Zeuginnen vor der Staatsanwaltschaft zurückgehe. Das Nachrichtenmagazin und sein fest angestellter Redakteur waren raus aus der Nummer. Der Prozess gegen Thomas Datt und Arndt Ginzel begann trotzdem.

Wer die freien Journalisten im Gericht sieht, ahnt, warum ihre Anwälte manchmal von "den Jungs" reden, obwohl Datt schon 42 Jahre alt ist und Ginzel 37. Sie wirken mitgenommen. Sie sprechen leise. Und in den Pausen rauchen sie viel. Vor allem Datt macht einen grüblerischen Eindruck. "Mich ärgert, dass die Frauen öffentlich als Nutten abgestempelt werden", sagt er. "Viele leiden bis heute unter den Erlebnissen im Jasmin." Eine habe sich erst unter Tränen geöffnet.

Bei ihren Recherchen haben die Frauen noch auf ein zweites Foto gezeigt. Auf das Bild von Norbert R. Der ehemalige Leipziger Oberstaatsanwalt beteuert ebenfalls, nie im Jasmin gewesen zu sein. Auch gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt. Seit Mai 2009 leitet R. das Amtsgericht Dresden – ausgerechnet jenes Haus, in dem nun der Prozess gegen Datt und Ginzel stattfindet. Auch die beiden Frauen stehen hier bald wegen Verleumdung vor Gericht. Deshalb wollen sie nicht mehr als Zeuginnen für die Journalisten aussagen.

"Ich kann sehr gut verstehen, dass Niemeyer geklagt hat. Das hätte ich als Unschuldiger auch getan", sagt ein ZDF-Kollege nach der Verhandlung. "Ein völlig verfahrenes Verfahren", meint eine freie Fernsehreporterin. Der Prozess wird von vielen Journalisten beobachtet. In der Sache sind sie gespalten. Manche meinen, die Justiz räche sich hier an zwei sehr kritischen Autoren. Andere sehen sich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass am gesamten Sachsensumpf nichts dran war.

Die Frankfurter Rundschau druckte vor einem Jahr unter der Überschrift "In den Dreck gezogen" ein Porträt über Jürgen Niemeyer, der "in diesem Irrsinn untergegangen" sei. Auch in der WDR-Sendung Plasberg persönlich trat der pensionierte Richter auf. Thema: "Irgendwas bleibt immer hängen – Volkssport Klatsch und Tratsch". Zu Niemeyer sagte Moderator Frank Plasberg: "Sie sind zweifelsfrei reingewaschen worden. Es gibt keinen Hauch eines Zweifels."

Niemeyer ist nie presserechtlich gegen den Spiegel-Artikel vorgegangen. Wenn etwas hängen bleibt, dann liegt das auch daran, dass man bis heute im Online-Archiv des Spiegels den Artikel über Freier Ingo nachlesen kann. Niemeyer begründet das mit finanziellen Erwägungen: "Ich habe einen guten Presseanwalt kontaktiert. Der verlangte 50.000 Euro. Das Geld habe ich nicht." Stattdessen schlug er am schwächsten Glied zurück: beim Autor und den Rechercheuren.

Das ist sein gutes Recht. Allerdings dürften sich freie Journalisten bald fragen, ob sie überhaupt noch heikle Themen anpacken können, wenn Niemeyers Beispiel Schule macht. Denn ein Strafrechtsverfahren müssen sie im Zweifel allein durchstehen. Auch beim Prozess gegen Datt und Ginzel ist offen, wer am Ende die Kosten trägt. Inoffiziell heißt es beim Spiegel, man lasse die Freien nicht im Stich. Eine schriftliche Zusage gibt es aber nicht. Dabei hatte ein Verlagsjurist den fertigen Artikel geprüft und keine Einwände gehabt. Ähnliches gilt für einen Artikel auf ZEIT ONLINE vom 27. Juni 2008, der nun ebenfalls das Gericht beschäftigt.

Darin haben sich Thomas Datt und Arndt Ginzel kritisch mit den Ermittlungen im Fall Jasmin auseinandergesetzt. Die Überschrift lautet: "Voreiliger Freispruch" und ist Tenor des gesamten Textes. So schreiben sie, dass der scheidende Chef der Staatsanwaltschaft Dresden bereits im September 2007 über den Sachsensumpf sagte: "Je tiefer wir graben, umso mehr heiße Luft kommt heraus, die völlig unbescholtene Bürger verbrennt – darunter auch untadelige Mitarbeiter der Justiz." Zu diesem Zeitpunkt, so Datt und Ginzel, hatte man die beschuldigten Justizkollegen angehört – nicht aber die Frauen aus dem Jasmin.

Erschienen in
Journalist Ausgabe 07/2010
© Journalist

Journalist Ausgabe 07/2010
Die Journalisten kritisieren zudem, dass die Widersprüche, in die sich die Frauen verstrickt haben sollen, gar keine seien oder irrelevant wären. Außerdem greifen sie die polizeiliche Vernehmung aus dem Jahr 2000 auf, bei der eine der Frauen Niemeyer schon einmal identifiziert haben will – worüber aber kein Aktenvermerk existiert. "Ermittelten die Polizisten möglicherweise illegal oder verdeckt gegen N.", fragen Datt und Ginzel in ihrem ZEIT ONLINE-Artikel. "Gerieten sie unter Druck, weil der einflussreiche Richter Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhob?"

In diesen Fragen vermutet die Dresdner Staatsanwaltschaft ebenfalls eine Verleumdung. Datts Rechtsanwalt Steffen Soult kann darüber nur den Kopf schütteln. "Wir wissen, dass es so war", sagt er. "Selbst als Aussage formuliert kann ich in den zwei Sätzen keine Verleumdung erkennen."

Merkwürdig erscheint, wie die Anklage in diesem Punkt zustande kam. Nach der Veröffentlichung des Artikels wandten sich nicht etwa die Betroffenen an die Justiz, sondern es war umgekehrt. Die Dresdner Staatsanwaltschaft teilte den Leipziger Polizisten mit, dass die in dem Text beschriebene Vorgehensweise – als wahr unterstellt – den Tatbestand der Strafvereitelung im Amt erfüllen könnte. Sie mögen doch prüfen, ob sie "wegen der Berichterstattung Strafantrag wegen des Verdachts der üblen Nachrede stellen".

Die Antwort fiel deutlich aus. "Ich werde, gegen wen auch immer, keinen Strafantrag stellen", teilte einer der Beamten per E-Mail mit. "Ich möchte mit dieser ganzen Sache einfach nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun haben." Am Ende reichte der Polizeipräsident Strafantrag für seine Untergebenen ein. Danach ermittelte ausgerechnet einer jener Staatsanwälte gegen Datt und Ginzel, deren Arbeit sie in ihrem ZEIT ONLINE-Artikel hinterfragt hatten.
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Inzwischen hat im Landtag der Untersuchungsausschuss zum Sachsensumpf seine Arbeit wieder aufgenommen. Es wird dort auch um das Jasmin gehen. Johannes Lichdi von Bündnis 90/Die Grünen sieht noch offene Fragen. Der Politiker findet es seltsam, dass an der gesamten Korruptionsaffäre kein Hauch dran sein soll. "Natürlich kann es sein, dass die Interpretationen der Staatsanwaltschaft zutreffen", sagt er. "Es kann aber auch sein, dass aus falsch verstandenem Corpsgeist Justizangehörige in erster Linie bemüht gewesen sein könnten, andere Justizangehörige und damit die Justiz als Ganzes von ungeheuerlichen Vorwürfen zu entlasten."

Ein Satz mit vielen Konjunktiven. Ob der Untersuchungsausschuss herausfinden wird, wer wirklich die Freier im Jasmin waren, ist offen. Licht ins Dunkel könnte noch der Zuhälter bringen.

Insgesamt hat die sächsische Justiz 21 Verfahren gegen Journalisten eingeleitet, die zur Korruptionsaffäre recherchiert haben. Die meisten sind inzwischen eingestellt. Das Urteil gegen Datt und Ginzel wird voraussichtlich Ende Juli fallen. "Die Strafe ist mir nicht so wichtig", so Jürgen Niemeyer. "Mir geht es um die Wahrheit." Die Angeklagten sagen, darum gehe es ihnen auch.

(Der Artikel wurde der Ausgabe 07/2010 des JOURNALIST entnommen.)
Übersicht zu diesem Artikel:

1. Seite 1 Journalisten auf der Anklagebank
2. Seite 2 "Das hat mich kaputt gemacht"
3. Seite 3 Geht so einer in den Puff?
4. Seite 4 21 Verfahren gegen Journalisten


http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-07/sachsen-sumpf?page=all

Re: Korruption und Rotlicht: Sachsen droht Skandal

Justiz in Sachsen
Journalisten fordern Freispruch im Sachsen-Sumpf-Prozess

Zwei freie Journalisten sind wegen Recherchen über Verstrickungen von Beamten ins Rotlichtmilieu angeklagt. Berufsverbände sehen den Prozess als Einschüchterung.

Die beiden freien Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel kennen sich mit schwierigen Themen aus. Sie haben zur Leuna-Affäre recherchiert, einen Film über Angehörige von getöteten Afghanistan-Soldaten gedreht. Doch nun stehen sie vor Gericht, am Mittwoch könnte ein Urteil fallen.
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Gegenstand der Anklage sind Artikel im Spiegel und auf ZEIT ONLINE von 2008 zum "Sachsen-Sumpf" – eine mögliche Korruptionsaffäre. Die beiden hatten Prostituierte befragt und versucht, Verstrickungen ranghoher sächsischer Justizvertreter ins Rotlichtmilieu nachzuweisen. Doch die zogen vor Gericht.

Die Klageschrift zielt nicht auf den Kern der Beiträge. Die Artikel sind inhaltlich unbestritten und noch immer online nachzulesen. Vielmehr zogen die Justizvertreter einzelne Formulierungen und aufgeworfene Fragen für eine Anklage wegen falscher, ehrverletzender Tatsachenbehauptung, übler Nachrede und Verleumdung heran.

Für den Spiegel schrieben die beiden Journalisten nicht einmal selbst: Sie gaben lediglich Rechercheergebnisse weiter, hatten mit der Formulierung des Artikels aber selbst nichts zu tun.

Reporter ohne Grenzen (ROG) und der Deutsche Journalisten-Verband forderten einen klaren Freispruch. "Alles andere wäre ein Skandal", sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske. "Eine Verurteilung würde künftige Berichterstattung zu Korruptionsaffären behindern und damit die Pressefreiheit beeinträchtigen." Schon die Einleitung des Strafverfahrens sei mehr als fragwürdig gewesen, beklagte ROG.
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* Sachsensumpf Voreiliger Freispruch

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Justiz | Prostitution | Sachsen

Die stellvertretende Bundesvorsitzende des Journalistenverbandes, Ulrike Kaiser, sagte, eine Verurteilung "würde den Rechtsstaat beschädigen und die Pressefreiheit verletzen". Denn das Verfahren sei ein Versuch der Einschüchterung.

Mit den Verdächtigungen und Vorwürfen, Justizbeamte hätten die Dienste minderjähriger Prostituierter in Anspruch genommen und später versucht, Ermittlungen zu erschweren, beschäftigt sich im Sächsischen Landtag bereits ein Untersuchungsausschuss.

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-07/sachsen-sumpf-prozess