Jugendamt Berlin-Treptow: Unbegleitetes Flüchtlingskind
taz, die tageszeitung
2. Oktober 1998
Anklage gegen untaetige Fluechtlingsbetreuerin
BYLINE: Marina Mai
SECTION: Pg. 29
HIGHLIGHT: Der Vormund eines kurdischen Jungen soll seine Fuersorgepflicht eklatant verletzt haben. Dessen Asylantrag wurde deshalb abgelehnt
Erstmals hat die Staatsanwaltschaft einen Vormund im Treptower Jugendamt wegen des Verdachtes einer Verletzung der Fuersorgepflicht angeklagt. Die Betreuerin soll einen nach Berlin gefluechteten kurdischen Jungen im Asylverfahren nicht unterstuetzt haben. Treptows Buergermeister Siegfried Stock (SPD) bestaetigte gestern die Anklageerhebung. Justizpressesprecher Matthias Rebentisch erklaerte, dass zwei weitere Ermittlungsverfahren gegen einen anderen Treptower Amtsvormund anhaengig seien. Stock, der im Bezirksamt auch fuer Personalfragen zustaendig ist, wurde von seinem CDU-Jugendstadtrat erst am Mittwoch von der Anklage unterrichtet, die schon im Mai erhoben wurde. Die Angeklagte sei im Jugendamt weiter mit der Personenfuersorge fuer auslaendische Kinder und Jugendliche betraut, weil "die zustaendige Fachabteilung die Anklage als haltlos ansieht", so Stock.
Das sieht Regina Goetz, die Anwaeltin des betroffenen Kurden, anders. Der damals 15jaehrige Junge sei nach Deutschland geflohen, nachdem seine Eltern als PKK-Sympathisanten festgenommen und gefoltert worden seien. Soldaten haetten ihn verpruegelt und bedroht. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, fuehrt Goetz aus. Das sei auch darauf zurueckzufuehren, dass sein Vormund ihn auf die Anhoerung kaum vorbereitet haette. Der Junge hatte gegen den Asylbescheid klagen wollen, doch die Vormundsperson haette ihm gesagt, "es passiert nichts Schlimmes, wenn man nicht klagt". Eine von dem Jungen selbst eingebrachte Klage habe sie zurueckgezogen, fuehrt Goetz aus. Der Junge wurde noch nicht in die Tuerkei abgeschoben, weil er als Zeuge im Strafverfahren gegen seinen Vormund aussagen soll.
Das Treptower Jugendamt nimmt seit 1995 fuer alle minderjaehrigen Fluechtlinge, die ohne Angehoerige nach Berlin einreisen, die Vormundschaft wahr. Davon versprach sich der Senat kuerzere Aufenthaltszeiten fuer die Fluechtlingskinder. Seitdem hoeren Fluechtlingsrat und AnwaeltInnen immer wieder von aehnlichen Faellen: Die Vormuender betreuen die Muendel unzureichend im Asylverfahren, sie verschicken Asylbescheide viel zu spaet, so dass laengst die Klagefristen abgelaufen sind. Sie weigern sich ausserdem, den Aufenthalt der Kinder und Jugendlichen zu legalisieren, oder verschlafen die ihnen vom Gericht gesetzten Fristen.
Inzwischen regt sich in anderen Jugendaemtern Kritik. Treptow betreibt in den meisten Faellen lediglich die Asylverfahren, waehrend SozialarbeiterInnen aus allen Jugendaemtern fuer die Unterbringung der Jugendlichen zustaendig sind. "Fragen LehrerInnen oder Polizisten einen jungen Fluechtling nach seinem Vormund, so nennen die Fluechtlingskinder mich, weil sie mich im Unterschied zu ihrem Vormund in Treptow kennen", erklaert eine bezirkliche Sozialarbeiterin. Die Frau hat keinerlei Verstaendnis, dass Treptow von allen Berliner Bezirken Geld bekommt "fuer Arbeit, die dort nicht oder schlecht gemacht wird".
Schoenebergs buendnisgruene Jugendstadtraetin Ulrike Herpich-Behrens befuerwortet deshalb, neu ueber die Zentralisierung der Vormundschaften in Treptow nachzudenken.
Marina Mai