Kindeswohlprüfung bei SR auf nicht sorgeberechtigten Vater
Jaeger: Prüfung des Kindeswohls bei Übertragung des Sorgerechts auf den zuvor nach § 1626a II BGB nicht sorgeberechtigten Vater
FPR 2007 Heft 4 101
Prüfung des Kindeswohls bei Übertragung des Sorgerechts auf den zuvor nach § 1626a II BGB nicht sorgeberechtigten Vater*
Vorsitzender Richter am OLG a.D. Wolfgang Jaeger, Düsseldorf
Das BVerfG hat mit dem hier besprochenen Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats eine wichtige Entscheidung zur verfassungsgemäßen Auslegung zweier Vorschriften (§§ 1626a, 1680 II 2 BGB) über die Regelung des Sorgerechts für Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern getroffen. Damit hat das BVerfG seine Rechtsprechung zu diesem Sorgerechtsbereich aus dem Jahre 2003 um eine bedeutsame Entscheidung ergänzt. Es musste erstmals die Frage beurteilen, welche Chancen der nichteheliche, bisher nicht sorgeberechtigte Vater auf die Sorgerechtsübertragung beim Ausfall der Mutter hat. Das BVerfG weist dem Vater für diesen Fall einen Vorrang für die Sorgerechtsübertragung vor Dritten zu, falls er zuvor über einen längeren Zeitraum die elterliche Sorge für das Kind tatsächlich wahrgenommen hat. Der Entscheidung des BVerfG ist sowohl im Ergebnis als auch weitgehend in der Begründung zuzustimmen.
I. Zum Sachverhalt
Zu entscheiden war über das Aufenthaltsbestimmungsrecht (als bedeutsamsten Teil des Sorgerechts) für eine im Jahr 1999 geborene Tochter und einen im Jahr 2001 geborenen Sohn, die beide aus der nichtehelichen Beziehung des Vaters mit der Kindesmutter hervorgegangen sind. Bis zum Frühjahr 2003 betreute der Vater die gemeinsamen Kinder und noch vier weitere Kinder der Mutter, die ebenfalls im gemeinsamen Haushalt aufwuchsen. Zu einer übereinstimmenden Sorgeerklärung gem. § 1626a I Nr. 1 BGB für die beiden gemeinsamen Kinder kam es nicht1. Nach der Trennung der Kindeseltern im Jahr 2003 verblieben (auch) die gemeinsamen Kinder bei der Mutter. Mit Beschluss vom 23. 6. 2004 entzog das FamG durch einstweilige Anordnung der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie weitere Teile der elterlichen Sorge für alle sechs Kinder und übertrug sie dem Jugendamt als Aufenthaltsbestimmungspfleger. Seither leben die beiden Kinder des Vaters in einer Pflegefamilie. Mit der Beschwerde gegen den Beschluss des FamG beantragte der Vater die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für seine Kinder auf sich. Das OLG wies die Beschwerde (gem. § 1680 III und II 2 BGB) zurück: Der Vater sei zwar grundsätzlich in der Lage, die beiden Kinder zu erziehen und zu versorgen. Dennoch sei der Verbleib der Kinder in der Pflegefamilie besser für das Kindeswohl, weil dort bessere Fördermöglichkeiten für die Sprachentwicklung des Sohnes bestünden und der Vater nicht in der Lage sei, die hier erforderliche, besonders qualifizierte Betreuung und Förderung zu leisten. Die gegen den OLG-Beschluss eingelegte Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.
II. Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zu § 1626a BGB und zu Folgebestimmungen
Die volle Bedeutung des jetzigen Beschlusses des BVerfG vom 8. 12. 2005 kann man nicht ermessen, ohne nochmals einen Blick auf seine zu § 1626a BGB ergangenen Entscheidungen des Jahres 2003 zu werfen, denen gegenüber es seinen hier besprochenen Beschluss auch ausdrücklich abgrenzt.
1. Urteil des BVerfG vom 29. 1. 2003
Mit diesem Urteil2 hat das BVerfG die Regelung des § 1626a I Nr. 1 BGB, die die vom Vater begehrte Beteiligung am Sorgerecht, also die gemeinsame elterliche Sorge für sein nichteheliches Kind - außer im Falle einer nachträglichen Heirat der Kindeseltern - von der ausdrücklichen Zustimmung (Sorgeerklärung) der Mutter abhängig macht, als verfassungsgemäß gebilligt: Zwar sei auch der Vater eines nichtehelichen Kindes wie die Mutter Träger des Elternrechts aus Art. 6 II GG. Das bedeute jedoch nicht, dass allen Müttern und Vätern die gleichen Rechte im Verhältnis zu ihrem Kind eingeräumt werden müssten. Das Elternrecht bedürfe der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setze eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus, erfordere ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen und habe sich am Kindeswohl auszurichten. Fehlten die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung, dürfe der Gesetzgeber einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind zuordnen. Bei nicht miteinander verheirateten Kindeseltern sei das die Mutter, die die einzige sichere Bezugsperson des Kindes bei seiner Geburt sei. Da nicht generell vom Bestehen einer sozialen Beziehung zwischen nicht miteinander verheirateten Eltern und ihrem Kind ausgegangen werden könne, sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Begründung der gemeinsamen Sorge erst eines konstitutiven Aktes bedürfe, der dem Vater den Zugang zur Sorgetragung für sein Kind mit der Mutter eröffne. Durch die Möglichkeit, gemeinsam mit der Mutter entsprechende Sorgeerklärungen abzugeben (§ 1626a I Nr. 1 BGB), sei für den Vater ein solcher Zugang geschaffen worden. Insbesondere in denjenigen Fällen, in denen die Eltern mit dem Kind zusammenlebten und beide ihre Kooperationsbereitschaft schon durch gemeinsame tatsächliche Sorge für das Kind zum Ausdruck brächten, dürfe der Gesetzgeber (vorbehaltlich einer künftigen Überprüfung der tatsächlichen Entwicklung) davon ausgehen, dass die Eltern die jetzt bestehende gesetzliche Möglichkeit einer gemeinsamen elterlichen Sorge in der Regel nutzen. Es gebe derzeit keinen Anhaltspunkt für Zweifel, dass mit dieser Regelung dem Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art. 6 II GG nicht hinreichend Rechnung getragen werde. Unter dem Aspekt des Kindeswohls sei es mit Art. 6 II GG auch vereinbar, dass der Gesetzgeber davon abgesehen habe, bei einem Nichtzustandekommen übereinstimmender Sorgeerklärungen eine gerichtliche Einzelfallprüfung zuzulassen. Denn wenn die Gründe des Scheiterns übereinstimmender Sorgeerklärungen dementsprechend schwerwiegend seien, sei nicht zu erwarten, dass die Gerichte eine gemeinsame Sorge der Eltern als dem Kindeswohl dienlich erachteten. Allein die gerichtliche Auseinandersetzung könnte sich zusätzlich zu den sonstigen Konflikten wiederum zum Nachteil des Kindes auswirken.
2. Beschluss des BVerfG (3. Kammer des 1. Senats) vom 23. 4. 2003
In Fortführung dieser Rechtsprechung blieb wenige Monate später die Verfassungsbeschwerde eines Vaters erfolglos, der die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für sein nichteheliches Kind auf sich begehrte. Er hatte nach der Geburt des Kindes (1994) noch vier Jahre lang mit dessen Mutter zusammengelebt. Nach der Trennung beantragte er, ihm die Sorge für das - bei der allein sorgeberechtigten Mutter lebende - Kind zu übertragen. FamG und OLG wiesen den Antrag zurück, weil dem Antrag nach den §§ 1626a II, 1672 I 1 BGB nur mit Zustimmung der Mutter hätte entsprochen werden können (die Voraussetzungen für einen Sorgerechtswechsel nach § 1666 BGB waren unstreitig nicht erfüllt); die Mutter habe jedoch nicht zugestimmt. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde, mit der der Vater die §§ 1626a II, 1672 I 1 BGB als verfassungswidrig rügte, nahm das BVerfG3 erst gar nicht an: Nach der Klärung der entscheidungserheblichen Fragen (zu § 1626a BGB) durch das Urteil vom 29. 1. 2003 habe die Sache keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Auch zur Durchsetzung der vom Vater als verletzt gerügten Verfassungsrechte (aus Art. 6 II 1 GG) sei eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt, denn sie sei unbegründet. Durch das vorgenannte Urteil sei entschieden, dass es nicht gegen das Elternrecht des Vaters nach Art. 6 II GG verstoße, dass das nichteheliche Kind nach § 1626a II BGB zunächst rechtlich allein der Mutter zugeordnet und grundsätzlich ihr die Personensorge übertragen sei. Ein Sorgerechtswechsel könne - anders als die gemeinsame elterliche Sorge - nicht zur Verfestigung der Beziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen beitragen, sondern ersetze die bisherige Sorgetragung eines Elternteils durch die des anderen. Dann aber sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn § 1672 I 1 BGB eine solche Änderung bei nicht nur vorübergehendem Getrenntleben der Eltern an die Zustimmung der Mutter als der gem. § 1626a II BGB bisherigen Sorgerechtsinhaberin binde und § 1672 I 2 BGB außerdem die Voraussetzung normiere, dass die Übertragung der Alleinsorge dem Kindeswohl diene.
III. Die neue Kammerentscheidung des BVerfG vom 8. 12. 2005
1. Die einfachgesetzliche Ausgangslage (§ 1680 II und III BGB)
Fällt ein Elternteil, dem die alleinige elterliche Sorge durch Gerichtsentscheidung (gem. § 1671 oder § 1672 I BGB) übertragen worden war, durch Tod aus, so hat das FamG die elterliche Sorge gem. § 1680 II 1 BGB dem anderen Elternteil zu übertragen, es sei denn, dass dies dem Wohl des Kindes widerspricht. Nach dem Gesetz soll in diesem Fall also nur eine so genannte Negativkontrolle mit Blick auf das Kindeswohl stattfinden. Das bedeutet, dass keine konkrete positive Feststellung darüber getroffen werden muss, dass die Kindeswohlkriterien4 die Übertragung der elterlichen Sorge rechtfertigen. Vielmehr normiert § 1680 II 1 BGB eine Regelzuweisung des Sorgerechts an den überlebenden Elternteil, die nur bei konkret feststellbaren, aus Kriterien des Kindeswohls sich ergebenden Gegengründen zu korrigieren ist5.
Wenn aber die Mutter eines nichtehelichen Kindes, die die alleinige elterliche Sorge seit dessen Geburt mangels beiderseitiger Sorgeerklärungen der Eltern innehatte, stirbt, ist die Gesetzeslage - pointiert formuliert - entgegengesetzt: Das FamG darf die elterliche Sorge dem Vater gem. § 1680 II 2 BGB nur dann übertragen, wenn positiv festgestellt worden ist, dass die Kindesinteressen (im Sinne der Kindeswohlkriterien) die Übertragung gerade auf den Vater rechtfertigen (wenn dies dem Wohl des Kindes dient). Es soll hier, wie aus dem unterschiedlichen Wortlaut des S. 1 und S. 2 des § 1680 I BGB zu schließen ist, keine Regelübertragung zu Gunsten des Vaters geben6. Damit enthält S. 2 des § 1680 II BGB der Sache nach eine deutlich erhöhte Übertragungsschwelle zu Lasten des nichtehelichen, vorher nie sorgeberechtigten Vaters7. Die gleichen Rechtsfolgen gelten für ihn, wenn die Mutter nicht durch Tod, sondern durch den Entzug der elterlichen Sorge ausfällt (§ 1680 III BGB)8. Daran hat sich im Ausgangsverfahren des hier besprochenen BVerfG-Beschlusses das OLG ausgerichtet, als es dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht vorenthielt, weil die Kinder in der Pflegefamilie eine bessere Förderung genössen.
2. Die korrigierende Auslegung des § 1680 II 2 BGB durch das BVerfG
Hier setzt die verfassungsrechtliche Korrektur des BVerfG ein: Das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 II 1 GG gebiete, § 1680 II 2 BGB (auch in seiner entsprechenden Geltung gem. § 1680 III BGB) in einer Weise auszulegen, die der primären Entscheidungszuständigkeit der leiblichen Eltern gerecht werde. Wenn ein nach § 1626a BGB nicht sorgeberechtigter Vater - wie hier - über einen längeren Zeitraum die elterliche Sorge für die Kinder zwar nicht in rechtlicher, aber in tatsächlicher Hinsicht wahrgenommen habe, sei es nach Art. 6 II GG geboten, § 1680 II 2 BGB dahingehend auszulegen, dass eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater regelmäßig dem Kindeswohl diene, solange nicht konkret feststellbare Kindesinteressen der Übertragung widersprächen. Auf einen solchen Vater träfen die Erwägungen der Gesetzesbegründung zur Formulierung des § 1680 II 2 BGB, dass in Fällen ohne Abgabe einer gemeinsamen Sorgeerklärung der Vater vielfach wenig oder gar keinen Kontakt zu seinen nichtehelichen Kindern habe, gerade nicht zu. Vielmehr sei die tatsächlich erfolgte Wahrnehmung elterlicher Verantwortung durch den Vater unter dem Gesichtspunkt einer grundsätzlich vorrangigen Entscheidungszuständigkeit der leiblichen Eltern zu berücksichtigen. Soweit das OLG auf die bessere Förderung der Kinder in der Pflegefamilie abstelle, verkenne es die grundsätzlich vorrangige Erziehungsverantwortlichkeit des Vaters. Hierzu hebt das BVerfG hervor, die Beachtung des Kindeswohls, das zwar in der Beziehung zum Kind die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung darstelle, bedeute dennoch nicht, dass es zur Ausübung des Wächteramtes des Staates nach Art. 6 II 2 GG gehöre, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen. Vielmehr habe das Grundgesetz zunächst den Eltern die primäre Entscheidungszuständigkeit für die Förderung ihrer Kinder zugewiesen. Die von den vorstehenden Erwägungen abweichende Auslegung und Anwendung des § 1680 II 2 BGB durch das OLG verletze das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 II 1 GG.
3. Stellungnahme
Der Sache nach wechselt das BVerfG zumindest für den Fall, dass der nie sorgeberechtigt gewesene Vater über einen längeren Zeitraum die elterliche Sorge für sein nichteheliches Kind in tatsächlicher Hinsicht wahrgenommen hat, den in S. 2 des § 1680 II BGB vorgesehenen Maßstab für die Kindeswohlprüfung (positive Feststellung von Kindeswohlkriterien für die Sorgerechtsübertragung auf den Vater) durch den in S. 1 normierten Maßstab (bloße Negativkontrolle) aus. Damit schließt sich das BVerfG für diese Fallkonstellation der ebenfalls mit Art. 6 II 1 GG begründeten Ansicht von Coester9 an, den es auch ausdrücklich für die Notwendigkeit der dementsprechenden verfassungskonformen Auslegung des § 1680 II 2 BGB zitiert. Während Coester seine Ansicht auch auf das Recht des Kindes auf Sorge durch einen leiblichen Elternteil stützt10, leitet das BVerfG das Gebot der zu einem Vorrang des Vaters führenden verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift nur aus dem Elternrecht des Vaters aus Art. 6 II 1 GG ab. Dieser Ansatz war schon deshalb erforderlich, weil das BVerfG der Verfassungsbeschwerde des Vaters nur auf Grund der Verletzung von Grundrechten eben des Vaters, nicht des Kindes stattgeben konnte.
Nicht überzeugend ist das Argumentieren des BVerfG mit dem Begriff der primären oder vorrangigen Entscheidungszuständigkeit der leiblichen Eltern in einer Fallsituation, in der die Mutter infolge des Entzugs der elterlichen Sorge oder des hier maßgeblichen Aufenthaltsbestimmungsrechts keine Entscheidungskompetenz mehr hat und der Vater, der die Sorgerechtskompetenz durch das von ihm angestrengte Verfahren erst erlangen will, noch keine Entscheidungszuständigkeit hat. Das Elternrecht des Vaters rechtfertigt und gebietet für sich allein die vom BVerfG vorgenommene verfassungskonforme Auslegung des § 1680 II 2 BGB. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Nicht nur die Mutter, sondern auch der Vater eines nichtehelichen Kindes ist (sobald die Vaterschaft rechtlich feststeht, § 1592 Nr. 2 und Nr. 3 BGB) originärer Träger des Elternrechts11. Das Elternrecht ist ein Grundrecht (Art. 6 II 1 GG), das jedem Elternteil einzeln zusteht, aber mit dem gleichwertigen Recht des anderen Elternteils korrespondiert. Mit dem Elternrecht ist von vornherein als dessen wesensbestimmender Bestandteil das Recht und die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes verbunden12. Der Schutz des Elternrechts nach Art. 6 II GG, der Mutter und Vater gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann13. Das Elternrecht bedarf allerdings der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber, unter anderem deshalb, weil seine gemeinsame Ausübung ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Eltern erfordert. Die Wahrnehmung des Elternrechts muss am Kindeswohl ausgerichtet sein. Es obliegt daher dem Gesetzgeber, den einzelnen Elternteilen bestimmte Rechte und Pflichten zuzuordnen, wenn die Voraussetzungen für eine gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung fehlen. Bei der Ausgestaltung der Rechte von Vätern nichtehelicher Kinder darf er auch dem Umstand Rechnung tragen, dass nicht generell vom Bestehen einer sozialen Beziehung auszugehen ist, und berücksichtigen, ob der Vater Interesse an der Entwicklung seines nichtehelichen Kindes zeigt14. Im Verhältnis der Eltern zueinander mit gleichwertigen Elternrechten kann nur das Kindeswohl einen Eingriff in das Elternrecht des jeweils benachteiligten Elternteils rechtfertigen15. Im Verhältnis eines Elternteils zu Dritten ist zu beachten, dass für die leiblichen Eltern die Trennung von ihrem Kind der stärkste vorstellbare Eingriff darstellt, der nur bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist16.
Nach diesen gesicherten verfassungsrechtlichen Erkenntnissen sind das Recht des Vaters zur Pflege und Erziehung seines nichtehelichen Kindes und der dementsprechende Schutzanspruch aus Art. 6 II 1 GG nach dem sorgerechtlichen Ausfall der Mutter voll erstarkt und unterliegen keinen Beschränkungen mehr, außer dem Kindeswohl. Zur Wahrung des Kindeswohls reicht eine Negativkontrolle i.S. des § 1680 II 1 BGB aus. Das gebietet der Respekt vor dem grundrechtlich geschützten Elternrecht des Vaters. Der strengere Maßstab des § 1680 II 2 BGB führt zu einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung nichtehelicher Väter. Würde man es - wie es das OLG im Ausgangsverfahren nach dem Maßstab des § 1680 II 2 BGB für richtig gehalten hat - zulassen, dass einem grundsätzlich erziehungsgeeigneten nichtehelichen Vater nach dem Ausfall der Mutter die elterliche Sorge deshalb vorenthalten wird, weil Dritte unter dem Förderaspekt voraussichtlich eine optimalere Entwicklung des Kindes gewährleisten, was bei einem alleinstehenden ehelichen Vater niemals ein Grund für eine Sorgerechtsintervention des Staates sein könnte, so bedeutete dies im Ergebnis, dass dem nichtehelichen Vater nur ein Elternrecht zweiter Klasse zustünde. Das widerspricht jedoch dem Grundgesetz, vor allem Art. 6 II 1 GG, aber auch Art. 6 III und V sowie Art. 3 I GG. Das Elternrecht des nichtehelichen Vaters kann nur in der Konkurrenz mit einem in Kraft stehenden Sorgerecht der Mutter zurückgesetzt werden (s.o. II); nach dem sorgerechtlichen Ausfall der Mutter ist es jedoch dem Elternrecht alleinstehender ehelicher Elternteile gleichwertig und muss auch so behandelt werden. Etwaige Zweifel, ob der nichteheliche Vater wirklich Interesse an der Entwicklung seines Kindes hat, werden indiziell schon durch seinen Sorgerechtsantrag widerlegt und können im Übrigen hinreichend bei der Negativkontrolle (s.o.) überprüft werden.
IV. Schlussbemerkung
Wenn nur das grundrechtlich geschützte Elternrecht des nichtehelichen Vaters als der maßgebliche Grund für die korrigierende, verfassungskonforme Auslegung des § 1680 II 2 BGB anzusehen ist (s.o. III 3), ist es fragwürdig, diese Auslegung davon abhängig zu machen, dass der Vater zuvor über einen längeren Zeitraum die elterliche Sorge für sein Kind in tatsächlicher Hinsicht wahrgenommen hat. Denn das Elternrecht ist in seinem Bestand und - nach sorgerechtlichem Ausfall der Mutter - in seiner Stärke von dieser Voraussetzung unabhängig. Die Voraussetzung sollte daher fallen gelassen werden17. Das hätte auch den Vorteil, dass es im konkreten Einzelfall nicht darauf ankommt, was ein längerer Zeitraum ist und ob es schädlich ist, wenn nach der tatsächlichen Wahrnehmung elterlicher Sorge bis zum späteren Sorgerechtsantrag wiederum ein langer Zeitraum verstrichen ist. Freilich wird die Negativkontrolle (s.o.) ohne jene Voraussetzung im konkreten Einzelfall tendenziell etwas intensiver ausfallen müssen.
*Besprechung von BVerfG, Beschl. v. 8. 12. 2005 - 1 BvR 364/05, NJW 2006, 1723. - Der Autor ist Vorsitzender Richter am OLG Düsseldorf a.D.
1Die Gründe für das Unterlassen der übereinstimmenden Sorgeerklärungen werden in der Entscheidung des BVerfG nicht mitgeteilt; vgl. den Beschlussabdruck in NJW 2006, 1723 = FamRZ 2006, 385.
2BVerfGE 107, 150 = FPR 2003, 205 = NJW 2003, 955 = FamRZ 2003, 285.
3FamRZ 2003, 1447 = BeckRS 2003, 22318, m. abl. Anm. von Coester, FamRZ 2004, 87.
4Vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, EheR, 4. Aufl. (2003), § 1671 BGB Rdnrn. 45ff.m.w. Nachw.
5Staudinger/Coester, BGB, 2004, § 1680 Rdnrn. 7, 14.
6Vgl. zu diesem Regelungskonzept des § 1680 II BGB (vor einer Kontrolle gem. Art. 6 II 1 GG) Staudinger/Coester (o. Fußn. 5), § 1680 Rdnr. 14.
7Staudinger/Coester (o. Fußn. 5), § 1680 Rdnr. 5.
8Die Auswirkung des Entzugs der Alleinsorge, die einem Elternteil durch Gerichtsentscheidung gem. § 1671 oder § 1672 I BGB übertragen worden war, auf den anderen Ehegatten ist seit dem 1. 7. 1998 in § 1680 BGB (Änderung durch das KindRG) nicht mehr geregelt, sondern soll sich nach Ansicht der Gesetzesverfasser nach § 1696 I BGB richten (BT-Dr 13/4899, S. 103).
9Staudinger/Coester (o. Fußn. 5), § 1680 Rdnrn. 14, 21.
10Staudinger/Coester (o. Fußn. 5), § 1680 Rdnr. 14.
11BVerfG, NJW 1995, 2155 (2156).
12BVerfG, FPR 2003, 471 m. Anm. Rakete-Dombek = NJW 2003, 2151 = FamRZ 2003, 816 (819).
13BVerfG, FPR 2003, 205 = NJW 2003, 955 = FamRZ 2003, 285 (288).
14BVerfG, NJW 1995, 2155 (2156).
15BVerfG, NJW 1999, 631 (634).
16BVerfG, NJW 2006, 1723 m.w. Nachw.
17Das entspricht der Ansicht von Staudinger/Coester (o. Fußn. 5), § 1680 Rdnrn. 14, 21.