Maskulinismus und die Entstehung des Wohlfahrtsstaates in Schweden und Deutschland
KULAWIK, Teresa (2001): Maskulinismus und die Entstehung des Wohlfahrtsstaates in Schweden und Deutschland, in: KREISKY, Eva; LANG, Sabine; SAUER, Birgit (Hrsg.)(2001): EU. Geschlecht. Staat, Wien: WUV, S. 137-154.
Maskulinismus und die Entstehung des Wohlfahrtsstaates in Schweden und Deutschland
Teresa Kulawik
Einführung: Geschlecht und vergleichende Wohlfahrtsstaatsanalyse
Die vergleichende Analyse des Wohlfahrtsstaates gehört in den neunziger Jahren zu einem schnell expandierenden Forschungsfeld feministischer Wissenschaft1. Dabei haben sich inzwischen durchaus unterschiedliche theoretische Ansätze und epistemologische Herangehensweisen entwickelt (vgl. Orloff 1996; Kulawik 1996, 1998a). Trotz dieser Vielfalt ist es - so möchte ich behaupten - bislang nur in Ansätzen gelungen, Geschlecht als machtpolitische Kategorie zu konzeptualisieren. In Untersuchungen aktueller Politik ist eine Sicht vorherrschend, die sich mit geschlechterdifferenten Policy-Inhalten und ihren Auswirkungen auf Frauen befaßt. Bei historischen Betrachtungen steht wiederum die Handlungsfähigkeit der Frauenbewegung und ihr Einfluß auf die nationale Politikgestaltung im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses.
Die hieraus resultierende Verengung der Kategorie Geschlecht wird gerade an einer so anspruchsvollen Studie deutlich, wie sie von Theda Skocpol (1992) vorgelegt wurde. Ihre Untersuchung, die sowohl die Arbeiterversicherungspolitik in den USA analysiert wie auch sozialpolitische Maßnahmen, die an Frauen und Mütter gerichtet sind, ist durch einen auffälligen Dualismus gekennzeichnet. Die Thematisierung von »Geschlecht« bleibt dem Teil der Studie vorbehalten, der sich mit den maternalistischen Politiken beschäftigt. Damit korrespondiert, daß weder die klassenmäßig verankerten Akteure im Kampf um die Arbeiterversicherung noch die im Skocpolschen Analyserahmen so wichtigen Institutionen ein Geschlecht haben (vgl. dazu Kulawik 1998a: 296ff; Gordon 1993). Jane Lewis, die in einer kritischen Auseinandersetzung mit Skocpols Arbeit den gestalterischen Einfluß der Frauenbewegung auf die frühe Sozialpolitik infragestellt, verneint schlicht die Relevanz von Geschlecht und schreibt die Entstehung und Entwicklung des Wohlfahrtsstaates in erster Linie klassenmäßigen und das heißt für sie »geschlechtslosen« Konstellationen zu (vgl. Lewis 1992, 1994).
Dieser Artikel versucht, über die hier skizzierten Grenzen geschlechtersensibler Analysen hinauszugelangen, indem er der Frage nachgeht, inwieweit maskuline Identitäten und Interessen als Bestandteil der Formierung und Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten begriffen werden können. Läßt sich, so die weiterführende Frage, der jeweiligen nationalen Ausprägung von Maskulinität gar eine kausale Bedeutung bei der Hervorbringung unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatstypen zuschreiben? Obwohl Maskulinität inzwischen ein vielfach erörterter Topos ist, beziehen sich empirisch-historische Betrachtungen bislang vor allem auf die Konstruktion von Männlichkeit und ihre Verschränkung mit Klasse (McClelland 1996; Frevert 1995). Die nationale Spezifik dieser Konstruktionen und ihre strukturierende politische Kraft sind in systematischen Vergleichen bislang jedoch nicht untersucht worden 2.
Schweden und Deutschland, die beiden Länder mit denen ich mich hier beschäftigen werde, spielen in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung eine prominente Rolle. In den Typologien, die sich auf die Ausgestaltung von Sozialpolitik inbesondere in den siebziger Jahren beziehen, wird Schweden als sozialdemokratisch universalistiscb.es und Deutschland als konservativ berufsständisches Regime klassifiziert (vgl. Esping-Ander-sen 1990). Von einem geschlechterkritischen Standpunkt aus füngiert Deutschland als Vertreter eines starken Ernährermodells, während Schweden als Prototyp eines schwachen Ernährermodells angesehen wird (vgl. :Ostner 1995). Trotz der herausragenden Bedeutung der beiden Länder für die Entstehung und Entwicklung von Wohlfahrtsstaaten existieren bislang kaum geschlechtersensible Forschungen über die formative Phase vor dem ersten Weltkrieg. Eine Ausnahme bildet der Arbeiterinnenschutz, zu dem inzwischen einige Arbeiten vorliegen, die zugleich Teil einer breiteren auch vergleichenden Debatte über Arbeiterinnenschutzgesetze sind!(vgl. Braun 1993; Schmitt 1995; Canning 1996; Karlsson 1995). Diese Studien verdeutlichen, daß Geschlechtlichkeit ein zentrales diskursives Feld darstellte, auf dem den Pathologien und Gefahren der industriell-kapitalistischen Transformation Bedeutung verliehen wurde. Allerdings reflektieren diese Untersuchungen die jeweilige Länderspezifik nicht, so daß auch keine Überlegungen über bestimmte Wirkungszusammenhänge und systematische Erklärungen nationaler Unterschiede angestellt werden. Eine vergleichende Bestandsaufnahme zeigt allerdings erhebliche Unterschiede in der Vergeschlechtlichung des Arbeitsschutzes. So gab es Länder, die eine starke Geschlechterteilung aufwiesen und gesetzliche Arbeitsschutzbestimmungen ausschließlich auf Frauen beschränkten, beispielsweise die USA und Großbritannien. Andere tendierten, trotz einiger geschlechtsspezifischer Bestimmungen, zu universalistischen Regelungen, wie die skandinavischen Staaten. Eine dritte Gruppe wiederum verfügte zwar über einen geschlechterpartikularen Frauenschutz, verabschiedete aber später auch Regelungen für Männer, darunter Deutschland (vgl. die Beiträge in Wikander u.a. 1995)3.
Ein Vergleich zwischen Schweden und Deutschland verspricht deshalb einen besonderen Erkenntnisgewinn. Denn einerseits handelt es sich dabei um zwei Länder, die sozialhistorisch gesehen, vielfältige Gemeinsamkeiten aufweisen: späte und schnelle Industrialisierung, die Tradition eines starken Staates, schwaches Bürgertum sowie eine frühe politische Mobilisierung der Arbeiterbewegung. Zugleich haben sie jedoch äußert divergierende sozialpolitische Lösungen hervorgebracht. Dies gilt nicht nur für die Ein-kommenssicherungssysteme - auf die sich die oben genannten Typologien vorrangig beziehen -, sondern eben auch für den Arbeitsschutz. Deutschland führte 1878 eine staatliche Fabrikinspektion zusammen mit ersten frauenspezifischen Arbeitsschutzbestimmungen ein. Mit der Gewerbereform von 1891 verfügte es über eine Dichte an geschlechterpartikularen Arbeitsschutzregelungen - u.a. Arbeitsverbot für Wöchnerinnen, Maximalarbeitstag und Nachtarbeitsverbot für Frauen, Trennung der Geschlechter am Arbeitsplatz -, die Schweden nie erreichen sollte. So enthielt das erste schwedische Arbeitsschutzgesetz von 1.889, mit dem die Fabrikinspektion eingeführt wurde, keinerlei geschlechtsspezifische Bestimmungen. Die erste frauenspezifische Regelung wurde 1900 mit einem Arbeitsverbot für Wöchnerinnen verfügt. Im Jahre 1909 folgte ein - äußerst umstrittenes - Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen. Der Maximalarbeitstag wurde im Jahr 1918 jedoch für Männer und Frauen gemeinsam eingeführt.
Wie ließe sich nun erklären, daß der Arbeitschutz in Deutschland von Anfang an vergeschlechtlicht reguliert wurde und in Schweden nicht? Besonders »nahliegenden« Erklärungen soll hier vorweg widersprochen werden. Versuche, wie sie von der schwedischen Sozialhistorikerin Lena Sommestad (1995) unternommen wurden, die weniger vergeschlechtliche Sozialpolitik Schwedens z.B. auf die Traditionen agrarischer Wirtschaftsweise und geringerer Industrialisierung zurückzuführen, halte ich für sehr verkürzt (vgl. dazu auch Kulawik 1998a: 302f.). So vermag die darin angelegte Linearität nicht zu erklären, warum Schweden bei fortgeschrittenem Industrialisierungsgrad nicht die gleiche Dichte geschlechterpartikularer Regelungen innerhalb des Arbeitsschutzes entwickelte wie Deutschland.
Wenn Länder sich nicht nur in der Vielfalt der Regelungen gegenüber Frauen unterscheiden, sondern auch darin, ob und wie Männer in diese Regelungen einbezogen werden, dann liegt in dieser Männerfrage ein wichtiges Erkenntnispotential für die Erklärung von Unterschieden zwischen Ländern. Hinsichtlich der epistemologischen Herangehensweise schlage ich vor, das Zusammenspiel von ökonomischen Entwicklungen, politischen Konstellationen und diskursiven Interpretationen zu untersuchen (dazu eingehend Kulawik 1999). Ich gehe davon aus, daß die jeweilige nationale Konfiguration von Klassenformierung und Staatsbildung sehr unterschiedliche Vergeschlechtlichungs-prozesse hervorbrachte. Solche Vergeschlechtlichungsprozesse werden im folgenden nicht primär frauenspezifisch, sondern männerspezifisch analysiert. Dabei unterscheide ich zwei Untersuchungsebenen, nämlich die diskursiv artikulierte Männlichkeit innerhalb des Policyprozesses selbst und die sedimentierte Männlichkeit der institutioneilen Entwicklungen. Zu fragen ist damit sowohl, ob sich die politisch-institutionellen Entwicklungen in Schweden und Deutschland in der Privilegierung von Maskulinität unterscheiden, als auch, ob und wie die beiden Länder hinsichtlich der Deutungsmuster divergieren. Im Blickpunkt steht dabei nicht die Beschreibung von Männlichkeit oder ihre gelebte Wirklichkeit, sondern die Bedeutungsreferenzen und die Positionierung von Maskulinität im Kontext von Staatsbürgerschaft und sozialen Rechten innerhalb des politischen Entscheidungsprozesses.
Deutschland: ein rigider Maskulinismus
Die politisch-institutionellen Kräfteverhältnisse: zwischen staatlicher Repression und maskulinem Korporativismus
Der Weg Deutschlands in die Moderne zeichnet sich durch zahlreiche, in der Forschung vielfach debattierte Friktionen aus, die hier nicht eingehend erörtert werden können. Einige mir bedeutsam erscheinende Charakteristika des Staats- und Klassenbildungs-prozesses sollen kurz benannt werden. Trotz der gängigen Apostrophierung Schwedens und Deutschlands als »starke Staaten« unterscheiden sich beide Länder erheblich in ihrer Staatsstruktur und der Verfaßtheit des Gesetzgebungsprozesses. Die konstitutionelle Zähmung der abolutistischen Monarchie erfolgte in Deutschland, namentlich im hegemonischen Preußen, später als in Schweden, nämlich erst nach der gescheiterten Revolution von 1848. Trotz der damit errungenen Rechtsstaatlichkeit zeichneten sich die deutschen Länder, insbesondere Preußen durch ein hohes Maß an Repression aus. Die politische Öffentlichkeit war zahlreichen staatlichen Regularien unterworfen: Koalitionverbote, Einschränkungen der Vereins- und Versammlungsfreiheit, eine weitreichende Zensur begrenzte die Presse- und Meinungsfreiheit. Die meisten dieser Bestimmungen wurden in den sechziger Jahren, spätestens aber mit der Reichsgründung von 1871 gelockert oder auch gänzlich aufgehoben - so das generelle Koalitionsverbot -, aber die Repression blieb. Sie wurde zunächst »feminisiert«. Denn fortan galt das Verbot, sich politisch zu betätigen nur für Frauen, unter dem Sozialistengesetz von 1878 jedoch auch für die Arbeiterklasse. Eine nationale Repräsentation wurde mit der Reichsgründung auf der Basis eines allgemeinen Männerwahlrechts zwar etabliert, aber die Befugnisse des Reichstages waren beschränkt.
Diese institutionelle Struktur blieb selbstverständlich nicht ohne Einfluß auf die Klassenbildungsprozesse. Gerade im Hinblick auf das Bürgertum und seine angebliche Schwäche ist dies vielfach diskutiert worden. Demnach sei es ihm nicht gelungen, die alte Macht des Adels und des monarchistischen Staates zu brechen. Als Folge davon sei das Bürgertum selbst quasi feudalisiert worden (vgl. Wehler 1988)4. Im Vergleich zu Schweden ist die Schwäche des Bürgertums jedoch keine deutsche Spezifik. Eine Besonderheit besteht dagegen in der Verschränkung des bürgerlichen Klassenbildungsprozesses mit der Nationalbewegung und späteren Nationalstaatsgründung. Die deutsche Nationalbewegung stützte sich bereits seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts auf ein Konzept wehrhafter Männlichkeit, deren Ideal, so Dietmar Klenke (1995: 397), »das Tugendbild des >deutschen Mannes< im Sinne eines tatkräftigen, dem nationalen Kollektiv treu ergebenen Kriegers« war. Dieses kriegerische Mannhaftigkeitsideal erhielt seinen prägenden Einfluß durch eine tief in der lebensweltlichen Praxis verankerte Vereinskultur, die nach einem rein männerbündischen Prinzip organisiert war. Die politische Bedeutung dieser nationalbewegten Sänger-, Schützen- und Turnervereine resultierte zudem daraus, daß diese in der Reaktionszeit als Ersatz für politische Parteien fungierten (vgl. ebd.: 411).
Diese Maskulinisierung der bürgerlichen Klassenidentität ging mit extremen Schließungsstrategien gegenüber Frauen einher, die nicht zuletzt deshalb so wirksam waren, weil sie sich zugleich auf staatliche Intervention stützen konnten. So wurden im Kontext der reaktionären Politik nach 1848 vertragsrechtliche Öffnungen des Familienrechts zurückgenommen. Das Eheverhältnis wurde auf der Basis der Unterhaltsverpflichtung und der besonderen Schutzbedürftigkeit der Ehefrau »modernisiert« und als Ernährermodell rechtlich kodiert (dazu Gerhard 1978: 184ff.; Harms-Ziegler 1991: 269ff.) Der Subjektstatus wurde Frauen nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Recht vorenthalten. Dies galt in der Frage der politischen Organisierung von Frauen, im Zugang zum Staatsdienst wie zum Universitätsstudium, von dem Frauen in Preußen bis nach der Jahrhundertwende ausgeschlossen blieben.
In der Lehrerinnenfrage kommt die seltsame Verquickung von Militarismus, Mannhaftigkeit und Emanzipation in der Identität des liberalen Bürgertums beispielhaft zum Ausdruck. Vermochten sich die Liberalen noch zu Fürsprechern von Frauenrechten zu machen, wenn es um »einfache« Erwerbsinteressen bürgerlicher Frauen ging (vgl. Nienhaus 1995: 48), so versagten sie, wenn sie angeblich »höhere«, d.h. vornehmlich nationale Interessen auf dem Spiel stehen sahen. Sie zählten zu den Hauptgegnern der Einstellung von Lehrerinnen in öffentlichen Schulen, da sie befürchteten, daß eine »Verweiblichung« zu einer »Verweichlichung« (nach Stodolsky 1993: 177) führen würde. Im »Konkurrenzkampf mit den Weltmächten« seien aber »vor allem männliche Qualitäten - Mut, Entschlossenheit, eiserne Konsequenz, gesteigerte Intelligenz« gefragt (ebd.: 175).
Der maskuline Selbstbehauptungshabitus spielte auch in der proletarischen Klassenbildung eine zentrale Rolle. Er drückte sich in der Forderung nach Verbot der Frauenerwerbstätigkeit aus sowie in der, teilweise bis in das zwanzigste Jahrhundert wirksamen Weigerung, Frauen in gewerkschaftliche Organisationen aufzunehmen. Die Haltung der frühen Arbeiterbewegung gegenüber der Frauenarbeit wurde in der Malestream-Forschung auf »zünftlerisch-vorindustrielle Bewußtseinsrelikte« (Engelhardt 1977: 636) zurückgeführt. Meines Erachtens wirken diese Bewußtseinsrelikte in Deutschland deshalb so stark, weil sie sich auch auf staatlich sanktionierte Institutionen stützen konnten. Dazu zählt die Neugründung quasi-ständischer und doch durchaus moderner korporativer Institutionen um die Mitte des 19. Jahrhunderts in solchen Teilen Deutschlands, in denen die Gewerbefreiheit ständische Beschränkungen bereits abgeschafft hatte (vgl. Volkmann 1968: 39ff.; Kiesewetter 1989: 54ff.). Die mit den Innungen und der Meisterkompetenz geschaffenen exklusiv-männlichen Korporationen verwehrten Frauen nicht nur den Zugang zu beruflicher Ausbildung und qualifizierter Arbeit. Hierdurch wurden auch politische Identitäten konstruiert, deren Bedeutung für die Formierung der Arbeiterbewegung in Deutschland daran ersichtlich wird, daß selbst Berufsgruppen, die keine Zunfttraditionen hatten, z.B. Zigarren- und Tabakarbeiter, besonders bestrebt waren, sich eine zunftähnliche, korporative Verfaßtheit zu geben (vgl. Schönhoven 1987: 21f.; Kocka 1990).
Dieser moderne Korporativismus erstreckte sich lange vor den Arbeiterversicherungsgesetzen der 1880er Jahre auch in den sozialpolitischen Bereich. In Deutschland wurden die traditionalen Fürsorgeverpflichtungen seit 1794 sukzessive aufgelöst. Die wachsende Zahl von Gesellen, die durch die kommunale Fürsorge versorgt werden mußten, führte schließlich dazu, daß die Gewerbeordnung von 1845 den Gemeinden das Recht gab, Gesellen und später auch Fabrikarbeiter zum Beitritt in eine Krankenkasse zu zwingen (vgl. Frevert 1984: 163). Mit diesem berufsständischen Korporativismus wurde - zunächst auf kommunaler Ebene - ein Maskulinismus in die modernen sozialpolitischen Institutionen eingeschrieben, der in der Bismarckschen Arbeiterversicherungspolitik lediglich staatlich fortgeschrieben wurde (dazu Kulawik 1999).
Die Policy-Agenda: die Potenz des Staates und die Stärke der Männer
Eine Debatte über die soziale Frage wurde in Deutschland, wenn auch mit unterschiedlichen Konjunkturen, seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts geführt. Mit der Reichsgründung erhielt die soziale Frage jedoch eine besondere Dringlichkeit: Sie wurde zur Angelegenheit der inneren Staatsbildung und der immerfort bedroht erscheinenden nationalen Einheit.
Der 1872 gegründete Verein für Sozialpolitik spielte hierbei eine eminent wichtige Rolle für die Etablierung eines öffentlichen Diskurses über die soziale Frage und die Notwendigkeit staatlicher Intervention. In seiner Themenwahl, seiner politischen Ausrichtung und Mitgliederstruktur repräsentierte er darüber hinaus eine spezifisch deutsche Konstellation, die sich erheblich von der schwedischen unterschied. Die bürgerliche Sozialreform in Deutschland speiste sich nicht aus demokratischen Traditionen. Nach Ansicht Schmollers, des langjährigen Vorsitzenden des Vereins war der Staat nicht nur die »Herzkammer aller Institutionen«, sondern auch männlich. Kritikern eines starken Staates warf er vor, mit »Kastratenstimme« zu sprechen und dabei »ihre eigene Impotenz mit der des Staates« (Schmoller 1904: 259) zu verwechseln.
Nicht zuletzt der maskulinen Schließung der Öffentlichkeit und der bürgerlichen Sozialreform verdankt sich in Deutschland die so frühzeitige Verengung der allgemeinen Armutsfrage auf die Arbeiterfrage, die jedoch zugleich in eine Frauenfrage umformuliert wurde. Beide »Fragen« erfuhren damit einen folgenreichen Bedeutungswandel. Nicht das asymmetrische Verhältnis und der Mangel an Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern wurde nun als Frauenfrage thematisiert, sondern das Problem Frauenarbeit. Im Kontext des Arbeitsschutzes wurde nun seinerseits das eigentliche Problem in der industriellen Frauenarbeit und nicht in den Bedingungen der kapitalistisch-industriellen Produktion verortet.
Grundlegend hierfür war zunächst eine politische Differenzierung zwischen den Geschlechtern. Demnach bedürften Frauen eines besonderen, d.h. auch vorrangig staatlichen Schutzes, weil sie sich nicht selbst zu schützen vermögen. Die Begründungen schwankten zwischen der angeblichen Unfähigkeit der Frauen, sich zu organisieren, und dem offenen Bekenntnis, daß ihre Koalitionsfähigkeit schlicht unerwünscht sei. Auf der Gründungsversammlung des Vereins für Sozialpolitik erklärte Lujo Brentano in seinem Referat zur Fabrikgesetzgebung, daß staatliche Intervention zugunsten männlicher Arbeiter nicht angebracht, ja geradezu gefährlich sei. Denn nur wenn diese sich kürzere Arbeitszeiten mittels Koalition verschafften, würden sie zu größerer Selbständigkeit und Freiheit herangezogen. Bei Arbeiterinnen ziele jedoch gerade die staatliche Regulierung auf die »Befreiung der Frau«. Erst der staatliche Schutz ermögliche es ihnen, ihre Dispositionsfreiheit zu wahren, da sie aufgrund ihrer »natürlichen Schwäche« in physischer, geistiger und emotionaler Hinsicht nicht in der Lage seien, im Kampf ums Dasein zu bestehen (Verhandlungen der Eisenacher Versammlung 1873: 18).
Zwar wurde den männlichen Proletariern der volle Staatsbürgerstatus vorenthalten, aber sie waren immerhin als Rechtssubjekte anerkannt. Frauen wurden dagegen als Repräsentantinnen der Sittlichkeit zum Mittel der »sittlichen Hebung« des männlichen Arbeiters degradiert. Dies ist der Kern der sittlich umformulierten Arbeiterfrage: Nicht die wirtschaftliche Ausbeutung, sondern der Mangel an häuslichen Tugenden wurde als das soziale Problem herausgestellt (so Schönberg 1872: 8).
Dieses Konzept der Sittlichkeit wurde durchaus von der deutschen Arbeiterbewegung geteilt. Auch sie forderte neben dem Normalarbeitstag, dem Verbot der Sonntagsarbeit und Schutzgesetzen für Leben und Gesundheit ein »Verbot der Kinderarbeit und aller die Gesundheit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit« (Protokolle der sozialdemokratischen 1971: 52 [Gotha 1875]). Der Sittlichkeitsbegriff verwies hier explizit auf die Ehre von Männern, die sich durch die Gleichheit des Kapitalismus, der Gefahr ausgesetzt sahen, sozial entmannt zu werden (zit. n. Engelhardt 1977: 278). Führten die bürgerlichen und konfessionellen Sozialreformer den Kampf gegen Frauenarbeit zugleich als Kampf gegen die Sozialdemokratie, so sah die Arbeiterbewegung darin einen Kampf gegen Kapitalismus (vgl. Protokolle und Materialien des Allgemeinen 1980: 82 [Berlin 1867]).
Diese Interpretationen demonstrieren, daß es gerade nicht die Eindeutigkeit von Geschlecht ist, die der Kategorie ihre strukturierende Bedeutung und Funktionalität verleiht, sondern eine gewisse Beliebigkeit, die Geschlecht zum Signifikator von vielfältigen sozialen Grenzziehungen erhebt. In einer Situation, in der mit der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts gleichsam alle Grenzen niedergerissen zu werden drohten, war für das deutsche Bürgertum die Aufrechterhaltung der Ungleichheit der Geschlechter das sine qua non einer bürgerlichen Ordnung. Geschlecht war der »letzte Außenposten« (Vogel 1988: 436) unkontrollierbarer Gleichheitsbestrebungen. Unter anderen Vorzeichen zwar, gilt Ähnliches für die Arbeiterbewegung. In den Reichstagsdebatten gestehen sozialdemokratische Abgeordnete durchaus ein, daß das Insistieren auf der gesetzlichen Beschränkung der Frauenarbeit Resultat der eingeschränkten Koalitionsfreiheit ist (RT Protokolle 7/1, 11. Juni 1887: 850 [Singer]). Unter den Bedingungen der so schmerzhaft empfundenen, eingeschränkten Souveränität der Arbeiter-Männer erhielt die geschlechterhierarchische »Binnendifferenzierung« eine zentrale Bedeutung. Dabei stützte man sich neben der Sittlichkeit zunehmend auf einen medizinischen Deutungshorizont, in dem umstandslos von der körperlichen Differenz auf die größere Schädigung des weiblichen Körpers durch industrielle Arbeit und zugleich auf die politische »Schwäche« der Frauen geschlossen wurde. Insbesondere Linksliberale, wie der Führer der liberalen Gewerkvereine, Max Hirsch bedienten sich dieser Argumentationsstrategie (vgl. RT Protokolle 3/2, 4. März 1878: 304).
Eine dritte und wiederum verwandte Variante der Argumentation entwickelte der in Deutschland aufgrund seiner Schlüsselstellung im Parteiensystem so wichtige politische Katholizismus. War der Familialismus für alle politischen Akteure in Deutschland bedeutsam, so stellte er innerhalb des katholischen Weltbildes gleichsam das Herzstück dar. Er bildete die Grundlage, auf der der Katholizismus als klassenübergreifende Kraft eine politische Identität herauszubilden vermochte. Dabei fungierte die Familie als Vermittlungsinstanz der widersprüchlichen Positionierung des Katholizismus zwischen christlich-ständischen Gesellschaftsentwürfen und moderner Staatlichkeit. Und doch ging es bei der Strategie des »Schutzes der Familie durch Beschränkung der Frauenarbeit« um die Schaffung einer neuen, durchaus modernen Ordnung, deren Grundlage nicht ständisch, sondern geschlechtsspezifisch war. Ein zentrales Anliegen war dabei die Herstellung adäquater Männlichkeit: Ein »ganzer Mann« finde seinen »Stolz« darin, daß er »mit der Kraft seiner Arme seinem Weibe (...) ein sorgenloses Dasein erkämpft« (Die Beschäftigung verheirateter Frauen in der Fabrik 1884: 2f.).
Unablässig brachte das Zentrum in den achtziger Jahren Anträge in den Reichstag ein, die ein Verbot oder zumindest eine Beschränkung der Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen sowie die Trennung der Geschlechter anvisierten. Als »das berühmte Rennen um den armen Mann« bezeichnete der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Grillenberger (RT Protokolle 6/1, 3. Bd., 11. März 1885: 1732.) die Antragsflut im Reichstag. Die entscheidende Konfliktlinie im Reichstag verlief entlang der Frage, welcher »Schaden« überwog: derjenige, der den Unternehmern durch eingeschränkte Verfügung über Frauenarbeit erwuchs, oder derjenige, den die sogenannte weibliche Schmutzkonkurrenz Arbeiter-Männern zufügte (vgl. Kulawik 1999).
Das a priori des Geschlechts für die Arbeitsschutzgesetzgebung hat sich in den achtziger Jahren soweit durchgesetzt, daß es in den Verhandlungen über die Gewerbeordnungsnovelle im Jahre 1891 keine prinzipiellen Differenzen über die Berechtigung der entsprechenden Bestimmungen gab (vgl. auch Schmitt 1995: 98ff; Braun 1993: 124ff.). Die einzelnen Argumente hatten sich zu einem Referenzsystem zusammengefügt, in dem körperliche Merkmale als soziale Platzanweiser in der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung und als politische Statuszuweisungen dienten. In der Gestaltung der Geschlechterverhältnisse wurde mit der Gewerbeordnungsnovelle für Männer und Frauen eine gegenläufige Entwicklung als Startschuß in den Wohlfahrtsstaat normiert. Frauen wurden aufgrund ihrer angeblichen »Eigenart« in körperlicher, sittlicher und politischer Hinsicht, also qua Geschlecht, zu Objekten staatlicher Regulierung gemacht. Für Arbeiter-Männer brachte das Gesetz, trotz der in ihm enthaltenen repressiven Bestimmungen, eine Bestätigung ihres Subjektstatus. Mit den Arbeiterausschüssen und dem Anhörungsrecht hinsichtlich der Arbeitsordnungen beinhaltete das Gesetz »Spurenelemente« (Hentschel 1983: 270, Fn. 64.) eines kollektiven Arbeitsrechts. Es dürfte nicht überraschen, daß die Debatten über diese aktiven Rechte in einem diskursiven Horizont angesiedelt waren, der eindeutig maskulin unterlegt war.
Schweden: ein gemäßigter Maskulinismus
Die politisch-institutionellen Kräfteverhältnisse: offener Obrigkeitsstaat
und paternalistischer Schutz
Bringt bereits die deutsche Entwicklung idealtypische Gleichsetzungen zwischen Liberalismus, Bürgertum und Staatsform erheblich durcheinander, so gilt dies für den schwedischen Weg in die Moderne umsomehr. Als national-rechtliche Einheit bestand der schwedische Staat bereits seit dem 14. Jahrhundert. Die neuzeitliche Staatsorganisation fußte auf ständischer Repräsentation, die durch den Absolutismus nicht vollends ausgeschaltet wurde. Die Durchsetzung des Rechtsstaates, mit der Garantie der Meinungs- und Pressefreiheit, erfolgte mit der konstitutionellen Ordnung, der sogenannten Regierungsform von 1809, also bevor die bürgerliche Herausforderung die politische Bühne betrat. Das schwedische Bürgertum verfügte damit über kein starkes politisches Projekt, mit dem seiner Klassenbildung eine herausgehobene, klassenübergreifende politische Bedeutung hätte zukommen können. Mit der Gewerbefreiheit und der Parlamentsreform verlief das liberal-bürgerliche Projekt, wie Göran Therborn (1989: 151) konstatiert, gewissermaßen im Sande. Die Ausgestaltung des Wahlrechts im Zusammenhang mit der Parlamentsreform von 1866, die die ständische Vertretung durch einen Zwei-Kammer-Reichstag ersetzte, besiegelte seine politische Niederlage und die vorläufige Auflösung des Bürgertums als politische Klasse für sich.
Die Parlamentsreform verdeutlicht die Spezifik der sozialen und politischen Entwicklung Schwedens. Die Modernisierung und Demokratisierung der politischen Institutionen fand nicht nur als Kampf zwischen alten und neuen Eliten statt, sondern wurde durch eine dritte klassenmäßig verankerte Kraft, nämlich die Bauern, mediatisiert. Dies schaffte eine Konstellation, in der die alten merkantilen Eliten und die Großbourgeoisie gleichsam miteinander versöhnt wurden. Das Bürgertum als politische Kraft blieb damit gespalten. Der für Deutschland so fatalen Polarisierung zwischen Arbeiterbewegung und Bürgertum war damit der Boden entzogen. Der sich zur lahrhundertwende neu formierende politische Liberalismus - getragen von bürgerlichen Intellektuellen, dem Kleinbürgertum und Teilen der Landbevölkerung - fand nämlich im Kampf für eine Demokratisierung des Wahlrechts zu einem klassenübergreifenden Bündnis mit der Arbeiterbewegung. Obwohl der schwedische Staat in dieser Entstehungsphase von Sozialpolitik ebenfalls ein Obrigkeitsstaat war, unterschied er sich doch erheblich von dem deutschen (vgl. Therborn 1989; Sträth 1988). Er war nicht nur weit weniger repressiv gegenüber den sich mobilisierenden neuen politischen Kräften wie Arbeiter- und Frauenbewegung. Trotz der späten, nämlich erst nach der Jahrhundertwende erfolgten Demokratisierung politischer Rechte, war er dennoch im gewissen Sinne offen für ihre Repräsentationsansprüche (vgl. auch Rothstein 1991). Dies resultierte nicht zuletzt aus dem spezifischen Gesetzgebungsverfahren, das die Vorbereitung von Gesetzen Kommissionen jenseits der Ministerialbürokratie überließ. Vetreterlnnen gesellschaftlicher Interessen, die keine formellen Staatsbürgerrechte besaßen, konnten entweder als Mitglieder solcher Kommissionen kooptiert werden, oder sie erhielten zumindest ein Anhörungsrecht. Dieses Verfahren gewährte sowohl der Arbeiterschaft als auch der Frauenbewegung einen gewissen Einfluß auf den Policyprozeß, obwohl sie von der Legislative ausgeschlossen waren. Die durch die Parlamentsreform im Jahr 1866 verzögerte politische Modernisierung Schwedens bedeutete de facto auch eine geringere Maskulinisiemng der politischen Identitäten. Die politische Staatsbürgerschaft war immer noch klassenmäßig begrenzt, das universelle männliche Subjekt war (noch) nicht institutionalisiert. Dies zeigt sich nicht zuletzt an einem Vorrang von Klasse vor Geschlecht in den politischen Rechten, der sich zugunsten von Frauen auswirkte. Frauen waren zwar qua Geschlecht von dem direkten Wahlrecht zur zweiten Kammer des Reichstages ausgeschlossen. Insofern sie die Zensusbestimmungen erfüllten, verfügten sie jedoch seit 1862 über das kommunale Wahlrecht und damit auch über das Wahlrecht zur indirekt gewählten Ersten Kammer des Reichstages. Zugleich waren Frauen mit geringeren institutionellen Barrieren konfrontiert als in Deutschland: Zwischen 1850 und 1865 erhielten sie den Zugang zum niederen Staatsdienst, und bereits 1873 öffneten sich ihnen - mit Ausnahme der theologischen und juristischen Fakultäten - die Pforten der Universität (vgl. Florin 1992; Wideberg 1980: 64ff.). In Deutschland waren die institutionellen Schließungen eng mit der Verschränkung von wehrhafter Männlichkeit und Nationalstaatsgründung verbunden. Zwar waren weder Nationalismus noch das kriegerische Mannhaftigkeitsideal in Schweden unbedeutend, aber sie bezogen sich auf einen anderen Erfahrungshintergrund. Dies ist angesichts des oben skizzierten Staatsbildungsprozesses unmittelbar einleuchtend, gilt aber auch für den Stellenwert des Militarismus. Die Maskulinisierung von Staatsbürgerschaft war in Deutschland wie in anderen Ländern eng mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verknüpft. Schweden verfügte jedoch bis ins 20. Jahrhundert hinein über eine Armeeordnung des Ancien Regime, die die Rekrutierung von Soldaten nach grundwirtschaftlichen Prinzipien vornahm (vgl. Therborn 1989). Damit korrespondierte wiederum, daß trotz der Gewerbefreiheit die Arbeitskräfte - und zwar nicht nur die Ehefrauen, sondern auch Männer - nur beschränkt frei waren und des »Schutzes« bedurften. Bis 1885 war nämlich die sogenannte Schutzlosigkeits-Ordnung in Kraft und damit faktisch eine staatlich abgesicherte Arbeitspflicht5. Dies führte dazu, daß die Arbeiterschaft länger als in Deutschland einem paternalistischen Schutz unterstand. Das Arbeitsrecht blieb nämlich auch für Fabrikarbeiter als Arbeitsdienstrecht ausgestaltet, wenn, so hieß es in der modernisierten Form der Gesindeordnung, nicht eine andere Übereinkunft getroffen wurde (vgl. Eklund 1974: 88/227). Diese beschränkte Souveränität der Arbeiter-Männer bedeutete, daß die in Deutschland so signifikante geschlechtsspezifische Aufspaltung von Sittlichkeit und Rechten in Schweden nicht in gleicher Weise wirksam war. So war beispielsweise die Abstinenzbewegung nicht nur eine bürgerliche Angelegenheit, sondern ebenfalls eng mit der Arbeiterbewegung verbunden. Ein Indiz für die daraus resultierenden Unterschiede der jeweiligen Arbeiterbewegungen liefert die Haltung zu Diszi-plinarmaßnahmen: Während die schwedischen Gewerkschaften durchaus Geldstrafen bei Trunkenheit am Arbeitsplatz befürworteten, lehnte die deutsche Arbeiterbewegung solche Bestimmungen in den Arbeitsordnungen kategorisch ab (vgl. Hurd 1990: 103; Berlepsch 1987: 295ff., 325-337).
Abschließend möchte ich noch einmal die wesentlichen Unterschiede in der Rolle des Staates während der industriellen Transformation in beiden Ländern hervorheben. Ähnlich wie Deutschland ist auch Schweden durch eine weitreichende Kontinuität interventionistischer Staats- und Verwaltungspraxis in die Phase der Industrialisierung hinein charakterisiert. Im Interventionsmodus divergieren die beiden Länder jedoch erheblich. Der Kassenzwang in Preußen in den Jahren zwischen 1849 bis 1869 zielte auf eine korporative Einbindung und Disziplinierung der freigesetzten Arbeiter unter staatlicher Regie. Dieser staatlich regulierte berufsständische, maskuline Korporativismus verblieb das dominante Muster der politischen Organisation der Klassenverhältnisse wie der staatlichen Sozialpolitik. In der frühen Phase der Industrialisierung Schwedens garantierte der staatlich vermittelte Arbeitszwang mittels Schutzlosigkeits-Ordnung sowie die patern-alistischen Arbeitsverhältnisse der quasi-bäuerlichen Gesindeordnung die notwendige Disziplinierung. Mit dem Rückzug des Staates aus den Arbeitsbeziehungen entwickelten sich diese wiederum staatsfreier als in Deutschland6. Die Arbeiterbewegung vertraute ihrer eigenen Organisationsfähigkeit mehr als staatlichem Schutz. Dies galt auch in der maskulinen Konkurrenzbegrenzungsstrategie gegenüber Frauen. Der sich allmählich entwickelnde schwedische Korporativismus war dann auch nicht berufsständisch fragmentiert, sondern universalistischer und zugleich politischer strukturiert (vgl, Rothstein 1991).
Die Policy-Agenda: vom maskulinen Universalismus zum maskulinen Kompromiß
Die Beschäftigung mit der sozialen Frage des Pauperismus und dann auch des Industrialismus fand in Schweden bereits seit den 1830er Jahren statt. In den achtziger Jahren wurde sie mit der Intervention des Liberalen Adolf Hedin im Reichstag zum festen Bestandteil der staatlich-politischen Arena (vgl. Pettersson 1983; Olsson 1990). Im Rahmen der so auf den Weg gebrachten Gesetzgebungstätigkeit wurde auch ein Arbeitsschutzgesetz verabschiedet, das die staatliche Fabrikinspektion einführte und die Vorschriften zum Gefahren schütz präzisierte (vgl. Englund 1976; Seilberg 1956). Das Gesetz beinhaltete keinerlei personenbezogene Vorschriften und somit auch keine für Frauen. Bemerkenswert ist jedoch, daß die Erhebungen im Kontext des Unfallverhütungsgesetzes über Arbeitszeiten und hygienische Verhältnisse sowie schädliche Auswirkungen industrieller Arbeit keine geschlechtsspezifischen Unterscheidungen machten (vgl. Arbetarförsäkringskomiteens Betänkande 1888, Bd. II, Nr. 2.). Dies ist ein Hinweis darauf, daß in Schweden, anders als in Deutschland, reformorientierte Bestrebungen des Gesundheitsschutzes und der Kampf gegen Frauenarbeit nicht von Anfang an miteinander verschränkt waren. Dies läßt sich auch anhand der Strategien der frühen Arbeiterbewegung illustrieren.
Auch in Schweden gab es in den noch stark durch handwerkliche Traditionen geprägten Arbeiterorganisationen durchaus Widerstand gegen die Beschäftigung von Frauen. Allerdings wurden anfängliche Versuche, Frauen aus den gewerkschaftlichen Organisationen auszuschließen, recht bald aufgegeben (vgl. Qvist 1960: S. 265ff; Carlsson 1986: 85ff.). Als eine der letzten Facharbeitergewerkschaften nahmen die Drucker ab 1887 weibliche Mitglieder auf.
Die maskuline Konkurrenzbegrenzungsstrategie bestand eben nicht in gesetzlichen Beschränkungen, sondern - und dies erscheint aus deutscher Perspektive geradezu kurios - in der Forderung nach »gleichem Lohn für gleiche Arbeit« sowie in der Organisierung der Arbeiterinnen. Dies erfolgte aufgrund der Erwägung, die weibliche »Schmutzkonkurrenz« durch gleiche Löhne und Bindung an Tarifverträge auszuschalten, die den männlichen Arbeitskräften die besseren Löhne und Arbeitsplätze zusicherten. Der Druckerverband sprach in diesem Zusammenhang von »Neutralisierung« (Svensk Typograf-Tidning 1888:26).
Auch wenn die Lohngleichheitsforderung in erster Linie Männern zugute kam, bleibt bemerkenswert, daß die schwedischen Arbeitermänner die Strategie des Einschlusses und nicht des Ausschlusses wie in Deutschland wählten. Vergleichend drückt sich darin ein anderer Stellenwert von Maskulinität aus. In Deutschland hatte der maskuline Status einen sozialen Wert an sich, der eben auch gegen unmittelbar ökonomische Interessen behauptet wurde. Die schwedischen Arbeitermänner handelten hier ökonomisch rationaler. Sie waren sogar - so bei Teilen der Bäckergewerkschaft - bereit, ihre Löhne abzusenken, um sich von Frauen nicht aus ihren Arbeitsplätzen drängen zu lassen (vgl. Winberg 1990: 334). Die maskuline Strategie der Lohngleichheit hatte denn auch, anders als die deutsche Verbotsstrategie, die Organisierung von Männern und Frauen zur Grundlage. Dies wiederum war nur möglich, weil Frauen keinen staatlichen Beschränkungen bei ihrer gewerkschaftlichen Organisierung unterlagen und weil sich der familialistische und medizinische Differenzdiskurs noch nicht voll etabliert hatte.
Dies zeigt sich auch in der Haltung der Bürokratie. In der gemeinsamen Stellungnahme des Handelskollegiums und des Reichsgesundheitsamtes zu einem Gesetzes verschlag, der im Anschluß an die Berliner Arbeiterschutzkonferenz im Jahr 1890 erarbeitet wurde, begrüßten sie die »allgemeine Ansicht«, daß die geplanten Gesetzesänderungen weder männliche noch weibliche Erwachsene betrafen. Selbst die Ausdehnung des für Kinder geltenden Nachtarbeits verbotes auf Frauen unter 21 Jahren lehnten sie ab (vgl. Underdänigt utlätande 1893: 24). Statt personenbezogener Einschränkungen forderten die beiden Institutionen die Aufstockung des Personals bei der Fabrikinspektion. Die Argumentation des physiologischen Sexismus wurde umgangen, indem der Unterschied zwischen Männern und Frauen nicht auf die »Differenz« des weiblichen und männlichen Körpers im Verhältnis zur Reproduktion der Gattung zurückgeführt, sondern am körperlichen Wachstums- und Reifungsprozeß gemessen wird. Darin sind Mädchen den Jungen bekanntlich voraus.
Die oben erörterte geringere geschlechtsspezifische Differenzierung von Sittlichkeit und Rechten vermag erklären, warum in Schweden die politische Unterscheidung, nämlich daß Männer sich selbst zu schützen vermögen, während Frauen des besonderen staatlichen Schutzes bedürfen, zunächst nicht existierte. Aber auch in Schweden wurde diese Argumentation schließlich, wenn auch in einer abgeschwächten Variante in den sozial-reformerischen Diskurs eingebracht. Dies geschah vor allem durch liberale Sozialreformer, die sich nicht als Vertreter gouvernementaler Politik, sondern als Teil der demokratischen Volksbewegungen verstanden. Anders als in Deutschland waren Frauen Teil dieser Öffentlichkeit und Vereinskultur. Sie stellten bis zu 40% der Mitglieder der maßgebenden Freikirchen-, Evangelismus- und Mäßigkeitsvereine (vgl. Lundkvist 1977). Frauen gehörten sogar zu den Initiatorinnen der zunächst wichtigsten sozialpolitischen Vereinigung auf Reichsebene, des sogenannten Zentralverbandes für soziale Arbeit (vgl. dazu Ohrlander 1992: 44ff.).
Der demokratische Charakter der bürgerlichen Sozialreform in Schweden wird nicht zuletzt daran deutlich, daß der Arbeitsschutz als Voraussetzung und nicht als Ersatz für eine weitere Demokratisierung gefordert wurde. Durch Arbeitszeitverkürzung sei, so der Reichstagsabgeordnete Fridjuv Berg, »dem Arbeiter die Zeit zu bereiten«, »um sich für diese Aufgabe tauglich zu machen«, nämlich dafür, »ein schwedischer Staatsbürger zu sein« (RD Motion AK 1893, Nr. 215: 22; Hervorhebung im Orig.). Der Arbeitsschutz müsse zur Angelegenheit des Staates werden, denn überließe man sie den gesellschaftlichen Kräften, würde das Ausmaß des Schutzes nicht vom Bedarf, sondern von der Organisations- und Kampffähigkeit abhängen, da man sich nicht darauf verlassen könne, so Berg, daß »die Arbeiter« eine Priorität zugunsten der (organisations)schwachen Gruppen wie Kinder und Frauen setzen würden (ebd.: 34). Die liberalen Reformer setzten - wenn auch keineswegs einmütig - die Vergeschlechtlichung des Arbeitsschutzes gegen die von der Sozialdemokratie favorisierten universalistischen Maßnahmen (vgl. Sellberg 1956). Es war dann auch der ersten liberalen Regierung Schwedens vorbehalten, die Vergeschlechtlichung als staatliches Projekt in entscheidender Weise voranzubringen. Mit der Ratifizierung der Berner Konvention im Jahr 1906 wurde das Nachtarbeitsverbot für Frauen auf die Tagesordnung der anstehenden Arbeitsschutzreform gesetzt. Die mit der Erarbeitung eines entsprechenden Gesetzentwurfs befaßte Kommission (Yrkesfarakommitten) war jedoch eher zurückhaltend. Auf dem Hintergrund eines massiven Widerstandes der Frauenbewegung gegen das angestrebte Gesetz empfahl die Kommission, nicht außer Acht zu lassen, daß sich zunehmend Stimmen gegen die Schranken erhöben, die bislang der Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und im öffentlichen Leben hinderlich waren (vgl. Förslag till Lag angäende Förbud 1907: 2ff.). Genau dazu war aber die inzwischen wieder von Konservativen geführte Regierung nicht bereit (vgl. RD Proposition 1908, Nr. 156: 13).
Doch blieb dies keineswegs unumstritten (vgl. auch Carlsson 1986;.Karlsson 1995). Die Unterschiedlichkeit der länderspezifischen Konfigurationen drückt sich nicht zuletzt darin aus, daß im Mittelpunkt der schwedischen Reichstagsdebatten die Legitimität der Interessen der Frauen stand (vgl. Kulawik 1998b, 1999). Die Liberalen waren in der Frage des Frauenarbeitsschutzes gespalten. Einige von ihnen gehörten zu seinen engagiertesten Widersachern, die die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen, die zu Lasten der Frauen gedeutet wurden, in Frage stellten. Carl Lindhagen, der zu den exponiertesten Frauenrechtlern gehörte, stellte den Frauenschutz explizit in den Kontext von Staatsbürgerrechten. Während die Befürworter von einer »maskulinen Renaissance« (vgl. Karlsson 1995) sprachen, bezeichnete er das Gesetz als Finale einer »absterbenden maskulinen Kulturwelt«, das »mündige Männer und Frauen einander gerecht als Kameraden an die Seite« stellt (RD Lagutskottets Utlätande 1909, Nr. 43: 25).
Das Nachtarbeitsverbot wurde im Reichtstag 1909 erst im zweiten Anlauf verabschiedet. Dies geschah mit expliziter Zustimmung der Sozialdemokratie, die die Arbeit von Frauen seit der Jahrhundertwende nicht mehr unter den bislang vorherrschenden strategischen Gesichtspunkten von Agitation und Organisierung, sondern zunehmend unter der Perspektive von Kinderaufzucht und Familie verhandelte. So wurde auch in Schweden die Arbeitsschutzgesetzgebung zum Gegenstand eines maskulinen Klassenkompromisses gemacht. Dieser war in einen Kontext sich zuspitzender gesellschaftlicher und politischer Konflikte eingebettet, die sich der wachsenden Stärke der linken Kräfte -d.h. der Arbeiterbewegung, aber auch der Liberalen - verdankte. Die Partikularsierung des Arbeitsschutzes war somit aufs engste mit der »Einbürgerung« der Arbeiter-Männer verbunden. Sie erfolgte parallel zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1901 und einer - damit im engen Zusammenhang diskutierten - Wahlrechtsausdehnung für Männer sowie der Anerkennung der Gewerkschaften als Tarifpartner im Jahr 1907.
Schlußfolgerungen
Maskulinen Identitäten und Interessen kommt eine wichtige Rolle bei der Formierung von Wohlfahrtsstaaten zu. Schweden und Deutschland unterscheiden sich erheblich in ihrer institutionellen Privilegierung von Männlichkeit wie in den jeweiligen Deutungsmustern. In Deutschland machte sich ein rigider Maskulinismus geltend, der sich sowohl in extremen institutioneilen Schließungsprozessen gegenüber Frauen ausdrückte wie in der diskursiven Thematisierung der sozialen Frage selbst. Die soziale Staatsbürgerschaft der Arbeiter-Männer wurde reklamiert, indem Frauen jedweder Subjektstatus abgesprochen wurde. Schweden dagegen zeichnet sich durch einen integrativeren Staats- und Klassenbildungsprozess aus. Ein daraus entstehender gemäßigter Maskulinismus drückte sich nicht nur in geringeren,institutionellen Barrieren gegenüber Frauen aus, sondern auch in einer Thematisierung der sozialen Frage, in der der Staatsbürgerstatus von Männern nicht in gleicher Weise auf der Objektivierung von Frauen gründete.
Sozialpolitisch bedeutsam ist dies nicht nur aufgrund der ungleichen Behandlung von Männern und Frauen. Die Vergeschlechtlichung ist wichtiger Bestandteil der Hervorbringung unterschiedlicher Politikmuster, des Vorrangs personenbezogener Schadensbegrenzung in Deutschland und präventiven Gesundheitsschutzes in Schweden. Unschwer lassen sich hier Spurenelemente der für die beiden Länder später so charakteristischen wohlfahrtsstaatlichen Interventionsformen erkennen, nämlich der Dominanz kausaler »Kompensation« vor Schadens Verhütung in Deutschland und des Vorzugs finalisierter, präventiver Problembekämpfung vor statussichernden Leistungen in Schweden. Insofern kann die eingangs gestellte Frage, ob die spezifisch nationale Ausprägung des Maskulinismus bei der Hervorbringung unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatstypen beteiligt war, mit einem plausiblen, aber vorsichtigen Ja beantwortet werden. Es wird die Aufgabe künftiger Forschungen sein, diese Hypothese anhand anderer Policybereiche und Ländervergleiche zu vertiefen oder zu verwerfen.
Dabei wird insbesondere auch der Frage nachzugehen sein, wie sich der so auffällige männerbündische Charakter der deutschen Politik und die weniger geschlechtersegregierte schwedische Agenda, in der allerdings »Gleichheit« auch Unterordnung bedeutete, erklären lassen. Vergleichend scheinen mir zunächst die unterschiedlichen politischen Konfigurationen bedeutsam zu sein. Das Charakteristikum der deutschen Sozialstaatsgründung war die Gleichzeitigkeit mehrerer Konfliktlinien, nämlich der nationalen, liberal-demokratischen und sozialen Frage. Diese enorm konflikthafte Situation löste einen sich selbst verstärkenden Prozeß der Vergeschlechtlichung aus. Dieser bezog sich zunächst auf die jeweiligen Klassenbildungsprozesse. Das deutsche Bürgertum kompensierte seine »Schwäche« gegenüber dem Staat und der sich mobilisierenden Arbeiterbewegung mit einem extremen maskulinen Selbstbehauptungshabitus. Die deutsche Arbeiterbewegung stand dem nicht nach. Wobei ich hier nicht einfach nur das Streben nach bürgerlich-männlicher Respektabilität am Werk sehe. Bedeutsamer scheint mir die Widersprüchlichkeit ihrer Positionierung zu sein. Einerseits - auf Reichsebene - mit politischen Rechten ausgestattet, haben die Arbeiter-Männer den Status des politischen Subjekts erklommen, andererseits wurden sie durch die Repression gegenüber Sozialdemokratie und Gewerkschaften feminisiert. Die geschlechtliche Binnendifferenzierung erhielt so die enorme Bedeutung. Verstärkend kam die Verschränkung von Klassenbüdungs-prozessen mit symbolisch hochaufgeladenen Fragen der Nationalstaatsgründung und des Kulturkampfes hinzu. Die Konflikthaftigkeit und die Moralisierung der Politik - letztere insbesondere durch den politischen Katholizismus - machte Geschlechterpolitik in Deutschland zum prädestinierten Terrain politischer Grenzziehungen, aber auch politischer Kompromisse.
Die schwedische Entwicklung ist ein Beispiel dafür, daß nicht einfach die Stärke oder Schwäche bestimmter Akteure entscheidend für ihre Identität und Gestaltungsfähigkeit ist, sondern die jeweiligen Relationen und Periodisierungen (vgl. Pierson 1998). Schwaches Bürgertums, schnelle Mobilisierung der Arbeiterbewegung und späte Demokratisierung führten in Schweden nicht zu ähnlich maskulinistisch aufgeladenen politischen Identitäten. Die Teilung des Bürgertums, die Möglichkeit klassenübergreifender Kompromisse, die politische Repräsentation der Bauern und der offenere Staat haben eine Konfigurationen hervorgebracht, in der die Geschlechterdifferenz sowohl für die Klassenbildungsprozesse wie für die politische Arena weniger bedeutsam - aber keinesfalls unwichtig - war. Damit ging einher, daß der politische Diskurs stärker durch ökonomische Klassenidentitäten als durch symbolisch-moralische Fragen bestimmt war. Die Vergeschlechtlichungsstrategie wurde erst nach der Jahrhundertwende relevant. Dies geschah vor dem Hintergrund zunehmender politischer Konflikte sowie eines wachsenden Nationalismus.
Abkürzungen
AK Andra Kammern: die zweite Kammer des schwedischen Reichstages (Unterhaus)
RD Lagutskottes Utlätande: Stellungnahme des Gesetzesauschusses im schwedischen
leichstag
RD Proposition: Gesetzesvorlage im schwedischen Reichstag
RD Protokoll: Stenographische Berichte der Verhandlungen des schwedischen Reichstages
RD Motion: Antrag im schwedischen Reichstag
RT Protokolle: Stenographische Berichte der Verhandlungen des Deutschen Reichstages
Protokolle)
Anmerkungen
1 Der Artikel stützt sich auf Forschungen für meine Dissertation, die gefördert wurden durch das Schwedische Institut, die Lars-Hierta-Stiftung und das Förderprogramm Frauenforschung des Berliner Senats. Die Fertigstellung und Schärfung des analytischen Zugangs erfolgte während eines laufenden Projekts, das von der Volkswagen-Stiftung finanziert wird.
2 Zur Unterscheidung zwischen Geschlecht als Praxis und Geschlecht als Modus, Praxis zu strukturieren (vgl. Connell 1995: 66ff.).
3 Dieses länderspezifische Muster von Frauen- und Männerschutz wird in der Anthologie nicht explizit erwähnt und erörtert.
4 Kritisch dazu: Blackhourn/Eley 1980. Wehler (1995: 449) hat seine Interpretation inzwischen jedoch selbst erheblich differenziert.
5 Die Schutzlosigkeits-Ordnung (försvarslöshetsstadgan) diente zunächst der Zwangsrekrutierung von Soldaten und wurde im 18. Jahrhundert zum Bestandteil einer Arbeitskraftökonomie der Landwirtschaft, vgl. dazu Imhof 1974. Arbeitslose und Arme konnten so als Landstreicher behandelt werden. Zumindest formell war dies in Preußen mit der Einführung des Allgemeinen Preußischen Landrechts im Jahr 1794 nicht mehr möglich (vgl. Koselleck 1989: 134).
6 Dies scheint mir der Hintergrund für die, mit Ausnahme der 1913 eingeführten Volksrente, lange Abwesenheit obligatorischer Sozialversicherungen in Schweden zu sein. Die nationale Krankenversorgung wurde erst nach dem zweiten Weltkrieg eingeführt, die Arbeitslosenversicherung obliegt bis heute den Gewerkschaften.
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