Jugendamtsterror und Familienrechtsverbrechen - Gewaltthematik-Gewaltproblematik

...bis es eben ruhig ist

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EXTRA: Gewalt gegen Kinder

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Kindesmisshandlungen

"...bis es eben ruhig ist"

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"Ein Kind wird oft so lange geschlagen, bis es ruhig ist", so Mau

Die meisten Kindesmisshandlungen verlaufen nach typischen Mustern, behauptet der Berliner Kinderchirurg Harald Mau. Im stern.de-Interview berichtet er über Täterkonstellationen und Verhaltensmuster, über die Ohnmacht geschlagener Kinder - und über sein schlimmstes Erlebnis.

Herr Professor Mau, im Fall Karolina zog eine Mutter, die kaum eine Beziehung zu ihrem Kind hatte, mit einem Mann zusammen, der drogenabhängig war und zu Gewalttätigkeiten neigte. Wie gefährlich ist eine solche Konstellation?
Für den Aufbau einer ungestörten Mutter-Kind-Beziehung spielt natürlich die Erlebniswelt einer Frau als Kind eine besondere Rolle - es ist nicht untypisch, dass Frauen, die Mütter werden und eine gestörte Kindheit erlebt haben, dann zu ihren Kindern eine andere als eine normale Beziehung aufbauen. Die einen verwenden sich in übergroßer Fürsorge für ihr Kind, damit es ihm nicht so ergeht wie seiner Mutter, für die anderen steht das Kind in der sozialen Hierarchie sogar noch unter dem Haustier. Wir haben das schon öfter erlebt, dass sich in solchen "Familien" gut ernährte Haustiere neben verhungerten Kindern befanden. Wenn sich dann noch eine labile Mutter mit einem verhaltensauffälligen Lebenspartner zusammentut, verliert ein eigentlich schutzbefohlenes Kind völlig an Wert und wird gar nicht mehr wahrgenommen.

Wie hoch wird dann die Bereitschaft einer Mutter, Gewalt gegen ihr Kind zu dulden?
Dass erlebte Gewalt die Bereitschaft, selber Gewalt auszuüben oder zu dulden, leichter macht, ist aus Erfahrung bestätigt. Es ist schon außerordentlich ungewöhnlich, dass eine Mutter die Misshandlung ihres leiblichen Kindes ohne Widerstand hinnimmt. Im vorliegenden Fall Karolina scheinen sich die Verhaltensauffälligkeiten beider Erwachsener gegenseitig potenziert zu haben bis zum Exzess. Der Zeitpunkt, hier nachhaltig helfend einzugreifen, war längst verpasst - das hätte früher passieren müssen. Jeder verantwortungsvolle Sozialarbeiter, Arzt, Onkel, Tante, Mutter, Nachbar, irgendjemand hätte irgendwann sagen müssen: Das geht schief, helft, kümmert euch. Seid aufmerksam, guckt dahin, denn sonst wird das ein tragisches Ende nehmen.
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Zur Person
Prof. Dr. Harald Mau ist Geschäftsführender Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie der Charité Berlin und Gründer eines Netzwerks von Ärzten, Psychologen und Familientherapeuten.

Wie typisch ist ein Lebensgefährte einer Mutter als misshandelnder Täter?
Die Konstellation, dass ein Kind vom Freund der Mutter misshandelt wird, ist für uns als klinisch Tätige, die mit Misshandlungen leider zu oft zu tun haben, an und für sich typisch. Das Typische ist nicht der Vater, nicht die Mutter, sondern jemand, der in eine Beziehung zu dem Kind gesetzt wurde, aber dem das unmittelbare Verantwortungsgefühl dafür fehlt. Dann muss bloß Eifersucht dazukommen, dass das Kind etwa zu viel von der begehrten Frau in Anspruch nimmt, damit sich im Unterbewusstsein eine Aversion entwickelt, die dann möglicherweise eine Quelle von Ablehnung, von Aggression oder auch Gewalt sein kann. Ein uraltes Phänomen übrigens, was aber in einer stabilen Sozialisation beherrscht wird.

Können Sie erklären, warum die schwer verletzte und bewusstlose Karolina nicht sofort ins Krankenhaus gebracht, sondern erst einen Tag später dort auf einer Toilette abgelegt wurde?
Das ist ein typisches Verhaltensmuster. Natürlich will der Täter die Misshandlung verdecken, deshalb liegt zwischen dem angeblichen Unfallhergang, auf den die Verletzungen eines Kindes geschoben werden, und dem Aufsuchen einer Behandlungsstelle, ob Krankenhaus oder Hausarzt, eine größere Zeitspanne, die nicht erklärt werden kann. Wenn wir diese Zeitspanne feststellen, werden wir misstrauisch, fragen uns: Was hat die Mutter, den Vater oder einen anderen verleitet, das Kind so lange einem Risiko auszusetzen, ohne dass sie genau beurteilen können, was dem Kind passiert ist?

Im Fall der kleinen Karolina hat der Täter dem Kind teilweise massive Brandverletzungen zugefügt, hat auf den Körper erhitzte Verschlüsse gedrückt oder ein Feuerzeug auf höchster Flamme unter Finger und Füße gehalten. War das ein Einzelfall?
Leider nicht. Wir kennen solche Entgleisungen aus der Praxis, dass ein Kind "aus erzieherischen Gründen" auf eine heiße Herdplatte oder in zu heißes Badewasser gesetzt wird, oder dass dem Kind die Hand gewaltsam auf eine Herdplatte oder Ofentür gedrückt wird. Das sind leider keine Einzelfälle.

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Wie selten sind Verbrennungen mit Zigaretten?
Zigarettenverbrennungen sehen wir im Laufe eines Jahres mehrfach. Solche Verletzungen werden Kindern von Personen zugefügt, die enthemmt sind, wobei in den meisten Fällen Alkohol im Spiel war oder Drogen.

Wie kann die Misshandlung eines Kindes derart eskalieren wie im Fall Karolina?
Wenn ein Kind nicht die gewünschte Reaktion zeigt und zum Beispiel ruhig ist, sondern vor Schmerzen schreit, dann wird der, der es misshandelt, durch die Schmerzäußerungen noch mehr in Rage und Wut versetzt - bis die Sicherung durchbrennt, wie man im Volksmund sagt. Dann wird das Kind so lange geschüttelt oder geschlagen, bis es eben ruhig ist. Und damit ist dann oft die Katastrophe schon eingetreten.

Kann ein Erwachsener seinen Schlag gegen den Kopf eines Kindes einschätzen - gerade wenn er unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol steht?
Nein. Ein nicht besonders geschulter oder informierter Erwachsener kann diese Wirkung eben nicht einschätzen. Ganz egal, ob der Schlag gegen den Kopf oder den Brustkorb, gegen den Bauch oder gegen die Extremitäten geführt wird. Die körperlichen Auswirkungen von Gewalt gegen Kinder sind nicht voraussehbar. Ein solcher Schlag kann zu einer Trommelfellverletzung oder zu einer Unterblutung im Bereich des Auges führen, im schlimmsten Fall zu Verletzungen innerhalb der Schädelkapsel, zu Verletzungen des Gehirns, zu Blutungen. Schlimm sind auch die Folgen des Schüttelns von Säuglingen, eine klassische Misshandlung. Wenn man ein Baby, das so nervig schreit, aus dem Gitterbett nimmt und kräftig durchschüttelt, damit es verdammt noch mal ruhig ist - da können Verletzungen im Kopf des Kindes entstehen, die lebenslange Folgen haben. Bei diesen so genannten Schütteltraumen kann es zu Abrissen von dünnen Blutgefäßen zwischen der Schädelkapsel und dem Gehirn kommen. Die erkennt man allerdings erst nach einiger Zeit, und die Folgen sind dann unumkehrbar, wenn das Kind erst mal geistig behindert ist.

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Sind schlagende Eltern in der Lage zu erkennen, was sie da angerichtet haben?
Nein. Das Kind, das gerade geprügelt worden ist, wird nicht sagen: Jetzt tut mir das Ohr weh, oder: Ich sehe auf diesem Auge gar nicht mehr, oder: Mir ist schwindlig oder übel. Im Gegenteil: Das misshandelte Kind hat ja keine Bezugsperson mehr, zu der es gehen und sein Leid klagen kann. Und es wird nicht der Öffentlichkeit zugeführt, sondern vor ihr versteckt.

Woran erkennen Sie als Arzt, dass es sich um eine Misshandlung oder um einen Unfall handelt?
Wir müssen wissen, wie eine Verletzung entstanden ist oder nach Angaben der Eltern entstanden sein soll. Entscheidend ist, ob ein plausibler Unfallhergang die Verletzung erklären kann. Wenn zum Beispiel behauptet wird, das Kind sei von einem Sofa gefallen, aber Kopfverletzungen hat, die von einem scharfkantigen Gegenstand herrühren, werde ich natürlich misstrauisch. Dann muss ich die Mutter oder den Vater genauestens befragen, wie der behauptete Unfall passiert ist. Wenn mich das nicht überzeugt und es dringende Hinweise dafür gibt, dass die Verletzung durch eine vorsätzliche Handlung entstanden ist, die gegen das Leben oder die Gesundheit des Kindes gerichtet war, muss ich handeln.

Wie?
Da hat der Gesetzgeber klare Vorschriften geschaffen, wann beispielsweise das Kindeswohl dem Schutz der Persönlichkeit des Elternteils vorzuziehen ist. Der Arzt ist dann verpflichtet, alles Notwendige zu tun, um zu verhindern, dass neue Handlungen gegen das Leben und die Gesundheit des Kindes gerichtet werden. Zum Erfahrungsschatz jedes älteren Kindermediziners gehört, dass er irgendwann ein eindeutig misshandeltes Kind vor sich hat, das früher schon einmal in seiner Praxis war, bei dem er schon damals den Verdacht auf Misshandlung hatte, sich aber besänftigen ließ.

Haben Sie auch mal eine solche Erfahrung machen müssen?
Das schlimmste Erlebnis war, als ich ein totes Kind zufällig in der Gerichtsmedizin sah. Es war ganz eindeutig jenes Kind, das ich lange Zeit vorher mal in meiner Sprechstunde hatte - mit Verletzungen, bei denen ich mir nicht ganz sicher war, ob sie tatsächlich, wie behauptet, von einem Unfall stammten. Das Kind war schließlich durch eine massive Misshandlung zu Tode gekommen. Hätte ich damals alle Bedenken über Bord geworfen und die Polizei geholt, hätte ich den Tod des Kindes womöglich verhindern können.

Nun gehen Eltern mit ihren misshandelten Kindern nicht immer zum gleichen Arzt.
Richtig. Bei der nächsten Misshandlung gehen sie zum nächsten, bei der dritten zum dritten Arzt, damit das nicht auffällt. Da muss man eben auf die Kollegen, die vorher behandelt haben, zugehen, fragen, ob es irgendwelche Verdachtsmomente gegeben hat, damit man dann rechtzeitig eingreifen kann. Das muss nicht unbedingt sofort dazu führen, dass man die Polizei holt. Man kann mit dem zuständigen Jugendamt zusammenarbeiten, sagen: Bitte gehen Sie da mal vorbei, wir haben den Verdacht, dass es diesem Kind nicht gut geht.

Was halten Sie von regelmäßigen Pflichtuntersuchungen, wie sie immer wieder gefordert werden?
Kein Kind erleidet Schaden, wenn es mindestens einmal jährlich untersucht wird. Deshalb bin ich ein überzeugter Befürworter der regelmäßigen kinderärztlichen Untersuchung. Wenn alles in Ordnung ist, kann man sagen: Wunderbar, dieses Kind ist altersgemäß entwickelt, ist gut umsorgt, gepflegt - ich freue mich für Sie, liebe Eltern, wir sehen uns im nächsten Jahr wieder. Wenn es diese Pflichtuntersuchungen schon heute geben würde, wären einige Kinder, die in letzter Zeit traurige Schlagzeilen gemacht haben, mit Sicherheit entdeckt worden. Aber auch die Aufmerksamkeit von Nachbarn und Bekannten ist äußerst wichtig. Wenn ich sehe, dass es jemandem neben oder über mir schlecht geht, dann muss ich hingehen und sagen: Kann ich irgendwie helfen? Brauchen Sie Hilfe? Man muss nicht gleich die Polizei holen, man kann auch das Jugendamt verständigen. Wenn das dann der Auffassung ist, dass nur noch die Polizei helfen kann, wird es die dann hoffentlich auch einschalten.

Fachleute behaupten, dass viele Kinder an unerkannten Misshandlungen zu Tode kommen. Sind Sie der Auffassung, dass jedes Kind, das heute stirbt, auch obduziert werden muss, um die tatsächliche Ursache des Todes zu ermitteln?
Ich halte das für unbedingt notwendig. Kinder, die gestorben sind - egal, ob die Ursache Krankheit ist, ein Unfall oder eine andere Verletzung - müssen so genau untersucht werden, dass die Todesursache zweifelsfrei geklärt wird. Die Würde des toten Kindes wird durch eine Autopsie nicht verletzt. Die Würde eines Kindes ist verletzt worden, als es so misshandelt wurde, dass es starb. Jede Kindesmisshandlung ist eine Verletzung der Würde des Kindes.

Interview: Manfred Karremann



Artikel vom 15. März 2008

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