Jugend am Abgrund
Jugend am Abgrund?
Meinungen gehen auseinander
Halle (ddp-lsa). Nach der tödlichen Prügelattacke eines
16-Jährigen in Halle hat die Polizei die Vorwürfe einer zu späten
Verhaftung zurückgewiesen. Als Beamte dem Jugendlichen nach einem
Streit unweit des Tatortes einen Platzverweis erteilten, hätten sie
nicht gewusst, dass sie den mutmaßlichen Angreifer des schweren
Überfalls vor sich hatten, sagte der Präsident der Polizeidirektion
Sachsen-Anhalt Süd, Walter Schumann, am Donnerstag in Halle.
Trotz des neuerlichen tödlichen Vorfalls vom Samstag wollte das
Innenministerium nicht von einer allgemeinen Brutalisierungstendenz
in dem Bundesland sprechen. Der hallesche Psychotherapeut
Hans-Joachim Maaz machte einen Zusammenhang zwischen der
aggressiven Gewaltbereitschaft einzelner ostdeutscher Jugendlicher und
ihrem Heranwachsen in der Zeit nach der Wende aus. (s.a. Artikel unten)
Zunächst wegen Körperverletzung ermittelt
Das 48-jährige Opfer aus Halle war am Dienstag an den Folgen der
Verletzungen gestorben, die ihm der Jugendliche am Samstagabend
beigebracht hatte. Zunächst hatte die Polizei in einem Fall von
gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Dabei gebe es keine
Haftgründe, wenn der Tatverdächtige über einen festen Wohnsitz und
Arbeit verfüge, sagte der Abteilungsleiter Polizei, Manfred Henze.
Erst nach der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Opfers
mit schwersten Hirnverletzungen am Montag sei wegen versuchten
Totschlags ermittelt worden. Der vorbestrafte 16-Jährige soll wegen
eines vorhergehenden Streites mit Bekannten gefrustet gewesen sein
und daraufhin auf den Mann eingeschlagen haben.
Schumann sagte weiter, Zeugen hätten offenbar aus Angst vor
Repressalien zunächst geschwiegen. Er sehe in dem jüngsten Fall keine
Parallelen zum Fall von Halberstadt, wo die Polizei nach einem
Überfall auf eine Gruppe von Theaterschauspielern im Juni 2007 von
einem Tatverdächtigen zunächst die Personalien aufgenommen und diesen
dann wieder laufen gelassen hatte. Es lägen auch keinerlei Hinweise
auf eine politisch motivierte Tat vor.
Tatort liegt in ganz normalem Stadtteil
Der Stadtteil Silberhöhe, wo etwa 14 000 Menschen wohnen, sei
nicht als Kriminalitätsschwerpunkt bekannt, sagte Schumann und fügte
hinzu: «Das ist kein Hort der Gestrandeten.» Er widerspricht damit Maaz,
der Silberhöhe als bekanntes Problemviertel bezeichnet. Der Vorsitzende
des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Klaus Jansen, hat die
tödliche Brutalität als «neuen, traurigen Höhepunkt» einer seit
Monaten anhaltenden Serie von Gewalt in Deutschland bezeichnet. Er
betonte allerdings, dass dies kein rein ostdeutsches Thema sei. Der
Psychologe Maaz sagte, «ohne schwerwiegende psychologische
Fehlentwicklungen ist ein Mensch zu solch einer Tat nicht in der
Lage». Es müsse im sozialen Umfeld des Beschuldigten schwere
Verwerfungen gegeben haben.
Wie die amtierende Jugendamtsleiter Katharina Brederlow sagte, sei
der 16-Jährige wegen seiner früheren Straffälligkeit dem Jugendamt
der Stadt bekannt. Allerdings komme der Junge nicht aus einer
sogenannten gefährdeten Familie, bei denen etwa die Kinder in die
Obhut anderer Betreuungspersonen gegeben werden müssten.
Keine allgemeine Brutalitätstendenz
Dem jüngsten Jugendkriminalitätsbericht des Landes zufolge nahm
2007 im Vorjahresvergleich die Gewaltkriminalität von Tatverdächtigen
unter 21 Jahren leicht zu. Die Zahl der gefährlichen und schweren
Körperverletzungsdelikte stieg im vergangenen Jahr um 97 auf
insgesamt 2705 Straftaten. Der Sprecher des Innenministeriums, Martin
Krems, sagte, in Sachsen-Anhalt gebe es zwar ein Klientel mit hoher
Gewaltbereitschaft, «eine allgemeine Brutalitätstendenz haben wir
nicht festgestellt».
26.09.2008 Ta
http://www.e110.de/artikel/detail.cfm?pageid=65&id=90678