Lebensborn-Forschung
Artikel vom 01. März 2008
Düsteres Kapitel erhellt
Die Nazi-Organisation "Lebensborn": Der Autor Volker Koop kommt zu einem zweiten Vortrag nach Oberkrämer
OBERKRÄMER Vermittelt über den Neu-Vehlefanzer Ortsbürgermeister Peter Gerlach (BfO) hat der Autor Volker Koop im vergangenen Jahr im Ort einen Vortrag gehalten. Nun kommt er mit einem schwierigen Thema, über das er viel geforscht hat - die Nazi-Organisation "Lebensborn".
Sie haben Volker Koop (Dritter von links) schon kennengelernt und sein Buch gelesen: Peter Gerlach (links), Helmut Schönberg und Erika Kaatsch.Foto: Weißapfel
Von Heike Weißapfel
Peter Gerlach, Erika Kaatsch und Helmut Schöneberg haben das Buch bereits gelesen. "Für mich ist das neu, und ich glaube, dass es viele Leute interessieren wird", sagte der Vehlefanzer im Gespräch mit dem Schriftsteller. Peter Gerlach und Erika Kaatsch sehen es ähnlich. Da der Autor zu einem Vortrag nicht lange überredet zu werden braucht, geht es nur noch darum, wann und wo er stattfindet. Die Veranstaltung soll sich diesmal an keine bestimmte Zielgruppe wenden. Das Haus der Generationen in Vehlefanz würde ausreichend Platz bieten, im April wird sich ein Termin finden.
"Dem Führer ein Kind schenken - Die SS-Organisation Lebensborn e.V." ist der Titel von Volker Koops neuestem Buch. Das Thema habe ihn gereizt, weil es darüber bisher kaum seriöse Forschungsliteratur gebe, so Volker Koop. "Ich wollte selbst wissen, was es mit dieser verbrecherischen Organisation auf sich hatte."
Mit der verbreiteten Vorstellung, der als gemeinnützig deklarierte Verein "Lebensborn" sei so etwas wie eine karitative Einrichtung für junge ledige Mütter gewesen, räumt der Autor darin gründlich auf. "Selbst die Alliierten haben diese Version geglaubt", sagt Koop. Gerüchte rankten sich bereits während ihres Bestehens um diese Einrichtungen und führten bald zur Legendenbildung. So herrschte offenbar landläufig eine Vorstellung, die Heime seien bordellartige Etablissements, sogenannte Begattungsheime, in denen Mädchen und Frauen darauf warteten, von SS- und SA-Männern geschwängert zu werden. Wie Koop darlegt, bemühte sich die SS selbst darum, solche Gerüchte auszuräumen.
Volker Koops Arbeit bezieht sich nicht auf Zeitzeugen. Eine Vielzahl von Dokumenten hat er stattdessen aus 14 Archiven akribisch zusammengetragen und ausgewertet und kommt damit zu einem umfassenden Bild. Eine erhellende Fleißarbeit von 300 Seiten ist so entstanden, ein Nachschlagewerk, dase eine Fülle von Einzelheiten der Vergessenheit entreißt. Koop weist nach, dass der Verein "Lebensborn" vor allem ein Teil der irrwitzigen Rasse- und Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten war, von Himmler initiiert, von der SS getragen und staatlich gefördert.
Keineswegs kam jede ledige Schwangere in den vermeintlichen Genuss solcher Heimbetreuung. Vielmehr wurden nach dem Rassenwahn entschieden, welche Frau blond und blauäugig genug war, "gutes Blut" und die "richtige" Nase hatte, um den entsprechenden Nachwuchs wahrscheinlich zu machen und eben so "dem Führer ein Kind zu schenken". Sollte auf der einen Seite Euthanasie "unwertes Leben" beenden, so dienten andererseits Frauen als Gebärmaschinen, um Nachwuchs für den Krieg und den nationalsozialistischen Staat zu produzieren.
Die Rechnung ging insofern nicht auf, als in acht Mütter- und zwei Kinderheimen in Deutschland und in Österreich zwischen 1935 und Kriegsende schätzungsweise "nur" 11 000 Kinder geboren wurden, was bevölkerungspolitisch keine Auswirkungen hatte. Wohl aber verbinden sich vielfach tragische Einzelschicksale in mehreren europäischen Ländern damit. Viele der "Lebensborn"-Kinder haben nie von ihrer Herkunft erfahren, andere leiden noch heute darunter.
Ein Kapitel widmet Volker Koop einem besonderen Verbrechen der Nazis an den Kindern: der "Germanisierung" in Osteuropa. Gezielt wurden Kinder, die äußerlich den Vorstellungen der Nazis entsprachen, aus Waisenhäusern entführt. Eingedeutschte Namen und falsche Geburtsorte wurden in die Dokumente geschrieben und die Kinder in Heime und zur Adoption nach Deutschland gebracht - wo sie mitunter wieder andere Namen erhielten. So wurde ihnen die Identität systematisch geraubt.
Die Geschichte von "Lebensborn" findet noch nach dem Dritten Reich düstere Fortsetzungen. Zum ebenso spannenden wie bedrückenden Nachkriegskapitel gehört, dass die Staatssicherheit der DDR sich zu Nutze machte, dass viele Mütter im Ausland ihre Kinder gar nicht kannten. Noch immer aktuell ist zudem die Geschichte von Kindern in (den von den Nazis bevorzugten) nordischen Ländern wie Dänemark und Norwegen, in denen die "Kriegskinder" zeitlebens diskriminiert worden sind.
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Volker Koop:
Dem Führer ein Kind schenken - Die SS-Orga nisation
Lebensborn e.V.
Böhlau-Verlag
306 Seiten, 24,90 Euro
ISBN 978-3-412-21606-1
http://www.oranienburger-generalanzeiger.de/lokales/story.php?id=38954