Kindes-Entzug: Eine immerzu blutende Wunde
28.11.2007 10:39 Uhr
Auf Kindes-Entzug
"Eine immerzu blutende Wunde"
Katona weiß, dass womöglich besonders die Eltern an der Untersuchung teilgenommen haben, deren Leidensdruck hoch ist. "Allerdings reagieren viele von ihren Kindern getrennte Eltern mit sozialem Rückzug, Antriebslosigkeit und anderen depressiven Symptomen", sagt Katona. "Deshalb fürchte ich, dass diejenigen, die am stärksten leiden, gar nicht erfasst sind - sie wollen die schmerzhafte Konfrontation vermeiden."
Dass zwischen Eltern und Kindern oftmals über Jahre kein Kontakt mehr besteht, liegt auch daran, dass sich viele Kinder einseitig mit dem Elternteil solidarisieren, bei dem sie leben - und die von ihnen getrennten Väter oder Mütter verunglimpfen. Eltern werden kompromisslos eingeteilt in den guten, geliebten Part - meist die Mutter - und den bösen, gehassten, der meist der Vater ist.
"Wird der Umgang vereitelt, verschwinden die Väter aus dem Leben der Kinder nach Trennung oder Scheidung", sagt Astrid Camps, Kinder- und Jugendpsychiaterin aus Eitorf in der Nähe von Bonn. "Das kann man nicht mit den Folgen einer normalen Trennung vergleichen." Camps hat Geschwister erlebt, die nach einigem Zureden bereit waren, den Vater zu sehen. "Die waren sich einig und haben angedroht: Okay, aber dann machen wir ihn fertig, wie damals, als er heulend aus dem Café gerannt ist", sagt Camps.
Mein Vater, der Feind
Der Psychiater Richard Gardner von der Columbia University in New York hat 1985 für die Schwierigkeiten nach besonders konfliktträchtigen Trennungen den Begriff "Parental Alienation Syndrom" (PAS = elterliches Entfremdungssyndrom) geprägt. Je stärker der Paarkonflikt, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der alleinlebende Elternteil Anfeindungen ausgesetzt ist - unterstützt von Manipulationen des ausgrenzenden Elternteils.
Nicht nur für die ausgegrenzten Eltern, auch für die Kinder hat die Entfremdung negative Folgen. "Das Kind erlebt einen großen Verlust, dessen Ausmaß man im Verlust eines Elternteils, der Großeltern und all der Freunde und Verwandten dieses Elternteils sehen muss", sagt Glenn Cartwright von der McGill University in Montreal. "Das Kind kann diesen Verlust jedoch nicht sehen und ihn erst recht nicht betrauern."
Astrid Camps hat beobachtet, dass "PAS-Kinder" häufig unter Antriebsschwäche, Freudlosigkeit und sozialem Rückzug leiden. "Im schwersten Fall kann ein Kind gar nicht mehr auf den gemiedenen Elternteil zugehen und schreit nur noch", sagt Camps. "Natürlich gibt es auch Kinder, die da gut durchkommen, viele sind dem Druck aber nicht gewachsen."
(SZ vom 28.11.2007/mcs)
http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/525/145194/4/?CMP=ILC-SDE-Community