Entscheidungsorientierte Begutachtung im Familienrecht*
Professorin Dr. Marie-Luise Kluck, Mülheim an der Ruhr
Im vorliegenden Beitrag wird erläutert, welche Anforderungen an den Psychologischen Sachverständigen unter dem neuen Kindschaftsrecht gestellt werden. Es wird gezeigt, wie eine Entscheidungsorientierte Begutachtung zur Verwirklichung des Kindeswohls beitragen kann. Dieses Konzept hat zum Ziel, die dafür relevanten psychologischen Bedingungen in Bezug auf alle Beteiligten und die entsprechenden Verhaltensausschnitte auf wissenschaftlicher Grundlage zu beschreiben, diese nachprüfbar zu erklären, Entwicklungen probabilistisch vorherzusagen und (mindestens indirekt) zu beeinflussen. Wesentliche Kindeswohlkriterien werden kritisch diskutiert.
I. Veränderungen durch das neue Kindschaftsrecht (KindR) für die Arbeit des psychologischen Sachverständigen
Psychologische Sachverständigengutachten zu familienrechtlichen Fragestellungen wurden auch vor der Reform des Kindschaftsrechts von 1998 ausschließlich dann eingeholt, wenn die Eltern hoch zerstritten waren im Hinblick auf Belange gemeinsamer Kinder und dem Familienrichter die eigene Sachkunde als Beurteilungsgrundlage nicht ausreichte. Diese Voraussetzungen haben sich auch nach der Reform nicht geändert. Geändert hat sich seitdem jedoch, dass die Familien, in denen heute ein familiengerichtlicher Gutachter eingeschaltet wird, häufiger als früher Beratungen, Mediationen oder andere Vermittlungsversuche hinter sich haben, die gescheitert sind: Die Begutachtung wird vom Familienrichter oder auch von den Beteiligten als das letzte Mittel zu einer möglichen Lösung der Probleme im Kampf um das Kind in der nachehelichen Auseinandersetzung gesehen. Die Erfahrungen von Sachverständiger zeigen, dass die zu bearbeitenden Fallkonstellationen inzwischen erheblich schwieriger geworden sind. Der Kampf hochzerstrittener Eltern um die Durchsetzung der eigenen Rechtsposition ist erbitterter geworden; häufiger als früher erreichen den Sachverständigen Fallkonstellationen multipler Problematik, womöglich auch als eine Folge der neuen Gesetzesformulierungen: Um die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge oder die Einschränkung eines Umgangsrechts zu erreichen, sind nunmehr weitaus härtere Argumente, z.B. in Form von Vorwürfen, Verdächtigungen oder Pathologisierungen, notwendig. Die apodiktische Behauptung, dass zum Kindeswohl auch der ungehinderte Kontakt zum anderen Elternteil gehört1, ist in dieser Generalisierung unzutreffend (man denke nur an misshandelnde, sexuell missbrauchende, kriminelle, psychotische oder süchtige Elternteile); sie ist auch von den einschlägigen Forschungsergebnissen nicht gedeckt2. Die optimistischen Ergebnisse der Untersuchung von Proksch3 bezüglich des Erfolgs im Sinne von überwiegend positiven Auswirkungen der Kindschaftsrechtsreform können jedenfalls von Sachverständigen sicher nicht bestätigt werden4.
II. Fragestellungen an den psychologischen Sachverständigen (auch) nach der Reform
Welche konkreten Fragestellungen werden denn nun heute an den psychologischen Sachverständigen in familiengerichtlichen Verfahren gestellt? Was ist deren Zielrichtung?
Oberste Leitlinie für familienrechtliche Entscheidungen ist nach wie vor das Kindeswohl. Soll diese Idealnorm nicht zur Leerformel verkommen, so ist in jedem einzelnen Fall zu fragen, welche Bedingungen (äußere Lebensbedingungen, individuell-psychologisch und sozialpsychologisch fördernde Bedingungen) ein individuelles Kind mit seinen vorhandenen Bindungen, seinen Fähigkeiten, seinen Stärken und Schwächen, Vorlieben und Abneigungen langfristig benötigt, um ein psychisch möglichst wenig beeinträchtigtes, selbstverantwortliches Leben führen zu können. Solche Bedingungen kann der Sachverständige auf Grund der ihm bekannten einschlägigen Forschungsergebnisse aufzeigen; er kann mit psychologisch-diagnostischen Mitteln prüfen, welche fördernden oder hemmenden Bedingungen im Einzelfall vorliegen, er kann diese aktuell vorhandenen Bedingungen im Licht der Forschungsergebnisse gewichten und prognostisch beurteilen. Diese prognostische Gewichtung jedoch ausschließlich auf den jeweils aktuellen Ist-Zustand zu stützen, ginge an der tatsächlichen psychischen Situation der Beteiligten und an deren Möglichkeiten vorbei: Auf Grund seines - wissenschaftlich begründeten - Änderungswissens5 ist der Gutachter vielmehr gefragt, zu eruieren, über welche Ressourcen zur (Wieder-) Übernahme der vollen elterlichen Verantwortung und zur Verwirklichung des Wohls des gemeinsamen Kindes Eltern verfügen, auch wenn sie aktuell auf Grund der emotionalen Krise der Trennung daran gehindert sind: In diesem Zusammenhang gehört es zu den Aufgaben des Gutachters, den Eltern die aktuellen und langfristigen (psychischen) Bedürfnisse sowie die jeweiligen Entwicklungschancen und -risiken ihres Kindes bewusst zu machen; darauf aufbauend kann (muss, soll) der Sachverständige durch geeignete Maßnahmen und Hilfestellungen dazu beitragen, die Eltern (wieder) zu einer Kommunikation, die erneut zu Konsens und Kooperation hinsichtlich der Belange des Kindes führen sollte, zu befähigen.
Diese entwicklungsorientierte Konzeption von Begutachtung und Diagnostik als Prozess auch für familienrechtliche Begutachtungen wird z.B. bei Westhoff/Kluck6 und bei Westhoff/Terlinden-Arzt/Klüber7 ausführlich beschrieben; unter dem Begriff der Interventionsdiagnostik gehen z.B. Schade/Friedrich8 auf einzelne dafür geeignete Zielsetzungen und Vorgehensweisen ein.
Geht man vom reinen Wortlaut des Gesetzes in § 1671 II 2 BGB aus, so hätte der Sachverständige auch nach der Reform immer noch eine Frage zu beantworten, die genau genommen wissenschaftlich begründet nicht zu entscheiden ist: Welche Lösung der Sorgerechtsfrage oder der Umgangsregelung für ein individuelles Kind in einer spezifischen Situation und für einen langen Zeitraum am besten ist. Dies kann in dieser allgemeinen Form nicht vorausgesehen werden, da weder der Gutachter noch irgendein anderer der Beteiligten am Verfahren alle Bedingungen, die sich auf die weitere Entwicklung des Kindes in der Zukunft auswirken werden, vorhersehen kann. Der Sachverständige kann jedoch mit Hilfe des diagnostischen Prozesses in der Arbeit mit der Familie aufzeigen, welche Chancen und Risiken für diese weitere Entwicklung des Kindes mit den unterschiedlichen Lebensbedingungen verbunden sind, d.h., welche äußeren Lebensbedingungen und welche psychologischen Einflüsse sich in Zukunft auf das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit fördernd oder hemmend auswirken werden (s. auch oben), welche Bedingungen, z.B. im Verhalten beider Elternteile, sich in welcher Weise ändern müssen, um weiteren Schaden von dem jeweiligen Kind abzuwenden.
Vielleicht gelingt es ja, in einer späteren Neuformulierung des Gesetzestextes, die idealistische Erwartung, dass ein Familienrichter (oder Sachverständiger oder Berater, Mediator oder Therapeut) wissen könne, was für ein bestimmtes Kind unter welche Bedingungen am besten sei, zu ersetzen durch eine bescheidenere, aber realistischere Zielsetzung, nämlich, wie schon erwähnt, weiteren Schaden für das Kind möglichst zu verhindern: Internationale und nationale Forschungen belegen, dass in aller Regel die Trennung der Eltern für das Kind die zentrale Belastung oder sogar einen pathogenen Faktor dar(stellt) (Erg. d.A.), was durch ein bestimmtes - jeweils auf den Einzelfall zugeschnittenes - Sorgerechtsmodell allenfalls zu mindern, nicht aber aus der Welt zu schaffen ist9.
Nach wie vor erwartet nun der Richter von einem Gutachten:
-
Hilfe für eine Entscheidung - wenn sie denn notwendig wird - über und für die Gestaltung von Sorgerechts- und Umgangsregelungen nach Trennung und Scheidung. Dies gilt nicht nur dann, wenn einem Elternteil die alleinige elterliche Sorge zugesprochen wird, sondern auch dann, wenn beide Eltern die gemeinsame elterliche Sorge beibehalten, z.B. in Bezug auf die Bereiche der Alltagssorge. Ebenso können diese Fragen jetzt für ehelich geborene Kinder und solche, deren Eltern nicht miteinander verheiratet waren, gleichermaßen relevant werden; -
Hilfe für eventuell notwendige Entscheidungen über Entzug oder Teilentzug der elterlichen Sorge für einen oder beide Elternteile; bei diesen Fragestellungen geht es jetzt auch vor dem Familiengericht um die Probleme von Vernachlässigung, Misshandlung oder sexuellem Missbrauch von Kindern in Familien, deren Eltern nicht getrennt oder geschieden sind (§§ 1666 , 1666a BGB), also Fälle, die vor der Reform des Kindschaftsrechts durch das Vormundschaftsgericht bearbeitet wurden10.
Neu ist nach der Reform des Kindschaftsrechts, dass der Familienrichter neben diesen Entscheidungshilfen nunmehr vom Sachverständigen die auch früher bereits häufig implizit erwarteten Befriedungsbemühungen explizit anfordern kann und dies auch tut. Diesen alten und neuen Anforderungen versucht der Sachverständige - wie in der Regel auch bisher schon - durch eine oben bereits erwähnte interventionsdiagnostische Strategie nachzukommen. Was dies im Einzelnen bedeutet, wird weiter unten ausführlich erläutert11.
Das Bemühen darum, Bedingungen für die Verwirklichung von Kindeswohl aufzufinden, hat zu einem in der Gesetzgebung und in der Rechtsprechung entwickelten Anforderungsprofil geführt, das, auf Grund natur- und sozial-wissenschaftlicher Forschungsergebnisse, einige wesentliche Merkmale für die Annäherung an das Wohl des Kindes im oben erläuterten Sinn aufführt.
Auf dieses, auch als Kindeswohlkriterien bezeichnete Bündel von Bedingungen soll im Folgenden kurz eingegangen werden12.
III. Das Anforderungsprofil für ein familiengerichtliches Gutachten: Kriterien des Kindeswohls
Kriterien dafür, was dem Kindeswohl dient, ergeben sich aus den Erkenntnissen psychobiologischer (ethologischer), entwicklungs-, sozial- und klinisch-psychologischer, pädagogischer und auch soziologischer Forschungen: Zu berücksichtigen sind Bedingungen, die sich nach diesen Ergebnissen bisher als für die weitere kurzfristige und eventuell langfristige Entwicklung von Kindern als förderlich bzw. als risikobehaftet gezeigt haben.
Als förderlich wird z.B. auf Grund der Ergebnisse der Bindungsforschung13 angenommen, dass es für eine psychisch gesunde Entwicklung von Kindern von äußerst großer Bedeutung ist, in den ersten Lebensjahren sichere Bindungen an mindestens eine Person entwickeln zu können. Dies gelingt dann, wenn es mindestens eine Betreuungsperson gibt, die in der Lage ist, feinfühlig auf die (geäußerten) körperlichen, psychischen und sozialen Bedürfnisse des Kindes zu reagieren und diese in jeweils angemessener Weise zu befriedigen14; solche Bedürfnisse beziehen sich auf Nahrung, Wärme, Gesundheit, emotionale Zuwendung, Sicherheit in Belastungssituationen, Kommunikation, soziale Kontakte, Unterstützung von Neugierverhalten und explorativem Verhalten in der Umgebung. Die Entwicklung sicherer Bindungen in den frühen Lebensjahren bilden unter anderem die Grundlage für eine spätere Bindungsfähigkeit des Kindes an weitere Personen, z.B. auch in Partnerschaften im Erwachsenenalter: Die Entwicklung von Bindungen ist daher als lebenslanger Prozess anzusehen15.
Bindungen wie auch Beziehungen anderer Qualität (z.B. Freundschaften) benötigen, um sich entwickeln zu können, ein Mindestmaß an zeitlicher Kontinuität im Kontakt mit den Personen, zu denen diese Beziehungen entstehen sollen. Eine Kontinuität der Betreuung ist seit den frühen Ergebnissen von René Spitz16 (1945) zum Hospitalismus-Syndrom bei Kindern, die eine solche nicht erleben konnten, als unabdingbar notwendig für eine psychisch gesunde, altersgemäße Entwicklung des Kindes bekannt.
Die Kontinuität der Umgebung für das Kind tritt daher demgegenüber in einem frühen Lebensalter in ihrer Bedeutung für seine Entwicklung zurück gegenüber der Aufrechterhaltung von Bedingungen, in denen eine Kontinuität der Betreuung gewährleistet ist. Wenn das Kind später seinen Aktionsradius über die Familie und einige freundschaftliche Beziehungen hinaus erweitert hat und erst recht, wenn die allmähliche Ablösung aus frühen Abhängigkeiten als Entwicklungsaufgabe ansteht, kann die Umgebungskontinuität an Bedeutung für das subjektive Wohlbefinden und das objektive Wohl des Kindes zunehmen. Nach einer Trennung der Eltern können die vertraute Umgebung und die außerfamiliären Einbindungen (z.B. Schule, Freundeskreis, Ausübung eines Hobbies) ein hohes Maß an Stabilität bieten und so zur emotionalen Sicherheit des Kindes beitragen, trotz der Belastung, die es durch den Verlust eines Elternteils erlebt.
Wird in einer familiengerichtlichen Auseinandersetzung eine streitige richterliche Entscheidung über die Belange des Kindes notwendig, so soll der wirkliche Kindeswille als Kriterium eine wichtige Rolle spielen. Ausgangspunkt für diese Forderung ist die Betrachtungsweise des Kindes als Subjekt innerhalb des Trennungsprozesses der Eltern, dessen spezifische Sichtweise in die Entscheidung einbezogen werden soll. Psychologisch gesehen, kann als Grundlage dafür angesehen werden, dass sich im Willen des Kindes, den es auf verschiedenen Verhaltensebenen kundtun kann, die Art seiner Bindungen äußert: Unter dieser Annahme würde das Kind sich für diejenigen Bedingungen entscheiden, von denen es auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen erwartet, dass diese seine elementaren Bedürfnisse am ehesten befriedigen werden. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das Kind in seinen Präferenzen nicht einseitig (negativ) wertend beeinflusst wurde. Die Erkundung des Kindeswillens darf hier jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass das Kind zu einer Entscheidung zwischen Vater oder Mutter animiert oder gar gezwungen werden dürfte: Ein solches Vorgehen wäre völlig indiskutabel: Da Kinder auf Grund ihrer existenziellen Abhängigkeit von der äußeren und emotionalen Fürsorge der Eltern in der Regel beide Elternteile lieben, dürfen sie nicht dazu angehalten werden, sich für einen Elternteil zu entscheiden: Dies würde implizit die Entscheidung gegen den anderen Elternteil bedeuten. Dem Kind auf diesem Weg die Entscheidung über seine zukünftigen Lebensbedingungen zu überlassen, wäre darüber hinaus auch insofern nicht zu verantworten, als das Kind die Folgen, die eine bestimmte Wahl für seine zukünftige Entwicklung haben kann, noch nicht überblickt und insofern nicht beurteilen kann, was ihm nützen bzw. was ihm schaden wird.
Auf der anderen Seite dürfte es, zumal bei älteren Kindern oder Jugendlichen, wenig erfolgreich sein, ihren Lebensmittelpunkt bei demjenigen Elternteil zu bestimmen, den das Kind als Erziehungsperson völlig ablehnt: Erziehung kann nur dann erfolgreich sein, wenn das Kind erzieherischen Einflüssen gegenüber offen ist; eine derartige Erziehungswilligkeit des Kindes oder Jugendlichen muss die Erziehungsfähigkeit der jeweiligen Erziehungsperson(en) ergänzen17. Anderenfalls ist ein Scheitern aller Erziehungsbemühungen vorprogrammiert und damit auch die Chance zum Aufbau oder der Aufrechterhaltung einer positiven Beziehung zu den Eltern bzw. zu mindestens einem Elternteil vertan. Bei älteren Kindern und Jugendlichen kann dies bis hin zu einer erheblichen (Selbst-) Gefährdung durch Weglaufen oder Ähnliches und damit zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen: Es gibt kein Kindeswohl gegen den Kindeswillen.18
Um also auch derartige Fehlzuordnungen zu vermeiden, ist es notwendig, die Vorstellungen und Bedürfnisse des Kindes, um das die Eltern sich streiten, und deren psychologische Grundlagen zu erkunden. Dies bezieht sich auch auf Fragen der Gestaltung des Umgangsrechts des nicht-betreuenden Elternteils. Auf die seit einigen Jahren in diesem Zusammenhang virulente Diskussion um eine unbegründete, massive Beeinflussung des Kindeswillens durch einen Elternteil und das damit verbundene Risiko eines Parental Alienation Syndroms (PAS)19, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Bei dieser Diskussion, so wie sie zum Teil auch hochemotional und polemisch geführt wird, kommen die Kompetenzen des Kindes als agierendes, aktives Subjekt in den Auseinandersetzungen der Eltern bei weitem zu kurz; die individuellen Bedingungen des Kindes (z.B. sein psychologischer Entwicklungsstand, die Qualität seiner Beziehungen insgesamt) werden dabei nicht berücksichtigt: Das Kind wird stattdessen einseitig und ausschließlich als Opfer gesehen, ohne dass seine Möglichkeiten und Ressourcen in Betracht gezogen und gestärkt würden, den Konflikt, in den seine Eltern es durch ihre Trennung gestellt haben, in seiner ihm jeweils gemäßen Art und Weise zu lösen. Zu berücksichtigen ist eben, dass der Widerstand oder die Ablehnung des Kindes, den nicht-betreuenden Elternteil zu besuchen, oft durch mehrere Bedingungen gleichzeitig bestimmt ist20 und sich daher auch unterschiedlich entwickeln kann: Die vorübergehende Total-Ablehnung eines Elternteils kann dann in bestimmten Phasen ein solcher Lösungsversuch sein und nicht hinter jeder Umgangsverweigerung eines Kindes steckt ein boykottierender Elternteil. Die im Zusammenhang mit dem PAS benutzte Diktion und die dahinter stehende Negativ-Etikettierung eines Elternteils bzw. seine Pathologisierung und sogar Beschuldigung im Sinne einer Täterschaft bedeuten einen Rückfall in die Zeiten der statischen Beurteilung und Etikettierung von Personen; die Ergebnisse aus vielen Teilbereichen psychologischer Forschung mit ihrer Betonung des Prozesscharakters von Persönlichkeit, Problemlösemöglichkeiten (coping) und Beziehungen sowie den multiplen Zusammenhängen zwischen verschiedenen realen und psychologischen Bedingungen für das Verhalten des Einzelnen werden dabei völlig ignoriert. Die große Vereinfachung, die mit der PAS-Diagnose einhergeht, mutet an wie eine Rückkehr zum alten Schuldrecht bei Ehescheidungen; ob diese Betrachtungsweise im Einzelfall dem Wohl des jeweiligen Kindes dient, ist jedoch sehr fraglich. In ausführlicher Weise beschäftigt sich z.B. Dettenborn21 mit dem Problem der Entstehung, Entwicklung und Diagnostik des Kindeswillens; hier findet sich ebenso eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept des PAS und seiner Anwendung in familienrechtlichen Konflikten.
Als weiterer Anhaltspunkt auf dem Weg zur Verwirklichung des Kindeswohls wird ein Bündel von Verhaltensweisen, Motiven, Einstellungen und Emotionen von Eltern genannt, das häufig unter den Begriffen der Elterlichkeit oder auch Erziehungsfähigkeit/Förderungskompetenz zusammengefasst wird. Diese vielfältigen Erwartungen an verantwortliche Eltern stehen nach der Kindschaftsrechtsreform im Vordergrund der Überlegungen, wie das Kindeswohl trotz der Trennung der Eltern am besten gewahrt bzw. hergestellt werden kann.
Hierzu wird von den Eltern generell gefordert, dass sie in der Lage sein müssten, Paarebene und Elternebene voneinander zu trennen: Konflikte auf der Paarebene dürfen demnach nicht zu Konflikten auf der Elternebene führen. Mehr als eine Appellfunktion kann diese Forderung jedoch wohl kaum haben: Es ist vielmehr davon auszugehen, dass ihre Realisierung für viele Paare, die sich trennen, eine Überforderung darstellt, zumindest in der ersten Zeit der akuten Trennungskrise. Wie kann von Eltern, die glauben, nicht mehr zusammenleben zu können und die sich deshalb nun um nahezu alle bisher gemeinsamen Belange ihres Lebens heftigst streiten, erwartet werden, dass sie ausgerechnet in Bezug auf etwas derart persönlich Bedeutsames, wie dies die Existenz eines gemeinsamen Kindes ist, kommunikationsfähig, gar konsensfähig sein könnten? Nicht selten sind es ja auch die unterschiedlichen Erziehungseinstellungen und -verhaltensweisen beider Elternteile gegenüber dem gemeinsamen Kind, die als unvereinbar gesehen wurden und mit zum Trennungsentschluss beigetragen haben.
Als Hilfen für die Eltern, um jenseits der Trennungskonflikte (wieder) zu Kommunikationsfähigkeit, Konsensfähigkeit und Kooperationsfähigkeit hinsichtlich der Belange ihrer Kinder finden zu können, werden nach der Kindschaftsrechtsreform vielfältige Beratungsangebote gemacht: neben dem Jugendamt bieten sich hier zahlreiche andere Helfer an, die Eltern darin zu unterstützen, diese Verantwortlichkeit möglichst schnell (wieder) selbst zu übernehmen. Bei vielen jetzt angebotenen Beratungen vermisst man jedoch genaue Zielsetzungen, die Methoden der Beratung sind häufig ebenso unklar wie ihre konkreten Inhalte. Verbindliche, wissenschaftlich begründete Standards dafür, wie auch für Art und Umfang der Qualifikation möglicher Berater, stehen noch aus, so dass über Erfolgs- oder Misserfolgswahrscheinlichkeiten von Beratungen bisher nur spärliche Informationen vorliegen und nur spekuliert werden kann (s. z.B. das Regensburger Modell der gerichtsnahen Beratung22); genaueren Aufschluss darüber gibt die Studie von Proksch23 auch kaum; zumindest für die zweite Erhebung der Studie im Jahr 2001 dürfte eine fragestellungsrelevante Selbstselektion der (Rest-) Stichprobe nicht auszuschließen sein.
IV. Methodische Anforderungen an ein psychologisches Sachverständigen-Gutachten zu familienrechtlichen Fragen
Wie kann nun ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten in einer solchen Situation zum Wohl des Kindes beitragen?
In den letzten Jahren werden die speziellen Möglichkeiten, die der psychologische Sachverständige hat, an dem Prozess der Verwirklichung des Kindeswohls mitzuwirken, unter dem Stichwort der Interventionsdiagnostik beschrieben24. Hierzu ist zunächst anzumerken, dass jede Form der systematischen Diagnostik bereits eine Form der Intervention darstellt: Durch die Systematik bei der Erfassung der subjektiven Problemdarstellungen wie auch der systematischen Beobachtung der Konfliktäußerungen und der Beziehungen der Beteiligten (z.B. mit Hilfe von kriteriengeleiteten Verhaltensbeobachtungen, durch Tests und/oder andere standardisierte Verfahren) werden neue, veränderte und verändernde Bedingungen für die Reflexionen der Beteiligten, für ihre Kommunikation und ihre Interaktionen gesetzt. Es kommt gar nicht so selten vor, dass die Nachfrage in der Exploration nach einer bestimmten Handlung, einem Gefühl oder einem Gedanken bei einem beteiligten Familienmitglied eine diesbezügliche erhöhte Aufmerksamkeit oder, zumindest punktuell, einen Perspektivwechsel in Gang setzt. In einigen Fällen kann dies dazu führen, dass ein Elternteil einlenkt und es doch noch zu einem übereinstimmenden Vorschlag der Eltern kommt. Das Gutachten würde dann durch einen Bericht über diesen Vorschlag an das Gericht abgeschlossen.
Im oben genannten Konzept ist der Begriff der Intervention jedoch umfassender gemeint: Diagnostisch geprüft werden - im Hinblick auf eine mögliche Verwirklichung von Kindeswohl - die Kooperationsfähigkeit der Eltern, ihre diesbezügliche Lernfähigkeit und ihre Lernbereitschaft, bisherige Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen, vor allem gegenüber dem früheren Partner, aber auch unter Umständen gegenüber dem Kind, zu verändern. Im neuen Kindschaftsrecht wurde nunmehr auch die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass der Gutachter auch explizit beauftragt werden kann, die Eltern in ihrer Lernbereitschaft und Kooperationsfähigkeit im Sinne des Kindeswohls zu unterstützen. Dazu kann er mit geeigneten Methoden ihre Fähigkeit zu konstruktivem Konfliktverhalten, ihre Kooperationsfähigkeit und ihre Kooperationsbereitschaft aktivieren und mit den Eltern nach Konsensmöglichkeiten suchen. Vermittlungsversuche sowie Anleitungen und Stützung von konkreten, von den Eltern selbst unternommenen Veränderungsschritten können nun explizit auch als Gutachtenauftrag formuliert werden, das Verfahren kann gegebenenfalls bis zur Erreichung bestimmter Ziele in begrenzter Zeit ausgesetzt werden. Bei dieser Aufgabe kann der Gutachter sich verschiedener Techniken, z.B. aus der Familientherapie, der Mediation oder aus dem Kommunikationstraining, bedienen. Damit kann er - in wesentlich höherem Maße als bisher - systematisch konkrete Veränderungsschritte in Gang setzen, sie auf ihren Erfolg hin überprüfen und, falls notwendig, entsprechend modifizieren. Diese Schritte können jeweils durch den Gutachter diagnostisch begleitet und prognostisch im Hinblick auf eine Verbesserung der Bedingungen für das Kindeswohl bewertet werden.
Implizit erwartet wurde diese Befriedung auch bisher häufig von der Einschaltung eines Gutachters. Grundsätzlich wurde eine solche prozessorientierte Begutachtungsstrategie auch bereits vor der Reform des Kindschaftsrechts vorgeschlagen und praktiziert25.
Das konkrete Vorgehen des gerichtlich bestellten Sachverständigen im Einzelfall soll hier nicht (erneut) im Einzelnen dargestellt werden; hierzu liegen zahlreiche ausführliche Veröffentlichungen vor26.
Aus den dort aufgeführten Standards geht hervor,
a) dass eine qualifizierte psychologische Begutachtung an den jeweiligen individuellen Bedingungen und Merkmale der beteiligten Personen auszurichten ist. D.h., es kann auf Grund der Komplexität dieses Bedingungsgefüges keine Vorgehensweise, d.h. keine Strategie und auch kein einzelnes (diagnostisches) Verfahren, geben, die in allen Begutachtungsfällen routinemäßig zu verwenden wäre. Jede Begutachtung erfordert vielmehr eine individuelle Planung des Untersuchungsablaufs;
b) dass psychologische Begutachtung keine Festschreibung statischer Merkmale zu einem bestimmten Zeitpunkt ist, sondern an jedem Punkt des Prozesses eine Rückkehr zu vorhergehenden Schritten möglich ist, wenn neue Informationen eine Änderung oder Ergänzung von Hypothesen oder Methoden erfordern. Es handelt sich demnach bei einer solchen Begutachtung um einen (in den meisten Fällen) verzweigten, rekursiven oder sequenziellen Prozess27.
Der Versuch, Gutachter nach Schulen zu sortieren, und diese einzuteilen in
(kompromisslerische) Interventionsdiagnostiker, die dann, wenn ihre Interventionen nicht erfolgreich sind, in Statusdiagnostik zurückfallen -
und die modernen, fortschrittlichen, dynamischen, systemisch und damit als einzige richtig arbeitenden Helfer der Familien28
kann nur als ideologisch begründeter Versuch angesehen werden, die komplexe psychische Wirklichkeit von Familienkonflikten, den darin verstrickten Individuen und den Risiken und Chancen ihrer Weiterentwicklung auf einen vereinfachten, griffigen Nenner zu bringen: Wer nur einen Hammer hat, dem wird eben alles zum Nagel: Nicht alle Familien im Trennungs- und Scheidungskonflikt sind therapiebedürftig, und Beratungsmöglichkeiten haben ihre Grenzen29. Dies zu ignorieren dient dann eher der autoritären Durchsetzung der von (häufig selbsternannten) Experten als einzig richtig propagierten Vorgehensweise und Zielvorgaben. Das Wohl des Kindes, das nicht mit seinen beiden Eltern zusammenleben und sich entwickeln kann, und das Wohlergehen seiner Familie erfordern aber, dass alle mit den Familienkonflikten befassten Experten ihr fachlich Bestes geben, ohne dabei die Möglichkeiten und Grenzen der psychologischen Leistungsfähigkeit und ihrer Entwicklung von Eltern und Kindern aus dem Auge zu verlieren: Zu manchen Zeitpunkten und in manchen Fällen kann die angemessene Hilfe durchaus auch in einer (mit Sachverständigenhilfe auf der Grundlage systematischer wissenschaftlicher Erkenntnisse) gut vorbereiteten, klaren (richterlichen) Entscheidung bestehen, auf deren Basis dann eine neue Sicht der Dinge erst möglich wird.
*Die Autorin ist Diplom-Psychologin und als Psychologische Gutachterin tätig (Praxis für Gerichtliche Psychologie); sie ist Honorarprofessorin am Psychologischen Institut in der Abteilung für Klinische und Angewandte Psychologie an der Universität Bonn.
1S. Proksch, KindPrax 2003, 3 (7).
2S. z.B. Wallerstein/Lewis/Blakeslee, Scheidungsfolgen - Die Kinder tragen die Last. Eine Langzeitstudie über 25 Jahre, 2000, 2002.
3Proksch, KindPrax 2003, 3 bis 11.
4Bemerkenswert ist dabei, dass Sachverständige in diese Studie gar nicht erst einbezogen wurden. Nun sind Sachverständige keine Prozessbeteiligten im Sinne des Gesetzes, werden aber gerade bei hochproblematischen Fällen als Fachkräfte (Proksch, KindPrax 2003, 3) hinzugezogen. Diese Ausklammerung einer ganzen Gruppe von Experten, die auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen mit dem neuen Kindschaftsrecht und auf Grund ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse gut begründete Aussagen über die psychologische Situation von Familien nach Trennung und Scheidung und über die Auswirkungen der unterschiedlichen Sorge- und Umgangsregelungen (Proksch, KindPrax 2003, 3) machen kann, kann die Ergebnisse der vorliegenden Studie verzerrt haben. Die Diskussion weiterer methodischer Probleme der genannten Untersuchung, die zu den unter Umständen positiv-verzerrenden Schlussfolgerungen beigetragen haben können, würden den Umfang und die Thematik des vorliegenden Beitrags sprengen. Dies muss einer separaten Analyse vorbehalten bleiben (Kluck, in Vorbereitung).
5Kaminski, Verhaltenstheorie und Verhaltensmodifikation, 1970.
6Westhoff/Kluck, Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen, 4. Aufl. (2003).
7Westhoff/Terlinden-Arzt/Klüber, Entscheidungsorientierte Psychologische Gutachten für das Familiengericht, 2000.
8Schade/Friedrich, FPR 1998, 237 bis 241.
9Balloff, Report Psychologie 1991, 16 (21).
10Manchmal ergibt sich auch die Frage nach einer Hilfe bei Entscheidungen über Namenserteilung/Namensänderungen für Kinder, z.B. nach Wiederheirat eines Elternteils. Auf Grund der veränderten Realitäten durch die immer häufiger auftretenden Konstellationen so genannter Patchwork-Familien ist zu erwarten, dass diese Art von Fragestellung in Zukunft auch als gutachterliche Fragestellung häufiger auftreten kann als bisher.
12Ausführliche Darstellungen dazu s. z.B. bei Fthenakis/Niesel/Kunze, Ehescheidung: Konsequenzen für Eltern und Kinder, 1982; Salzgeber, Familienpsychologische Begutachtung - Rechtliche Vorgaben und sachverständiges Vorgehen, 2001; Westhoff/Terlinden-Arzt/Klüber (o. Fußn. 7).
13S. z.B. Spangler/Zimmermann, Die Bindungstheorie - Grundlagen, Forschung und Anwendung, 1995; Grossmann/Grossmann, Eltern-Kind-Bindung als Aspekt des Kindeswohls. Brühler Schriften zum Familienrecht (12. DFGT), 1998, S. 76 bis 89.
14S. dazu die Forschungen im Gefolge von Ainsworth: Ainsworth/Blehar/Waters/Wall, Patterns of attachment: A psychological study of the Strange Situation. Hillsdale, NJ: Erlbaum, 1978.
15Ainsworth, Attachment and other affectional bonds across the life cycle, in: Parkes/Stevenson-Hinde/Marris (Eds.), Attachment across the life cycle, 1978, London: Routledge, 33 - 51.
16Spitz, Hospitalism: an inquiry into the genesis of psychiatric conditions in early childhood. The Psychoanalytic Study of the Child, 1945, 1, 53 - 74.
17Ell, Psychologische Kriterien bei der Sorgerechtsregelung und die Diagnostik der emotionalen Beziehungen, 1990, S. 41.
18Ell (o. Fußn. 17), S. 41.
19S. Gardner, The Parental Alienation Syndrome: A Guide for Mental and Legal Professionals. Cresskill, NJ: Creative Therapeutics, Inc., 1992.
20Zit. nach Johnston, Children of Divorce Who Refuse Visitation, in: Depner/Bray (Eds.), Nonresidental Parenting - New Vistas in Family Living, 1993, Pp. 109 - 135 (116).
21Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 2001.
22Lossen/Vergho, FamRZ 1993, 768 bis 771; Buchholz-Graf, Gerichtsnahe Beratung bei Trennung und Scheidung - Evaluationsergebnisse des Regensburger Modellprojekts, in: Richardt/Krampen/Zayer (Hrsg.), Beiträge zur Angewandten Psychologie - Gesellschaft im Wandel, S. 282 bis 284.
23Proksch, KindPrax 2003, 3.
24S. dazu z.B. Schade/Friedrich, FPR 1998, 237 bis 241; ähnlich Rohmann, Praxis der Rechtspsychologie 1998, 218 bis 232; ders., KindPrax 2000, 71 bis 76 und 107 bis 112; Salzgeber, Praxis der Rechtspsychologie 1998, 142 bis 156; Balloff, ZfJ 1994, 218 bis 224.
25S. auch allgemein: Kaminski (o. Fußn. 5); Salzgeber, Der psychologische Sachverständige in Familiengerichtsverfahren, 1992; im Konzept einer sequenziellen, entscheidungsorientierten Diagnostik: Westhoff/Kluck, Psychologische Gutachten schreiben und beurteilen, 1998; in der Anwendung auf familiengerichtliche Gutachten inzwischen auch explizit: Westhoff/Terlinden-Arzt/Klüber (o. Fußn. 7); Westhoff/Kluck (o. Fußn. 6); s. auch Balloff, FPR 1998, 207 bis 213; Rohmann, Praxis der Rechtspsychologie 1998, 218 bis 232; ders., KindPrax 2000, 71 bis 76 und 107 bis 112.
27S. ausführlich dazu: Westhoff/Kluck (o. Fußn. 25); Westhoff/Terlinden-Arzt/Klüber (o. Fußn. 7); Rohmann, Praxis der Rechtspsychologie 1998, 218 bis 232.
28Nachzulesen unter www.Kind-im-Zentrum.de/Gutachten.htm.
29Hier soll ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass der seriöse, theoretisch fundierte und systematisch empirisch erforschte Ansatz der systemischen Familientherapie und systemischen Familienberatung nicht verwechselt werden darf mit unwissenschaftlichen, autoritären Heilslehren, wie sie z.B. in den Familienaufstellungen eines Bert Hellinger zum Ausdruck kommen (kritisch dazu s. unter anderem Wiemann, Die systemische Familientherapie nach Bert Hellinger - eine gefährliche Heilslehre. Informationen der Landesarbeitsgemeinschaften für Erziehungsberatung, Nr. 21/2000, S. 109 bis 117).
Re: Induzierte Umgangsverweigerung (PAS)
BGB § 1671 [Übertragung der Alleinsorge nach bisheriger gemeinsamer elterlicher Sorge bei Getrenntleben der Eltern]
Fehlt jede Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft unter den Eltern, kann die gemeinsame elterliche Sorge selbst dann keinen Bestand haben, wenn ein Partner sich verweigert, der andere aber seine guten Absichten und Bereitschaft zur Zusammenarbeit betont.208 Meist sind die Zusammenhänge ohnehin komplexer, und zudem wird die Seite, die im Verfahren zu verlieren droht, schon aus vordergründiger Prozeßtaktik zur Beschönigung neigen. Anders ist zu entscheiden, wenn Streit und Mißgunst der Parteien (eher) Nebensächlichkeiten209 betreffen, die sich für die Entwicklung des Kindes nicht nachteilig auswirken oder die anders geregelt werden können. Ist die Erziehungsfähigkeit eines Elternteils im Kern berührt, können Streitigkeiten um Nebensächlichkeiten hingegen schon ausreichen, die gemeinsame elterliche Sorge für sie scheitern zu lassen,210 denn insoweit ist auch das Kind in seiner Entwicklung gefährdet. Anhaltspunkt kann dabei sein, dass sich die Eltern bisher mehrmals in wichtigen Erziehungsfragen, vgl. § 1628 Abs. 1, nicht einigen konnten und (sogar) gerichtliche Verfahren geführt haben, selbst wenn jeder Punkt für sich nicht ganz wesentlich geworden ist.211 Streiten sich die Eltern um ihre Erziehungskompetenz, reicht nicht die bloße Feststellung ohne weitere Ermittlungen durch das Gericht aus; vielmehr müssen - wie sonst - im einzelnen ihre Gründe aufgeklärt und bewertet werden, um eine sichere Grundlage zu finden.212
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§ 1687213 kann bei der Abwägung bedeutsam werden. Insgesamt verbietet sich allerdings - wie sonst bei Elternstreitigkeiten und einer gerichtl. Entscheidung nach § 1671 - jede Bagatellisierung, etwa mit der (eher falschen) Vorstellung, Eltern, die sich trennen, lebten meist im Streit miteinander, und dabei sei ein gewisses Maß an gegenseitiger Abneigung und Entwertung (fast) selbstverständlich214 Parental Alienation Syndrome - PAS). Denn im Mittelpunkt steht das Kind und seine Entwicklung, auf die die Auseinandersetzungen der Eltern zu beziehen sind.
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208 Dazu OLG Stuttgart FamRZ 1999, 1596 und OLG Dresden FamRZ 1999, 324. Sehr ausführlich zu diesen Gesichtspunkten auch Oelkers § 1 RdNr. 201 f. mit weiteren Nachw.; vgl. auch Schwab/Motzer (Handbuch) III RdNr. 127 f. mit Nachw.; BGH NJW 2000, 203 = FamRZ 1999, 1646 mit Bspr. Born FamRZ 2000, 396 und Anm. Coester DEuFamR 2000, 53 und Oelkers MDR 2000, 31; sehr kritisch Bode FamRZ 2000, 478; vgl. im übrigen OLG Köln FamRZ 499; AG Hamburg FamRZ 2000, 499; OLG Dresden FamRZ 2000, 501; OLG Hamm FamRZ 2000, 501 (massive körperliche Auseinandersetzungen unter den Eltern teilweise in Anwesenheit des Kindes); KG FamRZ 2000, 502; KG FamRZ 2000, 504; KG FamRZ 2000, 504/505; AG Ratzeburg FamRZ 2000, 505 (Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge, obwohl der Vater Alkoholprobleme hat und der Mutter für das Kind keinen Unterhalt zahlt - die Eltern haben sich sonst aber gut verstanden, hatten keinen Streit und konnten für das Kind vernünftig zusammenarbeiten, wobei auch das Jugendamt stets eingeschaltet war).
209 Dazu Palandt/Diederichsen RdNr. 17; die Abgrenzung ist schwierig, vgl. auch OLG Oldenburg FamRZ 1998, 1464 und gleich im folgenden; besonders skeptisch Born FamRZ 2000, 396, 398; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW-RR 2001, 507.
210 Das ist anerkannt, dazu OLG Bamberg NJW 1999, 1873; vgl. auch OLG Dresden FamRZ 1999, 324 und 1156; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1157 und 1598; OLG Hamm FamRZ 1999, 1597; sehr entschieden BGH NJW 2000, 203 = FamRZ 1999, 1646.
211 Vgl. dazu OLG Karlsruhe, NJW-RR 2001, 507, 508.
212 OLG Nürnberg EzFamRaktuell 2001, 60.
213 Vgl. OLG Hamm FamRZ 1999, 38 und OLG München NJW 2000, 368.
214 OLG Brandenburg NJWE-FER 1998, 223 = FamRZ 1998, 1047 (mit sehr umfangreicher Begründung); dazu im übrigen Kodjoe/Koeppel DAVorm. 1998, 9 und Kopatsch ZfJ 1998, 246; Brinck ZfJ 1998, 287 und zur Entwicklung in der tschechischen Republik Bakalar ZfJ 1998, 268
Re: Induzierte Umgangsverweigerung (PAS)
FPR 2002 Heft 06 248 - 251
Die neueste Rechtsprechung zum Umgangsrecht*
Vors. Richter am OLG Dr. Harald Oelkers, Rostock
I. Vorbemerkung
Das Umgangsrecht zwischen Eltern und Kind1 ist unter zwei Aspekten zu sehen. Zum einen soll es dem Kind ermöglichen, die verwandtschaftlichen Bande zu pflegen, zu erleben und aufrechtzuerhalten2. Zum anderen gibt es dem Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind nicht befindet, die Berechtigung, sich persönlich in regelmäßigen Abständen von der Entwicklung und dem Wohlergehen seines Kindes zu überzeugen. Darauf, ob das Kind in einer Ehe geboren worden ist oder nicht, kommt es nicht mehr an. Nichteheliche Väter sind den ehelichen gleichgestellt3.
II. Recht des Kindes/Pflicht der Eltern/Weigerung des Umgangsberechtigten
Nach der durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz eingetretenen neuen Rechtslage steht seit dem 1. 7. 1998 jedem Kind - ob ehelich oder nichtehelich4 - das Recht zu, Umgang mit beiden Elternteilen zu haben, § 1684 I BGB. Damit korrespondiert die Pflicht, dieses Umgangsrecht auch auszuüben5. Der Umgang dient zum einen dem Wohl des Kindes6 und zum anderen dem berechtigten Interesse des Elternteils, in dessen Obhut sich das Kind nicht befindet7. Es herrscht weitgehende Einmütigkeit darüber, dass jedes Kind für seine Entwicklung grundsätzlich beide Elternteile braucht8. Daran knüpft sich die Frage, wie die Fälle zu handhaben sind, in denen der Berechtigte es z.B. aus mangelndem Interesse (Es war mit der Mutter ein rein sexuelles Verhältnis.) ablehnt, mit seinem Kind Umgang zu haben.
Das Kind ist schon nach dem Wortlaut von § 1684 I BGB berechtigt, ein gerichtliches Verfahren mit dem Ziel einzuleiten, eine Umgangsregelung zu erlangen. Für dieses Recht spricht auch die Entstehungsgeschichte9. Dabei braucht das Kind keinen spezifizierten Antrag im klassischen Stil zu formulieren. Im FGG-Verfahren ist es Sache des Gerichts, die angemessene Regelung zu treffen10. Der das Verfahren auslösende Antrag ist im Grunde nur eine Anregung, das Gericht möge tätig werden.
Liegt ein gerichtlicher Beschluss mit einer Umgangsregelung vor, ist die weitere Frage, ob diese Entscheidung vollstreckbar ist, ob also die Zwangsmittel des § 33 FGG - die Androhung und danach die Verhängung eines Zwangsgeldes - eingesetzt werden dürfen. Die Anwendbarkeit des § 33 FGG haben das OLG Celle11 und das OLG Köln12 bejaht, das OLG Nürnberg13 hingegen verneint.
Die OLGe Köln und Celle kommen zu dem Ergebnis, dass das Kind einen eigenen, einklagbaren Anspruch auf Umgang hat14. Grundsätzlich kann im geeigneten Fall von den oben genannten Zwangsmaßnahmen Gebrauch gemacht werden. So handelte es sich im Falle des OLG Celle um einen vierjährigen Jungen. Bei Kindern in diesem Alter kann es durchaus noch sein, dass das Kind die ablehnende Haltung des Elternteils überwindet. Jedenfalls entspricht es dem Kindeswohl, wenigstens einen Versuch in dieser Richtung zu machen.
In dem vom OLG Nürnberg zu entscheidenden Fall weigerte sich der Vater strikt, einer wie auch immer gearteten Umgangsregelung zuzustimmen. Obwohl ihm klar war, dass sein Standpunkt gesetzeswidrig war, blieb er unbeirrbar.
Das OLG Nürnberg hat die Anwendung von Zwangsmitteln zu Recht abgelehnt. Die Verhängung des Zwangsgeldes ist ein Beugemittel15. Das Zwangsgeld soll nicht Strafe für einen schuldhaften Verstoß gegen eine gerichtliche Verfügung sein. Vielmehr soll es bewirken, dass der Betroffene seinen Standpunkt überprüft und dann der Verfügung des Gerichts geläutert Folge leistet16. Bezieht man den Zweck des Zwangsmittels, den Anspruch des Kindes und den Starrsinn des Betroffenen in eine Gesamtabwägung ein, so kann man aus Gründen des Kindeswohls nicht dafür eintreten, den Willen des Vaters durch wiederholte Zwangsgelder zu brechen. Auch durch Zwang ist in solchen (Ausnahme-) Fällen nichts zu erreichen.
III. Vereitelung des Umgangs/Umgangsrechtsboykott17
Es ist davon auszugehen, dass unter zehn Jahre alte Kinder mit erzieherischen Mitteln dazu zu bewegen sind, vereinbarte oder durch gerichtlichen Beschluss verfügte Besuchstermine wahrzunehmen18. Weigert sich das Kind trotzdem, so ist häufig davon auszugehen, dass sich der die Obhut innehabende Elternteil unter Verletzung der sich aus der Wohlverhaltensklausel (§ 1684 II BGB) ergebenden Obliegenheiten nicht genügend eingesetzt hat19. Es kommt auch vor, dass der Vater geradezu zu einem Feindbild für die Restfamilie gemacht und mit Entfremdungsstrategien versucht wird, die Umsetzung der Besuchsregelung vollständig zu verhindern20. Hier gilt es - mit sachverständiger Hilfe - die Ursachen aufzudecken. Eine behutsame Wiederanbahnung ist gesetzlich geboten. In der Regel wird dies zunächst nicht ohne einen geschützten Umgang (§ 1684 IV 3 BGB) möglich sein.
Es gibt aber auch Kinder, die schon im Alter von zehn bis zwölf Jahren einen so ausgeprägten eigenen Willen haben, dass sie nicht dazu zu bewegen sind, den von den Eltern bei Gericht vereinbarten Umgang einzuhalten. Dann darf der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, nicht mit einem Zwangsgeld überzogen werden21. Wie auch immer sich die ablehnende Haltung des Kindes aufgebaut haben mag, jetzt - im Zeitpunkt der Vollstreckung - hängt die Entscheidung, den Besuch beim Vater nicht zu machen, nicht von dem Willen der Mutter ab, sondern von der eigenständigen Entscheidung des Kindes22.
Neben den Zwangsmitteln nach § 33 FGG ist bei beharrlicher Umgangsvereitelung (PAS) die Frage zu prüfen, ob die Erziehungseignung des Sorgerechtsinhabers noch gegeben ist. Eine bestehende Sorgerechtsregelung kann nach § 1696 BGB abgeändert werden, und zwar auch von Amts wegen23. Ob man allerdings wie das OLG Stuttgart24 die Eltern - unter Androhung eines empfindlichen Zwangsgeldes - dazu zwingen kann, sich einer psychologisch-pädagogischen Therapie zu unterziehen, ist mangels einer gesetzlichen Grundlage zu bezweifeln.
IV. Ausgestaltung des Umgangsrechts
Bei der Ausgestaltung des Umgangsrechts darf nicht aus den Augen gelassen werden, dass es vorrangig im Kindesinteresse liegt, den Kontakt zum anderen Elternteil zu pflegen25. Es ist also in erster Linie auf das Kindeswohl abzustellen. Der Maßstab für die Dauer und die Häufigkeit des Umgangs ist daher § 1697a BGB, da § 1684 BGB nichts zur Frage des Kindeswohls besagt. § 1697a BGB stellt darauf ab, welche Lösung im Einzelfall dem körperlich-geistigen Wohl des Kindes am besten gerecht wird. Dabei sind die tatsächlichen Möglichkeiten und Gegebenheiten zu berücksichtigen26.
Ein wesentlicher Aspekt bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung ist das Alter des Kindes27. So kann das unterschiedliche Alter mehrerer Geschwister auch unterschiedliche Ferienregelungen bedingen28.
Ein geringes Alter des Kindes stellt grundsätzlich keinen Hinderungsgrund für die Ausübung des Umgangsrechts dar29. Bei einem Säugling oder einem Kleinkind sind häufigere stundenweise Kontakte geboten, um einer Entfremdung vorzubeugen. In Betracht kommt ein Umgang zweimal wöchentlich mit je ein bis vier Stunden30.
Zur Ausübung des Umgangsrechts gehört grundsätzlich auch das Recht, das Kind zu sich nach Hause zu nehmen und dort mit ihm die Zeit des Umgangs zu verbringen31. Die Gegenwart des anderen Elternteils oder eines Dritten scheidet im Regelfall ebenso aus wie die Ausübung nur an einem neutralen Ort, wie z.B. in den Räumen des Jugendamts. Ist das Kind erst zwei Jahre alt, kann es jedoch geboten sein, den Umgang zunächst nur in dessen vertrauter Umgebung zuzulassen32.
V. Ausschluss des Umgangsrechts
Nach der Neuregelung des Umgangsrechts in § 1684 BGB ist von dem Grundsatz auszugehen, dass das Umgangsrecht regelmäßig dem Kindeswohl dient33. Ein Ausschluss des Umgangsrechts kommt daher nur ausnahmsweise in Betracht34. Diese einschneidende Maßnahme setzt voraus, dass das Wohl des Kindes gefährdet ist, § 1684 IV 2 BGB35. Dann kann das Gericht auch von Amts wegen tätig werden. Ein Verbot der Schlechterstellung gibt es dabei nicht. Es tritt hinter dem Grundsatz, dass auch für das Beschwerdeverfahren in erster Linie das Kindeswohl maßgeblich ist, zurück36.
Das Umgangsrechtsverfahren wird vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrscht. Je gravierender der Vorwurf ist, desto weiter muss die Aufklärungsarbeit des Gerichts gehen. Wer eine Maßnahme nach § 1684 IV BGB erreichen will, muss aber selbst genügend detailliert vortragen, also mehr als bloße Vermutungen äußern. Das betrifft besonders den - häufig schwer zu widerlegenden - Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs37. Bei einem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs ist es die Pflicht des Gerichts, die Strafakten beizuziehen und einzusehen38.
Keinesfalls reicht es für eine Maßnahme nach § 1684 IV BGB aus, dass die Mutter ein großes - aus ihrer Sicht verständliches - Interesse an einer störungsfreien Eingliederung des Kindes in die neue Familie hat39. Mit diesem Motiv lässt sich ein Ausschluss oder auch nur eine Beschränkung des Umgangs zwischen dem Vater und seinem Kind nicht rechtfertigen.
Kommt nur ein Ausschluss des Umgangsrechts in Betracht, so hat der betroffene Elternteil die Möglichkeit, von seinem Auskunftsrecht nach § 1686 BGB40 Gebrauch zu machen, wenn er sich weiter über die Entwicklung und das Wohlergehen seines Kindes auf dem Laufenden halten will. Das Auskunftsrecht dient dann als Ersatz für den persönlichen Umgang41.
VI. Verfahrensfragen
1. Kein Grund für eine Befangenheit
Ein Richter kann nicht mit Erfolg wegen Befangenheit abgelehnt werden, wenn er bei einem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs des Kindes die Akten des Strafgerichts beizieht. Da im Umgangsrechtsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz herrscht, ist der Richter zu diesem Vorgehen sogar verpflichtet42. Es begründet auch keine Bedenken, wenn der Richter den Parteivertretern die strafrechtlichen Ermittlungsakten nicht ohne weiteres zur Kenntnis gibt, denn es ist im Ermittlungsstadium Sache der Staatsanwaltschaft, über die Akteneinsicht zu entscheiden.
2. Bestellung eines Verfahrenspflegers
Seit dem 1. 7. 1998 gibt es den Verfahrenspfleger, ein dem Kindeswohl verpflichtetes Rechtspflegeorgan. Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers ist abzusehen, wenn das Kind bei der richterlichen43 Anhörung seine Interessen selbst formuliert hat und deshalb nicht zu erwarten ist, dass ein Verfahrenspfleger weiteren Sachvortrag bringen kann. Das OLG Celle44 hält die Bestellung eines Verfahrenspflegers sogar dann für nicht geboten, wenn die Kinder (hier: sechs und neun Jahre alt) in einem Alter sind, in dem ihr Wille regelmäßig noch nicht streitentscheidend ist.
Nach wie vor ist sehr streitig, ob den Eltern ein Beschwerderecht gegen die Bestellung zusteht45 oder nicht46.
Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist zwar eine Zwischenentscheidung. Diese ist, wie z.B. die Bestellung eines Gutachters, regelmäßig nicht anfechtbar. Der Verfahrenspfleger tritt im Rahmen seiner Aufgabe an die Stelle der Sorgerechtsinhaber. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers stellt also einen erheblichen Eingriff in die Elternrechte dar. Deshalb müssen sich die Eltern gegen die Bestellung mit der einfachen Beschwerde wehren können47. Unstreitig kann sich aber der vom Gericht eingesetzte Verfahrenspfleger mit der Beschwerde gegen seine Bestellung wehren48.
Die Bestellung eines Verfahrenpflegers ist durch das Familiengericht eingehend zu begründen. Da in das grundgesetzlich geschützte Elternrecht eingegriffen wird, ist den Beteiligten vor der Bestellung rechtliches Gehör zu gewähren. Es reicht nicht aus, nur § 50 FGG zu erwähnen49. Ergänzend ist auch an eine Umgangspflegschaft zu denken, wie sie das OLG Hamburg50 für zutreffend erachtet.
Im Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts hat der Verfahrenspfleger nicht zu prüfen, welche Entscheidung dem Kindeswohl am besten entspricht. Das ist Aufgabe des Gerichts. Der Verfahrenspfleger hat den Willen und die Wünsche des Kindes durch Gespräche mit ihm zu ermitteln und das Ergebnis den übrigen Beteiligten zu vermitteln51. Tätigkeiten, die über diesen Rahmen hinausgehen, sind vom Auftrag des Gerichts nicht gedeckt, es sei denn, diese Untersuchungspunkte sind Bestandteil des Bestellungsbeschlusses.
3. Bestellung eines Sachverständigen
Das Familiengericht ist nicht befugt, im Umgangsrechtsverfahren unter Androhung eines Zwangsgeldes eine psychologische Begutachtung der Eltern anzuordnen bzw. zu erzwingen52. Die Einbeziehung der Eltern in die Begutachtung ihres Kindes darf nur mit ausdrücklichem Einverständnis der Eltern erfolgen. Deshalb darf das Familiengericht gegen die Eltern mangels einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage auch keine Zwangsgeldandrohung aussprechen, um sie dazu zu bringen, an der Begutachtung mitzuwirken53. Es darf aber die Weigerung der Eltern, sich begutachten zu lassen, nach den Grundsätzen über die Beweisvereitelung würdigen54. Eine ohne gesetzliche Grundlage erfolgte Zwangsgeldandrohung ist nach §§ 19 ff. FGG anfechtbar55.
4. Wert
Sorge- und Umgangsrecht sind zwei gleichwertige Elternrechte56. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, sie im Rahmen des § 30 II KostO unterschiedlich zu bewerten. Es gibt keinen Grund, von vornherein schon einen niedrigeren Wert als den Regelwert in Höhe von 3000 Euro (5000 DM) anzunehmen.
5. Prozesskostenhilfe
Prozesskostenhilfe ist einem Elternteil unter dem Aspekt der Erfolgsaussicht i.S. des § 114 ZPO schon immer dann zu bewilligen, wenn das Gericht sich nicht auf die Abweisung des Antrags beschränken kann, sondern im Kindeswohlinteresse eine Regelung treffen muss. In dem vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten Verfahren reicht es für die Erfolgsaussicht i.S. des § 14 FGG, § 114 ZPO auch aus, wenn der Umgang zu Lasten des die Prozesskostenhilfe beantragenden Elternteils eingeschränkt oder gar ausgeschlossen wird. Auch hierbei handelt es sich um eine Regelung57.
*Der Autor ist Vorsitzender Richter des 1. Familiensenats des OLG Rostock.
1Zum Umgangsrecht des Kindes mit Dritten (hier: Großeltern) s. OLG Koblenz, NJW-RR 2000, 883 (884).
28Vgl. den vom OLG Naumburg, JAmt 2002, 32 (33) entschiedenen Fall.
29OLG Karlsruhe, FamRZ 1999, 184.
30Vgl. neben dem OLG Brandenburg die Entscheidung AG Eschwege, FamRZ 2001, 1163, das bei einem zweijährigen Kind einen Umgang alle zwei Wochen drei Stunden für angemessen hält.
32AG Eschwege, FamRZ 2001, 1162. Mit fortschreitendem Alter einerseits und der durch die Besuche erreichten Vertrautheit andererseits ist dann eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse nach § 1696 BGB vorzunehmen.
HEILIGER, Anita (2003) Das sogenannte "PAS" und die Mißachtung des Kindeswillens. Neuer Boden für Vaterrechte, S. 229, in: HEILIGER, Anita; WISCHNEWSKI, Traudl (Hrsg.)(2003): Verrat am Kindeswohl. Erfahrungen von Müttern mit dem Sorg- und Umgangsrecht in hochstrittigen Fällen, München: Frauenoffensive
Neuer Boden für Vaterrechte
Im Zuge der Forderung nach mehr Vaterschaft zur Einlösung von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und zur Entwicklung egalitärer Geschlechterrollen seit den 80er Jahren hat sich die Rede von der Notwendigkeit des Vaters für das Kind immer stärker verallgemeinert. Diese Rede ist nicht ausreichend durch Forschung belegt worden, die bisher deutlich macht, daß eine positive Bedeutung des Vaters an Bedingungen geknüpft ist und als generalisierte, quasi biologisch begründete Behauptung falsch bleiben muß. Kenntnisse liegen u.a. aus der Alleinerziehendenforschung vor, daß Kinder keine ideologisch besetzten Vater- oder Mutterfiguren brauchen, sondern Menschen, die sich ihnen positiv und verläßlich emotional zuwenden und sie verantwortlich versorgen (vgl. Heiliger 1991, Emmerl 2000). Quer zur gesellschaftlichen Entwicklung formierte sich eine neue Vaterrechtsbewegung, die in wachsendem Maß und mit zunehmender Militanz (vgl. u.a. "radikale Väter") mehr Rechte am Kind (zurück-)fordert und die Debatte um väterliche Beteiligung am Erziehungsalltag aushebelt zugunsten eines feindseligen Kampfes gegen Mütter2.
Mit dem neuen Kindschaftsrecht, das die Rechte des Kindes auf Beziehung zu beiden Eltern stärken wollte, fühlen sich nun immer mehr Gerichte veranlaßt, die Rechte des Vaters zu vertreten: Wenn die Mutter dem Vater den Umgang mit dem Kind verweigert oder erschwert, Mutter und Kind zum Umgang mit dem Vater zu zwingen in der Annahme, daß "dies sowohl seinem Recht als Kindsvater als auch dem Wohl des Kindes entspricht"3. Dies geht u.U. so weit, die Mutter mit der Drohung unter Druck zu setzen, ihr könne das Sorgerecht entzogen und die Übersiedelung des Kindes zum Vater angeordnet werden, "auch wenn kaum eines der klassischen Sorgerechtskriterien in der Person des Vaters erfüllt ist"(Pötz-Neuburger 1999, S. 152). Das Recht auf Umgang des Vaters mit dem Kind scheint als grundsätzliche Linie ohne Rücksicht auf bestehende Konflikte und den Willen und den Schutz des Kindes, durchaus auch mit einer Umgangspflegschaft oder der letzten Konsequenz des Sorgerechtsentzugs für die Mutter durchgesetzt zu werden. "So werden die Umgangsrechte von Vätern selbst dann besonders betont, wenn Anlaß zur Besorgnis besteht" (Jakob 1998, S. 104).
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Zur Erfindung des "PAS"
HEILIGER, Anita (2003) Das sogenannte "PAS" und die Mißachtung des Kindeswillens. Zur Erfindung des "PAS", S. 230-231, in: HEILIGER, Anita; WISCHNEWSKI, Traudl (Hrsg.)(2003): Verrat am Kindeswohl. Erfahrungen von Müttern mit dem Sorg- und Umgangsrecht in hochstrittigen Fällen, München: Frauenoffensive
Zur Erfindung des "PAS"
Das sogenannte "PAS - Parental Alienation Syndrome" ist ein Instrument, mit dem diese Praxis der Umgangs- oder Sorgerechte in zunehmendem Maß begründet wird. Es handelt sich hierbei um eine nach Deutschland importierte Erfindung des US-amerikanischen Kinderpsychiaters Richard Gardner (1992). In den USA tobt der Kampf um Rechte an Kindern schon länger und härter als (bisher) in dei BRD (vgl. Chesler 1986), und für nahezu jede Theorie und Praxis können aus den USA Ansätze bezogen werden in der Absicht, sie hier als erprobtes und gesichertes Wissen darzustellen. Dieses "Syndrom" soll besagen, daß der betreuende Elternteil, in der Regel die Mutter, das Kind dem Vater durch negative Beeinflussung und Verweigerung des Umgangs entfremde. Es wird behauptet, dem Kind werde damit "die Grundvoraussetzung für die eigene gesunde Persönlichkeitsentwicklung entzogen" (Fischer 1998, S.306), ihm werde "schwerer emotionaler Schaden" (Ward u.a. 1998, S.238) und "seelische Kindeswohlgefährdung" (Kodjoe/Koeppel 1998, S.24) zugefügt. In den wenigen vorfindlichen Beiträgen zum Thema wird implizit davon ausgegangen, daß das Kind den Vater immer liebe, sonst habe die Mutter das Kind aus egoistischen Motiven und in verantwortungsloser Weise manipuliert, eine Ablehnung des Vaters durch das Kind könne es nicht geben und brauche auch nicht respektiert zu werden (s.u.). Eine enge Mutter-Kind-Beziehung wird als "pathogene Angstbindung... die im Gewand inniger Liebe, Besorgnis und Aufmerksamkeil für das Kind daherkommt", abgewertet (Kodjoe/Koeppel 1998, S. 14). Inakzeptable Positionen militanter Väterorganisationen statt fachlich angemessene Reflexionen spiegeln sich in diesen Auffassungen wider (vgl. Gerth 1998). So üben selbst Salzgeber und Stadler, die als Vorstand der GWG (Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie) eine Vielzahl von familienrechtlichen Gutachten zu verantworten haben, in denen die "PAS"-Theorie in z.T. haarsträubender Weise gegen Mutter und Kind umgesetzt wird (s.u.), hier Kritik: "Sicherlich bedenklich für das Kindeswohl im Einzelfall (ist es), wenn das PAS nun im deutschen Sprachraum im anwaltlichen Schriftsatz bei Sorge- und Umgangsstreitigkeiten als Allheilmittel oder psychologisch verbrämte Keule auftaucht. Fast immer wendet sich diese Keule gegen Verhalten der Mutter als der Ursache von PAS, wen es Probleme mit dem Umgang oder Sorgerecht gibt" (1998, S. 168). Sie kritisieren ferner die tendenziöse deutsche Übertragung von Gardne der "PAS" als diagnostische Kategorie vorschlage und "wiederholt darauf verwiesen hat, daß die Diagnose PAS keineswegs verkürzt als
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Kriterium einer Sorgerechtsempfehlung taugt" (ebd.). Sie werfen Kodjoe/Koeppel, die hier als Protagonisten der tendenziösen Übertragung auftreten, vor, entsprechende Hinweise und Differenzierungen von Gardner zu unterschlagen. Aus dieser Kritik von Salzgeber/Stadler wird deutlich, daß Kodjoe/Koeppel den Vorschlag von Gardner benutzen, um ihn als Instrument im Kampf gegen Mütter einzusetzen, die den Umgang des Kindsvaters für das Kind als schädlich betrachten. Daß entsprechende Bedenken von Müttern durchaus realistische Gründe haben können, wird grundsätzlich ausgeschlossen und den Müttern umgekehrt die Erziehungseignung abgesprochen (vgl. Pötz-Neuburger 1999, Salzgeber/Stadler 1998). Offen gegen das Kindeswohl gerichtet erscheint die Argumentation deutscher PAS-Anhängerlnnen, wenn es um den Kindeswillen geht. Hier wird offenkundig, daß es bei der deutschen PAS-Übertragung nicht um das Kind geht, wenn Aussagen und Willensäußerungen des Kindes übergangen werden, ja sogar Fachkräfte aufgerufen werden, diese zu mißachten, wenn sich in ihnen die Ablehnung eines Elternteils ausdrückt: " Oftmals erscheint es als die bequemste Lösung, dem Willen des Kindes nachzugeben, zumal er sich so überzeugend äußert. Damit lassen sich jedoch auch Richter, Sozialpädagogen und Sachverständige in das dysfunktionale System des programmierenden Elternteils einbinden... das gilt es mit geeigneten Maßnahmen zu verhindern. Ein gerichtlich angeordneter (und durchgesetzter) Umgang verschafft den Kindern die Nische, die sie brauchen: Sie müssen zum abgelehnten Elternteil gehen, sie verraten den geliebten Elternteil nicht" (Kodjoe/Koeppel a.a.O., S. 21). Der gerichtlich angeordnete und durchgesetzte Umgang gegen den Willen des Kindes - in realen Fällen sogar eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater - wird hier als die ultima ratio definiert und die Behauptung aufgestellt, mit diesem Weg seien gute Erfahrungen gemacht worden (vgl. ebd.), was nach Salzgeber/Stadler jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt: "...für den Erfolg einer diesbezüglichen Praxis ist bisher keine nennenswerte empirische Grundlage, geschweige denn Überprüfung bekannt" (Salzgeber/Stadler 1998, S. 170).
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Re: Induzierte Umgangsverweigerung (PAS)
HEILIGER, Anita (2003): Das sogenannte "PAS" und die Mißachtung des Kindeswillens. PAS als "Keule" gegen sexuellen Mißbrauchsvorwurf, S. 231-233, in: HEILIGER, Anita; WISCHNEWSKI, Traudl (Hrsg.)(2003): Verrat am Kindeswohl. Erfahrungen von Müttern mit dem Sorg- und Umgangsrecht in hochstrittigen Fällen, München: Frauenoffensive
PAS als "Keule" gegen sexuellen Mißbrauchsvorwurf
Besonders problematisch stellt sich die Situation dar, sobald von der Mutter der Verdacht des sexuellen Mißbrauchs gegen den Kindsvater erhoben wird und sie den Umgang verweigert, um das Kind vor weiteren Schädigungen zu schützen. In solchen Fällen ist Müttern bereits tatsächlich das Sorgerecht entzogen und sind die Kinder dem Vater
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überlassen worden, wenn der Verdacht nicht eindeutig erhärtet werden konnte, die Mütter jedoch aufgrund von Äußerungen und Symptomen der Kinder von der Tatsache des Mißbrauchs ausgingen und an der Verweigerung des Umgangs festhielten (s.u.). Die Verweigerung wird hier als "Zeichen einer Erziehungsungeeignetheit" (Pötx. Neuburger 1999, S. 151) der Mutter bewertet und eine berechtigte Sorge zum Schutz des Kindes ignoriert bzw. geleugnet. Dabei dürfte allgemein als bekannt vorausgesetzt werden können, daß es besonders schwer ist, innerfamilialen Mißbrauch nachzuweisen: "Der sexuelle Mißbrauch eines Kindes ist seiner Natur nach ein heimliches Delikt Neutrale, an dem fraglichen Geschehen unbeteiligte Beobachter gibt es in der Regel nicht. Der einzige unmittelbare Zeuge ist das mutmaßliche Tatopfer."
"Als einzige Beweismittel bleiben... in der Regel die Angaben des mutmaßlichen Tatopfers. Dabei... stoßen die Aufklärungsmöglickeiten... oft an natürliche Grenzen. Ein (Klein-)Kind soll einen Vorgang dessen Bedeutung es entweder gar nicht oder andeutungsweise verstanden hat, so schildern, daß Erwachsene (Juristen) ihn verstehen. Von ihm wird etwas erwartet, was viele Erwachsene nicht zu leisten vermögen... die schlüssige, strukturierte Schilderung komplexer Vorgänge. Kindliches Aussageverhalten macht es leicht, Zweifel am objektiven Wahrheitsgehalt zu äußern, auch wenn vernünftigerweise kein Zweifel geboten ist." (Urteil LG Mainz v. 21.7.97, in: Streit 1/99, S. 24)
Die Beweisnot, die als immanenter Bestandteil und Ergebnis den Täterstrategien bei sexuellem Mißbrauch an Kindern angesehen werden kann (vgl. Heiliger 2000), führte zur Behauptung des "Mißbrauchs mit dem Mißbrauch" (vgl. Riedel-Breidenstein 1996) und angeblicher Häufung von "Falschbeschuldigungen", wofür es keine empirische Basis gibt: "Immer wieder aufgestellte Behauptungen, im Zusammen hang mit familienrechtlichen Auseinandersetzungen erhobene Mißbraucbsvorwürfe seien in der überwiegenden Zahl der Fälle falsch, haben keine gesicherte Grundlage. Für die Bundesrepublik Deutschland gibt es bisher kein zuverlässiges Datenmaterial (Volbert 1995. 55, 1995, S. 24)." (Urteil a.a.O., S. 27, vgl. auch Faller 1991, Thoeness e.a. 1992, Wakefield/Unterwager 1991)
Busse, Steller und Volbert (2000) sind nun in einem Forschungsprojekt "Sexueller Mißbrauchsverdacht in familienrechtlichen Verfahren" der Frage nachgegangen, ob von einem "Massenphänomen der Falschbeschuldigung" (ebd. S. 8) gesprochen werden könne, wie immer wieder behauptet wird (vgl. Fegert 1995). Die Autorinnen führ ten eine Aktenauswertung familiengerichtlicher Verfahren an zwei
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Familiengerichten in Berlin durch. Aus drei Jahrgängen wurden dir Fälle mit sexuellem Mißbrauchsvorwurf herausgefiltert und näher analysiert. Im Ergebnis zeigte sich, daß insgesamt in sehr wenigen Fällen in ca. 3 Prozent, überhaupt dieser Vorwurf geäußert wurde: "Bei der Auswertung von 1352 Akten zur Frage der Umgangsregelung aus den Jahrgängen 1988, 1993 und 1995 befanden sich 45 (3,3 % Fälle, bei denen in irgendeiner Form ein sexueller Mißbrauchsverdacht zur Sprache kam. Eine Stichprobe von 1500 Sorgerechtsakten aus den drei genannten Jahrgängen erbrachte ebenfalls 45 (3 %), die einen sexuellen Mißbraucbsvorwurf beinhalteten." (Busse u.a. 2000, S. 83)
Die Autorinnen ziehen aus ihren Forschungsergebnissen die Schlußfolgerung, die Behauptung einer großen Häufigkeit entsprechender Vorwürfe sei nicht gerechtfertigt: "Aussagen sowohl in der Fachöffentlichkeit als auch in der Praxis über eine in den neunziger Jahren einsetzende drastische Zunahme familiengerichtlicher Verfahren, in denen der Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs erhoben wurde, können nach den vorliegenden Ergebnissen nicht gestützt werden... Dieses Ergebnis der Untersuchung steht in Übereinstimmung mit vergleichbaren Untersuchungen aus den USA, die ebenfalls die These einer erheblichen Zunahme von sexuellen Mißbrauchsvorwürfen in Familiengerichtsverfahren nicht bestätigen konnten (Mclntosh/Prinz 1993, Thoennes/Tjaden 1990)"(ebd., S. 84).
Die Untersuchung betont, daß in denjenigen Fällen, in denen der Verdacht geäußert wurde, auch dies in der Regel nur mit größter Vorsicht geschehen und oft im familienrechtlichen Verfahren gar nicht weiter verfolgt worden sei. Die Mehrzahl der Vorwürfe ließ sich erwartungsgemäß nicht nachweisen, was jedoch nicht den Gegenschluß der Falschbeschuldigung begründen kann. An den analysierten Gutachten wird von Busse, Steller und Volbert kritisiert, daß das methodische Vorgehen bei der Abklärung des Mißbrauchsvorwurfs erhebliche Mängel aufgewiesen hätte. Ferner kritisieren sie an den von ihnen durchgearbeiteten Verfahren, daß der Wille des Kindes oftmals keine oder nicht ausreichend Beachtung gefunden habe, "obwohl Literatur und Rechtsprechung davon ausgehen, daß eine sich am Kindeswohl orientierende Entscheidung nicht gegen den erkennbaren Willen des Kindes getroffen werden kann" (ebd., S. 100).
Nach der Berliner Untersuchung kann auf jeden Fall die Behauptung häufiger Falschbeschuldigungen nicht mehr aufgestellt werden. Diese Behauptung hat mit großer Wahrscheinlichkeit zum Schutz von Tätern und zur Fortsetzung ihrer Mißbrauchsstrategien, zur Schutzlosigkeit des real betroffenen Kindes und sogar zur Auslieferung des
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Kindes an den unter Verdacht stehenden Vater geführt, der seine "Rechte am Kind" gegen den erkennbaren Kindeswillen durchsetzte.
Beispiel einer "PAS"-Theorie im Gutachten
HEILIGER, Anita (2003): Das sogenannte "PAS" und die Mißachtung des Kindeswillens. Beispiel einer "PAS"-Theorie im Gutachten, S. 234-235, in: HEILIGER, Anita; WISCHNEWSKI, Traudl (Hrsg.)(2003): Verrat am Kindeswohl. Erfahrungen von Müttern mit dem Sorg- und Umgangsrecht in hochstrittigen Fällen, München: Frauenoffensive
Beispiel einer "PAS"-Theorie im Gutachten
Die Durchsetzung des Umgangs oder auch der Wechsel im Sorgerecht z.B. im Kontext eines Verdachts auf sexuellen Mißbrauch wird in allen Regel vorbereitet und vorgeschlagen von Sachverständigen in familienrechtlichen Gutachten, was sich aus der Feder von PAS-AnhängnerInnen z.B. folgendermaßen liest: "Die Entstehung der Aussage des (vierjährigen) Kindes ist durch erhebliche suggestive Einflüsse überformt, nachdem bereits die von der Mutter geäußerten Anfangsverdachtsmomente auf eine einseitig-verzerrte Wahrnehmung der kindlichen Auffälligkeiten hinweisen. Fest zuhalten ist, daß... keine forensisch verwertbare Aussage über eine mögliche sexuelle Handlung des Vaters hervorbrachte. Ihre Angaben sind aus aussagepsychologischer Sicht wertlos, da sie weder detailliert noch inhaltlich eindeutig sind. Ein Verdacht des sexuellen Mißbrauchs des Kindes durch den Vater kann somit fachlich nicht erhärtet werden... Die Kindesmutter ist derzeit nicht genügend in der Lage, in der Umgangsfrage die Interessen ihres Kindes bezüglich seines Vaters zu berücksichtigen, da sie die Vater-Kind-Beziehung vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des sexuellen Mißbrauchs, von dem sie weiterhin überzeugt ist, wahrnimmt und bewertet... (Sie) ist nicht in der Lage, von ihrem Verdacht Abstand zu nehmen und umzudenken, etwa auf alternative Erklärungsmöglichkeiten für das kindliche Verhalten hin. Vielmehr werden von ihr weiterhin Äußerungen und Auffälligkeiten des Kindes so gedeutet, daß sie den Verdacht scheinbar bestätigen. Die Haltung der Kindesmutter in der Umgangsfrage erscheint auf Dauer für die Entwicklung des Kindes problematisch. Eine gelebte Beziehung zu ihrem Vater und die Möglichkeit realer Erfahrungen mit ihm ist aus psychologischer Sicht für... äußerst wichtig, sowohl im Hinblick auf ihre Identitätsentwicklung als auch ihre spätere Beziehungsfähigkeit in einer Partnerschaft... Sollte (die Kindesmutter zur Bejahung des Umgangs) nicht in der Lage sein, so ist, auch im Hinblick auf die Frage der Regelung der elterlichen Sorge, abzuwägen, wodurch dem Kind längerfristig größerer Schaden zugefügt wird." Zunächst wird alleinige elterliche Sorge der Mutter vorgeschlagen wegen der engen emotionalen Beziehung des Kindes zur Mutter, aber unter der Bedingung, daß die Mutter den Umgang des Kindes mit dem Vater fördere. Andernfalls schlägt sie die Erwägung einer Sorgerechtsänderung vor in der Annahme, sonst würden dem Kind schwer-
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wiegende negative Folgen erwachsen: "Sollte jedoch ein Aufwachsen des Kindes bei der Mutter den Verlust der Beziehung zum Vater zur Folge haben, falls die Mutter zu einer Änderung ihrer Haltung nicht bereit ist, so sind die daraus erwachsenden negativen Folgen für die kindliche Entwicklung als schwerwiegend zu erachten. In diesem Falle sollte eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater ernstlich erwogen werden, da bei ihm für... die Möglichkeit besteht, die Beziehung zu beiden Eltern aufrechtzuerhalten. '4 Das gesamte Gutachten in diesem Beispiel vermittelt den Eindruck, daß in den Gesprächen mit Kind und Eltern in hohem Maß mit Suggestionen, Unterstellungen und Behauptungen von seiten der Gutachterin gearbeitet wurde, was sie ihrerseits anderen Personen vorwirft. Sämtliche Fachkräfte, die einen sexuellen Mißbrauch des Kindes aufgrund der attestierten Befunde für möglich halten, werden als fragwürdig, unglaubwürdig und suggestiv bezeichnet, somit abgewertet und diskriminiert. Angst des Kindes vorm Vater wird ignoriert und mit offensichtlichen Tricks versucht, das Kind zu positiven Aussagen über den Vater zu bringen, während seine zahlreichen ablehnenden Äußerungen mißachtet werden. Alle Aussagen des Vaters werden positiv interpretiert, als wahrheitsgemäß bewertet und nicht überprüft. Selbst Salzgeber/Stadler kritisieren in ähnlichen Fällen die "sehr große Toleranz gegenüber unangemessenem Verhalten des Elternteils, bei dem das Kind nicht lebt, mit gleichzeitiger Forderung nach Umgang auf jeden Fall, da die Beziehung zu diesem, in Form von gerichtlich angeordnetem Umgang, das wichtigste für das Kindeswohl sei" (1998, S. 169). Eine Kenntnis von Täterstrategien läßt dieses Gutachten gänzlich vermissen. Eine ideologisch geprägte Einstellung über die Wichtigkeit, ja Vorrangigkeit der Kind-Vater-Beziehung ist ablesbar. Die Aussagen des Kindes und sein geäußerter Wille werden als unglaubwürdig und übergehbar beurteilt. Die Verhinderung des Kontakts zum Vater wird als Schädigung des Kindes, aber der vollständige Entzug der Mutter, zu der eine enge positive Beziehung besteht und auch von der Gutachterin registriert wird, als vereinbar mit dem Kindeswohl dargestellt. Das Kind wurde in diesem Fall einige Zeit später tatsächlich dem Vater übergeben.
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Re: Induzierte Umgangsverweigerung (PAS)
HEILIGER, Anita (2003): Das sogenannte "PAS" und die Mißachtung des Kindeswillens. Suche nach Auswegen, S. 235-236, in: HEILIGER, Anita; WISCHNEWSKI, Traudl (Hrsg.)(2003): Verrat am Kindeswohl. Erfahrungen von Müttern mit dem Sorge- und Umgangsrecht in hochstrittigen Fällen, München: Frauenoffensive
Suche nach Auswegen
In den meisten der Gutachten dieser "PAS"-AnhängerInnen wird die Beziehung des Kindes zum Vater als besonders wichtig, ihr Fehlen an sich - ohne Berücksichtigung der Qualität der Beziehung und selbst bei sexuellem Mißbrauch, wie zu sehen war - als entwicklungsschä-
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digend dargestellt jeweils ohne einschlägige Nachweise in der Forschung. Der Mutter wird beim Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs gegen den Vater Suggestion des Kindes vorgeworfen, während es forschungsmäßig bisher nicht nachzuweisen war, daß Kindern ein Erlebnis wie sexueller Mißbrauch eingeredet werden kann (vgl. LG Mainz a.a.O., Volbert/Pieters 1996, Ceci und Bruck 1993). Aus dieser Sachlage heraus wird im Urteil des LG Mainz die Schlußfolgerung gezogen, es läge möglicherweise eine Art Suggestionswahn vor: "Eine Auseinandersetzung mit der Forschungslage wirft die Frage auf, ob sich statt der häufig behaupteten Mißbrauchshysterie in Deutschland nicht in Wirklichkeit eine Suggestionshysterie entwickelt hat." (LG Mainz a.a.O., S. 29) Angesichts des bekannten hohen Ausmaßes von Männergewalt gegen Frauen und Kinder in der Familie (vgl. Heiliger 2000 b), gegen die das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen vorgeht, liegt es auf der Hand, daß Kinder vor nicht wenigen Vätern zu schützen sind. Doch wird es im Gegenteil Müttern verstärkt nach dem Inkrafttreten des neuen Kindschaftsrechls nahezu unmöglich gemacht, ihren Kindern diesen Schutz zu geben. Sie werden oftmals gezwungen, selbst polizei- und justizbekannten Schlägern ihre Kinder auszuliefern und die absurde Meinung, ein Vater, der das Kind sexuell mißbraucht habe, sei dennoch als Vater für das Kind wertvoll, wird allen Ernstes in familienrechtlichen Gutachten vertreten.5 Mütter suchen daher verzweifelt nach Möglichkeiten, Hilfe zum Schutz ihres Kindes zu erlangen und eine politische Lösung der gegenwärtigen Situation anzustoßen.
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Re: Induzierte Umgangsverweigerung (PAS)
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HEILIGER, Anita (2003): Das sogenannte "PAS" und die Mißachtung des Kindeswillens. "PAS" als Pseudo-Theorie und die Vernachlässigung von Gewalterfahrungen. Jörg Fegert:"PAS" ist keine Diagnose, S. 236-238, in: HEILIGER, Anita; WISCHNEWSKI, Traudl (Hrsg.)(2003): Verrat am Kindeswohl. Erfahrungen von Müttern mit dem Sorge- und Umgangsrecht in hochstrittigen Fällen, München: Frauenoffensive
"PAS" als Pseudo-Theorie und die Vernachlässigung von Gewalterfahrungen
Jörg Fegert:"PAS" ist keine Diagnose
Fegert (2001) kritisiert aus medizinischer Perspektive am "PAS" zunächst, daß die Verwendung des Syndrom-Begriffs für Umgangsverweigerung der Theorie "eine klinische Relevanz und wissenschaftliche Aura geben" (ebd., S. 4) solle, jedoch im verwendeten Sinn als psychiatrische Kategorie unzulässig sei (vgl. auch Bruch 2002, Salgo 2002): "Im Gegensatz zu den in der internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD-10) beschriebenen Störungsbildern und Syndromen (hat) das ,PAS' keine reliable evidence base, wie sie z.B. von den Fachgesellschaften und Fachverbänden gefordert wird" (ebd.). Doch
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selbst Gardner erwähne, daß seine Theorie nicht anwendbar sei in Fällen, in denen Gewalt gegen das Kind, sexueller Mißbrauch und Vernachlässigung die Umgangsverweigerung begründet (vgl. ebd.), während die deutschen Protagonisten der PAS-Theorie dies gar nicht in Betracht ziehen, sondern verweigernde Kinder als "Opfer eines Programmierungsprozesses" darstellen, deren Willensäußerung nicht beachtet werden müsse: "Welche Gefahr in solchen Konzepten für tatsächlich stark betroffene und geängstigte Kinder lauert, kann jeder ermessen, der mit traumatisierten Kindern arbeitet." (Fegert 2001, S. 6) Als Widerspruch zur Syndrom-Theorie der PAS-Protagonisten arbeitet Fegert heraus, ihre "Diagnose" führe nicht zu Heilungsvorschlägen, sondern der Sorgerechtswechsel werde zur Lösung erhoben. Der geäußerte Kindeswille, betont Fegert, sei "ein konstitutiver Anteil des Gesamt-Kindeswohlbegriffes" (ebd.), und im Einzelfall müsse "die subjektive Befindlichkeit und die innere Logik von Kindesäußerungen beachtet und respektiert werden" (ebd.). Fegert verweist auf die berühmteste und einschlägige Forschung zu Scheidungskindern von Wallerstein u.a. in den USA (2001), die in 25-jähriger Begleitforschung von Kindern aufzeigt, welche negativen Folgen das Übergehen des kindlichen Willens bei einer Erzwingung von Kontakten mit dem Vater hatte. Die Beziehung zum Vater wurde auf diese Weise nicht gefördert, sondern eher zerstört, da kein einziges Kind, das zum Umgang gezwungen wurde, als Erwachsener eine gute Beziehung zum entsprechenden Vater hatte, sondern wütend auf ihn war. Diese Ergebnisse stellen, meint Fegert, "manchen neuerdings in der Rechtsprechung forsch zur Schau getragenen mechanischen ,Hau-Ruck-Pragmatismus' und auch den scheinbar problemlosen Einsatz des begleiteten Umgangs als Lösung vieler Konflikte mehr als deutlich in Frage" (Fegert 2001, S. 6). Zur Möglichkeit, Kindern Erlebnisse wie Gewalt und sexuellen Mißbrauch einzureden, wie die sogenannte PAS-Theorie behauptet, diskutiert Fegert ausführlich internationale Forschungsergebnisse, die zu sehr unterschiedlichen bis gegensätzlichen Aussagen kommen, doch sich darin einig sind, daß Entsprechendes sehr selten vorkommt. Volbert hat bereits früher deutlich gemacht, daß Kindern z.B. sexueller Mißbrauch kaum eingeredet werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, daß Kinder negative Erlebnisse verschweigen, ist weit höher einzuschätzen, als daß sie bewußt die Unwahrheit sagen. Volbert hat ferner herausgefunden (1997), daß z.B., sollte Umgangsverweigerung des Kindes vom Verhalten der Mutter beeinflußt sein, dies mit Bedürfnis-
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befriedigung des Kindes zusammenhänge: Bedürfnis nach Sicherheit, Zuwendung, Vertrauen und Klarheit in unklaren streitbelastelcn Situationen (vgl. Fegert, 2001). Das bedeutet, daß das Kind die Ängste der Mutter spürt, sich die Liebe der Mutter sichern will, ja muß, um sich selbst sicher zu fühlen, und diese Sicherheit als Grundlebensbedingung absoluten Vorrang hat gegenüber einem möglicherweise vorhandenen Wunsch, den Vater trotz Streitbelastung zu sehen. Eine Mutter zur Herausgabe des Kindes zu zwingen, ihr das Kind sogar wegzunehmen, verstärkt und bestätigt am Ende die Ängste des Kindes und nimmt ihm die Sicherheit und Geborgenheit in der Lebenssituation mit der zumeist geliebten Mutter. Absurder kann professionelles Handeln nicht sein - eine Bankrotterklärung qualifizierter Professionalität zum Kinderschutz. Gleiches gilt für das Ignorieren von Aussagen des Kindes über Gewalt und Missbrauch durch Anhänger des sog. PAS, wie Fegert feststellt: "Wird in einem Gerichtsverfahren vielleicht auch von einem psychologischen Sachverständigen oder vom Verfahrenspfleger oder von einem Anwalt allein aufgrund der Heftigkeit der Auseinandersetzung, allein auf grund der Äußerung des Kindes dahinterliegende .Gehirnwäsche' vermutet und ein sogenanntes ,PAS' scheinbar .diagnostiziert', ist damit ein hohes Risiko fachlichen Fehlverhaltens verbunden" (ebd., S. 40). Den Kindeswillen zu brechen, um Umgangswünsche von Erwachsenen zu erfüllen, bezeichnet Fegert diplomatisch als "problematisch", und bei der Betonung des sicherlich wichtigen Beziehungserhalts nach Trennungen weist er darauf hin, daß Umgang oftmals auch da erzwungen wird, wo gar keine Bindungen des Kindes zum Umgang fordernden Elternteil vorhanden sind, weil sie z.B. noch zu klein, manchmal noch gar nicht geboren waren oder kaum Kontakt zum Kindsvater bestanden hatte: "Hier kommen dann eher alte abstammungsrechtliche Fragen der Blutsverwandtschaft etc. zum Tragen als Fragestellungen der sozialen Elternschaft, die für Beziehungsfragen und Bindungsfragen bei weitem relevanter sind" (ebd., S. 42). Fegert betont, daß das sog. "PAS" kein Diagnosekriterium ist, sondern eher als "taktische Waffe im Umgangsstreit" eingesetzt wird. Er weist auch darauf hin, daß begleiteter Umgang bei durch die Väter traumatisierten Kindern nur physischen Schutz bedeutet, emotional die Kinder jedoch erneut belasten bis traumatisieren kann und daher ethisch fragwürdig sei. Wir kennen die Problematik dieser Frage vor allem aus der Auseinandersetzung mit Täterstrategien von sexuellem Mißbrauch, die über Gesten, Zeichen, Blicke usw. Schweigegebote erneuern und Verfügbarkeit des Kindes festigen (vgl. Heiliger, 2000).
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Re: Induzierte Umgangsverweigerung (PAS)
HEILIGER, Anita (2003): Das sogenannte "PAS" und die Mißachtung des Kindeswillens. "PAS" als Pseudo-Theorie und die Vernachlässigung von Gewalterfahrungen. Carol S. Bruch: Schärf ste Kritik an "PAS" aus den USA, S. 239-240, in: HEILIGER, Anita; WISCHNEWSKI, Traudl (Hrsg.)(2003): Verrat am Kindeswohl. Erfahrungen von Müttern mit dem Sorge- und Umgangsrecht in hochstrittigen Fällen, München: Frauenoffensive
Carol S. Bruch: Schärfste Kritik an "PAS" aus den USA
In Deutschland hat sich die sogenannte PAS-Theorie auffällig verbreitet, unverständlich angesichts der Fragwürdigkeit der Theorie und des Schadens, der durch sie an Kindern angerichtet werden kann und oftmals bereits wurde. In den USA selbst, woher die Protagonisten die Theorie bezogen, ist dessen Erfinder Gardner stark umstritten bzw. wird seine Arbeit mittlerweile scharf kritisiert: "PAS als wissenschaftliche Theorie ist von berufenen Forschern des ganzen Landes auf das Schärfste kritisiert worden." (Keating, bei Bruch 2002, S. 1309) Es wird vor allem betont, daß es keine relevanten Forschungsergebnisse zu dieser Theorie gebe, die sie wissenschaftlich stützten. Daß auch in den USA in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren relativ häufig nach dieser Pseudo-Theorie (ebd.) gehandelt wird, bezeichnet Bruch als "zutiefst besorgniserregend" wegen des "weitgehenden Mangels an sorgfältigen Untersuchungen und des Mangels an wissenschaftlicher Genauigkeit, den diese Fachleute an den Tag legen" (Bruch 2002, S. 1305). Die Annahmen Gardners werden als falsch, übertrieben und Kinder eher schädigend bezeichnet: "Selbst bei extremen Fällen sind sich die... Wissenschaftler darin einig, daß die PAS-Theorie zu ungeeigneten und schädlichen Reaktionen auffordert, die das Problem eher verschärfen" (ebd., S. 1307). Die Aufmerksamkeit der Pseudotheorie von Gardner werde von möglicherweise gefährlichem Verhalten des Elternteils, der Sorge- bzw. Umgangsrecht fordert, weg auf die das Kind versorgende und schützende Person verlagert. Der auch in Deutschland ja bereits nicht selten angeordnete Sorgerechtswechsel auf den beschuldigten Vater bringe Kinder in Gefahr, schon allein durch das Trauma, mit dem abrupten Wechsel die wichtigste Beziehungsperson zu verlieren, um so mehr bei Vorliegen von Gewalt: "So beschreiben Elterngruppen und eingehend recherchierte Presseberichte zahlreiche Fälle, in denen erstinstanzliche Gerichte das Sorgerecht für Kinder auf bereits einschlägig bekannte oder wahrscheinliche Mißbrauchstäter übertragen haben und den ursprünglich betreuenden Elternteilen der Kontakt mit den Kindern, die sie zu schützen versucht hatten, verweigert wurde" (ebd.). Solche Fälle gehen auch aus den Berichten von Frauen im Kontext des vorliegenden Buches hervor. Bruch appelliert daher an die Fachleute, statt dieses eher gefährlichen Vorgehens die Belastungen für Kinder zu reduzieren, ihre Ängste ernst zu nehmen und ihre emotionale Stabilität zu stärken (ebd., S. 13/4). Abschließend macht Bruch noch einmal unmißverständlich klar, was von der sogenannten PAS-Theorie zu halten ist: "PAS, wie es von
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Richard Gardner entwickelt und vorgelegt wurde, hat weder eine logisch konsistente noch eine wissenschaftlich erhärtete Grundier Es wird von verantwortungsvollen Sozialwissenschaftlern zurückgewiesen und verfügt weder in der psychologischen Theorie noch in der empirischen Forschung über ein stabiles Fundament" (ebd., S. 1315).
Re: Induzierte Umgangsverweigerung (PAS)
HEILIGER, Anita (2003): Das sogenannte "PAS" und die Mißachtung des Kindeswillens. "PAS" als Pseudo-Theorie und die Vernachlässigung von Gewalterfahrungen. Ludwig Salgo: Es ist falsch, die Mutter zum Verschweigen ihrer Ängste zu zwingen, S. 240-242, in: HEILIGER, Anita; WISCHNEWSKI, Traudl (Hrsg.)(2003): Verrat am Kindeswohl. Erfahrungen von Müttern mit dem Sorge- und Umgangsrecht in hochstrittigen Fällen, München: Frauenoffensive
Ludwig Salgo: Es ist falsch, die Mutter zum Verschweigen ihrer Ängste zu zwingen
Salgo weist in einem neueren Vortrag auch auf die Gefahr der Ermordung von Kindern im Kontext mit Umgang und Sorgestreitigkeiten hin, was bereits geschehen und als Befürchtung natürlich der absolute Horror für Mütter ist. Das Gewaltpotential von Kindsvätern, deren Gewalthandlungen zumeist dokumentiert, in jedem Fall von den Müttern berichtet wurden, werde völlig unterschätzt. Deutliche Alarmsignale wie die Forderung der Frauen nach Polizeischutz, Flucht ins Frauenhaus oder Auskunftssperre für die Anschrift von Frau und Kind werden oftmals vernachlässigt, in ihrer Gefährdung für Frau und Kind nicht ernstgenommen. Salgo setzt sich ferner mit der Frage auseinan der, inwieweit ein Kind auch durch miterlebte Gewalt geschädigt wird, und verweist u.a. ebenfalls auf die Arbeit von Wallerstein (Wallerstein/Lewis 2001), die entsprechende Erfahrungen junger Erwachsener erforschte. Sie erfuhr, das Erinnerungen an väterliche Gewalt und elterlichen Streit sie weiter verfolgt, Nachahmungsimpulse bei jungen Männern verursachen und junge Frauen in gewalttätige Männerbeziehungen verwickeln kann. Wallerstein schließt hieraus: "Daß es nicht genügt, Kinder aus einem gewalttätigen Milieu zu entfernen, um sie vor den Langzeitwirkungen ihrer Zeugenschaft von Gewalttaten zu schützen. Solche Kinder brauchen eine intensive psychologische Behandlung zusätzlich zu Maßnahmen, die sie davor schützen, weiterhin der Gewalt ausgesetzt zu sein." (Wallerstein 2001, S. 67, bei Salgo 2002, S. 94) Salgo wendet sich gegen die häufige Praxis von Gerichten, Gewalt des Kindsvaters gegen die Kindsmutter in ihrer Auswirkung auf die Kinder zu negieren und die Väter dennoch für Umgangs- und Sorgerecht als geeignet zu sehen. Er problematisiert die sogenannte "Wohl Verhaltensklausel" (ebd., S. 96, nach § 1684, 2, l BGB): "Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert" (ebd.). Wenn der Kindsvater Gewalt ausgeübt hat, sei es falsch und unehrlich, meint Salgo, wenn die Mutter dies leugnet oder verschweigt, zumal die Kinder ja in aller Regel Zeugen oder Opfer dieser Gewalt
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waren. Die Mütter zu zwingen, wie es viele Gerichte tatsächlich tun, diese Erfahrungen und die fortbestehende Gefahr zu leugnen, bedeutet ihren Schutzinstinkt auszuhebeln und ihr Kind bewußt Gefahren auszusetzen. Dies kann von Müttern nicht verlangt werden und ist ohne Zweifel kindeswohlgefährdend. Bezeichnenderweise werden Väter kaum sanktioniert, wenn sie, wie viele Mütter berichten, die Kinder beim Umgang massiv gegen die Mutter beeinflussen und damit die Mutter-Kind-Beziehung schwer schädigen, ohne ihr jedoch umgekehrt selber Gewalt gegen das Kind vorwerfen zu können. Unrecht solle als Unrecht, Gewalt als Gewalt benannt und gebrandmarkt werden, meint Salgo, Ehrlichkeit gegenüber dem Kind sei ein wichtiger Faktor, glaubwürdig für es zu sein und zu bleiben. Salgo verweist ferner darauf, daß das Kindschaftsrecht einen Ausschluß vom Umgang vorsieht, wenn er kindeswohlgefährdend ist, und meint daher, dem Gesetzgeber selber könne nicht unterstellt werden, er habe traumatisierte Kinder weiteren Verletzungen aussetzen wollen. Die juristische und sozialarbeiterische Praxis zeigt hier allerdings eine andere Tendenz. Gerichtliche Auseinandersetzung um den Umgang sind seit der Kindschaftsrechtsreform deutlich gestiegen, wie Salgo anhand der familiengerichtlichen Statistik aufzeigt: von 27.754 Fällen 1999 auf 30.547 Fälle in 2000 (ebd., S. 96). Daß es sich positiv auf die Elternbeziehung auswirke, wenn Kinder zum Umgang gezwungen werden, widerlegt Salgo wiederum unter Berufung auf Wallerstein (s.o.). Er kritisiert wie Fegert auch den sogenannten begleiteten Umgang, der von der Politik mit hohen Mitteln gefördert werde, aber das Problem der (in aller Regel Männer-)Gewalt in der Familie und damit verbundene Sicherheitsfragen vernachlässige. Das neue Gesetz zur "Ächtung der Gewalt in der Erziehung" spielt in der Umgangspraxis bisher so gut wie keine Rolle (§ 1631, 2 BGB). Auch wird bisher kaum verlangt, daß gewalttätige Väter ihr Verhalten nachweislich bearbeiten und ändern, bevor sie Zugang zum Kind erhalten. "Distanziert sich der gewaltausübende Elternteil dem Kind gegenüber nicht von seinem früheren Verhalten, egal ob es sich um Gewalt dem Kind und/oder ,nur' dem anderen Elternteil gegenüber handelte, so ist die Ausgangssituation äußerst belastet; Beschränkungen bis hin zum Ausschluß sind unter diesem Umstand in solchen Fallkonstellationen häufig notwendig, um das Kind und seine Entwicklung zu schützen" (ebd., S. 108). Insgesamt ist deutlich, wie hier am Beispiel von Fegert, Bruch und Salgo gezeigt wurde, daß sich die Kritik an der Sorge- und Umgangs-
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rechtspraxis in der BRD zu formulieren beginnt. Sie muß jedoch erst noch an die breite und Fachöffentlichkeit gelangen sowie durch entsprechende konkrete und massive Forderungen ergänzt werden, um fachpolitisches Handeln im Sinn einer Änderung des Kindschaftsrechts und seiner Handhabung wirkungsvoll anzustoßen.