Zwangseinweisung alter Menschen
report MÜNCHEN vom 21.05.
Die Themen:
Wegsperren in die Psychiatrie -
Die Zwangseinweisung alter Menschen
Foto: dpa In Deutschland stehen schon über eine Million Menschen unter Betreuung. Auch die Zwangseinweisungen in die Psychiatrien haben sich mit dem Betreuungsrecht in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Oft werden Menschen willkürlich eingewiesen und weggesperrt. report MÜNCHEN zeigt dramatische Fälle von Zwangseinweisungen und Entmündigung.mehr
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Wegsperren in die Psychiatrie -
Die Zwangseinweisung alter Menschen
Autoren : Annette Peter, Katrin Pötzsch
Ingrid Scholz ist 69 Jahre alt. Sechs Jahre lang bestimmten rechtliche Betreuer über ihr Leben. Begründung: Ihre psychische Erkrankung. Erst seit April dieses Jahres darf sie laut Gericht über sich selbst bestimmen. Bis heute leidet sie unter den Nebenwirkungen von Psychopharmaka. Immer wieder wurde sie mit Polizeigewalt in die Psychiatrie zwangseingewiesen.
Ingrid Scholz (Name von der Redaktion geändert): Die Treppe war voll, mit so einem Sondereinsatzkommando. Ja, ich bin als Verbrecher deklariert. Es wird immer angegeben wie gefährlich ich bin. Ich habe weder bei der Festnahme ich habe nur geschrieben, wenn mir Schmerzen verursacht wurden, wo sie mich barfuß aus der Wohnung gezerrt haben, dass ich meine Schuhe kriegen kann.
Die alte Dame kann gut für sich alleine sorgen. Ihr Betreuer aber entschied über ihre Zwangs-Einweisung am Telefon. In der Klinik wird sie gegen ihren Willen mit Neuroleptika behandelt. Sie erleidet eine schwere Medikamenten-Vergiftung. Dadurch muss sie noch länger in der Psychiatrie bleiben. Das Krankenhaus erklärt gegenüber report München, es sei eine normale Diagnostik und Behandlung auf einer geschlossenen Station erfolgt. Ingrid Scholz gelingt es nur mit Hilfe ihres Anwalts die Betreuung zu beenden. Jetzt klagt sie gegen diese unrechte Behandlung.
Günther Noack, Rechtsanwalt: Die Verfassungsbeschwerde richtet sich danach, wenn sie den Fall von Frau Scholz angucken, nach der Einweisung im Krankenhaus quasi passieren kann, was will und weder das Gericht das kontrolliert, noch der Betreuer dazu etwas sagen muss, das schließt ein, dass sie zwangsweise mit falschen Medikamenten behandelt werden kann, das schließt ein, dass sie fixiert werden kann, dass ihr noch mal die Freiheit extra entzogen wird usw., also schwerwiegende Eingriffe in Menschenrechte, wo keiner dahinter steht und die kontrolliert.
Kein Betreuer antwortet auf unsere Anfrage, nur das Amtsgericht schreibt, man habe immer den eigenen Willen respektiert. Und doch hat sie Schlimmes erlebt. Während sie in der Psychiatrie ist, kündigt ihr erster Betreuer die Wohnung, lässt diese ausräumen. Ihre Geburtsurkunde, Fotoalben, Bücher und Kleidung verschwinden für immer. Sie wird obdachlos. Muss sich nach der Entlassung selbst um eine neue Bleibe kümmern.
Ingrid Scholz ist kein Einzelfall. Eigentlich darf nur eingewiesen werden, wenn Gefahr droht. Doch das ist Auslegungssache. Die Zwangseinweisungen in die Psychiatrie haben sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Ein Grund: Das neue Betreuungsrecht. Auch freiheitsentziehende Maßnahmen, wie Fixierungen, haben laut wissenschaftlichen Studien zugenommen. Prof. Peter Müller ist Psychiater und Gutachter und entsetzt über die steigende Zahl der Zwangseinweisungen.
Prof. Peter Müller, Psychiatrischer Gutachter: Also diese Studie ist eine europaweite Studie, da ist deutlich zu sehen, dass Deutschland sehr hohe Raten unfreiwilliger Einweisungen hat, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, etwa Frankreich oder England.
Das sind hier bevölkerungsbezogene Raten von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie in Deutschland. Ist im Jahr 2007 publiziert worden, vor gut einer Woche, mit einem deutlichen Anstieg.
Weiter berichtet er: Also ganz praktisch ist eine Zwangseinweisung viel schneller durchzuführen als eine ausführliche Beratung oder ambulante Bemühung um genügend Hilfestellung zur Verfügung zu stellen. Eine Zwangseinweisung kann ein Arzt in einer psychiatrischen Klinik innerhalb einer Viertel Stunde regeln.
Das hat auch Alice Geiß und ihr behinderter Sohn Peter erlebt. Seit acht Jahren stehen Mutter und Sohn unter Betreuung. Eines Tages steht die Betreuerin mit Polizei im Haus. Der Sohn soll in die Psychiatrie eingewiesen werden, weil er Medikamente nicht einnimmt. Und praktischerweise, so die Betreuerin, soll die 84jährige Mutter gleich mit eingewiesen werden.
Alice Geiß: Erst kam der erste Polizist, ich hab mich geweigert und ich wollte so gerne noch zur Toilette, ließen sie mich nicht. Sie hatten wohl Angst, dass ich irgendwo ausbüchse. Und dann kam der dicke Polizist und der hat mir gedroht. Ich sollte mit. Und da hab ich aufgegeben.
Prof. Peter Müller, Psychiatrischer Gutachter: Die Kriterien, wann darf jemand gegen seinen Willen in eine Psychiatrische Klinik eingewiesen werden, sind ein bisschen weniger schwerwiegend, z.B. durch die Einführung des Betreuungsrechts 1992.
report München konfrontiert alle Stellen mit den Vorwürfen. Nur das Amtsgericht Winsen antwortet lapidar: Die Richterin sei versetzt worden.
Der Hausarzt Otto Maaß kann die Zwangsweisung nicht fassen, denn er hatte festgestellt, dass Peter Geiß erheblich unter den Nebenwirkungen der Psychopharmaka litt. Er attestierte sogar schriftlich, die Einnahme sofort zu beenden.
Otto Maaß, Hausarzt: Hier geht es nach meiner Meinung um Ausübung von Macht und Gewalt gegen Menschen, die sich nicht wehren können und mit denen man dann das dann so machen kann. Diese beiden können sich nicht wehren.
Sich nicht wehren können, ein Skandal? Mittlerweile denkt die Bundesregierung über unabhängige Kontrollen nach. Vor allem nach einem Bericht der europäischen Menschenrechtskommission. Denn diese hat bei unangemeldeten Kontrollen in deutschen Psychiatrien gravierende Mängel festgestellt.
Michael Neurauter, Europäische Kontrollkommission
zur Verhütung von unmenschlicher Behandlung (CPT): Es hat auch Fälle gegeben, dass Patienten über einen sehr langen Zeitraum, ca. mehrere Tage durchgehend gebunden waren an Händen und Füßen zur eigenen Sicherheit, da hat auch das CPT festgestellt, eine solche Lösung ist auf keinen Fall akzeptabel.
Solange das Betreuungsrecht nicht geändert wird, werden weiterhin Menschen wie diese einfach in die Psychiatrie zwangseingewiesen werden können.
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