Wirtschaft & Politik

Wider die Staatsgläubigkeit der Deutschen

Wider die Staatsgläubigkeit der Deutschen

Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi plädiert für mehr Eigeninitiative: Man muss die Menschen ihre Chancen nutzen lassen.

Fast sieben Jahre lang war Klaus von Dohnanyi zwischen 1981 und 1988 Hamburgs Erster Bürgermeister. In dieser Zeit fiel die Auseinandersetzung um die Hafenstraße. Aber auch wirtschafts- und bildungspolitisch stand Deutschland damals vor großen Herausforderungen. Wer heute in Dohnanyis Reden aus seiner Hamburger Regierungszeit liest, den beschleicht das Gefühl, als seien in den vergangenen fast 20 Jahren nur wenige der bereits damals bestehenden Probleme gelöst worden. Die aktuelle Unterschicht-Diskussion oder das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Finanzlage Berlins in der vergangenen Woche bestätigen diesen Eindruck. Die WELT sprach mit Klaus von Dohnanyi über die alten, neuen Probleme wie soziale Spaltung, Haushaltslage und Hochschulreform.

Soziale Spaltung: Von Dohnanyi fordert mehr Eigenverantwortung der Menschen. "Wir Deutsche müssen aufhören, zu glauben, dass für alles der Staat verantwortlich ist." Es reiche nicht, allein den Staat für alles verantwortlich machen. "Man selbst muss auch mit Energie anpacken." Die Situation in Deutschland sei schwierig, aber das Land und seine Menschen seien stark genug, die Probleme zu lösen. Man müsse die Menschen nur ihre Chance nutzen lassen. "Allerdings kommt die Chance nicht allein vom Staat, sondern sie kommt auch aus einem selbst", sagte von Dohnanyi. "Wenn man sich selbst nicht in Trapp bringt, sondern nur auf den Staat hofft, wird nichts daraus werden."

In der aktuellen Debatte werde der unglückliche Begriff Unterschicht verwendet, sagte der frühere Hamburger Senatschef. "Es gibt in Hamburg sicher Armut, aber wir haben noch kein generelles Unterschichtenproblem." Vielmehr sehe er ein Problem der "Arbeitslosigkeit und Motivation". Das Letztere zeige sich im Besonderen bei Menschen, die sehr lange arbeitslos seien. "Deren Problem ist gerade das der Motivation, dieses Zurückfallen in Resignation." Da bestehe "gelegentlich kaum mehr Wille zur Selbsthilfe". Nach den Worten von Dohnanyis ist dieses Problem allein mit Geld nicht zu lösen. "Wir müssen darüber nachdenken, wie die betroffenen Menschen wieder in die Gesellschaft zurückkehren können." Dazu gehöre mehr Zusammenhalt in den Familien, in den Vereinen, in den Stadtbezirken. "Kleinere Einheiten halten einfach besser zusammen."

Arbeitslosigkeit: Um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, plädiert der Politiker für das Instrument der sogenannten Negativsteuer. "Wer zu einem zu niedrigen Lohn arbeitet, muss aus Steuermitteln einen Ausgleich bis zur Einkommenshöhe erhalten, wo er selbst anfangen würde, Steuern zu zahlen." Dieses System habe in Amerika gut funktioniert. Man sollte so etwas einmal ausprobieren. Hamburg wäre dafür sehr gut geeignet.

Staatliche Förderung: Nach den Worten von Dohnanyis müssen staatliche Förderungen auf Wachstumskerne konzentriert werden. "Wirtschaftliches Wachstum konzentriert sich immer mehr auf Metropolregionen." Dort gebe es gute Voraussetzungen, wie beispielsweise das Vorhandensein verschiedener Fachkräfte. Regionen, die "gute Biologen, gute Physiker, gute Wirtschaftsprüfer und gute Facharbeiter" hätten, seien bei der Ansiedlung von Firmen im Vorteil. "Das hat mit der Verwissenschaftlichung unserer Arbeit zu tun." Der Staat müsse deshalb das Geld dort investieren, "wo man annehmen kann, dass es fruchtbar wird auch für andere Bereiche".

Finanzurteil: Das in der vergangenen Woche vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene Finanzurteil hält von Dohnanyi nicht für das letzte Wort. "Das Urteil ist kein endgültiges, und es ist ja nicht so, dass man Berlin einfach im Regen stehen lässt." Vielmehr sei nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine extreme Haushaltsnotlage nicht akzeptiert worden. Die Stadt sei aufgefordert worden, ihren derzeit bestehenden Spielraum, zu sparen, auszunutzen. "Wenn die Berliner das gemacht haben, wird sich die Frage erneut stellen, ob es in einer extremen Haushaltsnotlage, für die eine Stadt oder ein Land nichts kann, nicht doch die solidarische Hilfe geben muss."

Hochschulpolitik: In der Hamburger Hochschulpolitik haben nach den Worten von Dohnanyis zu lange Qualität und Leistung keine Rolle gespielt. "Es ist zu viel geachtet worden auf Fragen etwa der "demokratischen Mitbestimmung und zu wenig auf Exzellenz", sagte Dohnanyi, der die Expertenkommission zur Reform des Hamburger Hochschulwesens leitete. "Die Universität ist aber in erster Linie keine soziale Einrichtung, sondern eine Leistungseinrichtung." Die Proteste gegen die Reformen überraschen ihn nicht: "Diejenigen, die protestierten, haben gemerkt, dass es nun in erster Linie um Leistung geht und nicht mehr um einen Kuschelkurs, wie das früher zwischen Universität und Politik oft üblich war." Das Wichtigste sei nun, dass sich die neue Uni-Führung darum bemühe, die Potenziale ohne Vorurteil auf Exzellenz auszurichten.

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