Yes-Album der Woche: Mike Oldfield - "Crises" (feat. Jon Anderson) - vorgestellt von Ricarda
MIKE OLDFIELD - CRISES (1983)
Tracklist:
1. Crises (20:40)
2. Moonlight Shadow (3:38)
3. In High Places (3:33)
4. Foreign Affair (3:53)
5. Taurus 3 (2:25)
6. Shadow On The Wall (3:08)
Mitwirkende:
Mike Oldfield - vocals, guitar, keyboards, harp, mandolin, bass, bells, banjo
Phil Spalding - bass
Anthony Glynne - guitar on 1;5
Rick Fenn - guitar on 1
Simon Philips - drums, percussion
Maggie Reilly - vocals on 2;4
Jon Anderson - vocals on 3
Pierre Moerlen - vibraphone on 3
Roger Chapman - vocals on 6
Crises war für viele Hardcore-Oldfield-Fans das, was Invisible Touch für den frühen Genesis-Vogel oder 90125 für jene, die Yes schon spätestens seit dem 1971er Yes Album liebten, waren: Das Album für die Zugereisten, der Kuchen, den man mit zu vielen teilen musste. Den beiden Schatten-Hitsingles Moonlight Shadow und Shadow On The Wall sei dank, oder eben nicht. Fest steht jedenfalls, dass sich der Multiinstrumentalist aus Reading in der britischen Grafschaft Berkshire und seine damalige Plattenfirma Virgin Records nach der großen Punkwelle und dem schwer verdaulichen Doppelalbum Incantations (1978) auf einen Kompromiss einigen mussten, der folgendermaßen aussah: Mike wurde eine Plattenseite zugestattet, auf der er einen Longtrack von etwa 20 Minuten packen durfte, die andere LP-Seite umfasste dann meistens kürzere Stücke von 3 - 4 Minuten. Oldfield äußerte sich in der LP-Hülle von Crises dazu folgendermaßen:
'One side is very commercial (...) while the other is more the material I want to do for personal satisfaction. It's a case of keeping everybody happy' ('Eine Seite ist sehr kommerziell (...) während die andere eher das Material enthält, das ich zur persönlichen Befriedigung kreiere. So sind beide Seiten glücklich').
Diese Methode wendete Oldfield bereits auf den Alben Platinum (1979) und Five Miles Out (1982) und später noch auf Islands (1987) an. Einzige Ausnahmen: Die Longtracks auf den Alben QE2 (1980) und Discovery (1984) hatten eine Länge von gerade mal 10 - 12 Minuten. 1989 erschien mit Earth Moving gar ein Gesangs-Album ohne einen einzigen längeren Instrumentalsong. Erst 1990 kehrte Oldfield mit Amarok wieder zu seinen Wurzeln zurück und blieb bis heute dabei.
War das Vorgängeralbum Five Miles Out (1982) noch so etwas wie ein Full Band-Album (es wurde mit Mikes kompletter Tourband eingespielt, etliche Mitglieder waren auch am Songwriting beteiligt), musste man sich bei Crises wieder davon verabschieden. Bereits während der Whos Next World Tour (1982), die Oldfield neben vielen umjubelten Konzerten in Europa auch das erste Mal nach Japan, Australien und Nordamerika führte, begann er mit der Arbeit an einem neuen Album. Schon während dieser Tournee spielte man eine frühe Version von In High Places.
Crises erschien am 27. Mai 1983 und erreichte sowohl in Deutschland, als auch in Schweden und Norwegen die Spitze der Album-Charts, in Österreich erreichte es Platz 2, in der Schweiz Platz 5 und in Oldfields Heimat Großbritannien Platz 6.
Zu den Songs:
CRISES (20:40)
Das Album startet mit dem eine LP-Seite umfassenden Titelstück, dessen Intro sofort an das weltberühmte Intro von Mikes Debüt-Album Tubular Bells (1973) erinnert, welches seinerzeit 10-jähriges Jubiläum feierte. Im weiteren Verlauf entwickelt sich die Nummer zu einem für Oldfield-Verhältnisse ungewöhnlichen Rockstampfer mit Gitarren, Drums, Bässen und den für die 80er typischen Synthie-Strings von Roland. Darüberhinaus darf auch der Meister selbst zum Vokalmikrofon greifen und singt von Krisen, denen man nicht entkommen kann, sowie dem Wächter, der Stunde um Stunde in seinem Turm wartet. Nach diesen Rockeinlagen folgt ein etwas ruhiger Teil, getragen von den Roland-Strings, die, passend zum Plattencover von Terry Illot, ein frühlingsnächtliches Flair verbreiten. Doch auch diesem Teil folgt wieder ein etwas rockigerer Teil, in dem sich der spätere Toto-, aber damals schon Weltklasse-Drummer Simon Phillips so richtig ausleben darf. Bei manchen Oldfield-Fans ist dieser Track nicht sonderlich beliebt, da er im Gegensatz zu früheren Werken vielleicht etwas zusammengeklebt wirkt. Trotzdem braucht er sich zumindest nicht hinter Stücken wie Platinum oder Taurus 2 zu verstecken. Wenn man sich den Track nur oft genug anhört, findet man eventuell sogar den berühmten roten Faden.
MOONLIGHT SHADOW (3:38)
Tja, was soll man zu dieser Nummer, dem Oldfield-Singlehit schlechthin, noch sagen? Es handelt sich hierbei um eine leichte, ohrwurmige Folk-Pop-Nummer, die neben den Oldfieldtypischen Gitarreneinlagen durch die feenhafte Stimme von Maggie Reilly besticht. Die schottische Sängerin war auch schon auf den Alben QE2 (1980) und Five Miles Out (1982) zu hören (bei ersterem noch als Instrument, bei letzterem dann als richtige Leadsängerin). Nachdem sie noch auf den Alben Discovery und Earth Moving gesungen hatte, trennte sie sich aus familiären Gründen von Oldfield und arbeitet seitdem als Solo-Künstlerin (größte Single-Erfolge: Everytime We Touch (1992) und Follow The Midnight Sun (1993)). Aber zurück zum betreffenden Song: Der Mondlicht-Schatten, von dem oft fälschlicherweise angenommen wird, dass in diesem Song die Ermordung John Lennons thematisiert werden würde, wurde in vielen europäischen Ländern die Nummer 1, in GB die 4. In Deutschland kam der Song bis auf Platz 2 und war dort die drittbestverkaufte Single des Jahres 1983 (nach Major Tom von Peter Schilling und Flashdance (What A Feeling) von Irene Cara).
Es existiert allerdings noch eine längere Fassung von Moonlight Shadow mit einer zusätzlichen Strophe. Zu finden ist diese Version auf Oldfields Platinum Collection (2006).
IN HIGH PLACES (3:33)
Es folgt ein Song über eine Fahrt/einen Flug in einem Heißluftballon bei Nacht. Oldfield setzt bei diesem Stück seine Gitarre zurückhaltender ein, es dominieren hier eher Drums, Bass, Keyboards und sogar Vibraphon. Die Synthies betonen in diesem Lied gerne jede zweite Achtelnote und verbereiten so ein leichtes Reggae-Flair. Und hier findet sich nun auch die Verbindung zu Yes, denn niemand Geringeres als Jon Anderson, der an diesem Stück auch mitschrieb, leiht dem Song seine hohe Gesangsstimme, die sogar teilweise noch präziser und druckvoller klingt als auf jedem Yes-Album. Jon hatte zu jenem Zeitpunkt das Duo Jon & Vangelis verlassen, das mit Hits wie I Hear You Now (1980) und Ill Find My Way Home (1982) für Furore sorgte und hatte also genug Zeit für eine Kollaboration mit Mike. Kurze Zeit später sollte er sich dann einer Band namens Cinema anschließen, aus der dann noch eine Band namens Yes werden sollte, aber dies ist eine andere Geschichte. Vielleicht sollte noch eine weitere Yes-Connection auf diesem Album erwähnt werden: als Toningenieur arbeitete auf Crises der im November 2008 verstorbene Nigel Luby, der als solcher auch schon für die Yes-Alben 90125, Tormato, Yesshows, sowie für das Chris Squire-Soloalbum Fish Out Of Water verantwortlich zeichnete.
Am Vibraphon ist der französische Gong-Perkussionist Pierre Moerlen zu hören, der inzwischen auch schon das Zeitliche gesegnet hat (Mai 2005). Moerlen war zu jenem Zeitpunkt schon ein alter Wegbegleiter von Oldfield. So spielte er im Juni 1973 bei der Premiere von Tubular Bells in der Londoner Queen Elizabeth Hall und zeigte auch auf den Alben Ommadawn (1975), Incantations (1978) und Platinum (1979), sowie auf der Oldfield-Live-Doppel-LP Exposed (1979) sein ganzes Können. Moerlen ist übrigens auch im Videoclip zu Moonlight Shadow am Schlagzeug zu sehen, da der eigentliche Drummer Simon Philips keine Zeit für einen Videodreh hatte.
FOREIGN AFFAIR (3:53)
Nun folgt ein eher unspektakuläres Stück ohne Gitarren, sondern nur mit Percussion, Bass und Fairlightgeklimper (Oldfieldfans nennen dieses Stück daher gerne auch Fairlight Affair), wo leider auch der Gesang von Maggie Reilly nicht sehr viel rausreißt. Textlich geht es weniger um Fremdgehen, wie der Titel vermuten lässt, sondern eher um Urlaub auf einer Südsee-Insel. Da das Stück auch ziemlich repetitiv ist, hört man sich sehr schnell satt daran.
TAURUS 3 (2:25)
Hier kommt wieder ein wenig Stimmung auf. Eine kurze, aber spritzige Flamenco-Nummer mit Mike an seinen spanish guitars und seinen Synthies, begleitet nur von Simon Phillips an diversen Percussion-Instrumenten. Dieser Track steht in der Tradition von gitarrenlastigen, nicht zu langen Nummern wie Sailors Hornpipe, Don Alfonso oder On Horseback. Einziger Kritikpunkt hier ist, dass Taurus 3 in dieser Form nicht wirklich zu seinen Vorgängern Taurus 1 (auf QE2) und Taurus 2 (auf Five Miles Out) passt. Wenn man diese Tatsache allerdings außer Acht lässt und sich ggf. einen anderen Songtitel dazu vorstellt, kann man auch leicht darüber hinwegsehen.
SHADOW ON THE WALL (3:08)
Das Album endet mit der zweiten Singleauskopplung aus diesem Album, die im Spätherbst 1983 Platz 3 der deutschen Charts erreichte und so den Erfolg von Moonlight Shadow wiederholen konnte. So musste Oldfield jedenfalls keinerlei Befürchtungen haben, als One-Hit-Wonder abgestempelt zu werden. Zum Schluss also noch mal ein Oldfield-Rocker mit harten Gitarren und Schlagwerk, sowie der Reibeisen-Stimme von Ex-Family-Sänger Roger Chappo Chapman. Auch von diesem Stück findet sich auf der Platinum Collection eine etwas längere Version mit zusätzlichen Background-Vocals und Gitarrensoli. Chappo selber dehnt dieses Stück heutzutage bei seinen Solokonzerten sogar auf 20 Minuten aus, als Rausschmeißer sozusagen.
Um dieses Album zu promoten ging Oldfield mit einer etwas umbesetzten Live-Band auf Tournee und spielte bei den deutschen Open-Air-Konzerten im Sommer 83 im Vorprogramm von Chris de Burgh und Supertramp. Am 22. Juli 1983 gab es in der Londoner Wembley Arena dann ein großes Oldfield-Konzert, bei dem das 10-jährige Jubiläum von Tubular Bells gefeiert wurde und er neben diesem Album auch viele Sachen von seinen anderen, bis dato erschienenen Alben spielte.
Näheres dazu hier:
http://www.tubular-world.com/konzerte/crises-tour/setlists/london-22-07-1983.shtml
Zum Schluss noch ein paar Songs von Crises:
CRISES, PART 1
CRISES, PART 2
MOONLIGHT SHADOW
IN HIGH PLACES
FOREIGN AFFAIR
TAURUS 3
SHADOW ON THE WALL
Fazit: Auch wenn Crises kein Meilenstein a la Tubular Bells oder Ommadawn darstellt, sollte es jeder Fan im Regal stehen haben. Gerade dieser Spagat zwischen ambitioniert und leicht verdaulich machen dieses Album aus.