Album: "Change We Must" (1994)
Change We Must Jon Anderson (1994)
Eine besondere Zuneigung zu klassischer Musik bestand für den Meistersinger bereits in der Frühzeit seiner musikalischen Kariere. Es sollte aber etliche Jahre dauern, bis Jon seine musikalische Vielfältigkeit auch in diese Richtung lenkte. Ein Paradebeispiel dafür ist die 1994 erschienene CD Change We Must. Auch im Albumtitel drückt er diese, seine musikalische Wandlungsfähigkeit und konstante Lebensphilosophie aus.
Zur Verwirklichung dieses Ziels schöpft er aus seiner musikalischen Historie und aus gegenwärtigen Kompositionen und produziert ein Album, welches das Prädikat besonders wertvoll verdient.
Mit State Of Independence geht es auch gleich klassisch los, denn Jon hat diese Co-Komposition mit Vangelis seinem Konzept angepasst. Der Song schwingt sich zu einem mächtigen Opus auf und wird von den Streichern ausdrucksvoll in Szene gesetzt. Jons eindringliche Stimme gibt dem Song-Text eine mahnende Klangfarbe, die vom Chor (Opio-Singers) noch unterstrichen wird.
Mit den Streichern geht es im nächsten Song Shaker Loops auch gleich weiter. Hier handelt es sich aber nicht um eine Anderson-Komposition, sie stammt aus der Feder von John Adams. Jon hat hier noch einen Text zum Instrumental geliefert. Das Arrangement des Songs wirkt fast bedrohlich und treibt die Gedanken in die von Jon besungenen Naturschauspiele und wirft Fragen auf
Wie eine Antwort auf die Fragen wirkt der nächste Song, der aus dem Yes-Fundus stammt. Auch Hearts (Yes-Album 90125) wird in ein klassisches Gewand transponiert und als wichtiges Puzzle in das Album-Konzept integriert. Hier bedient sich Jon aber neben den Streichern noch einer klassischen Rockgruppen-Besetzung mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und Keyboards. Der Song ist recht nah am Original, auf die Solos wurde verzichtet.
Ein versöhnendes Instrumental schließt sich an. Ein klassisches Piano-Orchester-Stück, welches man wohl nicht ohne weiteres als Jon Anderson-Komposition (mit David Tolley) erkennen würde. So wie der Songtitel (Alive & Well) ist auch die Stimmung, die von diesem Song ausgeht. In Gedanken läuft man durch all die Felder, Wiesen und Höhen und betrachtet den Himmel vor dem inneren Auge.
Das Jon nach seiner Scheidung wieder frisch verliebt ist, zeigt der Song The Kiss, der auch für einen Märchenfilm geeignet wäre. Er widerspiegelt Jons Gespür für ausdrucksvollen Melodien und Zuneigung zu klassischen Komponisten wie Jean Sibelius, dessen Symphonien wohl auch ein wenig Pate gestanden haben.
Der Kuss geht fließend in ein wundervolles Duett mit der französischen Sopranistin Sandrine Piau über. Das Chagall-Duet ist Teil eines Musicals von Mr. Anderson, welches noch in dessen Schatzkiste schlummert und bis heute wohl noch nicht vollendet ist. Eine Tatsache, die leider auf mehrere seiner Projekte zutrifft. Jon kann mit seiner Stimme auch fast mit Frau Piau mithalten. Wer auch mal in die Oper geht, wird an diesem Stück seine Freude haben. Es passt hervorragend auf dieses Album. Hier wird nicht abgeflachter Musical-Kitsch geboten, sondern im klassischen Stil gesungen.
Ein weiteres Piano-Orchester-Instrumental folgt mit Run on Jon. Am Klavier ist Gwendolyn Mok zu hören, die ebenfalls in der klassischen Musik zuhause ist. Parallelen bei diesem Werk zur minimalistischen Musik eines Philip Glass` kann man durchaus ziehen. Es ist die musikalische Promenade, die Jons Lebensweg verfolgt und die Überleitung zum nächsten Stück darstellt. Jon wird voran getrieben um dann im Candle Song einen Ruhepol zu finden. Natürlich mutet der Song auch sehr festlich an. Hier singt Jade Anderson gemeinsam mit ihrem Vater, dessen Gesang aber im Vordergrund steht. Ein Streich-Quartett und eine Harfe veredeln dieses sanfte Lied.
Eine weitere Promenade im Stile Modest Mussorgskys bildet dann A View From The Coppice das wieder von der hervorragenden Pianistin G. Monk präsentiert wird. Wobei interessant ist, dass Matt Clifford (Session-Musiker vom ABWH-Album) orchestriert hat.
Zwei Songs seines 88er Albums In The City Of Angels fanden ihren Weg auch auf dieses Output. Sie erscheinen aber in völlig neuem Gewand und haben ihre Popstrukturen abgelegt.
Hurry Home ähnlich dynamisch angelegt wie State Of Independence wird durch das Neu-Arrangement deutlich aufgewertet. Die Opio-Singers und das Orchester tragen ihren Teil dazu bei, dass man an die Yes-Hoch-Zeiten erinnert wird. Der aufmerksame Zuhörer kann im Outro noch ein irisches Bodhran vernehmen. Kündigt das schon Jons The Promise Ring an ?
Mein Lieblingsstück vom Album kommt mit dem Titel Under The Sun(Its On Fire Originaltitel vom 88er Album). Diesmal gibt es ein Konglomerat aus klassischer europäischer Musik, lateinamerikanischen Klängen und afrikanischem Timbre. Der Song ist Optimismus pur und hämmert sich auch durch mit dem funkigen Basslauf in meine Gehörgänge ein. Hier darf wieder Steve Pearce die dicken Saiten traktieren und erinnert an die Künste eines Tony Levin.
Ein würdevoller Abschluss für dieses makellose Album ist das Titelstück. Jon schwebt noch einmal mit seiner Stimme über dem Orchester. Dabei wird er von den Opio-Singers getragen. Change we must to live again singt er mit voller Hingabe und blickt damit zurück aber auch in die Zukunft.
Im CD-Booklet findet man noch interessante Informationen zu den beteiligten Musikern und Sängern.
Gerade durch dieses Album führt Jon die Aussagen einiger Kritiker, die ihn als esoterischen Paradiesvogel bezeichnen, ad absurdum. Er ist nicht den Frohlockungen der Popkultur verfallen, die nur auf schnelle Profite der Musikindustrie ausgerichtet sind. Er hat seinen Weg verfolgt und ist nicht wie andere Sänger am Charts-Ufer gestrandet, sondern hat sich in das musikalische Land der Klassik getraut und sein Ziel erreicht.