Sigur Rós in Berlin 13. August 08
Gestern durfte ich mein allererstes Sigur Rós Konzert erleben! Die derzeit wohl erfolgreichste Band Islands hatte geladen ins Tempodrom nach Berlin.
Warum fährt ein Hamburger extra nach Berlin? Was für ein Aufstand nur für ein Konzert. Die Frage habe ich mir die letzten Tage auch oft gestellt. Lohnen sich der Aufwand und die Kosten (Ticket, Zugfahrt, Hotel) wirklich? Gestern kam die Antwort.
Nachdem ich mein Hotelzimmer bezogen hatte (nur 5 Gehminuten vom Tempodrom entfernt) und nicht mehr wirklich Zeit für andere Aktivitäten vor dem Konzert blieb, hab ich mich uch gleich auf den Weg gemacht und war ca. um 19:00 Uhr vor dem Tempodrom. Es war schon Einlass, Beginn war aber erst um 20 Uhr. Da das Konzert bestuhlt war und ich ja meinen festen Platz hatte, war keine Eile geboten, so dass ich bei dem schönen Wetter noch Bier, Bratwurst und die sehr gute Stimmung des Publikums genießen konnte.
Das Publikum war insgesamt recht jung. Durchschnittsalter ca. 25 Jahre. Aber ich war zum Glück nicht der Älteste Außerdem waren wohl jede Menge Nationalitäten verteten. Es wurde viel Englisch gesprochen, aber auch spanisch, polnisch und russisch habe ich aufgeschnappt.Vielleicht ist das in Berlin aber auch ganz normal. Denn eine Anwohnerin mit Fahrrad kam vorbei und fragte mich erstmal, ob ich Deutsch spreche und (nachdem ich dies bejahte) was denn heute für ein Event sei. Ich klärte sie auf, dass Sigur Rós spielen würden. Sie kannte die Band nicht und bat mich, ihr etwas über die Art der Musik zu erzählen. Sie überlegte sich, das Konzert evtl. auch noch zu besuchen. Also erzählte ich ihr, dass es sich um eher sehr ruhige, nicht besonders rockige Musik handeln würde.
Ich hätte ihr keine falschere Beschreibung liefern können...
Ob die Dame noch eine Karte ergattern konnte, weiß ich nicht. Das Konzert war jedenfalls ausverkauft. Kurz vor 8 Uhr hab ich mich dann zu meinem Sitz begeben. Die Show fing überraschend pünktlich an, allerdings mit einer Vorgruppe: Ólafur Arnalds
Ólafur setzte sich ans Klavier, begleitet wurde er von 3 Streichern. Er stellte sich kurz vor, sagte dass er ebenfalls aus Island komme. Das alles war ziemlich runtergenuschelt, man hat kaum ein Wort verstanden. Vermutlich war Ólafur gerade Kreide holen, als in seiner Schule das Thema "Sprechen" dran war. Die Musik war rein instrumental. Neben Piano und Strings kam noch Percusiion vom Band. DIese Musik war vom Stil der von Sigur Rós gar nicht unähnlich. Wirklich vom Hocker gehauen hat sie mich jedoch nicht. Den Rest des Publikums anscheinend auch nicht. Viel mehr als Höflichkeitsapplaus gab es nicht. Was sehr störend war, war die tatsache, dass das Berliner Publikum einfach nicht in der Lage ist, pünktlich zum Vernanstaltngsbeginn auf dem Platz zu sein. Es war ein ständiges Hin- und Herglelaufe, Plätze wurden gesucht, eingenommen, nein, noch schnell ein Bier holen, doch nochmal zum Klo. Ich kam mir vor, wie auf einem Bahnhof.
Nachem der Voract vorbei war, hab auch ich mir noch ein Bier geholt, außerdem noch ein T-Shirt vom Merchandising Tresen
Und man kann trotzdem pünktlich vor Beginn der Show zurück sein
Dann ging es auch schon bald los. Sigur Rós betraten die Bühne. Die "Kernband" besteht auf 4 Leuten: Dem Sänger und Gitarristen Jónsi, dem Bassisten Georg, Schlagzeuger Orri und Keyboarder Kjartan. Die Band wird durch das Streicherquartett Amiina unterstützt, das maßgeblich zum Bandsound beiträgt.
Hier die Setlist:
1. Svefn-G-Englar
2. Sæglópur
3. Untitled #1 (Vaka)
4. Sé Lest
5. Við Spilum Endalaust
6. Gong
7. Andvari
8. Festival
9. Hoppípolla
10. Með Blóðnasir
11. Inní Mér Syngur Vitleysingur
12. Fljótavík
13. Viðrar Vel Til Loftárása
14. Hafsól
15. Gobbledigook
16. Olsen Olsen
17. Untitled #8 (Popplagið)
18. Heysátan
Tja, was soll man sagen. Es fällt mir wahrlich schwer, dieses Konzert in Worte zu fassen. Das muss man einfach erleben. Es war schlicht unglaublich und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass dieses Konzert wohl sicher zu den Top 5 Konzerten gehört, die ich je erlebt habe. Was während der 2 Stunden und 10 Minuten musikalisch geboten wurde, war nicht von dieser Welt.
Schon bei den ersten Tönen von Svefn-G-Englar taucht man ein in eine andere Welt. Jonsis Gesang ist ergreifend. Er schafft es tatsächlich spielend, diese für einen Mann unmöglich hohen Töne auch live druck- und gefühlvoll rüberzubringen. Seine Gitarre spielt er nicht einfach. Nein, er streicht mit einem Cellobogen über die Seiten. Dabei entstehen die bizarrsten Sounds. Manchmal bedrohlich dröhnend wie die Trompeten von Jericho mal lieblich und zerbrechlich wie der Gesang der Sirenen. Man wird einfach in den Bann gezogen.
Mit Ausnahme von Gitarre und Bass sind ansonsten eigentlich nur akustische Instrumente zu hören. Streicher, Piano, Hammondorgeln, Xylophon, Glockenspiel, Flöte und natürlich Gesang.
Dann bei Við Spilum Endalaust kommt auf einmal noch ein 5-köpfiges Bläserensemle auf die Bühne. Alle in weißer Kleidung und mit weißen Hüten. Eine großartige Erweiterung des Klangbilds.Insgesamt also 13 Leute auf der Bühne, die Bläser verschwinden allerdings zwischenzeitlich immer wieder von der Bühne, wenn gerade keine Bläser vorkommen. Sie übernehmen aber auch viel Backgroundgesang und sogar Percussion. Überhaupt wird viel an den Instrumenten gewechselt und getauscht. Jonsi spielt mal Gitarre, mal Orgel, mal Xylophon. Orgeln werden rein- und rausgetragen. Der Bassist zupft seinen Bass auf einmal mit einem Drumstick (eine Technik, die eigentlich Tony Levin und Peter Gabriel zusammen entwickelt haben), der Keyboarder geift zur Flöte... Da ist viel Bewegung auf der Bühne.
Eine wirkliche Bühnenshow gibt es nicht. Die Show besteht einfach aus der musizierenden Band. Aber bei 13 Musikern ist das ja auch schon eine Menge. Das Bühnenbild besteht aus einer Reihe kugelförmiger weißer Ballons, die in verschiedenen Farben leuchten können und dazu ein paar Varilights. Insgesamt eher unspektakulär, aber sehr geschmackvoll.
Jonsi mit seinem Pferdeschwanz und diesem "Piratenmantel" sieht ein wenig aus wie eine Mischung aus Peter Pan, Pippi Langstrumpf und Guybrush Treepwood. Gibt es nicht auch Elfen in Island? Das müsste es sein. Entweder das dort auf der Bühne sind Außerirdische oder Elfen. Die Musik klingt stark danach.
Ich hatte ja eigentlich ein sehr ruhiges, meditatives Konzert erwartet. Streicher, Piano, Orgeln, Xylophon... klingt ja alles nicht sehr nach Rock. Von wegen!
Erstmal war das Konzert deutlich lauter als erwartet. Nicht unangenehm laut, für meinen Geschmack gerade richtig, aber ich hätte mit etwas leiseren Tönen gerechnet. Und wer mal ein sigur rós Album gehört hat, wird wissen, dass es dort sehr viele ruhige entspannte Momente gibt. Nun, die gab es bei dem Konzert auch, aber die meiste Zeit über hat die Band richtig aufgedreht und einen Kracher nach dem anderen rausgehauen. Zwar unterscheiden sich die Liveversionen gar nicht mal stark von den Studioaufnahmen, trotzdem kann man das einfach nicht miteinander vergleichen. Wenn ich Sigur Rós auf CD höre, kann ich dabei vielleicht sogar einschlafen. Live wäre daran gar nicht zu denken. Da wollte ich tanzen!
Leider war es ein bestuhltes Konzert. So konnte ich zunächst nur mit dem Kopf wippen und mit den Händen auf meinenKnien rumtrommeln. Irgendwann hatte es ein Menschenkind gepackt, es ist aufgesprungen von seinem Sitz und tanzte vor der Bühne. Ich war ja direkt etwas neidisch. Mit 5 Bier mehr hätte ich da gerne mitgemacht. Ich wollte doch auch gern mit den Elfen tanzen. Aber die Security gab mal wieder den Spielverderber und geleitete den jungen Mann wieder zu seinem Stuhl. Dämlich und unnötig. Denn es dauerte nicht mehr lange, da hat es ohnehin niemanden mehr auf den Sitzen gehalten.
Die Band spielte sich immer mehr in Extase und das Publikum ging mit. Zwischenzeitlich traktierte Jonsi seine Gitarre mit dem Cellobogen derart brutal (er verprügelte seine Gitarre regelrecht damit), dass er 2 oder 3 Bögen während der Show zerschliss. Rosshaar um Rosshaar zerriss und fledderten vom Bogen. Die Klänge, die dort aus der Gitarre kamen, klangen immer agressiver. Mich hätte nicht überrascht, wenn er wie Pete Townsend die Gitarre auch noch zertrümmert hätte.
Beim Finale von Festival rieselte es auf einmal Feenstaub auf das Publikum. Ich hatte mich schon darauf gefreut, gemeinsam mit Peter Pan und den Elfen nach Nimmerland zu fliegen, da stellte ich fest, dass es doch nur Konfetti war.
Die Elfen waren ein wenig scheu (wie das bei Elfen nunmal so ist). Es sollte wohl knapp eine Stunde dauern, bis sie anfingen mit dem Publikum zu sprechen. Wenigstens sind sie diesmal nicht hinter einem Vorhang aufgetreten. Man muss das verstehen. Im Tempodrom waren wohl mehr Menschen, als man in Island jemals auf einem Haufen zu sehen bekommt. Jonsi erzählte, dass dies ein besonderer Abend für die Band sei, da sie nun zum letzten Mal mit den Streichern von Amiina und den Bläsern (wenn ich das richtig mitbekommen habe) spielen. Schade.
Bei ein paar Songs wurde das Publikum dann auch zum Mitsingen animiert (Með Blóðnasir) und bei Gobbledigook auch zum Mitklatschen (das ist ein irrer schneller Takt, da wird das Klatschen sehr anstrengend). Gobblediggok besteht außer Gitarre und Gesang eigentlich nur aus Trommeln. So hatte auch alles auf der Bühne, was zwei gesunde Arme hatte, eine Trommel oder Pauke genommen und es wurde getrommelt, was das zeug hält. Das Publikum hat kräftig mitgesungen (ein Großteil des Textes ist einfach nur "lalalalalala", da geht das Mitsingen schonmal) mitgeklatscht und mit den Füßen getrampelt. Das Tempodrom bebte. Zum Schluss des Songs kam dann nochmal der Feenstaub (jaja, es war wieder nur Konfetti). Damit war der Hauptset beendet und das Publikum zollte donnernden, frenetischen Applaus.
Die Zugabe ließ nicht lange auf sich warten. Nach einem mitreißenden Olsen Olsen kam für mich der eigentliche Höhepunkt des Abends: Popplagið: Eine psychedlische Nummer der Extraklasse. Immer lauter, immer intensiver steigerte die Band sich in einen treibenden Rhythmus. Das Publikum war auf den Beinen und tanzte wie besessen zu den bizarren Klängen. Immer heftiger schwoll das Crecendo an, Band und Publikum steigerten sich in eine heftige Extase. Ich war wie bekloppt am Headbangen (das geht auch ohne lange Haare). Dann setzte auch noch ein Strobolicht ein und sowohl Band als auch Publikum schienen jeden Kontakt zur realen Welt verloren zu haben. Mein Gott, wenn das noch ein paar Minuten länger so weitergegangen wäre, hätten sich vermutlich die ersten Leute ihre Klamotten vom Leib gerissen und eine wilde Orgie gestartet (vielleicht wäre es aber auch einfach nur zu ein paar epileptischen Anfällen gekommen). Doch die Elfen hatten ein Einsehen und brachten das Crescendo zur Klimax, ehe Schlimmeres geschehen konnte. Der Drummer warf seine Sticks ins Publikum und Jonsi die Gitarre (ein weiterer Bogen hatte gerade wieder das Zeitliche gesegnet) in die Drums. Rock'n'Roll! Wahnsinn! Soviel zum Thema ruhige, entspannte Musik. Die gab es dann bei der nächsten Zugabe zum "Runterkommen": Eine sehr schöne, gefühlvolle version von Heysátan.
Danach kam die Band noch mehrfach unter dem donnernden Applaus des Publikums auf die Bühne, um sich zu verbeugen. Die Bläser vollführten noch eine kleine Artistikformation. Gespielt haben sie leider nichts mehr.
Danach sind die Elfen auf ihre Einhörner gestiegen und wieder nach Island zurückgeritten. Vermute ich jedenfalls. Das Raumschiff Tempodrom war dann auch wieder in Berlin gelandet, als wäre es nie weggewesen. Aber ich weiß es besser. Zwischenzeitlich waren wir ganz bestimmt auf einem anderen Planenten.
Moondust will cover you!