YES - Off Topic -Von Fan zu Fan

Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Wer vor der Erfindung der Tonträger Musik hören wollte, musste entweder selber singen/musizieren oder ein Konzert "unplugged" hören. Musik war damals etwas Besonderes, und wer selbst nicht besonders musikalisch war, hatte selten Gelegenheit "hochwertige" Musik zu hören.
Das alles wurde anders, als des die gute alte Schallplatte gab. Man überlegte sich, wofür man sein Geld investierte, und ob man denn die Platte oft genug auflegen würde, damit es sich rentiert. Je nachdem, wie man die Platten behandelte, hatten (und verloren) sie ihren Wert.
In den 60/70er Jahren war der Cassttenrecorder auf dem Vormarsch, zu Beginn ein übles Gerät, das einen Sound hatte, den man heute gar nicht mehr beschreiben kann. Jetzt konnte man sich aber selbst eine Cassette zusammenstellen mit den Lieblingshits oder ganzen Alben.
Eine neue Entwicklung war die uns wohlbekannte CD. Noch mehr Musik auf noch weniger Platz und - sehr robust. Kein Umdrehen der LP mehr, keine Samthandschuhe, einfacher und sicherer ging es kaum noch.
Und doch:
mp3 und andere Formate machten den PC zum Musikcenter. (Wenn ich die 18000 Musikstücke auf meinem Rechner ununterbrochen durch hören würde, bei einer mittleren Track-Dauer von 5 Minuten ... rechnet es selbst aus.) Auf meiner externen 400GB-Festplatte ist noch reichlich Platz für noch mehr Musik. MP3-Player im Kleinstformat sorgen dafür, dass ich meine Lieblingsstücke überall mit hinnehmen kann.
Toll, wie hätte ich vor 35 Jahren so etwas nur erahnen können!
Aber jetzt schleichen sich bei mir doch Zweifel ein, ob das alles so toll ist. Ich habe inzwischen CDs, die ich mal kurz angespielt habe und für einen "bewußten" Hördurchgang zurückgestellt habe. Zu interessant ist das, was alte Kämpen und hoffnungslose Jungmusiker praktisch täglich herausbringen. Ich frage mich inzwischen:
WER SOLL DAS ALLES HÖREN?
In meinem Freundes- und weiteren Bekanntenkreis kenne ich niemanden, der so viel Musik hört wie ich. Ich bin also mitnichten ein Musikmuffel. Manchmal (selten) schalte ich alle Abspielgeräte aus und lausche der Stille - soweit das in einer Großstadt möglich ist. Dann hängt mir Musik aus den Ohren heraus. Wie man sich an gutem Essen überfressen kann, scheint es mir auch mit guter Musik zu gehen.
Wie ist Eure Einstellung und Euer Musikkonsum?

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Zitat: Aprilfrost
In meinem Freundes- und weiteren Bekanntenkreis kenne ich niemanden, der so viel Musik hört wie ich. Ich bin also mitnichten ein Musikmuffel. Manchmal (selten) schalte ich alle Abspielgeräte aus und lausche der Stille - soweit das in einer Großstadt möglich ist. Dann hängt mir Musik aus den Ohren heraus. Wie man sich an gutem Essen überfressen kann, scheint es mir auch mit guter Musik zu gehen.
Wie ist Eure Einstellung und Euer Musikkonsum?Ich kann Deine Gedanken sehr gut nachempfinden.

Ich höre außerhalb der Arbeit fast ständig Musik - im Auto, zuhause in der Mittagspause am Computer oder wenn ich etwas lese, sogar noch abends zum Einschlafen. Morgens brauche ich Ruhe beim Frühstück - das ist die Ausnahme.

So ca. vor 28 Jahren ist meine Musikleidenschaft erwacht und ich hatte schon immer das Bedürfnis Neues kennenzulernen - in der Schule war ich dafür bekannt, daß ich ständig LP-Tüten mit mir rumgetragen habe - entweder, weil ich Platten ausgeliehen oder verliehen habe, um sie mir auf MC aufzunehmen. In meiner Klasse waren aber einige Musikfreaks, die meinen Geschmack damals auch stark geprägt haben.

Später, so Mitte der 90er wurde meine Musikleidenschaft ruhiger - ich habe mir viel weniger gekauft und war nur noch wenig auf Konzerten. Das war aber auch durch meine damalige Arbeit bedingt, die mir kaum Zeit liess, um mich um andere Dinge zu kümmern.

Seit ich Internetanschluß besitze (2000), hat sich die Leidenschaft wieder verstärkt - auf einmal hatte ich problemlos Zugang zu allen Alben, die ich haben wollte. Vorher musste ich nach London fliegen oder nach Berlin - plötzlich kamen die CDs zu mir. Dazu kamen (und kommen) die Internetforen, in denen man Gleichgesinnte trifft.

Aber es stimmt - selbst wenn ich jeden Tag zwei Alben komplett durchhören könnte, bräuchte ich viel mehr als zwei Jahre, um alle meine CDs und LPs zu hören - es ist schon verrückt. Manchmal ärgere ich mich über mich selbst.

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Ich kann deinen Gedankengang sehr gut nachvollziehen und hab mich erst kürzlich mit dem Buch "Das MusikHörBuch" von den Ströer Brothers mit diesem Thema befasst. In der Tat wird man heute von jeglichen Medien mit Musik berieselt.

Ich höre im Auto sowie am PC täglich Musik meistens neuere Sachen um sie ins Ohr zu bekommen.
Richtig Musik also über die HiFi Anlage und voller Konzentration höre ich 2-3-mal die Woche und am Wochenende ca. 2-4 Stunden.
So ist auch klar das ich von meinen 1800 Cds, ca.1000 Lps und 500GB Files nur einen Bruchteil hören werde wobei das bei mir auch viel mit Sammelleidenschaft zu tun hat.





"It's better to burn out than to fade away."

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Man wird oberflächlich ...

Auf dem Weg zur Arbeit (im Auto) läuft das erste Mal Musik bei mir.
An den Wochentagen geht es mir wie Doc, zum Frühstück höre ich keine Musik. Auf Arbeit haben wir kein Radio oder ähnliches.

Nach der Arbeit dann wieder Musik auf dem Rückweg heimwärts. Also eine Stunde Musik täglich im Auto, die mich erfreut.

Mein Musikkonsum täglich ist sehr unterschiedlich. Manchmal den ganzen Abend, manchmal sehr wenig.

In letzter Zeit versuche ich wieder "intensiver" zu hören. D.h. weniger Alben, dafür öfters. So kann ich die Scheiben auch mehr genießen. Ich habe dadurch zwar etliches ungehörtes Material liegen, aber es stört mich nicht (mehr).

Früher war es für mich ein "Event", wenn ich eine neue Scheibe bekommen/gekauft habe. Natürlich stumpft man auch ab, wenn man jetzt gleich ganze Packungen an CDs kaufen kann.

Musik ist aber mein erstes Hobby, deshalb stört es mich auch nicht, eine große Sammlung zu haben und mache Scheiben auch mal ein wenig zu vernachlässigen.

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Ein sehr, sehr interessanter Thread Aprilfrost! Danke dafür


Nun hab ich Schüler ja bei weitem nicht so viele CDs wie einige andere geschätzen Mitglieder hier im besten Forum der Welt, aber auch mittlerweile schon genug, um nicht jede drauf zu haben. Ich hab bestimmt von denen, die ich im Original habe, jede schon einmal gehört, aber wäge auch ab, was ich bewusst hören möchte bzw. werde.
Eigentlich möchte ich alle gehört haben, aber dafür fehlt einfach die Zeit. Es werden somit viel weniger als mir lieb ist. Einfach mal "Zeit am Stück", die so ein Album ja erfordert, zu haben, ist nicht einfach. Vielleicht komme ich auf erschreckende ein bis zwei Alben in der Woche, die ich zumindestens ohne Nebengeräusche höre.

Soviel zum konzentrierten Hören. Mein täglicher Musikkonsum hingegen ist erfreulicher. Eigentlich höre ich immer Musik, wenn es möglich ist. Manchmal beim Aufstehen. (Fast) immer, wenn ich zuhause bin, beim Auto fahren, beim Joggen, beim Einschlafen, etc.

Ich höre also sehr viel Musik nebenbei. Das ist dann meistens Musik, die ich gut kenne und oft höre. Ich genieße die Musik dann sozusagen passiv. "Passiv" höre ich also sehr, sehr viel Musik. "Aktiv" eher wenig...

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Ein guter Grundgedanke, der mir auch stets präsent ist.
Mein Sohn mit seinen 20 Jahren hat bereits so viel Musik auf den Festplatten, dass er wohl fünf Leben bräuchte, um davon wirklich Gebrauch machen zu können.
Ich hab beizeiten die Bremse angezogen. Es begann mit dem PC-Zeitalter, als das Gefühl entstand, immer hinterherzujagen. Immer neue Betriebssysteme, die Officeversionen, die Virensoftware, schon wieder neue Hardware… in einem fort. Ich fühlte mich gehetzt und legte einen langsameren Gang ein, war zufrieden auch mit weniger Modernem…
Das übertrug ich auf andere Bereiche, auch auf Musik. Die plötzliche Verfügbarkeit jeder CD überforderte mich zeitlich völlig – da wurden Wünsche geweckt, die ich nie würde ausleben können. Dazu änderte sich wesentlich das Gefühl des freudigen Besitzens. Die Sinnlichkeit einer Tales oder Olias of Sunhillow –LP haben die CDs sowieso nie erreicht. Dennoch ging es mir wie JJG: Eine CD kaufen und anhören war noch immer etwas Besonderes, der Abend des ersten Anhörens immer von Vorfreude geprägt.
Bei mir kommt noch dazu: Ich kann nicht lesen und Musik hören gleichzeitig – und lesen muss ich. All die Ph. Roths, T.C. Boyles, Bölls, Hesses und was auch immer – auch sie vermitteln einem das Gefühl, dass das Leben viel zu endlich ist und man viel zu leicht Wichtiges und Schönes verpasst.
Musikalisch hatte ich ja schon einiges auf der Habenseite – Liebgewonnenes, Prägendes, das ich immer wieder hören konnte – und gleichzeitig die Neugier auf immer Neues. Das Internet bot mir die Möglichkeit, kurz hineinzuhören, mich zu orientieren – was ich gelegentlich auf Empfehlungen hin tat. „Muse“ blieben so als wesentliche Band hängen, einiges von dem, was meine Kinder hören, alte Dinge konnte ich entdecken. Aber wenn es etwas gab, was mich interessierte, dann hörte ich intensiv. Lieber verpasste ich Musik in Massen – schon die Menge an Vorschlägen in diesem Forum war nicht zu bewältigen. Wenn mit etwas nicht gleich richtig gefiel, ließ ich die Finger davon. So sind mir Spock`s Beard bis vor kurzem relativ unbekannt geblieben.
Ich werde auch weiterhin so verfahren, selbst meine Sammelleidenschaft für YES und RW ist verflacht, seit so viel verfügbar ist…
Viel Zeit brauche ich auch für Austausch, Gespräche, für Botanik und Astronomie, ich liebe gute Filme – Himmel, ich hab mich schon oft gefragt, wann ihr eigentlich all diese Musik hört, über die ihr schreibt.

Wenn ich eines vermeiden möchte in den paar Jährchen Leben, die noch bleiben, dann ist es das Gefühl, unter Druck zu stehen, mit den Mengen an Daten, Infos und Musik nicht zu Rande zu kommen. Lieber gehe ich einmal im Monat ins Konzert, genieße es, hole mal eine alte If-LP heraus und trinke einen guten Schluck (wahlweise Jasmin-Tee, Burgunder oder Tannenzäpfle) dazu – aber Musikmassen landen nicht auf meinem PC.


And for a moment when our world had filled the skies
Magic turned our eyes

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Du hast einen wesentlichen Aspekt angesprochen Topographic - die Gesamt(frei)zeit. Ich oute mich jetzt mal. Ich habe z.B. kein Handy. So bin ich zum Glück nicht jederzeit für alle möglichen Leute verfügbar. Oft bin ich auch zuhause und es klingelt das Telefon. Wenn "unbekannt" auf dem Display steht, gehe ich oft gar nicht ran, wenn ich weiß, dass es meine Frau und Kinder nicht sein können.
Das fällt anfangs schwer und geht bei vielen Leuten (leider) nicht, aber es schafft mir den Freiraum, den ich brauche. So habe ich viel mehr Zeit für die Familie und die wichtigen Dinge und natürlich auch für meine geliebte Musik.

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Du sagst es: Schwerpunkte setzen. Fällt mit dem Alter etwas leichter, vielleicht auch gezwungenermaßen. Früher musste ich Orgel, Schlagzzeug und Gitarre möglichst gleichzeitig spielen - leider wurde kein Trevor Rabin aus mir. Heute kann ich gelassen ein wenig am Klavier klimpern, das reicht... Handy hab ich aber - es war seinerzeit ein angenehmer Babysitter.


And for a moment when our world had filled the skies
Magic turned our eyes

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Zitat: Topographic
Wenn ich eines vermeiden möchte in den paar Jährchen Leben, die noch bleiben, dann ist es das Gefühl, unter Druck zu stehen, mit den Mengen an Daten, Infos und Musik nicht zu Rande zu kommen. Lieber gehe ich einmal im Monat ins Konzert, genieße es, hole mal eine alte If-LP heraus und trinke einen guten Schluck (wahlweise Jasmin-Tee, Burgunder oder Tannenzäpfle) dazu – aber Musikmassen landen nicht auf meinem PC.Dieser weise Ausspruch lässt sich ja auch auf andere Bereiche übertragen. In unserer Gesellschaft sollte wieder mehr die Qualität, denn die Quantität im Vordergrund stehen.



Ja, moralapolstel ja nicht noch weiter

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Mein Musikkonsum hat stark nachgelassen. Als ich mich als Teenager anfing, für Musik zu interessieren, habe ich große Teile meiner Freizeit damit verbracht. Große Auswahl hatte ich nicht. Wenn ich so mitbekomme, was unsere jungen Forenmitglieder so alles in ihren Schränken haben, kann ich nur Staunen (und Platzen vor Neid). Pro Jahr kamen damals vielleicht 10 CDs dazu. Mehr konnte ich mir einfach nicht leisten. Dafür hat man die Scheiben aber auch wirklich rauf und runter gehört. We Can't Dance von Genesis ist wohl eindeutig das am häufigsten von mir gehörte Album. Als ds Album rauskam (ich hatte es anfangs nur auf Kassette), lief das Tape bei mir ständig - jeden Tag mehrfach und das bstimmt über mindestens ein Jahr. Ich bzweifel, dass irgendein anderes Album bei mir diesen Rekord noch brechen könnte, dafür höre ich mittlerweile einfach zu viel unterschiedliche Musik und insgesamt höre ich auch viel weniger.

Bei der Arbeit kann ich keine Musik hören; morgens klappt das auch nicht. Es bleibt das Autofahren, Joggen und hin und wieder abends nach Feierabend (aber auch nicht jeden Tag) und eben am Wochenende. Aber mehr als 5 Stunden in der Woche kommen selten zusammen. In meiner Sammlung steht auch eine ganze Menge ungehörtes Material. Vieles hab ich bisher auch nur 1-2mal gehört. Trotzdem ist der Umfang meiner Neuanschaffungen größer als je zuvor. Das muss ich mal ändern


Send out the Signals deep and loud!

Re: Wieviel Musik braucht ein Mensch?

Zitat: Topographic
Bei mir kommt noch dazu: Ich kann nicht lesen und Musik hören gleichzeitig – und lesen muss ich. All die Ph. Roths, T.C. Boyles, Bölls, Hesses und was auch immer – auch sie vermitteln einem das Gefühl, dass das Leben viel zu endlich ist und man viel zu leicht Wichtiges und Schönes verpasst.Schön gesagt - wenn ich wählen müsste, ob ich meine Bücher oder meine CDs und LPs verkaufe, würde ich mich immer dafür entscheiden, die Bücher zu behalten.

Mir macht es allerdings überhaupt nichts aus, gleichzeitig zu lesen und Musik zu hören oder sogar DVDs laufen zu lassen. Nur bei deutschen Texten klappt das überhaupt nicht, deshalb höre ich auch fast nie deutschsprachige Musik.