BAS-LAG: Das China Miéville-Forum - Das Archiv

Das große Forums-Interview mit China Miéville: Fragen-Sammelthread

Zu Seblons Fragen (Warnung: langer Post)

Hallo Seblon!

Bin etwas ermattet am letzten buchmessetag (war als ›offizieller
buchmesse/literaturwelt-blogger‹ dort).
Da kommen mir Deine fragen-vorschläge ganz recht als entspannung.

AAAAALSO: rundum gute ideen für fragen. Die fragen nach büchern/themen
zu unterteilen find ich gandios!
Mir schweben noch fragen vor dem inneren auge, die man sortieren könnte
nach den drei großen ambitions-strängen die China zu verweben trachtet
(siehe Believer- oder Crooked Timer-interviews).
• reisserischer (weird-fiction, phantastik-genres) garn,
• avantgardistische sprach- und stilhaltung;
• gesellschaftlich relevantes schildern & erzählen.

Allein schon fein wäre, wenn China zu jedem dieser drei felder seine
drei hammer-›einflüße/lieblinge‹ anführt.
Als viertes fände ich Chinas top-3 des sachbuch-feldes auch
interessant. (Nebenbei: Ich hab vor kurzem Daniel C. Dennetts »Darwins
gefährliches Erbe« gelesen. Was da über gestaltungs- und
möglichkeitsräume zu finden ist, hat mich an einigen stellen sehr arg
an China-ideen & -passagen erinnert; ich vermute, daß China dieses
Dennett-buch kennt, bzw. sich mit evolutionstheorie näher
auseinandergesetzt hat. Überhaupt: habt Ihr nicht auch bei guten z.B.
BBC-naturdokus das gefühl, daß China sich seine inspirations-kicks zu
einem gutteil aus den bio-naturwissenschaften holt?)

Dann würde ich noch gern wissen, ob China weiterhin sachbücher zu
schreiben gedenkt (akademisch oder nicht). Hey, ich könnte mir
vorstellen, daß wenn er ein buch über phantastik abliefern würde,
dieses mindestens so exzellent wäre wie die arbeit von Aldiss (Trillion
Year Spree/Milliarden Jahre Traum).

Wenn genug zeit ist, würde ich gerne die energie investieren, noch zu
Seblons fragen was zu kommentieren (nicht unbedingt verbesserungen,
aber gedankengänge halt).

Beispiele:
> Fragen zu KING RAT:
> die Hauptcharaktere in KING RAT erinnern doch sehr stark an
> archetypische Comic-Superhelden, wie Spiderman bzw. Batman erinnern.
> In wieweit hattest Du mit dem Roman tatsächlich einen Comic-Roman im
> Sinn?

Ich hab von meiner ersten Miéville-lektüre weg gemerkt (bzw. bin davon
ausgegangen), daß China eben ein unbescheuklappter junger autor ist,
der sich nicht nur auf literatur zwecks quellen und auseinandersetzung
einläßt, sondern ganz selbstverständlich bezug nimmt auf medien, die
für seine generation ganz krampflos zum großen narrationsangebot (und
damit ›kunst‹) gehören. Nicht unähnlich einer haltung, wie sie Douglas
Coupland als von der bildenden kunst kommender autor beschreibt. Auch
Coupland hat viel weniger probleme mit dem aufgreifen von pop-kultur
und mainstream-entwicklungen. — Je nach dem wie man den ›pop-literatur‹
versteht, kann man KING RAT (und teile von LOOKING FOR YAKE und sogar
den Bas-Lag-romanen) als pop-literatur nehmen.

> War dir zu Beginn der Arbeit an PSS bereits bewusst, was aus Lin, aber
> auch aus Yagharek werden würde, oder warst Du selbst ein Stück weit
> überrascht darüber, in welche Richtung sich die Story entwickelt?

Das trau ich mich ja mit »Ja« beantworten (überheblich wie ich nun mal
bin). Immerhin ist es ein markantes gemeinsames merkmal der
›anti-trio‹, daß im letzten teil eines buches eine große wende,
verschiebung (synkope) zum vorherigen verlauf stattfindet. Man wurde
auf eine falsche fährte geführt, und plötzlich gehts um was GANZ
ANDERES. — (Nicht von ohngefähr gibts ja leserstimmen, die über zu
viele zufälle und plötzliche wendungen stöhnten.) — Den kern der frage
find ich aber toll und würde ihn auf die ganze ›anti-trio‹ übertragen.
In etwa: Hatte China von beginn an diese drei schlußvolten der
Bas-Lag-romane im sinn?

> Würdest Du Dir eher einen Realfilm oder einen kompletten CGI-Film
> wünschen?

Der unterschied ›real-‹ und ›CGI-‹film erscheint mir doch recht
konstruiert, in einer epoche, in der diese beiden pole vor allem durch
ihr vermischtwerden auffallen (und glänzen).

> Gerade als schwuler Mann freue ich mich immer sehr über die seltenen
> Momente innerhalb der Phantastik, wo homosexuelle Charaktere
> auftauchen. Bei IC habe ich mich allerdings gefragt, welche Relevanz
> Cutters Homosexualität überhaupt für die Story hatte. Was war Deine
> Motivation, Cutter als schwulen Mann auftauchen zu lassen?

Oscar Wilde sag ich nur. Bitte, der topos von nicht nur sexueller
sondern eben ›platonischer‹ liebe zwischen weiserem, älterem und
jüngeren, vitaleren mann ist doch nun wirklich nicht besonders an den
haaren herbeigezogen, und liegt doch in einem western- bzw. revoluzer-
und parteien-rangelspiel nahe, oder?



Soweit im augenblick.
Grüße
Alex / molosovsky

Re: Das große Forums-Interview mit China Miéville

@molo

Danke für Deine Hinweise und Anregungen.
Ja, die Idee die Fragen nach den Werken zu trennen, finde ich auch ganz vernünftig und sinnvoll.

Könntest Du aus dem Anmerkungen noch konkrete Fragen formulieren. Dann müßte ich das nicht noch übernehmen.

Gerade Dein Hinweis auf das die inhaltlichen Wendungen innerhalb des Anti-Trios finde ich ganz spannend. Fällt Dir dazu konkret eine interessante Frage ein?

Okay die Frage zum reinen CGI-Film werde ich anders formulieren. Leider wußte ich nicht genau, ob es im englischen ein Synonym für "Realfilm" gibt. Allerdings gibt es schon noch Unterschiede zwischen "reinen" CGI-Filmen wie Shreck 2, einem Final Fantasy und einem "Realfilm" mit GCI-Effekten, wie dem Herrn der Ringe und dies hat fraglos auch etwas damit zu tun, dass es im Herrn der Ringe tatsächliche Darsteller gibt.

Zitat:
Bitte, der topos von nicht nur sexueller
sondern eben ›platonischer‹ liebe zwischen weiserem, älterem und
jüngeren, vitaleren mann ist doch nun wirklich nicht besonders an den
haaren herbeigezogen, und liegt doch in einem western- bzw. revoluzer-
und parteien-rangelspiel nahe, oder?Ja, wieso? Wäre Cutter eine Frau gewesen, wäre uns dieser Zusammenhang vermutlich kaum aufgefallen.

Es grüßt




Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.

Frage zu thematischen Final-Wandlungen

für Seblon:

Je nachdem wie's mit dem zeitrahmen bis zum einreichen/abschicken der
fragen ausschaut, wollt ich schon noch gern ein bischen rum-diskutieren
:-)

Freilich will ich von Dir und sonst niemanden verlangen, meine
vorschläge auszuformulieren. Wollt ich schon selber machen. Siehe
zeitrahmen (hint hint: mal eine ›erste‹ deadline setzten vielleicht?)


Also, dann. Zu den thematischen volten: wie wäre das hier
• ENGLISH: There is always a big plot turn in the last chapters of your
Bas-Lag books. In a sense, you follow a good old subversive tradition
by misleading the reader over the majpor course of the narration. Then
in the finale, there comes a suprising shift of perspective, theme or
unexpectet turn of events. — Were these ›syncopic turns‹ among the
first conceptual things, when you draftet the ›anti-trilogy‹? Can you
tell us something about this aspect of your work, If it is not too
spoiler-endangerd?
• DEUTSCH: In allen drei Bas-Lag-Büchern finden in den letzten Kapiteln
große Umwälzungen statt. Auf eine gewisse Art folgt Du dabei einer
guten alten Tradtion der Subversion, indem Du den Leser auf eine
falsche Fährte lockst. Im Fnale kommt es dann zu überraschenden
Entwicklungen der Perspektive, des Themas oder zu einer unerwarteten
Entwicklung der Geschehnisse. — Gehörten diese ›synkopischen‹ Wendungen
zu den ersten konzeptionellen Dingen, als Du die ›Anti-Trilogie‹
entworfen hast? Kannst Du uns etwas über diesen Teil Deiner Arbeit
erzählen, oder ist da zu spoiler-gefährdetes Gebiet?

Puh. Echt gar nicht so einfach.
Grüße
Alex / molo

Zur Frage wg. Männerliebe

und noch eins für Seblon:


>> Bitte, der topos von nicht nur sexueller
>> sondern eben ›platonischer‹ liebe zwischen weiserem, älterem und
>> jüngeren, vitaleren mann ist doch nun wirklich nicht besonders an den
>> haaren herbeigezogen, und liegt doch in einem western- bzw. revoluzer-
>> und parteien-rangelspiel nahe, oder?
> Ja, wieso? Wäre Cutter eine Frau gewesen, wäre uns dieser Zusammenhang
> vermutlich kaum aufgefallen.

Für mich grad eben nicht. Für mich macht ists thematisch und von der
›bilderwahl‹ her sehr stimmig, mittels eines männlichen pärches die
feldspannungen die es jeweils zwischen ›meister und schüler‹ sowie
›begehrter und begehrer‹ gibt, ineinander zu blenden. Ich denke, wenn
das pärchen ›Cutter-Judah‹ ein hetero-pärchen wäre, würde dies nicht so
eingängig funktionieren (ich hab als funktionierende vergleiche z.B.
»Barton Fink« oder »Der Menschliche Makel« im sinn, oder auch, eben
ohne sex, »Shipping News«, Quoyle & seine Großtante). Wer wäre denn die
bessere frau? Cutter oder Judah … angy young girl oder weibliche
prophetin? Das thema angry young women wird ja bereits durch zwei
figuren behandelt (Ann-Hari und Toro). Miéville arbeitet sehr
vorzüglich mit solchen thematischen dopplungen, aber das weißt Du ja eh
:-)
Weil eben revoluzzergruppen und utopie-grüppchen (auch) etwas
mönchisches haben, hab ich die Cutter/Judah-konstellation als eine neue
variation eines themas genommen, daß auch schon Adson/William im »Namen
der Rose« bietet.

Grüße
Alex / molo

Re: Zu Seblons Fragen (Warnung: langer Post)

So weit ich mich erinnere (mein Gedächtnis ist sehr begrenzt und mein SUB in der Zwischenzeit um einiges geschrumpft bzw. neu aufgefüllt worden), wird die konkrete Begegnung von Cutter mit Judah eher nebensächlich abgehandelt, ganz im Gegensatz zur Suche Cutters nach seinem Geliebten bzw. nach der Liebe an sich.
Deshalb nehme ich die beiden als konkretes schwules Paar auch sehr viel weniger wahr, als den einsamen und ungeliebten Schwulen (übrigens ein klassisches mediales Motiv!) Cutter.


Aber lass uns derlei Diskussionen bei Bedarf besser in einem eigenen Thread führen, weil sonst dieser etwas zu überladen wird und seinen Zweck verfehlt, der ja das Sammeln von Fragen an China sein soll.

Deine Frage zu den thematischen Finalwandlungen finde ich übrigens ausgezeichnet.

Es grüßt




Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.

Re: Zu Seblons Fragen (Warnung: langer Post)

Okay, scheinbar gibt es von anderen Mitgliedern hier keine weiteren Fragen, deshalb werde ich das Fragen-Sammeln am Sonntag Abend (15. 10.) beenden und die Fragen an China senden. Vielleicht fällt Euch in den letzten Tagen bis Sonntag ja noch eine interessante Frage ein?

Es grüßt




Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.

Re: Zu Seblons Fragen (Warnung: langer Post)

So, ich habe noch mal gegrübelt.

Ich hatte an einer Frage zur Thaumaturgie gebastelt, aber die hast du ja schon aufgenommen.

Eine Frage zur Erzähltechnik:

Die ungeliebt Postmoderne: Im Zuge der Diskussion um New Weird hast du dich deutlich von postmodernen Erzähltechniken distanziert. Glaubst du, dass diese Erzähltechniken generell inferior sind? Gilt dieses nur für Fantasy oder gar nur für New Weird?

The unloved postmodernism: In the course of the discussion about the New Weird, you dissociated yourself from postmodern narrative methods. Do you think that these methods are generally inferior? Or only with the use of Fantasy or New Weird?


Und zwei Fragen, die man zum Abrunden nehmen könnte:

Eine ganz einfache Frage: Was liest du zurzeit? Warum hast du dich dazu entschieden?

A very simple question: What are you reading at the moment? Why have you decided to read it?

und:

Welche Frage hätte gestellt werden sollen, wurde es aber nicht (und was ist die Antwort darauf)?

Which question should have been asked, but wasn't (and what would be the answer)?

Und jetzt warte ich mal gespannt auf die Antworten dieser vielen - wie ich finde - spannenden Fragen.

Theophagos

Re: Zu Seblons Fragen (Warnung: langer Post)

@Theophagos

Klasse!


Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.

Molos fragen kurz vor deadlne

Hi Seblon.

Gemäß meinem zustand (grippe) ›rotze‹ ich also noch ein paar fragen raus. Ich will mal meine in frühren posts angedachten fragen aufarbeiten. Entschuldigt, daß ich heut nur auf englisch formuliere (ich liefere deutsch noch nach, muß aber jetzt erstmal etwas sonntägliche hausarbeit erledigen). — Ich kann mir denken, daß meine fragen ziemlich ›high end‹-mäßig rüberkommen für manche. Laßt Euch nicht nerven davon. Bin halt ein geek und kann nicht raus aus meinem fell.

Grüße
Alex / molosovsky

1) LONDON: What is the most good/bad thing about living in London, about being a Londoner? For example: Does living in this ›global city‹ make you feel proud/lucky or ashamed/doomed (sometimes)?

2) NON FICTION: »Between Equal Rights« was a difficult but thrilling read for me (Molosovsky). Do you intend to publish further non-fiction books?

3) RECOMMENDATIONS / INSPIRING EXAMPLES: In the ›Crooked Timber‹ seminar and the interview with Lou Anders for ›The Believer‹ you muse about the ›Holy Grail of fiction‹. QUOTE: »So my aim would be precisely to write the ripping yarn that is also sociologically serious and stylistically avant-garde.« UNQUOTE
Huzzar to that. — Fans are always eager to get recommendations from their maestro. (Btw: Thanks for your list of »50 F & SF Books a Socialist Should Read«. Very inspiring! Cool stuff!)
Please, can you give us three recommendations (favorite artists/works) for each value?
a) ripping yarn;
b) sociologically serious;
c) stylistically avant-garde.
And since you are also a non-fiction author, can you
d) name us three non-fiction books that you hold dear?

4) THE GAY THING / SEX / LOVE:
We are having a discussion about Cutter and Judah, ›the lovers‹ in IRON COUNCIL. Rutger is wondering about your reasons for going with a homosexual couple, whereas it makes perfect sense for me (Molosovsky), that you blend together the dyadic tensions of ›the master & the adept‹- with that of the ›the lover & the beloved‹-realtionship. I appreciated it as a clever and thoughtful riff on the topic about the differnces between ›physical love‹ and ›platonic love.‹ — Can you give a helpfull comment on that?

5) GEEKING OUT / VEGGING OUT: Since you praise Neal Stephenson I (Molosovsky) hope you don't mind, when I use a quote from him to launch a question. In an essay about STAR WARS Stephenson referrs to the difference of ›geeking out‹ and ›vegging out‹.
(»Now we take the Jedi geeks offline« in Harald Tribune, June 18 2005; URL: http://www.iht.com/articles/2005/06/17/opinion/edneal.php)

QUOTE: Modern English has given us two terms we need to explain this phenomenon: »geeking out« and »vegging out.«
To geek out on something means to immerse yourself in its details to an extent that is distinctly abnormal – and to have a good time doing it. To veg out, by contrast, means to enter a passive state and allow sounds and images to wash over you without troubling yourself too much about what it all means. UNQUOTE

In Really Old School terms, this is somewhat a rephrasing of the antique distinction between ›homeopathic‹ and ›allotopic‹ catharsis. However these two ›flavours‹ are named: For us fans its obvious that your fiction provides both attitudes splendetly. — So, what is more fullfilling or satisfying for you (as a person / as an artist / as an activist, if there is a differnce): an audience that's geeking out or one that's vegging out?


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Molochronik

Re: Zu Seblons Fragen (Warnung: langer Post)

Ach ja, hab ich bisher ganz vergessen Theophagus zu fragen: Was geht ab bei Deiner frage nach Yaghareks großvater? Borges oder Wishnu? — Bin ich komplett doof und ungebildet?

Grüße
Alex / m.—


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